Nationalisierung

Nationalisierung

Verstaatlichung ist die Überführung von im Privateigentum befindlichen Unternehmen in Staatseigentum.[1]

Von der häufig punktuell ansetzenden Vergesellschaftung in marktwirtschaftlich orientierten Staaten wird die „flächendeckende“ Vergesellschaftung der Produktionsmittel zum Aufbau einer sozialistischen Planwirtschaft unterschieden. Bei flächendeckender Verstaatlichung zum Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft, spricht man auch von „Sozialisierung“.[1] Der entgegengesetzte Prozess (die Überführung von Staatseigentum in Privatbesitz) wird Privatisierung genannt. Verstaatlichungen können zivilrechtlich durch Kauf aber auch durch Enteignungen durch den Staat erfolgen.

Inhaltsverzeichnis

Motivation

Verstaatlichungen oder Teilverstaatlichungen erfolgen aus verschiedener Motivation:

Hoheitliche Aufgaben

Geschichtlich wurden vielfach auch Aufgaben privat organisiert, die heute als staatliche Aufgaben angesehen werden. So wurde die Einziehung von Steuern durch Steuerpächter durchgeführt oder private Kreditinstitute mit der Ausgabe von Banknoten betraut. Diese Aufgaben werden heute weitgehend als hoheitliche Aufgabe wahrgenommen und verstaatlicht.

Fiskalische Interessen

Der Staat erzielt aus seiner unternehmerischen Tätigkeit Erträge. Die Erzielung zusätzlicher Erträge wird als Motiv für Verstaatlichungen genannt. Ein Beispiel sind die Wirkungen der Arisierungen nach der Machtergreifung der Nationalsozialismus. Die Erträge aus diesen Verstaatlichungen trugen zur Finanzierung des Regimes und des Krieges bei.

Bereits in Zeiten der Republik war es im antiken Rom Politik einzelner Machthaber wie zum Beispiel Lucius Cornelius Sulla Felix, politische Gegner auf so genannte Proskriptionslisten zu setzen, womit diese 'vogelfrei' waren und ihr Besitz dem Staat verfiel. Diese Vorgehensweise war später auch im Kaiserreich beliebt, insbesondere weil die Person des Kaisers und der Staat gleichgesetzt waren und Verstaatlichungen somit unmittelbar dem Imperator persönlich zugute kamen.

Natürliche Monopole

Natürliche Monopole können zu einer Störung des Marktgleichgewicht führen. Aus diesen und anderen Gründen versuchten einzelne Staaten Konzessionierung und Preiskontrollen dieser Märkte einzuführen. Eine Regierung kann sich neben einer Marktregulierung, Öffnung der monopolisierten Märkte oder einem „Nichteinschreiten“ zu einer Verstaatlichung entscheiden. Nachteilig ist dabei, dass ein Staatskonzern weniger Anreize hat, Kosten zu senken.

Die Eisenbahn wurde in den meisten Staaten Staatsmonopol, Strom-, Gas- und Wasserversorger wurden im Rahmen der Verstaatlichung meist Kommunaleigentum. Beispielsweise verstaatlichten zwischen 1879 und dem Ersten Weltkrieg die deutschen Länder nach und nach ihre Eisenbahnnetze, so dass 1913 etwa 58.300 von 63.377 Kilometern Eisenbahnstrecken im Deutschen Reich den Länderbahnen gehörten. 1920 wurden durch einen Staatsvertrag alle 10 Länderbahnen der Deutschen Reichsbahn übertragen.[2]

Die Frage der Privatisierungen von Staatseigentum an Versorgungsunternehmen seit den 1980er Jahren wird kontrovers diskutiert. Vielfach wird heute durch Trennung von Netz, Produktion und Vertrieb versucht, auf Teilbereiche dieser Märkte staatliche Marktregulierungsmaßnahmen vorzunehmen.

Wirtschaftskrisen

Verstaatlichungen oder Teilverstaatlichungen finden in besonderen Ausnahmesituationen als politisches Instrument zur Stabilisierung statt, beispielsweise in Wirtschaftskrisen[1] wie etwa der Finanzkrise ab 2007 durch Maßnahmen zum Schutz der Kreditwirtschaft. Kritiker sprechen in diesem Fall von einer „Sozialisierung von Verlusten“. [3]

Marktwirtschaftlich orientierte Staaten stehen hier vor dem Dilemma, entweder systemwidrige Staatsbeteiligungen im Rahmen eines "Bail-out" einzugehen und einen Moral Hazard hervorzurufen oder Firmen, die Too Big to Fail sind („zu groß um zu Scheitern“), fallen zu lassen und die Gefahr einer Wirtschaftskrise zu erhöhen. So wird das Fallenlassen von Lehman Brothers durch die US-Regierung am 15. September 2008 vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) angesichts der Finanzkrise ab 2007 als schwerer Fehler eingestuft.[4] Laut SVR wurde damit signalisiert, dass bei einem Bankenzusammenbruch nicht mehr automatisch mit einem „Bail-Out“ für Kreditgeber zu rechnen sei.

Kriegswirtschaft

Die Kriegswirtschaft ist meist nicht privat organisiert, sondern in hohem Maße durch den Staat gesteuert. Neben der Einführung von planwirtschaftlichen Elementen erfolgte vielfach auch eine Verstaatlichung kriegswichtiger Betriebe. Hierzu trug auch die Beschlagnahmung von industriellem Feindvermögen bei.

Strategische Branchen

Schließlich werden auch wichtige „strategische“ Wirtschaftszweige verstaatlicht oder Wirtschaftszweige, die nicht in die Hände des Auslands geraten sollen („Nationalisierung“).[1]

In Entwicklungsländern (Trikont-Ländern)begründen Regierungen die Verstaatlichung häufig damit, das Land aus einer angeblichen Abhängigkeit von transnationalen Unternehmen lösen zu wollen. Gängig ist die Praxis, strategisch wichtige Rohstoffquellen oder Schlüsselindustrien eines Landes zu verstaatlichen; oft, um einen vorher erfolgten politischen Machtwechsel abzusichern.

Sozialismus

Im Manifest der Kommunistischen Partei forderten Karl Marx und Friedrich Engels die Verstaatlichung aller Produktionsinstrumente:

„Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“ [5]

Karl Marx und Friedrich Engels forderten im Kommunistischen Manifest weiter unter anderem[6]

  • Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.
  • Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staats.
  • Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung aller Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan.

Friedrich Engels sah dann Verstaatlichungen später differenzierter und nicht mehr in jedem Falle positiv:

„Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben.“[7]

und:

„Allerdings, wäre die Verstaatlichung des Tabaks sozialistisch, so zählten Napoleon und Metternich mit unter den Gründern des Sozialismus ... wenn Bismarck ohne jede ökonomische Notwendigkeit die Hauptbahnlinien Preußens verstaatlichte, so waren das keineswegs sozialistische Schritte, direkt oder indirekt, bewußt oder unbewußt.“[8]

Gesetzliche Grundlagen in Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland bestehen keine Einschränkungen des Staates als Unternehmer. Der Kauf und Betrieb von Unternehmen steht dem Staat und den Gebietskörperschaften frei.

Die Möglichkeiten einer Enteignung sind hingegen in Artikel 15 i.V.m. Art.14 Abs.3 des Grundgesetzes verankert. Dieser besagt: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden...". Das Grundgesetz trifft keine Aussage über die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Es kennt die Möglichkeit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, ordnet sie aber nicht an. Kennzeichen einer legalen Verstaatlichung ist es aber, dass eine Abwägung von Privat- und Allgemeininteressen durchgeführt wird und es zu einer angemessene Entschädigung des oder der Enteigneten kommt.

Ebenso gibt es ähnliche Klauseln in vielen Landesverfassungen. In den Verfassungen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurde festgeschrieben, dass Unternehmen, die aufgrund ihrer monopolartigen Stellung Bedeutung haben, in Gemeineigentum überführt werden können. Die bremische Landesverfassung genehmigt Verstaatlichungen, wenn der Unternehmenszweck besser in gemeinwirtschaftlicher Form erreicht werden kann. Im Saarland dürfen laut Gesetz sogar Schlüsselindustrien wegen ihrer überragenden Bedeutung für die Wirtschaft nicht in Privateigentum stehen. Ebenso hat die bayerische Verfassung Verstaatlichung vorgesehen, „wenn die Rücksicht auf die Gesamtheit es erfordert“ [9].

Siehe auch

Verstaatlichung in Österreich, Allmende, Volkseigentum, Subsidiarität in der Staatstheorie

Einzelnachweise

  1. a b c d Brockhaus Enzyklopädie, 21. völlig neu bearbeitete Auflage. F. A. Brockhaus, Leipzig, Mannheim
  2. Peter Schymanietz, Die Organisation der deutschen Eisenbahnen 1835 - 1975. Eisenbahn-Kurier Verlag, Freiburg 1977, ISBN 3-88255-822-9.
  3. Spiegel Online: „Wenn der Staat zum Banker wird“ vom 10. Oktober 2008
  4. Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2008/2009, Drittes Kapitel, I,2: „Die Fehleinschätzung der US-Behörden im Fall von Lehman Brothers“.
  5. (Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4: 481)
  6. [1] Kommunistisches Manifest
  7. Friedrich Engels 1880/1882: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. MEW Band 19, S. 222.
  8. Friedrich Engels (1894): Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. In MEW Band 20, S. 259, Fußnote.
  9. Süddeutsche Zeitung: Sozialismus im Grundgesetz vom 10. Oktober 2008

Weblinks


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