Liedig

Liedig

Franz-Maria Liedig (* 1900; † 1967) gehörte als Marineoffizier dem militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus an. In der Septemberverschwörung sollte der Korvettenkapitän zusammen mit Hauptmann Friedrich Wilhelm Heinz und einem Stoßtrupp von 30 Leuten am 28. September 1938 gewaltsam in die Reichskanzlei eindringen, Adolf Hitler festnehmen und an einen geheimen Ort bringen. Die Aktion wurde nach dem Bekanntwerden der Münchener Konferenz abgesagt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Franz-Maria Liedig trat als Kriegsfreiwilliger im Oktober 1916 in die Kaiserliche Marine ein, durchlief die Ausbildung an der Marineschule Mürwik und war bei Kriegsende Artillerieoffizier auf einem Torpedoboot an der flandrischen Küste. Nach kurzer Internierung in Scapa Flow studierte er als Leutnant zur See zunächst an der Technischen Hochschule München. 1919/20 nahm er in der Marine-Brigade Ehrhardt an Einsätzen in Berlin und Oberschlesien, schließlich am Kapp-Lüttwitz-Putsch teil. Im September 1920 verließ er die Marine und wurde ab Februar 1921 Adjutant von Ehrhardt. In der Weimarer Republik war er im Stahlhelm und im Bund Wiking tätig. Seit 1928 wandte sich Liedig von dem nationalrevolutionären Lager ab und mehr und mehr einem politischen Katholizismus zu. Nach seinem Studium wurde er Rechtsanwalt, promovierte und war zeitweise Mitglied der juristischen Fakultät der Münchener Universität. 1936 wurde Liedig auf Veranlassung von Admiral Wilhelm Canaris reaktiviert. Dienstlich kam er mit Generalmajor Hans Oster zusammen und gelangte so zum Widerstand.

Liedig wurde 1940 als Marineattaché zunächst nach Sofia und anschließend nach Athen versetzt. Im Februar 1944 wurde er Erster Offizier des Kreuzers Köln, auf dem er Anfang November 1944 in Oslo verhaftet wurde. Nach seiner Verhaftung wurde er zunächst in Berlin vernommen, kam dann nacheinander in die Konzentrationslager Flossenbürg, Buchenwald und Dachau. Am 24. April 1945 wurde Liedig gemeinsam mit etwa 140 prominenten Insassen des Lagers nach Niederdorf (Südtirol) transportiert, wo die SS-Wachmannschaften die Flucht ergriffen und die Gefangenen zurückließen.[1]

Liedig kehrte nach Bayern zurück und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der CSU; von 1946 bis 1948 amtierte er als deren Landesgeschäftsführer. Aufgrund seiner Zusammenarbeit mit Canaris und Oster war er jahrelangen Verdächtigungen ausgesetzt und wurde immer wieder des Landesverrats bezichtigt. Anfang der fünfziger Jahre legte er sein Parteiamt nieder.[2]

Teilnahme an der Septemberverschwörung 1938

Um den 20. September 1938 kam der engste Verschwörerkreis in Osters Berliner Wohnung zu einer Abschlussbesprechung zusammen: Erwin von Witzleben, Hans Oster, Hans Bernd Gisevius, Hans von Dohnanyi, vermutlich auch Carl Friedrich Goerdeler sowie Friedrich Wilhelm Heinz und Franz-Maria Liedig. Heinz und Liedig waren unlängst mit der Aufstellung eines Stoßtrupps beauftragt worden, über dessen Einsatz man sich nun verständigte. Unter Witzlebens Führung sollte die Gruppe die Polizeiposten am Eingang der Reichskanzlei überwältigen, den Widerstand der SS-Leibstandarte brechen, Hitler festnehmen und mit einem Kraftfahrzeug an einen sicheren Ort bringen.

Als Witzleben die Zusammenkunft verlassen hatte, verschärften die Zurückgebliebenen den Plan in einem wesentlichen Punkt: Vor allem Heinz drängte darauf, Hitler im Verlauf der Verhaftungsaktion zu erschießen.[3]

Mitwisser von Osters Verrat der deutschen Angriffstermine im Westen 1939

Am Abend des 8. Oktober 1939 war Hans Oster mit Franz Liedig, der ihm gelegentlich als Fahrer diente, auf dem Weg zu seiner Wohnung. Unterwegs bat er, bei Oberst Bert Sas, dem holländischen Militärattaché in Berlin und Freund seit den Olympischen Spielen 1936, vorbeizufahren. Als Oster nach wenigen Minuten aus Sas' Haus kam und wieder neben Liedig Platz genommen hatte, sagte er, er habe soeben „Landesverrat“ begangen, weil er den deutschen Angriffstermin im Westen verraten habe.[4]

Verhaftung nach dem Attentat vom 20. Juli 1944

Liedig wurde erst durch Aktenmaterial, das man am 22. September 1944 in einer Außenstelle des Amtes Ausland/Abwehr in Zossen gefunden hatte, belastet. Eine Reihe der in dem Aktenmaterial belasteten Verschwörer war mittlerweile verstorben oder gefallen, einige befanden sich bereits in Untersuchungshaft, da sie im Umfeld des Attentats vom 20. Juli festgenommen worden waren, die übrigen Verdächtigen sollten in den folgenden Wochen verhaftet werden, so auch Liedig.

Dieser Aktenfund war insofern wichtig, als dieses Material der NS–Führung erstmals die schon 1938 und 1939 vorhandenen Umsturzpläne von Regimegegnern offenbarte. Hitler ordnete an, dass dieses Material keinesfalls dem Volksgerichtshof übergeben werden dürfe und der obersten Geheimhaltung unterliege. Die Bevölkerung sollte in der angespannten militärischen Situation an den Fronten sowie durch das Attentat auf Hitler nicht noch zusätzlich durch die Bekanntgabe von Verschwörungsplanungen aus der Zeit vor dem Krieg verunsichert werden.[5]

Bewertung

Liedigs Bereitschaft, in der Septemberverschwörung 1938 Hitler zu töten, sowie seine Kenntnis von weiteren Attentatsplänen im darauffolgenden Jahr deuten auf seine radikale Einstellung gegen den Nationalsozialismus. Wie Heinz kam er aus dem nationalrevolutionären Lager und hatte 1920, ebenso wie Canaris und Heinz, am Kapp-Lüttwitz-Putsch teilgenommen. Hillmann meint, dass Liedigs Beteiligung am Widerstand der Jahre 1938/39 auch auf die Heterogenität der Zusammensetzung des Widerstandes und auf deren fehlende konzeptionelle Geschlossenheit hinweise.[6] Andererseits lässt sich feststellen, dass der nationalkonservative, militärische Widerstand 1938 und später eine breitere weltanschauliche Basis erhielt, als mehr Kontakte zum bürgerlichen Widerstand und zu Gewerkschaftern hergestellt wurden. Der Widerstand repräsentierte damit zwar keine breite Massenbewegung, war aber ein breites Bündnis weltanschaulicher Gegner des Nationalsozialismus von rechts bis links. In diesem Spektrum hatte Liedig seinen Platz, der nur durch eine unglückliche Fügung (s. o. Nachricht von der Münchener Konferenz) eine Episode blieb.

Literatur

  • Joachim Fest: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. Siedler, Berlin 1994, ISBN 3-88680-539-5.
  • Jörg Hillmann: Der 20. Juli 1944 und die Marine. Ein Beitrag zu Ereignis und Rezeption. Winkler, Bochum 2004, ISBN 3-89911-029-3.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Georg-Elser-Arbeitskreis: Die Befreiung der Sonder- und Sippenhäftlinge in Südtirol
  2. Vgl. Jörg Hillmann: Marineoffiziere in der Widerstandsbewegung
  3. Vgl. Joachim Fest: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. S. 94.
  4. Vgl. Joachim Fest: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. S. 141 f.
  5. Vgl. Jörg Hillmann: Marineoffiziere in der Widerstandsbewegung
  6. Vgl. Jörg Hillmann: Marineoffiziere in der Widerstandsbewegung

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