- Neodarwinismus
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Die Synthetische Evolutionstheorie ist eine Erweiterung der Evolutionstheorie von Charles Darwin durch die Erkenntnisse der Zellforschung, Genetik und Populationsbiologie. In Darwins Veröffentlichungen zur Evolutionstheorie fehlen diese Elemente, da sie erst nach seinem Tod entdeckt wurden. Die Synthetische Evolutionstheorie ist auch unter dem veralteten Begriff „Neodarwinismus“ bekannt. Der Mediziner und Zoologe August Weismann (1834–1914) lieferte erste Gedanken zu dieser Synthese, die von den Evolutionsbiologen des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt wurden. Einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde die synthetische Evolutionstheorie erstmals 1942 durch Ernst Mayr und Julian Huxley.
Darwins Theorie besagt, dass Evolution ein langfristiger, fortschreitender Prozess der Entwicklung von Organismen ist. Die Individuen einer Population unterscheiden sich durch erbliche Zufalls-Veränderungen. Durch natürliche Auslese werden diejenigen Veränderungen, die ihren Träger besser an eine gegebene Umwelt anpassen, häufiger an die nächste Generation weitergegeben. Alle heutigen Arten stammen von gemeinsamen Vorfahren ab.
Inhaltsverzeichnis
Neue Elemente
Durch die Erkenntnisse auf dem Gebiet der Genetik konnten zusätzlich die molekularen Mechanismen zur Erzeugung der genetischen Variabilität aufgedeckt werden:
Gene bestimmen den Phänotyp, das sind die Bau- und Leistungsmerkmale eines Organismus. Mutationen sind die erblichen Zufalls-Veränderungen, welche die Gene und damit den Phänotyp verändern und der natürlichen Auslese durch biotische und abiotische Faktoren, der Selektion, aussetzen.Die Populationsbiologie, insbesondere die Populationsgenetik, liefert mathematische Modelle zur Veränderung der Allelfrequenz in einer Population. Die Struktur und Verteilung von Populationen bestimmt die Entwicklung neuer Arten. Reproduktive Isolation ist hierfür die Grundvoraussetzung. Zu einer biologischen Art gehören damit alle Individuen, die miteinander in Genaustausch stehen und fruchtbare Nachkommen haben.
Begründer
- Theodosius Dobzhansky (Genetik): Populationsgenetik der Essigfliege Drosophila; Präadaptation.
- JBS Haldane (Genetik): führte Teile der Populationsgenetik auf die Mendelschen Regeln zurück und zeigte ihre Vereinbarkeit mit Darwin.
- Julian Huxley (Biologie): Zusammenhänge zwischen Evolutionstheorie und Genetik (1942: Evolution: The Modern Synthesis); Beiträge zur Philosophie der Naturwissenschaften (in seinem Buch Religion Without Revelation von 1927 ist er der Meinung, dass Religion dazu dienen sollte, sein eigenes Schicksal zu überdenken und nicht an ein höheres Wesen zu glauben).
- Ernst Mayr (Biogeographie und Systematik): Definition der biologischen Art als Fortpflanzungsgemeinschaft; Artbildung durch geografische und reproduktive Isolation.
- Bernhard Rensch (Zoologie und Verhaltensbiologie).
- George Gaylord Simpson (Paläontologie): Entwicklung statistischer Methoden zur Untersuchung der Interkontinental-Wanderung der frühen Säugetiere.
- G. Ledyard Stebbins (1906-2000), US-amerikanischer Botaniker, Genetiker und Evolutionsbiologe. Er war einer der Architekten der Synthetischen Evolutionstheorie, der den Teilbereich der Botanik abdeckte.
Erweiterungen
Auf Grund des Erkenntnisfortschritts in der Biologie, aber auch in anderen Wissenschaftszweigen wie zum Beispiel in der Geologie (Plattentektonik) sowie in der Entwicklung neuer Beobachtungs- und Experimental-Technologien (Elektronenmikroskop, Gel-Elektrophorese), wird diese Evolutionstheorie durch weitere Konzepte beständig bestätigt und ausgebaut.
So liefert die Erforschung der DNA die molekularen Grundlagen genetischer Prozesse und damit Erkenntnisse über die Mechanismen der Evolution auf molekularer Ebene. Neben der Mutation als Motor der genetischen Variation spielen Anzahl, Anordnung und Zusammenstellung der Gene in den Chromosomen eine Rolle. Die Bedeutung der nicht-Polypeptid-codierenden DNA, der Introns (früher als „DNA-Müll“ bezeichnet) wird intensiv erforscht und immer deutlicher. Zwar ist auch der größte Teil der Gene selbst noch nicht erforscht, die Wege von den Genen zum Merkmal sind aber weitgehend bekannt. (Siehe auch: Systemtheorie der Evolution, Soziobiologie)
Konzepte
Einige neuere Konzepte innerhalb der Evolutionstheorie wurden und werden zum Teil noch immer kontrovers diskutiert:
- Determinismus: Mutationen sind nicht nur reiner Zufall, sondern auch einem molekularen Determinismus unterworfen.
- Neutralismus (Motoo Kimura): Nicht nur das Auftreten der Varianten ist zufällig, sondern auch ihre Etablierung innerhalb einer Population. Wenn die meisten genetischen Unterschiede einem Selektionsdruck unterliegen würden, müsste die genetische Variabilität in einer Population niedrig sein. Da aber die Variabilität hoch ist (siehe Biologische Evolution), sind die meisten genetischen Unterschiede für das Überleben weder hinderlich noch förderlich, das heißt adaptiv neutral. Es muss also differenziert werden, wie viele Varianten durch Zufall erhalten bleiben und wie viele aufgrund eines Anpassungsvorteils nicht eliminiert werden.
- Gradualismus: Evolution erfolgt in kleinen Schritten und allmählichen Übergängen
- Punktualismus (Niles Eldredge und Stephen Jay Gould): Die Seltenheit von Funden, deren morphologischer Merkmale zwischen den aufeinanderfolgender Fossilien liegen (siehe fehlendes Glied (missing link) und Mosaikformen) ist nicht auf die Unvollständigkeit der Überlieferung zurückzuführen, sondern darauf, dass die Evolution in Schüben erfolgt. Zwischen diesen Schüben verharren die Organismen im Gleichgewicht und ändern sich nicht.
- Egoistische Gene (Richard Dawkins): In seinem Werk „Das egoistische Gen“ vertritt Dawkins die These, dass nicht die Individuen, sondern die Gene die Einheit der Selektion darstellen. Dem steht heute gegenüber, was unter „Phänotypischer Plastizität“ verstanden wird, dass der Phänotyp die Bühne ist, auf der Gene zur Kooperation gezwungen oder erzogen werden. Danach wird wieder ein größeres Gewicht auf die Mitwirkung des Organismus gelegt.
In den meisten Fällen geht es dabei nicht um prinzipielle Unterschiede (Paradigmen) zwischen den konkurrierenden Konzepten, sondern um den Grad der Bedeutung der jeweiligen Effekte für die Evolution der Organismen. Das jeweilige Konzept wird also nicht als Dogma verstanden, wie die Nachsilbe -ismus nahelegt, es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Konzepte sich gegenseitig ausschließen. Vielmehr ergänzen sie sich gegenseitig, so dass die Evolution durch die verschiedenen Konzepte immer differenzierter verstanden wird. Dieser Lernprozess ist angesichts der Vielfalt des Lebendigen sicherlich noch nicht abgeschlossen, so dass davon auszugehen ist, dass die Evolutionstheorie auch in Zukunft noch durch neue „Konzepte“ erweitert wird.
Neodarwinismus
Die Bezeichnung Darwinismus wurde von Alfred Russel Wallace (1823–1913) für die von Charles Darwin entwickelte Evolutionstheorie eingeführt
Die Bezeichnung Neodarwinismus geht auf George John Romanes (1848–1895) zurück. Er bezeichnete damit die Selektionstheorie Darwins, die durch Weismann von allen lamarckistischen Elementen befreit wurde.
Bei der evolutionären Synthese in den 1930er Jahren wurde die Populationsgenetik mit der Selektionstheorie und anderen biologischen Disziplinen verbunden und als Synthetische Theorie der Evolution bezeichnet. Vor allem englische Forscher wie Maynard Smith oder Dawkins, die sich bewusst von dieser Synthese abgrenzen wollten, bezeichneten sich selber als Neo-Darwinisten.
Die neutrale Bezeichnung Evolutionstheorie ist aus Sicht vieler Biologen dem heute durch negative Assoziationen belasteten Begriff Neodarwinismus vorzuziehen: Zum einen erwecke die Endung -ismus den Anschein dogmatischer Unbeweglichkeit, zum anderen wurde durch die parallele Entwicklung des Darwinismus zum Sozialdarwinismus, der zur Begründung des Rassismus herangezogen wurde, der Begriff Darwinismus und damit auch Neodarwinismus diskreditiert. Einige neuere Strömungen in der Evolutionstheorie grenzen sich jedoch auch bewusst vom "neodarwinistischen" Mainstream ab.[1] Insofern lässt sich Evolutionstheorie und Neodarwinismus nicht gleichsetzen.
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. z.B. Gerhard Roth: Die unberechenbare Ordnung. Chaos, Zufall und Auslese in der Natur, Spektrum der Wissenschaft 12 (1993) [1].
Siehe auch
Literatur
- Thomas Junker: Die zweite Darwinsche Revolution. Geschichte des Synthetischen Darwinismus in Deutschland 1924 bis 1950, Marburg 2004
- Ulrich Kutschera: Evolutionsbiologie. 2. Auflage. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2006
- Jürgen Haffer: Ornithology, Evolution, and Philosophy. The Life and Science of Ernst Mayr 1904–2005, Springer, Aug. 2007
Siehe auch unter Evolutionstheorie
Weblinks
- becominghuman.org - Dokumentation und Informationen über die Evolution des Menschen
- The Synthetic Theory of Evolution: General Problems and the German Contribution to the Synthesis - Versuch, anhand einer Darstellung der Beteiligung deutscher Forscher an der evolutionären Synthese zu klären, welche Inhalte die Synthetische Theorie der Evolution charakterisieren
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