Marienbader Elegie

Marienbader Elegie
Blick auf Marienbad in Böhmen (um 1900)
Ulrike von Levetzow. Anonymes Pastellgemälde, 1821
Goethe um 1828

Unter dem Titel „Trilogie der Leidenschaft“ fasst Johann Wolfgang von Goethe 1827 erstmals drei Gedichte zusammen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus verschiedenen Anlässen in den Jahren 1823 und 1824 entstanden sind. Das letzte Gedicht dieser Trilogie bildet die „Marienbader Elegie“, ein Liebesgedicht, dessen Anlass die endgültige Trennung Goethes von Ulrike von Levetzow ist.

Im Sommer 1821 reist Johann Wolfgang von Goethe zu einem Kuraufenthalt in das böhmische Marienbad. Auf der Suche nach Ablenkung vom tristen Alltag, von Gebrechen des Alters und von der Einsamkeit trifft er auf die siebzehnjährige naiv-kokette Ulrike von Levetzow, die mit ihrer Mutter und den beiden jüngeren Schwestern den Sommer in Marienbad verbringt. Im fast 72 Jahre alten Goethe entbrennt eine große Leidenschaft zu dem 54 Jahre jüngeren Mädchen. Blind vor Liebe wagt er zwei Sommer später 1823 das beinahe Undenkbare: Mit Hilfe seines Freundes Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach hält er schriftlich und formell bei Ulrikes Mutter, Amalie von Levetzow, um die Hand des Mädchens an. Carl August unterstützt den Antrag, indem er der Familie ein sorgenfreies Leben an seinem Hof verspricht. „Kein Mißbilligen, kein Schelten macht die Liebe tadelhaft“, rechtfertigt Goethe vor Carl August sein Bemühen.

Umso erschütternder ist für den vom Schicksal stets begünstigten Goethe, der sein Leben lang Glück in der Liebe hatte, die höfliche Absage durch Ulrike: „Das Fräulein hätte noch gar keine Lust zu heiraten“ heißt es diplomatisch. Diese größte persönliche Niederlage Goethes wird zugleich zum Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Nach dieser bitteren Erfahrung setzt der Liebende seinem entsagungsvollen Liebeserlebnis schon in der Kutsche nach seinem Aufbruch aus Marienbad ein lyrisches Denkmal: Die Marienbader Elegie, ein Klagelied, das laut Goethe „das Produkt eines höchst leidenschaftlichen Zustandes“ ist[1].

Dieses leidvolle Erlebnis ist zugleich die letzte Erfahrung der Liebe in Goethes Leben und besiegelt Goethes Abschied von der Liebe allgemein. Das Schwinden der Liebesfähigkeit des Menschen, der Goethe einen religiösen Rang zuerkennt, ist gleichzusetzen mit dem Tod:

Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren,
Der ich noch erst den Göttern Liebling war;
Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren,
So reich an Gütern, reicher an Gefahr;
Sie drängten mich zum gabeseligen Munde,
Sie trennen mich, und richten mich zugrunde.
(Auszug aus der Marienbader Elegie)

Johann Peter Eckermann sieht das Gedicht als persönlichstes Zeugnis von Goethes Leidenschaft:
„Die jugendlichste Glut der Liebe, gemildert durch die sittliche Höhe des Geistes, das erschien mir im Allgemeinen als des Gedichtes durchgreifender Charakter. Übrigens kam es mir vor, als seien die ausgesprochenen Gefühle stärker, als wir sie in anderen Gedichten Goethes anzutreffen gewohnt sind …“ [1]

Stefan Zweig beschreibt das lyrische Dokument als das „bedeutendste intimste Gedicht seines Alters“ und widmete der Entstehung und Geschichte ein volles Kapitel in seiner berühmten Sammlung literarische Miniaturen Sternstunden der Menschheit. Für Zweig enthalten die Verse „eine der reinsten Strophen über das Gefühl der Hingabe und Liebe, die jemals die deutsche und irgendeine Sprache geschaffen:“ [2]

In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;
Wir heißen’s: fromm sein! – Solcher seligen Höhe
Fühl’ ich mich teilhaft, wenn ich vor ihr stehe.
(Auszug aus der Marienbader Elegie)

Otto Erich Hartleben hingegen wandte sich gegen das „scheußliche Gedicht […] Dieses aufgeplusterte hohle Stroh soll der Teufel holen. ‚Im Handeln, seis zur Freude seis dem Lieben‘ – wenn da nicht die Geduld reißt – Gottverdammich! Das ist eine ekelhafte Wichtigthuerei und weiter gar nichts.“ [3]

Quelle

Literatur

  • Jochen Klauß (Hrsg.): Keine Liebschaft war es nicht – Eine Textsammlung. Manesse, Stuttgart/Zürich 1997, ISBN 3-7175-8224-0.
  • Friedemann Bedürftig: Die lieblichste der lieblichsten Gestalten – Ulrike von Levetzow und Goethe. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, ISBN 3-499-23849-7.
  • Dagmar von Gersdorff: Goethes späte Liebe – Die Geschichte der Ulrike von Levetzow. Insel Verlag, Frankfurt am Main, 2005, ISBN 3-458-19265-4.
  • Astrid Seele: Frauen um Goethe. Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-50636-X.
  • Stefan Zweig: Die Marienbader Elegie. In: Sternstunden der Menschheit, Fischer (Tb.), Frankfurt 1964 ff., ISBN 978-3596205950.
  • Martin Walser: Ein liebender Mann. Rowohlt, Reinbek 2008, ISBN 3-4980-7363X. (Roman, literarische Fiktion über Goethes Beziehung zu Ulrike.)
  • Sebastian Kaufmann: Schöpft des Dichters reine Hand ... Studien zu Goethes poetologischer Lyrik, S. 413-472. Winter, Heidelberg 2011, ISBN 978-3-8253-5916-4. (Ausführliche Interpretation der Elegie im Kontext der gesamten Trilogie der Leidenschaft.)

Einzelnachweise

  1. a b Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Eintrag vom 16. November 1823. (Online bei Projekt Gutenberg)
  2. Stefan Zweig: Die Marienbader Elegie. In: Sternstunden der Menschheit, Fischer (Tb.), Frankfurt 1964 ff., ISBN 978-3596205950.
  3. Otto Erich Hartleben: An Otto Pniower, 12. III. 1901. In: Briefe an Freunde. 1912, S. 286 ff.

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