- Niederländisch-Indonesischer Krieg
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Der Indonesische Unabhängigkeitskrieg war eine Auseinandersetzung zwischen den Niederlanden und der indonesischen Republik, die von 1945 bis 1949 dauerte und mit der indonesischen Unabhängigkeit endete.
Nachdem Niederländisch-Indien im Zweiten Weltkrieg von Japan besetzt worden war, riefen Nationalisten am 17. August 1945 eine unabhängige Republik Indonesien aus. Die niederländische Regierung wollte jedoch die alte Kolonialverwaltung wieder einsetzen und ließ in so genannten politionele acties („Polizeiaktionen“) größere Teile des Inselreiches besetzen.
Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit waren die indonesischen Truppen den niederländischen bezüglich Ausbildung und Ausrüstung nicht gewachsen, so dass es kaum zu militärischen Schlachten kam. Bedeutender war der Guerilla-Krieg, da die niederländischen Truppen zur Kontrolle der riesigen Gebiete nicht ausreichten. Die eigentliche Niederlage erlitten die Niederlande jedoch in der Diplomatie, da die Weltöffentlichkeit mit der indonesischen Seite sympathisierte. Unter amerikanischem Druck unterzeichneten die Niederlande im Dezember 1949 die Übertragung der Souveränität an die Republik.
Als Zugeständnis an die Niederlande sollte Indonesien ein Bundesstaat sein, der außerdem mit den Niederlanden über eine Niederländisch-Indonesische Union verbunden sein würde. Schon 1950 verkündete Präsident Sukarno allerdings den Einheitsstaat, und 1956 wurde die nie realisierte Union aufgegeben. 1962/63 verloren die Niederlande auch den Westteil Neuguineas (Niederländisch-Neuguinea) an Indonesien.
Inhaltsverzeichnis
Begriffliches
Das lateinisch-griechische Kunstwort „Indonesien“ bedeutet Inselindien, im Niederländischen wird in poetischer Absicht auch Insulinde verwendet. Lange Zeit war Indonesië ein wenig gebrauchter geografischer Begriff, bis er ab 1922 politisch aufgeladen und von den Nationalisten verwendet wurde.[1] Die gängigste Bezeichnung der Kolonie Niederländisch-Indien ist Nederlands-Indië, daneben oft auch Oost-Indië, ons Indië („unser Indien“) oder kurz Indië, mit dem Eigenschaftswort indisch. Das ehemals britische Indien hingegen heißt auf Niederländisch India, mit dem Eigenschaftswort indiaas.
Auf die Ereignisse von der Ausrufung der Republik 1945 bis zur Unterzeichnung der Souveränitätsübergabe 1949 wird im Niederländischen meist mit dem zeitgenössischen Ausdruck politionele acties verwiesen, also „Polizeiaktionen“. Dieser beschönigende Ausdruck war gewählt worden, um den innerstaatlichen Charakter der Militäraktionen zu betonen. Gewaltanwendung und Guerillakampf hat es ferner auch außerhalb der eigentlichen beiden „Polizeiaktionen“ gegeben. Manchmal werden die Aktionen auch nach ihren Codenamen Operatie Product und Operatie Kraai („Krähe“) benannt.
Im Englischen findet sich oftmals der Ausdruck Indonesian National Revolution, so heißt auch die einflussreiche Publikation von Anthony Reid von 1974. Bereits die indonesischen Nationalisten hatten mit dem Begriff auf die Amerikanische Revolution (mit dem dazugehörigen Unabhängigkeitskampf) hinweisen wollen. Der beladene Begriff der Revolution wird im Deutschen jedoch selten in diesem Zusammenhang verwendet.
Mit Nationalisten sind Einheimische des indonesischen Archipels gemeint, die sich meist bereits vor dem Zweiten Weltkrieg für die Unabhängigkeit von den Niederlanden eingesetzt haben. Sie haben - teilweise wegen niederländischer Parteienverbote - unterschiedlichen Parteien angehört, die bedeutendste war die Parti Nasional Indonesia.
Vorgeschichte
Die Kolonie Niederländisch-Indien
Niederländisch-Indien erlangte durch den Anbau von Gewürzen, Tee, Kaffee, Zucker, Kokosnüssen und später die Gewinnung von Gummi und Erdöl weltwirtschaftliche Bedeutung. Seit 1799 wurde es vom niederländischen Staat als Kolonie verwaltet, wobei der Gouverneur sich vor allem auf die Hilfe einheimischer Feudalherren stützte.
Die Ausbeutung der Landwirtschaft wurde cultuurstelsel (Kultursystem) genannt, dabei mussten die Bauern einen bestimmten Anteil ihrer Flächen nach Gutdünken der Niederländer bestellen; der Preis für die Rohstoffe oder Lebensmittel wurde von den Niederlanden festgesetzt. Nach 1870 wurde das culturstelsel aufgegeben, und statt des Staates übernahmen private Investoren die Initiative. Die Folge war, dass die Einheimischen die Eingriffe in ihr Wirtschaftsleben und die höher werdenden Steuern weniger als Willkür der Feudalherren, sondern verstärkt als die Folge niederländischer Politik und Wirtschaftsmacht erlebten.[2]
Politische Bewegungen
Europäische Bildung für Indonesier gehörte zum Programm der "ethischen Politik", die Ende des 19. Jahrhunderts aufkam und 1902 offizieller niederländischer Regierungsstandpunkt wurde. Den Einheimischen sollten größere Entfaltungsmöglichkeiten gegeben werden, allerdings blieben ihnen die wichtigsten Posten in der Kolonialverwaltung versperrt. Eine junge, aufstrebende Elite durchlief ein koloniales Schulsystem, studierte in Europa und erfuhr ewa vom niederländischen Freiheitskampf gegen die Spanier, und auch das Vorbild der Marxisten und Führer wie Sun Yat-Sen in China oder Kemal Atatürk in der Türkei hatte Einfluss auf sie, erinnerte sich später Mohammad Hatta.[3] So entstand allmählich eine einheimische intellektuelle Elite, die sich mehr als „Indonesier“ statt als Javaner oder Sundanesen empfand. Aus dieser Elite stammten später die Führer der Nationalisten.
Erstmals 1912 wurde eine Partei gegründet, die indonesisch-nationale Interessen ansprach, die Indische Partij des niederländischen Schriftstellers und Aktivisten Douwes Dekker. Diese Partei wurde allerdings bald verboten, ähnlich wie die Perserikatan Nasional Indonesia (PNI) von 1927. Der Führer der PNI war der Ingenieur Sukarno, den die niederländische Kololonialverwaltung 1929 und der später ins Exil gehen musste. Auch Islamisten und Kommunisten äußerten nationalistische Standpunkte.[4]
Sobald die Niederländer feststellten, dass eine Organisation einen gefährlichen Massenanhang erwarb, wurde sie verboten und die Führung eingesperrt. Daher gaben die einheimischen Führer die Idee einer Massenpartei auf und bildeten kleine Kadergruppen als Vorhut der Unabhängigkeitsbewegung aus.[5]
Zwar gab es einen "Volksrat" als Beratungsorgan für die Kolonialverwaltung, und auch Einheimische gehörten ihm an. Doch insgesamt versäumte die niederländische Führung es, die Einheimischen angemessen in die Kolonialverwaltung einzubeziehen und damit dem Inselreich eine immer größere Selbstverwaltung zu ermöglichen. Gegen Nationalisten und Islamisten ging sie mit Repressionen vor, wie Internierung oder Verbannung in bestimmte Gebiete der Kolonie. Allein im Lager Boven-Digoel wurden seit 1927 ungefähr 1.400 Personen interniert.[6]
Japanische Besatzung, 1942–1945
Die niederländische Kolonialarmee (KNIL) war schwach und diente vor allem dazu, einheimische Aufstände zu unterdrücken. So gelang es der japanischen Armee, die Ende 1941 im Norden Borneos gelandet war, im März 1942 die Kolonie in nur etwas mehr als einer Woche zu erobern. Die niederländische Regierung, die seit dem deutschen Überfall im Mai 1940 im Exil in London residierte, befahl der Kolonialverwaltung, nach Australien auszuweichen.
Die Einwohner des Archipels begrüßten die Japaner anfangs mit großem Optimismus, mit Ausnahme derjenigen, die zuvor für die Niederländer gearbeitet hatten.[7] Doch der japanischen Besatzung ging es darum, möglichst viel Reis und Rohstoffe wie Erdöl für den Krieg zu gewinnen. Von fünfzig Millionen Einwohnern Javas und Maduras starben während der Besatzung ungefähr 2,5 Millionen,[8] oft an Unterernährung.
Während ein Einheimischer vor dem Krieg durchschnittlich ungefähr dreihundert Gramm des Hauptnahrungsmittels Reis pro Tag zur Verfügung hatte, betrug die offizielle Ration in Bandung im Dezember 1943 nur 160 Gramm. Stellenweise sank die tatsächliche Ration auf 20-30 Gramm pro Person oder gar Familie.[9]
Die niederländischen Staatsangehörigen in der Kolonie wurden in Internierungslagern inhaftiert oder zur Zwangsarbeit beordert. 1942/1943 waren allein auf Java 29.000 Männer, 25.000 Frauen und 29.000 Kinder interniert. Ungefähr sechzehn Prozent von ihnen überlebten den Krieg nicht, ähnlich stand es um die Zwangsarbeiter, beispielsweise an der Birma-Eisenbahn.[10] Adrian Vickers nennt Gesamtzahlen von 100.000 Zivilisten und 80.000 Militärangehörigen, darunter auch Briten, Amerikaner und Australier. Außerdem weist Vickers darauf hin, dass die Niederländer in erster Linie kommunistische oder nationalistische Gefangene aus Boven-Digoel nach Australien in Sicherheit brachten, aber nur wenige Landsleute.[11]
Es gab drei Gruppen von Einheimischen, die auf Java das Besatzungsregime unterstützen sollten: einheimische Regenten, die Nationalisten und die Islamisten.[12] Der Nationalistenführer Sukarno war bereit, das japanische Militärregime zu respektieren und arbeitete mit ihm zusammen, wollte aber nach einem japanischen Sieg die Unabhängigkeit anstreben. Als er Anfang 1943 zu hören bekam, dass in jenem Jahr Birma und die Philippinen, nicht aber Indonesien die Unabhängigkeit bekämen, veröffentlichte er erstmals Kritik an den Japanern: „Jede Art von Kolonisation zerstört.“[13] Auf einer Japanreise hatten Sukarno und Mohammed Hatta keinen Erfolg mit ihrem Ansinnen – es wurden 1943 nur einheimische Berater und lokale Räte ernannt. Eine reale Bedeutung hatten sie nicht.[14]
Als jedoch die amerikanischen Truppen im Pazifik vorrückten, wurden seit 1943/44 gewisse Andeutungen für eine Unabhängigkeit von Teilen des Archipels gemacht. Erst am 10. März 1945 hieß es, dass auf Java eine Kommission zur Untersuchung der Unabhängigkeitsfrage die Arbeit aufnehme. Am 17. Juli – einen knappen Monat vor der Kapitulation Japans – kündigte Japan eine Kommission zur Vorbereitung der Unabhängigkeit an.[15]
Die Bedeutung der japanischen Besatzung für die spätere Unabhängigkeit liegt vor allem darin, dass die Nationalisten teilweise die Möglichkeit bekamen, sich an das Volk zu wenden und Bekanntheit zu erlangen. Da die japanischen Besatzer verstärkt Einheimische für Verwaltungsaufgaben herangezogen hatten,[16] beschleunigte die Besatzung auch auf diese Weise tendenziell eine künftige Verselbstständigung. Vickers schätzt die vorherige niederländische Herrschaft als so erfolgreich ein, dass ohne die japanische Besatzung die Entstehung des heutigen Indonesiens unmöglich gewesen wäre.[17]
Kriegsende
Japan kapitulierte am 15. August wenige Tage nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Sowohl die niederländische Seite als auch die indonesischen Nationalisten waren davon überrascht worden, denn japanische Truppen besetzten noch riesige Gebiete Chinas und Südasiens. Niemand war auf eine schnelle Machtübernahme vorbereitet.
Den Nationalisten bereitete die Kapitulation einen Schock. Sie hatten die unmittelbare Machtübertragung erwartet und hofften, dass Japan noch einige Monate aushalten würde. In dieser Zeit könnte die indonesische Regierung sich stabilisieren und müsste letztlich von der Welt als unveränderliche Tatsache anerkannt werden. Doch jetzt fürchteten sie die schnelle Rückkehr der niederländischen Kolonialverwaltung.[18]
Es war in den Niederlanden für selbstverständlich gehalten worden, dass die alten Zustände wiederhergestellt werden würden. Die Niederlande hielten den Besitz von Niederländisch-Indien für lebenswichtig, da sie ohne die wirtschaftlichen Vorteile einer Kolonie nicht auszukommen glaubte, vor allem nicht nach dem wirtschaftlichen Niedergang durch die deutsche Besatzung von 1940 bis 1945. Außerdem war Niederländisch-Indien für die Niederlande der Grund dafür, sich als middelgrote mogendheid (mittlere Großmacht) zu begreifen. Da Asiaten unfähig zur Selbstregierung seien, könne die Wiederherstellung der Kolonialverwaltung auch für die Einwohner des Archipels nur von Vorteil sein.
Über diese Grundeinschätzungen gab es in den Niederlanden kaum Meinungsunterschiede, allenfalls über den Grad an wünschbarer Beteiligung von Einheimischen in den unteren Verwaltungsebenen. „Das europäische Überlegenheitsgefühl war ungebrochen und noch immer erkennen wir dahinter lebensgroß den Besitzinstinkt“, stellte der niederländische Historiker J. J. Woltjers fest.[19] In der Folge beriefen die Niederlande sich oft auf eine Erklärung der Londoner Exilregierung, die Ende 1942 einen gleichwertigen Platz Niederländisch-Indiens im Königreich angekündigt hatte.[20]
Es war geplant, dass die japanischen Truppen vorläufig noch die Macht ausüben sollten, bis britische Truppen unter dem Kommando von Lord Mountbatten sie nach und nach ablösten. Die Briten wiederum würden die Macht den Niederländern übergeben, die 1945 noch so gut wie keine Truppen im Archipel hatten. Zu den wichtigsten Aufgaben der Briten gehörte es, die in Internierungslagern (jappenkampen) eingesperrten Niederländer zu befreien und in sichere, von den Briten beherrschte Gebiete zu überführen. Diese Niederländer sowie die von außen kommende Spitze der alten Kolonialverwaltung mussten feststellen, dass sie von den Einheimischen feindselig empfangen wurden.[21]
Ausrufung der Unabhängigkeit
Zu der Radikalisierung des indonesischen Nationalismus trug vor allem die Bewegung der Pemuda („Jugend“, niederländische Schreibweise: pemoeda) bei. Sie ging aus Jugendorganisationen der japanischen Besatzungszeit hervor. Peuda-Banden terrorisierten Niederländer und auch Einheimische, die mit den Niederländern zusammenarbeiten wollten. In der Periode des bersiap („Seid bereit!“), des Übergangs von der japanischen Herrschaft zur Nachkriegszeit, wurden von den Pemudas und anderen Gruppen ungefähr 3.500 Menschen umgebracht. Andererseits rächten sich japanische und britische Truppen für eigene Verluste, die ihnen von Pemudas zugefügt worden waren. Im November 1945 beispielsweise wurde das Dorf Bekasi bei Batavia von britisch-indischen Truppen zerstört, nachdem in der Nähe Pemudas die Besatzung eines notgelandeten britischen Flugzeugs getötet hatten.[22]
Bereits seit Mai 1945 hatten Nationalisten auf japanische Einladung hin über eine künftige Unabhängigkeit gesprochen. Sukarno stellte seine Formel der Fünf Prinzipien (Pancasila) auf: Nationalismus, Humanität, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und der Glaube an einen allmächtigen Gott. Der Entwurf einer Verfassung für die „Republik Indonesien“ wurde bereits ausgearbeitet, darin erhielt der Präsident eine starke Stellung. Die Führer Sukarno und Hatta waren bis zum Atombombenabwurf auf Hiroshima zögerlich mit der Errichtung des neuen Staates gewesen, da sie darauf hofften, dass die Japaner ihnen die Macht geordnetet übergeben würden.[23]
Es waren die Pemudas, die die nationalistischen Führer Sukarno und Hatta dazu zwangen, am 17. August 1945 die Unabhängigkeit auszurufen (Merdeka). Tags darauf wurden Sukarno und Hatta Präsident bzw. Vizepräsident, gewählt von einem Nationalkomitee, das die Unabhängigkeit vorbereiten sollte und jetzt als provisorisches Parlament diente. Am 5. Oktober gründete Sukarno die zunächst so genannte Volks-Sicherheits-Armee, die vor allem mit Material der Polizei bewaffnet wurde (TKR: Tentara Keamanan Rakjat, seit Juni 1947 TNI: Tentara Nasional Indonesia).[24]
Der „Republik Indonesien“ gelang es in wenigen Monaten, die Herrschaft über den Großteil von Java zu erlangen, wo 55 Millionen der 70 Millionen Einwohner des gesamten Inselreichs lebten. Ebenso wurden Madura bei Java und die westlich gelegene Insel Sumatra von der Republik kontrolliert.
Besatzungszeit und erste „Polizeiaktion“, 1945–1947
Britische Besatzung 1945/1946
Die Briten unter Mountbattens South East Asia Command hatten zunächst wenig Truppen in der Region und hielten es für vorrangig, Kriegsgefangene in Malakka und Indochina zu befreien. Borneo und den Osten von Niederländisch-Indien überließen sie den Australiern.[25] Erst Mitte September 1945 landete eine britische Vorhut bei Batavia, der Hauptstadt Niederländisch-Indiens und heutigem Jakarta. Am 2. Oktober kam luitenant-gouverneur-generaal Hubertus van Mook an, der höchste Vertreter der Niederlande.[26]
Auf Java besetzten die Briten zunächst nur einige Hafenstädte und später einen Streifen von Batavia aus ins Landesinnere. Heftig waren die Kämpfe vor allem um Surabaja, wo der örtliche japanische Kommandant den Pemudas Waffen überlassen hatte. Den sechstausend britischen Soldaten, die im Oktober 1945 dort ankamen, standen 20.000 Soldaten der indonesischen Armee Tentara Keamanan Rakjat gegenüber. Trotz der Versuche von Sukarno, ein Blutvergießen zu verhindern, kam es nach einem Anschlag der Pemudas zu einer Schlacht. Ende November konnten die Briten Surabaja dennoch vollständig unter ihre Kontrolle bringen.[27]
Niederländische Machtübernahme
In den Außengebieten, wie Borneo und dem Großen Osten (die östliche Inselwelt mit Celebes und Ambon), dauerte die Machtübergabe durch die Japaner länger. Da hier die feudalen Herrscher noch eher Macht hatten als auf Java, ergab sich für die Niederländer die Möglichkeit, die alten Machtverhältnisse teilweise zu erneuern. Gegen Oktober 1946 zogen die Briten aus dem Archipel ab und niederländische Truppen übernahmen ihre Stelle: alte Einheiten der Kolonialarmee KNIL, dazu niederländische Freiwilligenverbände und schließlich auch Wehrpflichtige.
In den Niederlanden wurde nun um den richtigen Kurs gestritten. Während Gouverneur van Mook darauf aufmerksam machte, dass die niederländische Machtposition sehr schwach war, befand das Kabinett in Den Haag, dass die alten Verhältnisse so schnell und vollkommen wie möglich wiederherzustellen seien. Anfangs wurde die Ausrufung der Republik Indonesien nur für einen letzten Propagandatrick der Japaner gehalten. Das Kabinett war nicht bereit, die Republik als gleichwertigen Verhandlungspartner anzusehen, da es sich in seiner Sicht nur um eine kleine Gruppe von Nationalisten handele, die in der Bevölkerung keinen Rückhalt habe.
Die britische Labour-Regierung unter Clement Attlee fand die Vergangenheit des „Kollaborateurs“ Sukarno irrelevant und wollte durch Verhandlungen Blutvergießen vermeiden. Die Niederlande sollten sich dieser Ansicht anschließen. Vor allem wollte London seine Truppen nur zur Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte einsetzen, nicht für die niederländische Wiedereroberung der Kolonie. Die britischen Truppen würden nicht gegen die Republik eingreifen, ließ die Regierung am 29. September 1945 über Radio verkünden. Das war nicht als Anerkennung gemeint, aber die Nationalisten verstanden es durchaus als große Unterstützung.[28]
Das Abkommen von Lingaddjati 1947
Nach mehreren Versuchen einigten sich im März 1947 Kolonialbeamte um van Mook und der indonesische Ministerpräsident Shahrir im Abkommen von Lingaddjati über eine Neuordnung des Archipels. Demzufolge sollte die Republik die Macht auf Java und Sumatra ausüben und Teilstaat einer Föderation werden – der Vereinigten Staaten von Indonesien (VSI). Die anderen Teilstaaten sollten Borneo und „Ostindonesien“ sein. Die VSI würden mit den Niederlanden über eine „Niederländisch-Indonesische Union“ verbunden sein.
Es gab aber schon bei Unterzeichnung der Übereinkunft unterschiedliche Meinungen über die Auslegung des Abkommens, unter anderem, welche Form die Union haben sollte. Die Republik sah in ihr allenfalls einen lockeren Verbund für wirtschaftlichen und kulturellen Austausch, worin sie durch Gouverneur van Mook auch bestärkt wurde. Offen gehalten wurde etwa die Frage, ob die niederländische Königin Oberhaupt der Union sein würde. Das niederländische Kabinett hingegen wollte in der Union ein Machtinstrument sehen, durch das es in Zukunft noch erheblichen Einfluss auf die VSI ausüben würde, auch in der Außen- und Verteidigungspolitik. Das Parlament in Den Haag gab der Übereinkunft einen entsprechenden Zusatz. Der folgende Streit drehte sich formell darum, ob „Lingaddjati“ in der ursprünglichen oder in der erweiterten Form gelten sollte, und praktisch darum, wer im Archipel zukünftig die letztendliche Macht ausübt.[29]
Die Niederlande standen damals unter erheblichem finanziellen Druck. Ihr sozialdemokratischer Finanzminister Piet Lieftinck warnte vor einem baldigen Kollaps der niederländisch-indischen Finanzen und danach der Finanzen des Königreichs selbst. Er war dafür, die Truppen aus dem Archipel zurückzuziehen. Die Alternative sei eine „begrenzte militärische Aktion“, mit der die Niederlande sich die Produktionsstätten auf Java und Sumatra sichern und gleichzeitig ihre Macht demonstrieren würden. Ultimaten an die Republik, die erweiterte Fassung von „Lingaddjati“ anzuerkennen, brachten Ministerpräsident Shahrir dazu, einer Interimsregierung zuzustimmen, die sogar von einem Niederländer geführt werden könnte. Damit war er allerdings zu weit gegangen und verlor den letzten Rückhalt unter den politischen Kräften in der Republik. Am 27. Juni 1947 musste der Ministerpräsident zurücktreten. Die führenden Politiker der Republik befürchteten, dass zu viel Nachgiebigkeit die kolonialen Machtverhältnisse zurückbringen werde.
Erste „Polizeiaktion“, 1947
1947 und dann noch einmal 1948/49 haben die Niederlande mit so genannten Polizeiaktionen große Teile Sumatras und vor allem Javas militärisch besetzt. Der Ausdruck „Polizeiaktion“ wurde gewählt, um vor der Weltöffentlichkeit zu betonen, dass es sich um eine innere Angelegenheit des niederländischen Königreichs handele. McMahon betont die Rechtswidrigkeit der Aktionen, denn das Abkommen von Lingaddjati sah ausdrücklich vor, dass im Falle von Streit eine neutrale dritte Seite als Schiedsrichter hinzugebeten werden sollte.[30]
In der ersten „Polizeiaktion“ besetzten niederländische Streitkräfte seit dem 21. Juli 1947 den Großteil Javas (im Westen und im Osten, die Mitte blieb bei der Republik) und vergrößerten die Brückenköpfe auf Sumatra,[31] unter geringen eigenen Verlusten. Zwar hatte die republikanische Armee zweimal so viele Soldaten, war aber schlechter ausgerüstet. Sie war ohne Luftunterstützung und verfügte über weniger Transport- und Kommunikationsmittel.[32]
Wirtschaftlich gesehen war die Aktion mit der Eroberung von Plantagen und Abbaustätten für die Niederlande erfolgreich, und die Republik war ihrer Möglichkeiten beraubt, mit dem Ausland Handel zu treiben. Ein Flüchtlingsstrom verschlimmerte die Ernährungslage in Yogyakarta, wo die Regierung der Republik residierte. Allerdings gab es nicht genügend Beamte, um die besetzten Gebiete effektiv zu verwalten. Einheimische, die aus politischen oder materiellen Gründen mit den Niederländern zusammenarbeiten wollten, waren ihres Lebens aufgrund indonesischer Guerillaangriffe nicht mehr sicher.
Internationale Reaktionen
Große Teile der Weltöffentlichkeit sympathisierten mit der Republik, darunter das gerade unabhängig werdende (britische) Indien ebenso wie Australien, das in Zukunft vor allem mit dem neuen Indonesien zu tun haben würde und nicht mit einem kleinen Land an der Nordsee. Vor allem die Kolonialmächte Großbritannien, Belgien und Frankreich unterstützten die Niederlande.
Die Haltung der Vereinigten Staaten war widersprüchlich. Einerseits sympathisierten die Amerikaner mit Unabhängigkeitsbewegungen und hatten sich auch im Zweiten Weltkrieg gegen Kolonialreiche ausgesprochen. Zwar gab es amerikanische Regierungsberater, die den niederländischen Standpunkt unterstützen, aber McMahon lehnt den Vorwurf ab, die USA hätten die Niederlande zur "Polizeiaktion" ermutigt. Vielmehr habe Präsident Truman gemeint, die Möglichkeiten für eine friedliche Lösung seien nicht ausgenutzt worden.[33]
Andererseits spielte der Ost-West-Konflikt eine Rolle. Die USA wollten die Niederlande weder von sich entfremden noch schwächen, denn sie befürchteten einen wirtschaftlichen Kollaps in Westeuropa und folglich die Stärkung kommunistischer Elemente.[34] Man fürchtete auch eine kommunistische Einflussnahme auf Indonesien selbst, würde der Archipel unabhängig werden.
Die niederländischen Indien-Truppen, Gouverneur van Mook sowie die Hälfte des niederländischen Kabinetts waren der Meinung, die begrenzte Aktion müsse auf den Restteil Javas ausgeweitet werden. Vor allem müsse die Hauptstadt der Republik, Yogyakarta, erobert und die republikanische Regierung aufgelöst werden. Dagegen sprachen sich die sozialdemokratischen Minister aus, und auch die USA warnten davor, dass sie in diesem Fall UN-Sanktionen nicht mehr verhindern würden. Letzteres bewahrte die Niederlande im August vor einem „Sprung in den Abgrund“, wie der Historiker H. W. van den Doel urteilt.[35] Durch das amerikanische Vermittlungsangebot wurde eine Einmischung der UN verhindert, was mehr im Sinne der Niederlande als der Republik war.
Neue Verhandlungen und Zweite "Polizeiaktion", 1947-1949
Die Renville-Verhandlungen
Im September 1947 kamen auf dem amerikanischen Kriegsschiff USS Renville vor der Küste Javas Vertreter der Niederlande und der Republik zusammen. Beide Seiten hatten sich bereits Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Außerdem warf die Republik Gouverneur van Mook vor, in den besetzten Gebieten Marionettenstaaten für seine Vereinigte Staaten von Indonesien zu installieren. Die Amerikaner zweifelten daher an der Aufrichtigkeit der Niederländer und befürchteten eine weitere Radikalisierung des Konflikts. Die Vermittlungskommission auf der Renville befand, dass die Niederlande damit aufhören müssten, neue Staaten zu gründen, sich in drei Monaten aus den besetzten Gebieten zurückziehen sollten und innerhalb eines Jahres freie Wahlen über die Zukunft des Archipels zu entscheiden hätten. Die Republik nahm dies an, während am 2. Januar 1948 die niederländische Regierung weiterhin die vollständige Souveränität über den Archipel beanspruchte.
Am 17. Januar 1948 kamen auf der Renville beide Seiten dennoch zu einem neuen Einvernehmen: Die Republik musste zwar die durch die Besetzung zustande gekommen Grenzen anerkennen, bekam aber freie Wahlen unter amerikanischer Aufsicht in Aussicht gestellt. Die Niederländer wiederum interpretierten auch dieses Einvernehmen in ihrem Sinne, als Anerkennung ihrer Souveränität und Handlungsfreiheit. So wie es zwei „Lingaddjatis“ gegeben hatte, meint van den Doel, so gab es nun zwei „Renvilles“.[36] Diesmal aber spielten die Amerikaner die Rolle eines neutralen Beobachters, der auf die Niederländer Druck ausübte.
Van den Doel unterstützt die damalige Einschätzung eines Mitarbeiters des Außenministeriums, dass die Niederländer es in kurzer Zeit geschafft hätten, die Sympathie der anderen Mächte an die Republik zu verlieren. Van Mook und seine Umgebung hätten nur die eigene Sicht auf die indonesische Wirklichkeit toleriert, vor allem nicht die von Ausländern, wie den britischen Militärs oder französischen, belgischen oder australischen Beobachtern.[37]
Aufbau föderaler Strukturen und neuer Gouverneur
Der Aufbau von föderalen Strukturen an der Republik vorbei verlief nicht ohne Probleme, denn die dazu ausgesuchten einheimischen Politiker traten selbstbewusst auf und waren in den Augen niederländischer Beamter korrupt und inkompetent. Zeitlich waren die Niederlande dadurch unter Druck gesetzt, dass am 1. Januar 1949 – „Lingaddjati“ zufolge – die VSI errichtet sein sollten.
In den Niederlanden kam es am 7. Juli 1948 zu Neuwahlen, die für eine Änderung des Grundgesetzes vonnöten waren: Niederländisch-Indien war der Verfassung nach Teil des Königreichs und sollte jetzt souverän werden, verbunden mit den Niederlanden nur durch die Union. Für die Änderung war eine Zweidrittelmehrheit verpflichtend, daher erweiterte die Katholische Volkspartei ihre Koalition mit den Sozialdemokraten um die Liberalen und die protestantische Partei CHU. Den Sozialdemokraten wurde das Ministerpräsidentenamt zugestanden. Die Katholiken erhielten das Kolonialministerium, und es wurde vereinbart, dass ein Katholik Van Mook ablösen werde. Die kolonial unerfahrenen Katholiken, so J. J. Woltjer, wollten sich von einer früheren, ihrer Meinung nach zurückhaltenderen Indienpolitik der Niederlande absetzen. Sie hielten es für zwecklos, mit der Republik Vereinbarungen zu treffen, da diese sich nicht daran halten würde, was durch die Unterwanderung niederländisch kontrollierter Gebiete bewiesen sei.[38]
Im August 1948 erhielt Gouverneur van Mook die Ankündigung, dass eine neue Spitze der Kolonialverwaltung gesucht wurde. Der ehemalige Ministerpräsident Louis Beel wurde am 4. November offiziell sein Nachfolger. Bereits im September hatte Beel einen kommunistischen Aufstandsversuch in Madiun auf dem Gebiet der Republik dazu ausnutzen wollen, die Republik mit einer Militäraktion auszuschalten. Diesem Plan widersetzte sich allerdings der neue Ministerpräsident, der Sozialdemokrat Willem Drees. Außerdem war der kommunistische Aufstand vom 19. September spätestens am 30. September vorbei, als die örtlichen Kommunisten vor den anrückenden Truppen der Republik flüchteten; der Versuch, einen kommunistischen Guerilla-Krieg zu entfesseln, scheiterte an der ablehnenden Landbevölkerung. Das schnelle Ende des Madiun-Aufstandes brachte der Republik das diesbezügliche Vertrauen der westlichen Welt ein.[39]
Zweite „Polizeiaktion“, 1948/1949
Eine letzte Chance sahen das Kabinett und Gouverneur Beel darin, die Weihnachtsferien der UN für eine zweite „Polizeiaktion“ zu nutzen. Nach dem 15. Dezember 1948 bestand bis Mitte Januar die Möglichkeit zur Beseitigung der Republik und der Schaffung neuer Tatsachen.[40] Die Verärgerung anderer Mächte glaubten die Niederländer in Kauf nehmen zu können. Ministerpräsident Drees meinte, ohne Krieg würde „man das indonesische Volk sich selbst überlassen, mit der Folge: erst Anarchie und dann Diktatur“.[41]
Am 19. Dezember begann mit 80.000 Soldaten die zweite „Polizeiaktion“, mit einer schnellen Besetzung von strategisch wichtigen Punkten und einem Fallschirmjägereinsatz über dem Flughafen bei Yogyakarta. Präsident Sukarno, der neue Ministerpräsident Hatta und etliche Minister wurden verhaftet, dem Armeebefehlshaber hingegen war die Flucht gelungen.[42] Bei dieser zweiten Militäraktion eroberten die Niederlande fast ganz Java, Madura sowie weitere Orte im Osten Sumatras.[43]
Trotz gegenteiliger Vermutung des niederländischen Armeebefehlshabers brachte die Verhaftung der Regierung kein Ende des indonesischen Guerillakrieges. General Simon H. Spoor hatte auf Java 102.000 und auf Sumatra 22.500 Mann zur Verfügung, zu wenig, um die riesigen Gebiete wirksam zu kontrollieren.[44]
Die Vereinten Nationen beschlossen am 28. Dezember zwei Resolutionen gegen den niederländischen Angriffskrieg. Gewerkschafter in den USA hatten sogar gefordert, den Niederlanden die Marshallplan-Hilfe zu verweigern. Auch diejenigen indonesischen Politiker, die in den VSI mit den Niederländern zusammenarbeiten wollten, lehnten den Krieg ab. In den Niederlanden jedoch befürworteten über sechzig Prozent der Befragten[45] die Zweite „Polizeiaktion“.
Unabhängigkeit 1949
Nachdem die Regierung der Republik im März 1949 wieder freigelassen worden war, kam es am 14. April 1949 zu erneuten niederländisch-indonesischen Verhandlungen, in Batavia. Sie standen allerdings vor dem Problem, dass die Politiker der Republik wieder nach Yogyakarta zurückkehren wollten, bevor man irgendwelche Fragen besprechen konnte. Hatta und der niederländische Abgesandte van Rooijen vereinbarten, dass die Republik nach ihrer Rückkehr nach Yogyakarta an einem Runden Tisch teilnehmen und die Niederländer keine neuen Marionettenstaaten bilden werden. Im Van-Rooijen-Roem-Abkommen vom 7. Mai gestanden die Niederlande der Republik unter anderem zu, im provisorischen VSI-Parlament die Hälfte der Sitze zu erhalten. Am 10./11. August 1949 wurde ein Waffenstillstand angenommen.
Am Runden Tisch in Den Haag, der seit dem 23. August 1949 tagte, nahmen Ministerpräsident Drees, die Republik Indonesien, die UN-Kommission für Indonesien sowie die „nichtrepublikanischen“ Teilstaaten teil, die durch die zweite „Polizeiaktion“ in die Arme der Republik getrieben worden waren. Die Niederländisch-Indonesische Union wurde in der „schwachen“ Form realisiert, wie sie die Republik schon 1946 anzunehmen bereit gewesen war, wenngleich nun unter der niederländischen Krone. Die schwierige Neuguinea-Frage wurde dadurch vermieden, dass die Niederlande noch die Herrschaft über den Westteil der Insel behalten würden. Erst später sollte über dessen Zukunft entschieden werden.
Im niederländischen Parlament sprach der ehemalige Ministerpräsident Gerbrandy von einer Kapitulation gegenüber einer von „Japan-Kollaborateuren gegründeten Republik“ und einer Auslieferung der ehemaligen Kolonie an „die dämonischen Mächte, die in Asien zu Gange sind“. Der Fraktionsvorsitzende der Anti-Revolutionären Partei, J. Schouten, nannte die geplante Union „so leicht wie eine Feder“.[46] Am 9. Dezember nahm aber die Zweite Kammer die Verhandlungsergebnisse mit 71 gegen 29 Stimmen an, die Erste Kammer am 19. Dezember 1949. Im indonesischen Parlament konnten, nach den Schwierigkeiten durch den Krieg, noch 319 Abgeordnete versammelt werden. Von ihnen stimmten 226 für die Ergebnisse. Die Unterzeichnung der Souveränitätsübergabe durch Königin Juliana fand am 27. Dezember 1949 in Amsterdam statt.
Folgen für Indonesien
Mit der Souveränitätsübergabe war die Republik Indonesia Serikat zustande gekommen, die Republik der Vereinigten Staaten von Indonesien. Einen Tag danach wurde Präsident Sukarno triumphal in Jakarta empfangen, wie Batavia nun hieß. Schon im Januar 1950 kam es zu einen Putschversuch, der vom Niederländer Raymond Westerling angeführt wurde. Sukarno nahm dies zum Anlass, Indonesien zu einem Einheitsstaat zu machen. Seit 1956 wandelte er sich immer mehr zum Diktator und schaffte 1959 das erst 1955 gewählte Parlament ab. Sukarno selbst wurde 1965 in einer äußerst gewalttätigen Auseinandersetzung von Generalmajor Suharto abgelöst.
Die zweite „Polizeiaktion“ 1948/49 hatte längerfristige Bedeutung für die indonesische Innenpolitik. Durch die Inhaftierung des Kerns der zivilen Führung konnten örtliche Militärführer sich als Herrscher in ihrem jeweiligen Gebiet betrachten. Der Guerillakampf führte dazu, dass Militärführer, Politiker, Beamte und andere Flüchtlinge in Dörfern untertauchen mussten. Für viele Dorfbewohner, so Reid, war dies die erste richtige revolutionäre Erfahrung. Die gemeinsamen Erlebnisse solidarisierten und gaben den künftigen Führern eine Legitimation im Volke, die im unabhängigen Staat nachwirkte.[47]
Es ist schwierig zu sagen, ob es den Einwohnern des Archipels unter einer weiteren niederländischen Herrschaft besser ergangen wäre als mit der Unabhängigkeit, denn beispielsweise die Weltwirtschaft sah in den 1950-er Jahren anders aus als in den 1930-ern. Vickers verweist darauf, dass viele Indonesier in den 1950-er Jahren verschuldet waren, wie auch schon in der Kolonialzeit. Der Koreakrieg habe nur für einen kurzfristigen Boom gesorgt, der dem Land dabei half, seine Schulden zu begleichen.[48]
Das unabhängige Indonesien war konfrontiert mit den Folgen der japanischen Besatzung und des Unabhängigkeitskrieges. 1945–1949 waren ca. hunderttausend Soldaten der Republik umgekommen.[49] Außerdem traten nun die innerindonesischen Spannungen stärker zum Vorschein, auch durch die Ansprüche von Föderalisten, Islamisten und Kommunisten. Regionale Aufstände, wie etwa 1957 auf Sulawesi und Sumatra,[50] erinnerten daran, dass es sich um ein multiethnisches Land mit ungelösten Autonomieproblemen handelte.
Die Neuguinea-Frage, die 1949 bei der Souveränitätsübergabe noch ausgeklammert worden war, wurde nicht wie geplant 1950 gelöst. Das als niederländische Kolonie weitergeführte Gebiet blieb bis 1962 ein Streitobjekt zwischen den Niederlanden und Indonesien. Schließlich kam das Gebiet über die Vereinten Nationen zu Indonesien.
Folgen für die Niederlande
Durch die großen Gruppen von Rückkehrern bzw. Einwanderern – die Niederlande hatten damals knapp zehn Millionen Einwohner – blieb die Kolonialvergangenheit lange Zeit im kollektiven Gedächtnis der Niederlande. Nach mehreren Jahrzehnten wurden einzelne Aspekte des Krieges und das Verhalten der niederländischen Politik allmählich öffentlich diskutiert. Außerdem sind die indische letteren eine bedeutende Abteilung der niederländischen Literaturgeschichte, in der koloniale Erfahrungen verarbeitet wurden.
Obwohl die finanzielle Frage nur im Sommer 1948 von ausschlaggebender Bedeutung für die Indienpolitik Den Haags war, hält sich bis heute in der Öffentlichkeit die Meinung, die Angst vor einer wirtschaftlichen Katastrophe habe im Vordergrund gestanden (Indië verloren, rampspoed [Unheil] geboren.). Schon ein 1945 veröffentlichter Bericht von zwei Wirtschaftsexperten besagte, dass die Niederlande 1938 zwar vierzehn Prozent ihres Nationaleinkommens in Indien verdient hatten. Ihrer Meinung nach wäre ein Ende der Kolonialzeit aber keine wirtschaftliche Katastrophe, da die Jahrhunderte lange wirtschaftliche Zusammenarbeit die Kolonialzeit überdauern würde.[51] Woltjers weist darauf hin, dass die niederländische Wirtschaft gegen die Konfrontation und für eine Zusammenarbeit mit der Republik war.[52]
Der eigentliche Grund für die starre Haltung der niederländischen Politiker war der befürchtete Prestigeverlust: Ohne diese Kolonie werde das Land auf das außenpolitische Niveau von Dänemark fallen; außerdem meinten sie gemäß einem niederländischen Sendungsbewusstsein, als zivilisierte Macht ein Recht darauf zu haben, andere Völker zu erziehen. Damals waren die Katholische Volkspartei und die Sozialdemokraten an der Macht; Woltjers meint, die Volkspartei sei enttäuscht gewesen, dass sie der Politik nur wenig einen eigenen Dreh geben konnte, die Sozialdemokratie habe eine indonesische Diktatur befürchtet.[53] Hinzu kam, fügt De Jong hinzu, dass die Niederlande keine Erfahrung mit einer Dekolonisation hatten, anders als Großbritannien mit den USA, Irland, Süd-Afrika und Südasien.[54]
Woltjer gesteht der niederländischen Seite zu, dass sie die Fehler der Republik sah und helfen wollte, notfalls gewaltsam, indem man die radikalen Republikaner durch gemäßigte ersetzte. Aber: „Wie viele gerechtfertigte Klagen über die Zustände in der Republik auch einzubringen waren, sie symbolisierte das indonesische Selbstwertgefühl.“ Dieses Gefühl war nicht in Einklang zu bringen mit der untergeordneten Position, die zum Beispiel im Linggadjati-Abkommen der Republik zugedacht war.[55]
Duco Hellema reiht die Indonesien-Frage in den größeren Kontext der niederländischen Außenpolitik ein und verwirft die oft gemachte Vereinfachung, 1948/49 sei die Asien-Politik abrupt gegen eine atlantische Politik eingetauscht worden. Vielmehr stünden beide Tendenzen noch lange nebeneinander, letztlich bis zum Verlust von Niederländisch-Neuguinea 1962. Die Indonesien-Frage war damals eine große außenpolitische Bürde; die Niederlande haben wegen ihrer Meinungsverschiedenheiten mit dem Westen 1949 sogar gezweifelt, ob sie der NATO beitreten sollten.[56]
Auswanderung in die Niederlande
Nach 1945 waren ungefähr 110.000 Niederländer und indische Nederlanders (die aus gemischten Beziehungen stammten) in die Niederlande gekommen, mit der Absicht, nach einer Erholung von den Ereignissen zurück in ihre Heimat zu gehen. Nach 1949 kamen weitere hunderttausend, und 1956 nochmals ungefähr fünfzigtausend. Außerdem suchten ehemalige einheimische Soldaten der Niederlande sowie ihre Familien kurzzeitig Zuflucht in den Niederlanden, nachdem 1950 die Republik der Süd-Molukken von Indonesien einverleibt worden war. Entgegen anderer Absichten blieben auch diese rund 13.000 Menschen im Land, denen die niederländische Regierung versprochen hatte, sich für ihre Rückkehr auf die Molukken einzusetzen.
Bernd Müller beschreibt die problematische, da verspätete Eingliederung dieser Molukker, während die übrigen Einwanderer aus Indonesien bereits bei ihrer Ankunft der niederländischen Kultur zugeneigt hätten.[57] Zu Beginn der 1990-er Jahre lebten in den Niederlanden rund 450.000 Menschen, die in Indonesien geboren worden waren oder für deren Vater oder Mutter dies galt.[58]
Desertation
Im Sommer 1945 waren in den Niederlanden Freiwilligenverbände aufgestellt worden, um gegen die Japaner zu kämpfen. Dies wurde nicht mehr notwendig, dafür ging es ab Herbst darum, die niederländische Herrschaft zu erneuern. Im November beschloss das Kabinett, diesen Truppen eine Division Wehrpflichtiger beizuordnen, trotz des Verfassungssatzes, dass diese nicht gegen ihren Willen nach Übersee ausgesandt werden durften. Erst im August 1947 trat eine entsprechende Verfassungsänderung in Kraft, so dass, worauf Lou de Jong hinweist, die (dann bereits zwei) Divisionen verfassungswidrig ausgesandt worden sind.[59] Laut einer Umfrage vom Juni 1946 waren fünfzig Prozent der niederländischen Männer und 36 Prozent der Frauen für das Aussenden von Truppen nach Niederländisch-Indien (41 / 44 Prozent dagegen). Insgesamt sind von 1945 bis 1949 ungefähr 109.000 Soldaten des niederländischen Heeres, sowie 12.000 Marinesoldaten nach Indien gegangen, dazu kamen 4000 Soldaten der Kolonialarmee KNIL.[60] Der geläufige Ausdruck für die Soldaten ist Indiëgangers (Indiengänger).
Ungefähr 1900 Wehrpflichtige haben um Freistellung aus Gewissensgründen gebeten. Von diesen haben 300 trotz Nichtanerkennung den Dienst verweigert. Nur wenige der 1900 kamen aus dem katholischen Süden der Niederlande, weil, so vermutet de Jong, die katholische Kirche die Regierungspolitik unterstützte. Bei der Wegfahrt des ersten Kontingents blieben 15 Prozent und bei der des zweiten im September 1947 22 Prozent dem Dienst fern. Diese Deserteure (einige tauchten unter) und ihre Helfer machten sich strafbar. Die Gerichte hatten allerdings Probleme, letztere wegen Beihilfe zur Fahnenflucht in Kriegszeiten zu verurteilen, da das Land sich offiziell nicht im Krieg befand. Insgesamt wurden fast 2600 Deserteure verurteilt, viele zu vier oder fünf Jahren Gefängnis.[61] Es gab auch einige wenige Niederländer, die zur indonesischen Seite übergelaufen sind, wie Jan „Poncke“ Princen, der spätere Menschenrechtsaktivist.
Kriegsverbrechen
Der indonesische Guerillakampf hat allein in den Monaten nach der zweiten „Polizeiaktion“ das Leben von über 1.150 niederländischen Militärangehörigen gekostet, fast ebenso viel wie in den vorherigen Jahren. Hunderte Indonesier, Chinesen und Niederländer, die der Kollaboration verdächtig waren, wurden von der republikanischen Armee TNI entführt, misshandelt, verstümmelt und ermordet. Im Gegenzug kam es zu Exzessen, die von niederländischen Soldaten aus „Unerfahrenheit, Angst und Machtlosigkeit“ (van den Doel) begangen wurden. So hat ein junger Leutnant die Aufgabe erhalten, TNI-Soldaten in Goenoeng Simping aufzuspüren. Als er dort am 1. August 1949 ankam, fand ein Hochzeitsfest statt. Der Leutnant ging allein in das eigentliche Dorf. Aus unbekannter Richtung, möglicherweise von einem nervösen Niederländer, kam ein Schuss, woraufhin die Niederländer das Feuer auf die Menschenmenge eröffnete: 26 Menschen wurden getötet, 33 verwundet.[62]
Kriegsverbrechen sieht van den Doel am ehesten im Auftreten von Hauptmann Raymond Westerling. Westerling befehligte auf Celebes das Depot Speciale Troepen (etwa: Sammelplatz Spezialtruppen, eine KNIL-Eliteeinheit) und begegnete den Guerilleros mit Gegenterror. Seiner Meinung nach sollten die niederländischen Soldaten härter als die Guerilleros auftreten. Er ließ sich von Dorfbewohnern „Extremisten“ anzeigen und dann zuerst diese „Extremisten“ und danach diejenigen erschießen, die die „Extremisten“ angezeigt hatten. Van Mook verglich solche Methoden, die von anderen Befehlshabern nachgeahmt wurden, mit den deutschen und japanischen. Nach offiziellen niederländischen Angaben hat die Guerilla in Süd-Celebes 3.130 Opfer verursacht, der Gegenterror 1.534. Westerling persönlich hat 388 Indonesier getötet.[63]
1987/88 kam es zu einem Skandal, als Loe de Jong den entsprechenden Band seiner monumentalen Geschichte über den Zweiten Weltkrieg vorlegte (Het Koninkrijk der Nederlanden in de Tweede Wereldoorlog). Noch vor der Veröffentlichung hatte ein Oberst a. D. in der Presse das Kapitel über „Kriegsverbrechen“ kritisiert, das er vertraulich zum Probelesen erhalten hatte. Er wollte allenfalls „Exzesse“ der niederländischen Kolonialarmee einräumen.[64] De Jong fühlte sich bei den Fallschirmjägeraktionen gegen das Regierungszentrum des Feindes (während der zweiten „Polizeiaktion“) an die Weise erinnert, „auf die die Niederlande im Mai 1940 durch Deutschland besprungen wurden.“[65]
Erst gegen 1995, zum 50. Jahrestag der Ausrufung der Republik, wurden die Kriegsverbrechen verstärkt in der niederländischen Öffentlichkeit besprochen. Emotionelle Reaktionen rief die Entscheidung der niederländischen Regierung hervor, dem kranken Deserteur Jan Princen aus humanitären Gründen ein Einreisevisum zu erteilen, damit er seine Familie in den Niederlanden besuchen konnte.[66]
Siehe auch
Einzelnachweise
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