Nicht chromosomale Vererbung

Nicht chromosomale Vererbung

Die Vererbung ist in der Biologie die direkte Übertragung der Eigenschaften von Lebewesen auf ihre Nachkommen, soweit die Informationen zur Ausprägung dieser Eigenschaften genetisch festgelegt sind. Die Übertragung von Fähigkeiten und Kenntnissen durch Lehren und Lernen ist hiervon zu unterscheiden und wird nicht als Vererbung bezeichnet.

Die Wissenschaft, die sich mit der biochemischen Informationsspeicherung und den Regeln ihrer Übertragung von Generation zu Generation befasst, ist die Genetik. Die genaue Beschreibung der Vererbung einer Eigenschaft wird als Erbgang bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Biochemische Basis

Der Phänotyp eines Lebewesens beruht auf Informationen, die in der Desoxyribonukleinsäure (DNA) gespeichert sind. Es handelt sich dabei um ein sehr langgezogenes Molekül, das aus einzelnen Bausteinen, den Nukleotiden, zusammengesetzt ist. Die Sequenz der Nukleotide eines DNA-Abschnitts bestimmt die Sequenz der Aminosäuren eines in der DNA codierten Proteins. Ein solcher DNA-Abschnitt, der die Informationen für den Aufbau eines Proteins enthält, wird als Gen bezeichnet.

Die genetisch bestimmten Eigenschaften der Lebewesen beruhen auf der Aktivität der Proteine. Ihre Vererbung geschieht durch die Übertragung der informativen DNA auf die Nachkommen. Die Gesamtheit dieser Informationen stellt die vollständige Erbinformation dar und wird als Genom bezeichnet.

Die Aktivität von Erbinformationen kann vor der Vererbung auch von den Eltern geändert werden. Näheres dazu findet sich unter Epigenetik.

Vom Genotyp zum Phänotyp

Der Phänotyp eines Lebewesen wird zu einem großen Teil durch die Aktivität von Enzymen bestimmt, welche wiederum durch die auf der DNA enthaltene Information festgelegt wird - man nennt dies den Genotyp. Durch Wechselwirkung von Enzymen und Regulatorproteinen mit der Umwelt während der Entwicklung des Individuums entsteht daraus der Phänotyp.

Die Verbindung zwischen dem Genotyp, der Umwelt und dem daraus resultierenden Phänotyp stellt die Reaktionsnorm dar. In Form der Regulationsmechanismen der genetischen Ausprägung stellt die Reaktionsnorm die Umsetzungsfunktion R zwischen Umwelt U und Phänotyp P dar: P = R(U).

Übertragung von Erbmaterial

Übertragung bei ungeschlechtlicher Vermehrung und innerhalb eines mehrzelligen Individuums

Bei Einzellern, die sich meistens durch Zellteilung vermehren, wird die DNA von der Mutterzelle auf die Tochterzellen übertragen. Dazu muss die DNA in mindestens zwei identischen Exemplaren vorliegen. Der Zellteilung geht deshalb eine Verdopplung der DNA voraus, jede Tochterzelle erhält in der Regel mindestens ein vollständiges Genom, bestehend aus einem oder mehreren DNA-Doppelsträngen. Bei Prokaryoten liegt die DNA im Cytoplasma.

Bei Eukaryoten ist die DNA zum größten Teil im Zellkern enthalten, der durch ein Membransystem (mit Poren) vom Cytoplasma abgetrennt ist. Jeder DNA-Doppelstrang ist dort in ein Chromosom verpackt. Eine Verdopplung der DNA führt dazu, dass jedes Chromosom aus zwei "Chromatiden" besteht, die jeweils einen identischen DNA-Doppelstrang enthalten. Bei der Zellteilung wird je einer der Chromatiden an die beiden Tochterzellen weitergegeben.

Bei mehrzelligen Lebewesen werden bei der Zellteilung die Erbinformationen wie bei Einzellern von der Mutterzelle auf die Tochterzellen übertragen. Bei der Fortpflanzung durch Abspaltung einer Zelle oder eines mehrzelligen Entwicklungsstadiums (ungeschlechtliche Vermehrung) wird das Genom damit auf die neu gebildeten Individuen übertragen.

Übertragung bei geschlechtlicher Fortpflanzung

Bei geschlechtlicher (sexueller) Fortpflanzung werden Teile der Genome zweier Individuen (Eltern) vereinigt. Lebewesen mit geschlechtlicher Fortpflanzung enthalten deshalb in der Regel je eine Hälfte ihrer Chromosomen von jedem der beiden Eltern. Man bezeichnet Zellen und Lebewesen, die in ihren Kernen zwei Chromosomensätze enthalten, als diploid, etwa im Gegensatz zu Zellen und Lebewesen, die nur jeweils einen Chromosomensatz (haploid) oder z.B vier Chromosomensätze (tetraploid) enthalten. Die einander entsprechenden Chromosomen der beiden Eltern mit Genen für dieselben Eigenschaften werden als homologe Chromosomen bezeichnet. Viele Pflanzen, die meisten Tiere und der Mensch sind diploid.

Bei der sexuellen Fortpflanzung müssen die zur Verschmelzung vorgesehenen Zellen (Gameten) haploid sein, weil anderenfalls durch die Vereinigung zweier diploider Zellen eine tetraploide Zelle (mit vier Chromosomensätzen) entstünde und bei fortgesetzter geschlechtlicher Fortpflanzung die Zahl der in den Zellen enthaltenen Chromosomensätze sich in jeder Generation verdoppeln würde. Das geschieht durch eine sogenannte Reduktionsteilung, eine Zellteilung ohne vorherige Verdoppelung der Chromosomen, bei der von jedem der beiden Chromosomensätze jeweils eines der homologen Chromosomen auf die beiden Tochterzellen verteilt wird. Im Rahmen der Meiose kommt es auch zur Rekombination zwischen den elterlichen Chromosomen.

Man bezeichnet die einander entsprechenden, aber nicht immer gleichen Varianten eines Gens als Allele. Unterschiede der Allele sind die Ursachen für die Unterschiede der Individuen einer Population. Sind die Allele eines diploiden Individuums identisch, so bezeichnet man das Individuum als homozygot, sind sie verschieden, als heterozygot.

Extrachromosomale Vererbung

Auch Zytoplasmatische Vererbung (engl. Extranuclear inheritance oder Cytoplasmic inheritance) genannt. Einige spezielle Zellorganellen, die semiautonomen Organellen, verfügen über ein durch Membranen gegen das Zytoplasma abgegrenztes Stoffwechselsystem mit eigenem Erbgut und reproduzieren sich weitgehend eigenständig (zum Entstehen dieses Prinzips siehe Endosymbiontentheorie). Zu diesen Organellen gehören vor allem die Mitochondrien und die Plastiden.

Da die weiblichen Keimzellen immer deutlich mehr Zytoplasma als die männlichen Keimzellen aufweisen (das weibliche Geschlecht und das männliche Geschlecht werden über den Größenunterschied der Keimzellen definiert), werden die im Zytoplasma eingebundenen Zellorganellen, und damit auch deren Erbgut, ganz oder zumindest überwiegend über die maternale (mütterliche) Linie weitergeben. Damit gehorcht die extrachromosomale Vererbung nicht den Mendelschen Regeln.

Das Phänomen der extrachromosomalen Vererbung wird in der Archäogenetik zur Ermittlung von Stammbäumen eingesetzt. Das hier wohl bekanntest Beispiel ist die sogenannte Mitochondriale Eva.

Die extrachromosomale Vererbung ist bei einigen seltenen Erbkrankheiten relevant (siehe auch Erbgang der Mitochondriopathie).

Mutation

Hauptartikel: Mutation

Genome müssen nicht durch alle Generationen unverändert weitergegeben werden. Bei der Duplikation der Genome und bei der Verteilung der DNA während der Zellteilungen kann es zu Fehlern kommen. Die dabei entstandenen Veränderungen des Genoms können Auswirkungen auf den Phänotyp haben. Man bezeichnet solche Veränderungen als Mutationen und die dadurch von der vorangehenden Generation abweichenden Individuen als Mutanten. Mutationen sind eine der Voraussetzungen für die Evolution der Lebewesen.

Beispiele für Erbgänge

Hauptartikel: Erbgang (Biologie)

Dominant-rezessive Vererbung

Bei der Dominant-rezessiven Form der Vererbung setzt sich das dominante Allel gegenüber dem rezessiven Allel durch. Die Augenfarbe beim Menschen wird z.B. dominant-rezessiv vererbt, wobei das Allel für braune Augen dominant und das Allel für blaue Augen rezessiv ist. Bekommt ein Kind von einem Elternteil die Erbinformation für blaue Augen und vom anderen die für braune Augen, so wird es braune Augen haben. Die Erbinformation für das rezessive Allel (hier "blaue Augen") bleibt jedoch erhalten und kann an die nächste Generation weitergegeben werden.

Bei einem diploiden Organismus sind die in den Mendelschen Regeln beschriebenen Aufspaltungen zu beobachten. Bei dominant-rezessiver Vererbung gleichen die Nachkommen oft völlig einem Elternteil, da sich nur das dominante Gen durchsetzt - die Merkmale des rezessiven sind zwar im Erbgut vorhanden (Trägertum), kommen jedoch in dieser Generation nicht zur Ausprägung.

Erbkrankheiten werden meistens rezessiv vererbt, unter anderem Albinismus, Mukoviszidose und Sichelzellanämie. Zu den wenigen dominant vererbten Krankheiten gehören Nachtblindheit, Zystenniere (ADPKD), Kurzfingrigkeit, Skelettdeformationen (Spalthand, Spaltfuß, Polydactylie, Syndactylie), die Nervenkrankheit Chorea Huntington sowie das Marfan-Syndrom.

Intermediäre Vererbung

Bei intermediärer Vererbung wird eine Mischform der beiden Erbanlagen ausgebildet. Zum Beispiel wird bei der japanischen Wunderblume (Mirabilis jalapa) die Blütenfarbe intermediär vererbt: Besitzt ein Exemplar eine Anlage für rote und eine für weiße Blütenblätter, so bildet es rosa Blütenblätter aus.

Intermediäre Vererbung ist die seltenere Variante der Vererbung.

Erbkrankheiten und Inzucht

Hauptartikel: Erbkrankheit, Inzucht

Viele Erbkrankheiten werden rezessiv vererbt, und praktisch jeder Mensch trägt die Anlagen für einige solcher Krankheiten in sich. Die Krankheit wird aber nicht manifest, wenn im dominant-rezessiven Erbgang das rezessive Allel nicht reinerbig vorliegt.

Zu den Effekten von Inzucht siehe unter Inzuchtdepression und Purging.

Siehe auch

Weblinks


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