Nitroaromaten

Nitroaromaten

Die Bezeichnung Nitroarene (auch Nitroaromaten genannt) umfasst alle organisch-chemischen Verbindungen, die mindestens eine Nitrogruppe unmittelbar an einem aromatischen Molekülgerüst tragen. Die Zugehörigkeit einer Verbindung zur Gruppe der Nitroarene ist unabhängig vom Vorhandensein weiterer funktioneller Gruppen und Substituenten, sie würde in solchen Fällen mehreren Substanzklassen angehören.

Diese Substanzklasse lässt sich grob unterteilen in einkernige Nitroarene, deren Grundgerüst nur einen aromatisches Ring besitzt, und mehrkernige Nitroarene, deren aromatisches System aus mindestens zwei Ringen besteht. Eine weitere Unterteilungsmöglichkeit ist die Gruppierung in Mononitroarene, Dinitroarene, Trinitroarene, etc., je nach Anzahl der im Molekül vorhandenen Nitrogruppen. Letztere Einteilung steht in engem Bezug zur Reaktivität und Stabilität der Verbindungen.

Einer der einfachsten und bekanntesten Vertreter ist das Nitrobenzol, ein einkerniges Mononitroaren.

Strukturformel von Nitrobenzol

Inhaltsverzeichnis

Synthese

Die gängigste Methode der Herstellung von Nitroarenen ist die direkte Nitrierung von Aromaten mit Hilfe von Nitriersäure. Der mechanistische Typ dieser Reaktion ist die elektrophile aromatische Substitution, SE(Ar). Ein geeigneter aromatischer Ausgangsstoff wird meist unter Kühlung mit einer Mischung aus konzentrierter Salpetersäure und konzentrierter Schwefelsäure behandelt. Unter sorgfältig kontrollierten Reaktionsbedingungen wird dabei meist nur eine Nitrogruppe in das Molekül eingeführt.

Problematisch ist die Kontrolle der Reaktion bei Verwendung aktivierter Aromaten, z. B. Phenolen oder Phenolethern. Bei ungenügender Kühlung kann es hierbei zur mehrfachen Nitrierung kommen. Meist reicht zur Nitrierung aktivierter Aromaten bereits Salpetersäure allein aus.

Deaktivierte Aromaten (z.B. aromatische Carbonsäuren) dagegen müssen meist mit Nitriersäure oder rauchender Salpetersäure erhitzt werden, um eine Nitrierung zu erreichen.

Eigenschaften

Die Eigenschaften der Nitroarene hängen weitgehend von der Struktur des Gesamtmoleküls ab und lassen sich bei der großen Vielfalt der Derivate nicht einheitlich beschreiben. Die Nitrogruppe verleiht dem Molekül aufgrund ihrer Ladungen und der daraus folgenden Polarität ein zusätzliches Dipolmoment. Dennoch sind auch mehrfach nitrierte Aromaten meist nur schlecht wasserlöslich, wenn sie nicht noch weitere polare Gruppen, z. B. Hydroxylgruppen, tragen.

Auswirkungen auf das aromatische System

Nitrogruppen sind funktionelle Gruppen mit einem ausgeprägt elektronenziehenden Charakter und üben neben einem induktiven Effekt (-I-Effekt) auch einen recht starken mesomeren Effekt (-M-Effekt) auf das aromatische Grundgerüst aus. Daraus resultieren

  • eine Absenkung der Ladungsdichte im aromatischen System,
  • eine geringere Reaktivität des Nitroarens gegenüber elektrophilen Reagenzien (verglichen mit der Reaktivität des entsprechenden Aromaten ohne Nitrogruppe),
  • eine Regioselektivität zugunsten der meta-Position(en), relativ zur Nitroguppe, bei weiterer elektrophiler Substitution am Nitroaren.

Explosivität

Eine hervorstechende Eigenschaft der mehrfach nitrierten Arene ist ihre Explosivität, die mit der Anzahl der Nitrogruppen je Molekül steigt. Während Nitrobenzol und die Dinitrobenzole vergleichsweise harmlose Verbindungen sind, können Trinitrobenzol, Tetranitrobenzol und besonders das Hexanitrobenzol bei Schlag oder Erwärmen sehr heftig explodieren. Diese Eigenschaft rührt daher, dass Nitrogruppen eine Art "internes Oxidationsmittel" darstellen. Dadurch reagiert eine Verbindung mit genügend Nitrogruppen relativ zu ihrem Kohlenwasserstoffanteil (=verbrennbarer Anteil der Verbindung) ähnlich einer Mischung aus brennbarer Substanz und brandfördender Substanz, also einer "klassischen" Explosivmischung (z. B. Schwarzpulver), jedoch in der Wirkung meist heftiger, da Brennstoff und Sauerstoffträger auf molekularer Ebene "vermischt" sind.

Verwendung

Veränderung der Nitrogruppe

Nitroarene lassen sich durch eine Vielfalt von Reduktionsmitteln mit hohen Ausbeuten in aromatische Amine umwandeln. Aromatische Amine sind Basischemikalien zur Herstellung einer Fülle von synthetischen Farbstoffen, und wurden von der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkeimenden chemischen Farbenindustrie meist auf diese Weise aus Nitroarenen gewonnen. Durch die Reduktion von Nitrobenzol mit in situ aus Eisen, Zink oder Zinn und Salzsäure gebildetem Wasserstoff, erhielt man Anilin, welches u. a. den Weg zum industriell produzierten künstlichen Indigo ebnete.

Besonders in der Laborsynthese und der Forschung stellen Nitroarene auch heute noch wichtige Synthesezwischenprodukte zur Herstellung aromatischer Amine dar. Durch Anwendung milderer Reduktionsmethoden können auch aromatische Nitrosoverbindungen und N-Hydroxylamine aus Nitroarenen erhalten werden.
Da Nitrogruppen an Aromaten gegenüber einer Vielzahl von chemischen Umwandlungen und Reaktionsbedingungen (mit Ausnahme von Reduktionen) stabil sind, werden sie in mehrstufigen Synthesen gern anstelle der reaktionsfreudigeren Aminogruppen eingesetzt und erst an passender Stelle der Synthesesequenz in Aminogruppen umgewandelt.

Sprengstoffe

Die bereits erwähnte Explosivität mehrfach nitrierter Aromaten macht sie als Sprengstoffe interessant. Zu nennen wären hier als Beispiele das 1,3,5-Trinitrobenzol (TNB), das wohl am meisten bekannte 2,4,6-Trinitrotoluol (TNT), die Pikrinsäure (2,4,6-Trinitrophenol), das N-Methyl-N,2,4,6-tetranitroanilin (Tetryl) und das 2,2',4,4',6,6'-Hexanitrostilben (HNS). Pikrinsäure ist besonders in Form ihrer Schwermetallsalze, z. B. Bleipikrat, sehr schlagempfindlich und wird als Initialsprengstoff eingesetzt. Das HNS ist ein temperaturbeständiger Sprengstoff, der durch Initialzündung zur Explosion gebracht wird.

Duftstoffe

Einige künstliche Moschusduftstoffe gehören ebenfalls zu den Nitroaromaten:

  • Moschus-Xylol (systematisch: 1-tert-Butyl-3,5-dimethyl-2,4,6-trinitro-benzol; CAS: 81-15-2)
  • Moschus-Keton (systematisch:1-(4-tert-Butyl-2,6-dimethyl-3,5-dinitro-phenyl)-ethanon; CAS: 81-14-1)

Diese Substanzen sind sehr gut fettlöslich. Rückstände dieser Verbindungen wurden in Fischen und in der Muttermilch festgestellt. In einigen Ländern ist die Verwendung dieser Verbindungen stark eingeschränkt.[1][2]

Quellen

  1. Moschus Ambrette, Moschus Mosken, und Moschus Tibeten dürfen gemäß EU-Verordnungen (95/34/EEC, 98/62/EC) nicht mehr in kosmetischen Mitteln eingesetzt werden.
  2. Umwelt-Bundesamt (Humanbiomonitoring von Moschusduftstoffen)

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