Gunnar Myrdal

Gunnar Myrdal
Gunnar Myrdal (vor 1938)

Gunnar Myrdal [ˌgɵnːaɹ ˈmyːɖɑːl] (* 6. Dezember 1898 in Gustafs; † 17. Mai 1987 in Stockholm) war ein schwedischer Ökonom und wurde 1974 aufgrund seiner Arbeiten über Geld- und Konjunkturtheorie mit dem Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel ausgezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Myrdal war der Sohn eines Eisenbahnkonstrukteurs und seine Familie hat ihren Ursprung in Finnland.

Nach dem Abitur studierte Myrdal Jura. 1924 heiratete er Alva Reimer. Mit ihr hatte er zwei Töchter und einen Sohn (den späteren Schriftsteller Jan Myrdal).

Auf Wunsch seiner Ehefrau Alva Myrdal studierte er anschließend noch Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Finanzwirtschaft. Dieses Studium beendete er 1927 mit der Promotion zum Dr. oec. In seiner Dissertation übte er Kritik an der Arbeitswertlehre von Karl Marx.

Anschließend war Myrdal als Dozent tätig. In den Jahren 1933 bis 1950 war er Professor für Wirtschaftspolitik und Finanzwissenschaften an der Handelshochschule Stockholm.

Myrdal lehnte immer den Marxismus ab, war aber ein überzeugter Sozialist. Als solcher war er zusammen mit seiner Ehefrau seit 1932 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. In den Jahren 1933 bis 1938 vertrat Myrdal seine Partei im schwedischen Senat.

Von 1945 bis 1947 gehörte Myrdal der schwedischen Regierung als Handelsminister an. Hier zeichnete er für ein Handelsabkommen mit der Sowjetunion sowie einem Kohleabkommen mit Polen verantwortlich. Vor allem ersteres war in der Bevölkerung sehr umstritten. Im Zusammenhang mit der schwedischen Währungskrise trat Myrdal 1947 von seinen Ämtern zurück.[1]

1960 ging Myrdal zurück an die Universität Stockholm. Dort hatte er den Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftspolitik bis zu seiner Emeritierung 1967 inne.

Er war der erste Leiter der UNO-Wirtschaftskommission für Europa von 1947–1957.

Im Alter von 88 Jahren starb Gunnar Myrdal am 17. Mai 1987 in Stockholm.

Myrdal bei der Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche am 27. September 1970

Werk

Myrdal war ein scharfer Kritiker der neoklassischen Theorien und ähnlicher Theorien der Wirtschaftswissenschaft. Deren deduktiv abgeleitete Gleichgewichtsmodelle kritisierte er aufgrund ihrer Realitätsferne und ihrer Funktion zur Rechtfertigung sozialer Ungleichheit: die Vorstellung eines „ursprünglichen Gleichgewichts“, das gestört werden kann, wodurch aber Gegenkräfte geweckt werden, die wiederum zu einem Gleichgewicht tendieren. Eine häufige Formulierung ist die der „unsichtbaren Hand“ des Marktes, der Ungleichgewichte beseitigen könne, zum Beispiel die zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern.

In seinem Buch Ökonomische Theorie und unterentwickelte Regionen (1957) stellt Myrdal diesen Gleichgewichtsmodellen eine polarisationstheoretische Hypothese gegenüber: die der spiralförmigen kumulativen Verursachung von Ungleichgewichten in der wirtschaftlichen Entwicklung. Kleinste Vorteile oder Nachteile bestimmter Regionen können im Lauf der Zeit zu großen Vorteilen oder Nachteilen gegenüber anderen Regionen anwachsen, solange das „freie Spiel der Kräfte“, d. h. der staatlich nicht regulierte Markt vorherrscht. Deshalb befürwortete Myrdal Interventionen des Staates, auch auf internationaler Ebene, um öffentliche Wohlfahrt zu erhalten. Er gilt als einer der Vorreiter der Entwicklungspolitik.

Mit seiner Frau Alva schrieb Gunnar Myrdal das Buch Die Krise in der Bevölkerungsfrage (Schwedisch: Kris i befolkningsfrågan, 1934), durch das der damalige schwedische Minister für Soziale Aufgaben, Gustav Möller, angeregt wurde, die Sozialhilfe für Familien einzuführen.

In dem Buch Die Krise in der Bevölkerungsfrage forderten sie auch ein Sterilisationsprogramm, damit sich hochgradig lebensuntaugliche Individuen nicht fortpflanzen und die Sozialhilfe nicht unbezahlbar werde.[2][3] Die Myrdals betrachteten die Eugenik jedoch mit gemischten Gefühlen und wandten sich als Sozialreformer gegen deren Vereinnahmung durch die politische Rechte.[4]

Ab 1938 leitete Gunnar Myrdal eine von der Carnegie Corporation geförderte umfassende sozio-ökonomische, anthropologische und juristische Studie zu den Rassenbeziehungen in den USA. Das Ergebnis war Myrdals wohl bekanntestes Werk An American Dilemma: The Negro Problem and Modern Democracy (1944, Ko-Autoren: R. M. E. Sterner und Arnold Rose). Darin beschreibt er das Problem der Rassenbeziehungen als ein Dilemma, das dem Konflikt zwischen den hohen Idealen des „amerikanischen Traums“ einerseits und seiner unvollkommenen Verwirklichung andererseits entsprungen sei. In den Generationen seit dem amerikanischen Bürgerkrieg 1861–1865 seien die USA unfähig gewesen, ihre Menschenrechtsideale auch für das afro-amerikanische Bevölkerungszehntel umzusetzen. Das Buch wurde Grundlage der U.S.-Supreme-Court-Entscheidung von 1954 („Brown v. Board of Education“), das die Rassentrennung an öffentlichen Schulen für ungesetzlich erklärte.

Auszeichnungen

Siehe auch

Literatur

  • Örjan Appelqvist: Gunnar Myrdal i svensk politik 1943–1947 – En svensk Roosevelt och hans vantolkade nederlag. In: NORDEUROPAforum. 1999:1, S. 33-51. (online)
  • Thomas Etzemüller: „Die Romantik der Rationalität“. Alva & Gunnar Myrdal – Social Engineering in Schweden. Transscript Verlag, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-8376-1270-7.

Weblinks

 Commons: Gunnar Myrdal – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Örjan Appelqvist: .Gunnar Myrdal i svensk politik 1943–1947 – En svensk Roosevelt och hans vantolkade nederlag. In: NORDEUROPAforum. 1999:1, S. 33-51. (online)
  2. Franz Walter: Sozialdemokratische Genetik. In: Die Zeit. 31. August 2010.
  3. Ann-Judith Rabenschlag: Für eine bessere ‚Bevölkerungsqualität‘ Ein Vergleich bevölkerungspolitischer Konzepte in Schweden 1920–1940.
  4. Gunnar Broberg, Nils Roll-Hansen: Eugenics and the welfare state. Michigan State University Press, 2005, ISBN 0-87013-758-1, S. 104 f.

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