Jeckeln

Jeckeln

Friedrich Jeckeln (* 2. Februar 1895 in Hornberg (Schwarzwald); † 3. Februar 1946 in Riga (Lettische SSR)) war SS-Obergruppenführer, General der Waffen-SS und Polizei und als Höherer SS- und Polizeiführer, u. a. verantwortlich für die Massenmorde in Babyn Jar und im Ghetto von Riga. Er wurde 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Frühe Jahre

Der Sohn eines Fabrikbesitzers besuchte zunächst die Oberrealschule und danach für ein Semester das Polytechnikum in Köthen. 1913 wurde er eingezogen. Während des Ersten Weltkrieges war er als Artillerist an der Westfront, 1915 im Range eines Leutnants, 1916 wurde er schwer verwundet und wechselte zur Luftwaffe.[1]

Zwischenkriegszeit

Von 1919 bis 1925 arbeitete Jeckeln als Gutsverwalter in der Nähe von Danzig[1], danach war er arbeitslos. 1922 trat er dem Jungdeutschen Orden bei, dessen Mitglied er bis 1924 blieb; außerdem war er Mitglied in Freikorps. Zwischenzeitlich war Jeckeln auch Mitglied der DNVP, bis er schließlich am 1. Oktober 1929 in die NSDAP eintrat (Mitglieds-Nr 163.348), wo er zunächst als Redner und Organisator tätig war. Im Dezember desselben Jahres stellte Jeckeln seinen Aufnahmeantrag für die SS. Im Januar 1930 wurde er dort aufgenommen (Mitglieds-Nr. 4.367) und bereits am 15. März wurde er zum SS-Sturmbannführer befördert.

Rasanter Aufstieg in NSDAP und SS

Ab 1930 begann dann sein schneller Aufstieg in beiden Organisationen: Jeckeln war seit 1932 Mitglied des Reichstages. Auch während der Zeit des Nationalsozialismus war er Mitglied des nun politisch bedeutungslosen Reichstages.[2]

Er leitete zwischen März 1930 bis 1931 den II. Sturmbann der 12. SS-Standarte und wurde dort am 22. Juni 1931 zum SS-Standartenführer ernannt. Bereits am 20. September desselben Jahres erfolgte die Ernennung zum SS-Oberführer, als er die 12. SS-Standarte verließ.

Zwischen September 1931 und Januar 1933 führte Jeckeln den SS-Abschnitt IV (Provinz Hannover und Schleswig-Holstein) und wurde dort am 4. Februar 1933 zum SS-Gruppenführer ernannt. Er übernahm nun die Leitung der SS-Gruppe „Süd“ und gleichzeitig die Führung und den Oberbefehl über den SS-Abschnitt IV.

Am 13. September 1936 wurde er dort zum SS-Obergruppenführer ernannt, als er die Führung des SS-Oberabschnittes Nordwest übernahm.

Im November 1938 war Jeckeln in Braunschweig und Hannover an der Organisation der unter dem Schlagwort „Kristallnacht“ bekannt gewordenen Judenpogrome beteiligt.

Polizeichef des Freistaates Braunschweig

Am 20. Juni 1933 wurde Jeckeln vom NSDAP-Ministerpräsidenten des Freistaates Braunschweig, Dietrich Klagges, zum Führer der Gestapo, der Landespolizei und Kommandeur der Schutzpolizei in Braunschweig ernannt. Klagges Ziel dabei war eine enge Verknüpfung von Polizei und SS sicherzustellen.

Bereits 1932 war Jeckeln für Sprengstoffanschläge in Braunschweig verantwortlich, so z. B. auf das Haus des damaligen Oberbürgermeisters der Stadt Ernst Böhme (SPD), der aber unverletzt blieb.

Jeckeln wurde als rücksichtslos, brutal, maßlos und hart beschrieben. Politisch Andersdenkende, vor allem Mitglieder der KPD, SPD und der Gewerkschaften verfolgte er unnachgiebig bis in deren Tod. Zusammen mit NSDAP-Mitglied Friedrich Alpers, Justiz- und Finanzminister im Freistaat sowie Ministerpräsident Klagges, war Jeckeln für die Rieseberg-Morde im Sommer 1933 hauptverantwortlich.[1] Darüber hinaus ordnete er die Ermordung eines abtrünnigen SS-Mannes in Braunschweig an.

Zweiter Weltkrieg

Ankunft von Jeckeln (5.v.l.), weiteren Offizieren und Hinrich Lohse am Bahnhof von Riga, 1939.

Mitorganisator des Holocaust

Kamenez-Podolski

Ab 1940 wurde Jeckeln zusätzlich HSSPF West in Düsseldorf.

Er nahm ab Mai 1940 als Regimentskommandant der SS-Totenkopfverbände des Theodor Eicke (I. Sturmbann des 2. SS-Totenkopf-Infanterie-Regimentes) am sogenannten Frankreichfeldzug teil. Im März 1941 war er Gast bei der Eröffnung des rassistischen NS-Instituts zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt am Main.[3]

Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion („Unternehmen Barbarossa“) wurde er 1941 zum HSSPF im „Heeresgebiet Süd“ (besetzte Ukraine) ernannt. Bald nach seiner Amtsübernahme kam es zum ersten Massenmord an Juden im Zweiten Weltkrieg, als ihm unterstellte Einheiten zwischen dem 10. August und dem 1. September 1941 bei der Stadt Kamenez-Podolski 23.600 Juden ermordeten. Etwa 14.000 Opfer waren ungarische Juden, die übrigen stammten aus der Umgebung.

Babyn Jar, Rowno und Dnjepropetrowsk

Am 19. September 1941 wurde Kiew von deutschen Truppen eingenommen; einige Tage darauf, am 27. September 1941 fand eine Besprechung mit dem Thema „Evakuierung der ortsansässigen Juden“ statt. Teilnehmer waren u. a. Jeckeln, der Befehlshaber der Einsatzgruppe C, SS-Brigadeführer Otto Rasch, sowie der Befehlshaber des Sonderkommandos 4a, SS-Standartenführer Paul Blobel. Es wurde beschlossen, sämtliche Juden zu ermorden.

In nur zwei Tagen wurden durch „Einsatzgruppen“ am 29. und 30. September 1941 in der Schlucht Babyn Jar 33.771 Personen ermordet; bei weiteren Erschießungsaktionen bis zum 12. Oktober 1941 insgesamt 51.000. Außerdem wurden Massenerschießungen in Riwne und Dnipropetrowsk durchgeführt, an denen Jeckeln jeweils hauptverantwortlich beteiligt war.

Rigaer Ghetto

Am 11. Oktober 1941 wurde Jeckeln zum HSSPF Nord und Ostland (Baltikum und Teile Weißrusslands) ernannt[1] und nach Riga versetzt. Zu dieser Zeit existierte bereits das Judenghetto Riga, in dem sich Zehntausende lettischer Juden befanden. Angeblich erhielt Jeckeln von Himmler den Befehl, das Ghetto zu räumen, um für Juden Platz zu schaffen, die aus dem Deutschen Reich deportiert werden sollten. Jeckeln begann umgehend mit der Planung der „Liquidierung“. Als Ort des Massenmordes suchte er ein Wäldchen in der Nähe Rigas namens Rumbula aus.

Der Massenmord von Rumbula

Am Morgen des 30. November 1941 begannen lettische und deutsche Truppen mit dem Abtransport der Juden nach Rumbula, wo an nur zwei Tagen, nämlich am 30. November und am 8. Dezember 1941 insgesamt ca. 27.500 Personen erschossen wurden – davon 21.000 Frauen und Kinder.

Der Massenmord geschah im Beisein von „Besuchern“: Angehörige der Wehrmacht und des Generalkommissariats waren anwesend, um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, einige wurden sogar durch Jeckeln eingeladen bzw. dazu abkommandiert.

Am 30. November 1941 war am Güterbahnhof außerhalb Rigas schon ein erster Transportzug mit deutschen Juden aus Berlin eingetroffen. Jeckeln ließ auch diese umbringen; ein Telegramm Himmlers, das deren Tötung ausdrücklich untersagte, traf verspätet ein. Himmler rügte Jeckeln scharf für seine Eigenmächtigkeit.

Historiker deuten diesen Vorfall so: „In den Augen Jeckelns gab ihm der Himmler-Befehl zur Liquidierung des lettischen Ghettos zugleich die Möglichkeit, ebenso radikal gegen die Neuankömmlinge vorzugehen, bestand doch seiner Ansicht nach kein Unterschied zwischen deutschen und lettischen Juden. Es mag dahingestellt bleiben, ob Jeckeln den Befehl Himmlers missverstanden hatte oder er ihn bewusst nutzte, um die Dynamik des Vernichtungsprozesses weiter zu forcieren. Wir neigen der letzten Variante zu, da das Vorpreschen in Riga gewissermaßen eine Kopie der Abläufe von Kamenez-Podolsk darstellte, welches Jeckeln die erhofften Meriten bei seinen Vorgesetzten eingebracht hatte.“ [4]

Endphase des Krieges

Anfang 1942 war Jeckeln – wiederum persönlich – an der „Aktion Sumpffieber“ beteiligt, bei der ihm unterstellte Verbände unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung Tausende von Juden aus verschiedenen Ghettos ermordeten. Bei diesen Aktionen war wie immer sein gesamter Stab persönlich beteiligt, worauf Jeckeln immer großen Wert legte. In der Endphase des Krieges wurde er im Februar 1945 zum kommandierenden General des Raumes Breslau ernannt.

Kriegsgefangenschaft, Prozess und Hinrichtung

Bei Kriegsende geriet Jeckeln in Gefangenschaft und wurde zusammen mit anderen Angeklagten in Riga vor ein sowjetisches Kriegsgericht gestellt. Die Verhandlung dauerte vom 26. Januar bis 3. Februar 1946, Friedrich Jeckeln wurde zusammen mit den anderen Angeklagten zum Tode verurteilt. Im Beisein von mehreren Tausend Zuschauern wurde er noch am selben Tag in Riga, in der Nähe des Flusses Daugava (deutsch: Düna), erhängt.

Auszeichnungen

Literatur

  • Reinhard Bein: Juden in Braunschweig. 1900–1945. Materialien zur Landesgeschichte. 2. Auflage, Braunschweig 1988
  • Richard Breitman: Friedrich Jeckeln - Spezialist für die „Endlösung“ im Osten
  • Frank Flechtmann: November 1944: „Und nun erst recht!“ ein Hornberger läßt schießen
  • Israel Gutman (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Band 2 (H-P), 2. Aufl., München 1998, S. 667
  • Institute of Documentation in Israel for the Investigation of Nazi War Crimes (Hrsg.): SS-Obergruppenführer Friedrich Jeckeln verantwortlich für die Ermordung der Juden in Litauen, Lettland und Estland 1941 – 1944. (Dokumentensammlung)
  • Horst-Rüdiger Jarck, Günter Scheel (Hrsg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon. 19. und 20. Jahrhundert, Hannover 1996
  • Horst-Rüdiger Jarck, Gerhard Schildt (Hrsg.): Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, Braunschweig 2000, ISBN 3930292289
  • Gerhard Wysocki: Die Geheime Staatspolizei im Land Braunschweig. Polizeirecht und Polizeipraxis im Nationalsozialismus. Frankfurt/New York 1997
  • Mark C. Yerger: Allgemeine-SS - The Commands, Units and Leaders of the General SS, Schiffer Military History, 1997 (S. 42)
  • Anita Kugler: Scherwitz. Der jüdische SS-Offizier, Kiepenheuer & Witsch Köln 2004, S. 193 bis 216, sowie S. 250ff

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Reinhard Bein: Juden in Braunschweig. 1900–1945. Materialien zur Landesgeschichte. 2. Auflage, Braunschweig 1988, S. 51.
  2. Eintrag im Reichstagshandbuch 1938
  3. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 285.
  4. Andrej Angrick / Peter Klein: Die 'Endlösung' in Riga. Darmstadt 2006, ISBN 3-534-19149-8, Seite 169.
  5. Veit Scherzer: Die Ritterkreuzträger 1939-1945, Scherzers Militaer-Verlag, Ranis/Jena 2007, ISBN 978-3-938845-17-2, S.419
  6. Veit Scherzer: Die Ritterkreuzträger 1939-1945, Scherzers Militaer-Verlag, Ranis/Jena 2007, ISBN 978-3-938845-17-2, S.419

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