- Nordirland-Konflikt
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Der Nordirlandkonflikt (engl. The Troubles, ir. Na Trioblóidí) beherrschte die nordirische Politik der Jahre 1969–1998. Dies ist ein Identitäts- und Machtkampf zwischen zwei Bevölkerungsgruppen in Nordirland: Briten und Iren. Das hervorstechendste Merkmal Nordirlands ist die Segregation der Bevölkerung in zwei große Gruppen, je nach Konfession. Diese Trennung zeigt sich sogar in der Geographie: Nordirland ist in sehr unterschiedliche Regionen aufgeteilt. Dabei werden, allgemein gesprochen, die nordöstlichen Gebiete heute protestantisch und die westlichen katholisch dominiert. Der Nordosten ist sehr viel stärker industrialisiert als der ländliche Westen. Fast alle größeren Städte sind protestantische Hochburgen (bis auf Derry und Newry). Auch Belfast, das mit Abstand größte Ballungszentrum, zählt dazu. Diese größeren Städte wiederum sind häufig in protestantische bzw. katholische Wohnviertel segregiert.
Die Begriffe „katholisch“ und „protestantisch“ haben jedoch in Nordirland eine einzigartige Bedeutung. Hier – und nur hier – dienen sie als Unterscheidungsmerkmal zweier gesellschaftlicher Gruppen, die seit jeher gegensätzliche soziale, politische, wirtschaftliche und schließlich auch religiöse Geisteshaltungen pflegen. Diese Kulturen haben sich aus dem Kontrast zwischen den alteingesessenen Iren (die arm, bäuerlich und katholisch waren) und den kolonialisierenden schottischen (bzw. englischen) Siedlern (wohlhabend, industriell, protestantisch) entwickelt. Ihren ethnischen Klang erhielten die Konfessionsbegriffe schließlich durch die Selbstdefinition der heimisch gewordenen Siedler als „Protestanten“. Tatsächlich können die nordirischen Communities als Ethnien bezeichnet werden – Ethnien hier verstanden im Sinne einer organisierten Gruppe, die sich der Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe in Abgrenzung zu den „anderen“ überdurchschnittlich stark bewusst ist und sich diesen „anderen“ in Religion, Sitten, Geschichtsmythos und territorialem Anspruch überlegen fühlt.
Obwohl die Zahl der aktiv Beteiligten am Nordirlandkonflikt klein ist und die paramilitärischen Organisationen, welche für sich in Anspruch nahmen, die Bevölkerung zu vertreten, in der Regel nicht repräsentativ sind, berührte der Konflikt täglich die Leben der meisten Menschen in Nordirland und breitete sich gelegentlich bis Großbritannien oder die Republik Irland aus. Fast viertausend Menschen, größtenteils Zivilisten, starben in Folge der Gewalt. Bis heute sind die politischen und sozialen Einstellungen vieler Menschen durch den Konflikt geprägt.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Für den Konflikt von Bedeutung sind die Eroberung Irlands durch die Normannen/Engländer ab 1169 und besonders die systematische Besiedelung der nördlichen Provinz Ulster durch protestantische Engländer und Schotten ab 1609. Diese Besiedlung, Plantation of Ulster genannt, führte innerhalb relativ kurzer Zeit zur Enteignung der irischen Bevölkerung zugunsten der neuen Siedler. In der Folge kam es immer wieder zu Aufständen seitens der katholischen Iren. Diese brachten allerdings keine Verbesserung, sondern hatten nur eine weitere Entrechtung der Katholiken zur Folge.
So wurden im Jahre 1695 zum Beispiel die sogenannten Strafgesetze (Penal Laws) erlassen. Diese richteten sich in unterschiedlichem Maße gegen alle Konfessionen außer der anglikanischen. 1801 wurde das Unionsgesetz (Act of Union) erlassen, welches Irland in das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland eingliederte und das irische Parlament auflöste.
Mit dem Erstarken des Nationalismus im 19. Jahrhundert in Europa bildeten sich auch in Irland nationalistische Gruppierungen, die für eine Loslösung von der Union und für ein unabhängiges Irland eintraten. Die Home-Rule-Bewegung, geführt von Charles Stewart Parnell, setzte sich für die politische Autonomie der Insel ein. Der liberale britische Premierminister William Gladstone griff die Idee auf, scheiterte aber zweimal (1886 und 1895) im britischen Parlament mit seinen Gesetzesentwürfen zur Home-Rule. Besonders die Protestanten in der Provinz Ulster wehrten sich massiv gegen die Autonomiebestrebungen.
Nach dem Scheitern der Home-Rule-Bewegung gründete der irische Politiker und Journalist Arthur Griffith 1905 die Sinn Féin. Am 24. April 1916 (Ostersonntag) kam es zu einem Aufstand in Dublin, in dessen Folge das Postamt besetzt und eine Provisorische Regierung Irlands ausgerufen wurde. Dieser sogenannte Osteraufstand wurde aber bereits nach fünf Tagen durch britische Truppen niedergeschlagen und die Anführer hingerichtet. Die Sinn Féin und die ihr nahestehende Irisch-Republikanische Armee (Irish Republican Army, IRA) erhielten durch die Empörung in der Bevölkerung über die Hinrichtungen großen Zulauf.
Teilung Irlands (1921)
Bei den Unterhauswahlen 1918 gewann Sinn Féin 80 % der irischen Mandate. Wie im Wahlkampf angekündigt nahmen die Abgeordneten aber Ihre Sitze im Unterhaus nicht ein, sondern konstituierten sich 1919 als Dáil Éireann, das erste irische Parlament seit 1801, und riefen die unabhängige irische Republik aus. Das britische Parlament erklärte das Dáil umgehend für illegal. In der Folge kam es zum irischen Unabhängigkeitskrieg (1919 bis 1921).
Um einen Bürgerkrieg zwischen Unionisten (UVF) und Republikanern zu verhindern, sah man zwei Home-Rule-Parlamente vor. Deshalb erhielten sechs der neun Grafschaften Ulsters mit überwiegend protestantischer Bevölkerung bereits 1920, unter dem Government of Ireland Act, ein eigenständiges Parlament. Nationalisten behaupten bis heute, dass nur sechs Grafschaften Ulsters zu Nordirland wurden, da man so eine unionistische Zweidrittelmehrheit gewährleistete (in gesamt Ulster wären beide Bevölkerungsgruppen in etwa gleich stark vertreten gewesen). Die Unionisten verweisen hingegen auf die Wahlergebnisse von 1918 und auf die von ihnen gewonnenen Wahlkreise, die ungefähr der Form Nordirlands entsprächen.
Ab Juli 1921 nahm der britische Premierminister David Lloyd George Verhandlungen mit der Sinn Féin, unter Vorsitz von Arthur Griffith und Eamon de Valera, auf. Ende 1921 wurde nach fünfmonatigen Gesprächen ein Unabhängigkeitsvertrag durch Lloyd George, Griffith und Michael Collins unterzeichnet, der sogenannte anglo-irische Vertrag. Der Süden Irlands erhielt den Status eines Freistaates innerhalb des British Empire. Außerdem sah der Vertrag eine Grenzkommission vor, die 1921 endgültig über den Verlauf der inner-irischen Grenze entscheiden sollte. Da die Parteien sich jedoch nicht über den Verlauf einigen konnten, veränderte die Kommission nichts mehr an der Grenzziehung.
Der irische Freistaat, der 1948 zur Republik Irland wurde, betrachtete die Teilung nur als vorübergehend; bis vor dem Ausbruch des irischen Bürgerkrieges 1922 unterstützte Collins die IRA-Einheiten im Norden für eine bewaffnete Kampagne gegen den neuen nordirischen Staat. Diese Kontakte wurden jedoch bei Beginn des Bürgerkrieges eingestellt. Die im Jahr 1937 von de Valera ausgearbeitete Verfassung erhob einen Gebietsanspruch auf ganz Irland, der erst mit dem Karfreitagsabkommen 1998 wieder aufgehoben wurde.
Der nordirische Staat
Die Protestanten, die sich als pro-britische Unionisten oder Loyalisten verstehen, machten aus Nordirland, wie der erste nordirische Ministerpräsident James Craig sagte, einen „protestantischen Staat für ein protestantisches Volk“. Die Verfassung des Freistaates von 1937 verstärkte bei den Unionisten noch die Angst von ihm geschluckt zu werden. Das führte dazu, dass man die Katholiken, die sich mehrheitlich als pro-irische Nationalisten oder Republikaner ansehen, zu Fremdkörpern oder sogar Staatsfeinden erklärte. So beschloss das Parlament bereits 1922 drakonische Strafgesetze, die jegliche republikanische Agitation im Keim erstickten. Die Enttäuschung bei der katholischen Minderheit in Nordirland war groß, die Diskriminierung der Katholiken dort nahm zu.
Doch alle Änderungen am kommunalen Wahlrecht, die die Unionisten ab 1920 vornahmen, richteten sich nicht nur gegen Katholiken, sondern generell gegen alle Nicht-Unionisten (wie z. B. die Labour-Bewegung). Deshalb schafften die Unionisten auf kommunaler Ebene das Verhältniswahlrecht ab und führten das britische Mehrheitswahlrecht für Stormont ein. Dies verbunden mit den illegalen Wahlkreisziehungen begünstigte unionistische gegenüber nationalistischen Kandidaten. Das nordirische Wahlrecht war auch stark an Besitz gebunden, was die meist ärmeren Katholiken ebenfalls diskriminierte. So stellte z. B. Derry/Londonderry einen unionistischen Bürgermeister, obwohl die Nationalisten einen größeren Bevölkerungsanteil in der Stadt hatten. Durch diese ganzen Maßnahmen wurde Nordirland von 1921 bis 1972 ununterbrochen von nur einer Partei regiert, der Ulster Unionist Party (UUP), die keine nennenswerte Opposition im Parlament fürchten musste. Des Weiteren gab es auch Diskriminierungen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen oder der Zuweisung von Sozialwohnungen. Die Segregation der beiden Bevölkerungsteile wurde auch noch durch die Schulpolitik der Kirchen gefördert. Sah man bei der Gründung Nordirlands konfessionell gemischte Schulen vor, wurde dies von den Kirchen von Anfang an stark abgelehnt.
Aus Dank für die Bereitschaft auf Seiten Nordirlands mit Großbritannien gegen Hitler in den Krieg zu ziehen (anders als der Freistaat, der neutral blieb) garantierte Westminster der Provinz mit dem Ireland Act von 1948 den Verbleib im Vereinigten Königreich. Das erleichterte viele Unionisten, da sich der Freistaat im Süden gerade endgültig zur Republik erklärt hatte und damit die letzten Verbindungen mit Großbritannien trennte.
Während Nordirland im Zweiten Weltkrieg einen wirtschaftlichen Aufschwung durch die Rüstungsindustrie (Schiffbau, Flottenstützpunkte, Luftwaffenbasen) erlebte, kam es ab 1945, besonders in den großen Städten Belfast und Derry, zu einem Niedergang. Den katholischen Bevölkerungsteil traf es besonders hart.
Konfliktverlauf
Auftritt der protestantischen UVF
Die Anfänge des Konflikts können bis zur Neu-Formierung der Ulster Volunteer Force (UVF) im Jahr 1966 zurückverfolgt werden.[1] Diese illegale, loyalistische, paramilitärische Organisation wurde von einigen radikalen Protestanten gegründet, die an eine Wiederbelebung der IRA aufgrund des 50. Jahrestages des Osteraufstandes glaubten. Die UVF begann eine Einschüchterungskampagne gegenüber einem katholischen Spirituosengeschäft in der Shankill Road. Dabei wurden auch sektiererische Graffiti, wie „Papist“ und „Dieses Haus wird von einem Taig bewohnt“, an die Hauswand neben dem Geschäft gesprüht, obwohl dort tatsächlich Protestanten lebten. Die UVF veröffentlichte zwei Wochen nach einem Molotowcocktail-Anschlag, bei dem eine 77-jährige protestantische Witwe an ihren Brandverletzungen verstarb, ein Schreiben[2]:
Von diesem Tag an erklären wir der IRA und ihren Splittergruppen den Krieg. Bekannte IRA-Männer werden von uns gnadenlos und ohne Zögern exekutiert. (…) Wir dulden keine Einmischung – von welcher Seite auch immer – und warnen die Behörden vor weiteren beschwichtigenden Reden. Wir sind schwer bewaffnete Protestanten und unserer Sache voll ergeben.[3]
Die UVF übernahm später die Verantwortung für die Erschießung des 28-jährigen John Patrick Scullion in Westbelfast. Der 18-jährige Barkeeper Peter Ward, ebenfalls aus Westbelfast, war das zweite Opfer einer UVF-Schießerei, bei der drei weitere Männer angeschossen und schwer verletzt wurden. Victor Arbuckle (29), der von Loyalisten während Straßenunruhen auf der Shankill Road im Oktober 1969 in Belfast erschossen wurde, war der erste getötete RUC-Beamte in diesem Konflikt. Die UVF war auch für eine Serie von Anschlägen auf die Elektrizitätswerke in Nordirland im Verlaufe des Jahres 1969 verantwortlich.[4] Die Anschläge sollten nach einer IRA-Aktion aussehen, um moderate Unionisten gegen die geplanten Reformen der Regierung von Terence O’Neill aufzubringen. O’Neill trat daraufhin im April 1969 als Vorsitzender der Ulster Unionist Party und als Premierminister zurück.
Bürgerrechte und katholische Proteste
Ende der 1960er Jahre begannen immer mehr katholische wie auch protestantische Bürger gegen die Ungerechtigkeiten zu demonstrieren. Die Öffnung des Landes nach Außen, besonders durch das Fernsehen, veränderte ihre Sicht. Inspiriert von Dr. Martin Luther Kings friedlichen Bürgerrechtsbewegung aus den USA und den Studenten-Protesten in Europa, wurde 1967 die nordirische Bürgerrechtsbewegung Northern Ireland Civil Rights Association (NICRA) gegründet. Ein Jahr später folgte die Studentenorganisation People’s Democracy (PD), die ebenfalls für Bürgerrechte stritt.
Die folgenden Protestmärsche von Katholiken wurden jedoch von der RUC und den örtlichen Behörden gewaltsam niedergeschlagen.[5] Anfangs stand der damalige Premierminister von Nordirland, Terence O’Neill, der moderaten Kampagne der Bürgerrechtler recht offen gegenüber und versprach Reformen für Nordirland. Er stieß jedoch auf großen Widerstand von vielen Hardlinern unter den Unionisten, wie z. B. William Craig sowie Ian Paisley, die ihm vorwarfen, ein „Verräter“ zu sein.
Viele Unionisten sahen die Bürgerrechtsbewegung als ein trojanisches Pferd der IRA und glaubten an eine republikanische Verschwörung, die zur Vereinigung mit der Republik führe. Politische Beobachter halten dies für eine Fehleinschätzung, da die Bürgerrechtler Nordirland nicht unbedingt irischer machen wollten, und die klerikale Republik für sie genauso reformbedürftig wie Nordirland war, sondern sie vor allem Anschluss an die demokratischen Verhältnisse des übrigen Großbritanniens suchten. Die IRA spielte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle. Sie war zwar bereits um 1919 gegründet worden, hatte nach der fehlgeschlagenen Border Campaign (1956–1962) jedoch begonnen, der Gewalt zu entsagen. Für sie kamen die Ereignisse völlig überraschend. Der wirtschaftliche Niedergang (geringe Direktinvestitionen, Emigration) verstärkte sich weiter und führte erneut zu höherer Arbeitslosigkeit. Im Laufe der Auseinandersetzungen, seit dem Anfang der Eskalation Ende der 1960er, fanden bis zu 4.000 Menschen den Tod.
Eskalation der Gewalt
1969 gab es immer mehr Unruhen und Ausschreitungen in den Gemeinden. Im Januar wurde ein Marsch der People’s Democracy (PD), der von Belfast nach Derry (damals Londonderry) führte, von Loyalisten in Burntollet, County Londonderry, angegriffen. Der RUC wurde vorgeworfen, dass sie dabei nicht den Marschierern auf Seiten der PD zu Hilfe kam. Daraufhin wurden in den folgenden Monaten Barrikaden in den nationalistischen Gebieten von Derry und Belfast errichtet.
Zu einer Eskalation kam es am 12. August 1969, als im nordirischen Derry Protestanten den katholischen Stadtteil Bogside stürmten und die katholischen Bewohner provozierten, indem sie den 280. Jahrestag der Befreiung Derrys von den Katholiken feierten. Die katholische Bevölkerung verbarrikadierte sich und lieferte sich zwei Tage lang Straßenschlachten mit den Protestanten und der RUC. Um die Bogside zu entlasten, solidarisierten sich viele katholische Arbeiterviertel des übrigen Landes und fingen z. B. in Belfast ebenfalls Unruhen an. Besonders dort lebten viele Katholiken in Arbeitervierteln mit hoher Arbeitslosigkeit, auch unter Jugendlichen.
Die Lage eskalierte weiter, nachdem eine Handgranate in eine Polizeistation geworfen wurde. Daraufhin setzte die RUC drei gepanzerte Wagen mit Maschinengewehren ein und tötete einen 9-jährigen Jungen durch Querschläger aus einem der Maschinengewehre.[6] Es kam in Folge zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen, zum Niederbrennen ganzer katholischer Straßenzüge durch Loyalisten (darunter Bombay Street und Madrid Street) und auf beiden Seiten zur Vertreibung von Bewohnern aus ihren Häusern. Ghettos entstanden, in denen noch heute fast ausschließlich Protestanten oder Katholiken leben. Nach zwei Tagen der Unruhe, in denen acht Menschen starben, 750 verletzt und 1.505 katholische Familien vertrieben wurden, fünf mal mehr als protestantische,[7] rief der nordirische neue Premierminister James Chichester-Clark die britische Armee zu Hilfe, nachdem die nordirische Polizei nicht in der Lage gewesen war die Unruhen zu beenden.
Die Armee wurde von vielen Katholiken in Belfast und Derry anfangs freudig empfangen, da sie diese als neutrale Beschützer vor dem unionistischen Mob und der RUC ansahen. Nach dem Einsatz der Armee beruhigte sich die Lage rasch. Großbritannien wurde aber somit gezwungen, sich aktiv an dem Konflikt zu beteiligen und zu vermitteln, nachdem es seit der Aufteilung Irlands den Konflikt praktisch der lokalen Regierung überlassen hatte. Britische Militärs warnten davor, dass die positive Stimmung auf den Straßen nicht ewig halten würde und dass die Politik das Problem lösen müsse. Da die Armee jedoch ohne politisches Konzept nach Nordirland geschickt wurde und nur Recht und Ordnung wiederherstellen sollte, wurde sie von den Katholiken schnell als verlängerter Arm des Stormont-Regimes angesehen, denn als Sicherheitsorgan arbeitete sie mit der nordirischen Regierung und Polizei eng zusammen. Somit verlor sie ihre anfangs neutrale Stellung im Konflikt.
In Folge der nordirischen Unruhen waren in Nordirland viele Republikaner der Meinung, dass die IRA die katholische und nationalistische Gemeinschaft im Stich gelassen hätte, da sie die Angriffe auf katholische Straßen und das Abbrennen deren Häuser durch Loyalisten nicht verhinderte. Die Traditionalisten und Militaristen beschuldigten die IRA-Führung in Dublin, sie hätte es aufgrund ihrer rein politischen Strategie versäumt, Waffen, Planungen oder Personal herbeizuschaffen, um die katholischen Straßen zu verteidigen.
Im Dezember des Jahres 1969 spaltete sich die IRA in die Provisional IRA, die sich aus traditionellen Militaristen zusammensetzte, und in die Official IRA, die aus den Resten der marxistischen Führung vor der Spaltung bestand sowie aus deren Anhängern. Von Anfang an gab es eine andauernde Fehde zwischen den „Provos“ und der Official IRA, da beide Fraktionen um die Kontrolle der nationalistischen Gebiete wetteiferten, vor allem in Belfast. Allerdings gewannen die Provisionals schnell die Oberhand, aufgrund ihrer Profilierung als die zuverlässigeren Verteidiger der katholischen Gemeinde.[8]
Durch die Zwischenfälle im Jahr 1969 erhielten die Provos genügend Zulauf und Unterstützung, so dass sie ab dem Jahr 1970 schließlich zu einem ernstzunehmenden Gegner in einer Art von Guerillakrieg wurde. Geld für die Untergrundarmee der provisional IRA stammte häufig von Organisation aus den Vereinigten Staaten (Irish Northern Aid und NORAID), in denen viele irischstämmige Menschen leben.
Die Führung der Provisional IRA hatte von Beginn an geplant ihre Aktivitäten auszuweiten und aus den anfangs rein defensiven Operationen zu einer offensiven Kampagne überzugehen, die die britische Herrschaft in Nordirland beseitigen sollte. Dies wurde möglich als sich nun im Laufe des Jahres 1970 die Beziehung der katholischen Gemeinde zur britischen Armee rapide verschlechterte. Diese Verschlechterung ist auf die harte Behandlung der Armee gegenüber den Katholiken und Nationalisten zurückzuführen, da die Armee zur Bekämpfung der republikanischen Paramilitärs nun oft überzogen durchgriff. Ein Beispiel dafür war die dreitägige Ausgangssperre der Lower Falls in Westbelfast. Die Armee riegelte vom 5. bis 7. Juli 1970 mit bis zu 3000 britischen Soldaten die Lower Falls ab und führte eine aggressive Suche nach Waffen durch – eine Episode, welche im Volksmund als „Vergewaltigung der Falls“ einging. Dabei wurden fünf Zivilisten getötet. Bei Kämpfen zwischen den Soldaten und der Official IRA (die zu dieser Zeit die dominante Fraktion der IRA in diesem Teil von Belfast war) gab es mehr als 60 Verletzte. Über 300 Personen wurden verhaftet, wobei die Armee in diesem Gebiet zentnerweise Tränengas versprühte.
Nach diesem Vorfall verlagerte die IRA ihre Strategie von „Verteidigung“ auf „Vergeltung“ und im Januar 1971 begann sie Angriffe auf Armee und RUC-Patrouillen zu starten. Am 5. Februar 1971 töteten die Provisionals in Belfast, bei einer Schießerei in der Gegend von New Lodge, mit Robert Curtis den ersten britischen Soldaten. Danach waren Schusswechsel zwischen der IRA und den Sicherheitskräften an der Tagesordnung. Bis Juli 1971 starben alleine in Belfast zehn britische Soldaten durch die IRA.[9]
Internierung
Am 9. August 1971 begann die britische Armee, nach Beschluss des neuen nordirischen Premiers Brian Faulkner und seiner Regierung, mit der Operation Demetrius, was die Einführung von Internierungen bedeutete, die zur Verhaftung der IRA-Führer beitragen sollten. Am folgenden Tag hielt die IRA eine Pressekonferenz in einer Schule im Belfaster Stadtteil Ballymurphy ab und erklärte, dass die Operation ein Misserfolg sei. Dort sagte sie: „wir haben einen Brigade-Offizier verloren, ein Bataillons-Offizier…der Rest sind Volunteers, oder wie sie in der britischen Armee sagen, Privates“.
Diese Internment-Politik, also die vorbeugende Inhaftierung verdächtiger Menschen ohne Anklage, schürte die Gewalt zusätzlich. Während der ersten drei Tagen, die auf die Einführung der Internierungen folgten, gab es heftige Ausschreitungen und Gefechte in den nationalistischen Gebieten von Nordirland, als die britischen Truppen in diese Bereiche einmarschierten, um paramilitärische Verdächtige festzunehmen. Bei den Auseinandersetzungen wurden insgesamt 17 Menschen getötet.[10] Im weiteren Verlauf des Jahres 1971 wurden 37 britische Soldaten und 97 Zivilisten getötet. 1972 erhöhte sich die Zahl der Todesopfer noch weiter auf insgesamt 479, wovon die meisten Zivilisten waren (247). Damit war das Jahr das blutigste des gesamten Konflikts.[11] Der Zeitraum war jedoch auch für die IRA verlustreich.[12]
Höhepunkt der Gewalt und Ende Stormonts
Die Erschießung von 14 Menschen durch britische Fallschirmjäger bei einer Demonstration in der nordirischen Stadt Derry am 30. Januar 1972, dem sog. Blutsonntag (englisch: Bloody Sunday), verstärkte die Unterstützung großer Teile der katholischen Bevölkerung für die IRA und ihre daraus folgenden Rekrutierungen nahmen stark zu.
Wegen der immer heftigeren Eskalation der Gewalt im Jahr 1972 wurde Stormont, das Parlament Nordirlands, entmachtet und später aufgelöst. Nordirland wurde somit nach über 50-jähriger Selbstregierung ab dem 24. März von London aus durch einen Nordirland-Minister (Direct Rule) regiert. Nachdem man mit O’Neil, Chichester-Clark und Faulkner seit 1969 in kürzester Zeit drei nordirische Premierminister verschlissen hatte (genauso viele Premiers wie von 1921 bis 1963).
Vom 26. Juni bis zum 10. Juli 1972 erklärte die Führung der Provisional IRA einen Waffenstillstand. Im Juli 1972 trafen sich die IRA-Führer Seán Mac Stíofáin, Dáithí Ó Conaill, Ivor Bell, Seamus Twomey, Gerry Adams und Martin McGuinness mit einer britischen Delegation unter der Leitung von William Whitelaw zu geheimen Gesprächen in London. Die Führer der IRA weigerten sich, einer friedlichen Lösung zuzustimmen, die keine Verpflichtung zum britischen Rückzug (erst in die Kasernen, dann aus Irland) und eine Freilassung von republikanischen Gefangenen vorsah. Die Briten lehnten diese Forderungen ab und unterbrachen die Gespräche.[13]
Der Waffenstillstand endete, als es zu einer offenen Konfrontation zwischen der IRA und der britischen Armee im Belfaster Stadtteil Lenadoon kam. Dabei eröffneten IRA-Männer nach einer angeblichen Provokation der Armee das Feuer auf die Soldaten. Sean MacStiofain, der IRA-Stabschef, verkündete als Reaktion auf die Ereignisse in Belfast noch in der Nacht offiziell das Ende der Waffenruhe.
Zusätzlich zu den Angriffen auf die britische Armee waren Bombenanschläge auf kommerzielle Ziele, wie Geschäfte und Firmen, ein zentraler Bestandteil der IRA-Kampagne. Der verheerendste Fall war der Bloody Friday am 21. Juli 1972, bei dem in der Innenstadt von Belfast 22 Bomben explodierten, die neun Personen töteten und 130 verletzten.[14] Obwohl die meisten der IRA-Anschläge auf kommerzielle Ziele laut Eigenaussage der Organisation nicht ausgeführt wurden, um Menschen zu töten oder zu verletzen und es teils anonyme Bombenwarnungen gab, forderten die Anschläge immer wieder Opfer unter Unbeteiligten.
Operation Motorman
Bis 1972 kontrollierte die PIRA de facto viele nationalistische Gebiete in Nordirland und stellte permanente Besatzungen für Checkpoints und Barrikaden auf. Aber diese „no go areas“, wie Free Derry und Free Belfast, welche die Paramilitärs auch als Rückzugsgebiete nutzten, wurden als Reaktion auf die Bombenanschläge vom Bloody Friday 1972 von der britischen Armee in einer großen Aktion namens „Operation Motorman“ wieder eingenommen. Die Briten fingen nun an, befestigte Posten in republikanischen Gegenden zu bauen. Damit schränkten sie die Bewegungsfreiheit der IRA erheblich ein.
Somit ging die Zahl der von der IRA getöteten britischen Soldaten nach 1972 schlagartig zurück. 1972 tötete die Provisional IRA 145 Mitglieder der Sicherheitskräfte. Um 1974 hatte sich diese Zahl auf 40 reduziert. Darüber hinaus zwang die Abscheu in der Bevölkerung, welche der Bloody Friday hervorrief, die Provisionals auf weitere Anschläge mit Autobomben zeitweilig zu verzichten.[15]
Die Waffenruhe von 1975
Als Ergebnis erneuter geheimer Verhandlungen zwischen der Führung der IRA und der britischen Regierung, gab die Provisional IRA einen neuen Waffenstillstand von Januar 1975 bis Januar 1976 bekannt. Im Gegenzug förderten und unterstützten die Briten sogenannte incident centres, die faktisch Büros von Sinn Féin in den nationalistischen Teilen Nordirlands wurden, in der Hoffnung, dass dadurch die Entwicklung des politischen Flügels innerhalb der republikanischen Bewegung vorangebracht werde. In der Praxis brachte die Waffenruhe jedoch kaum eine Verringerung der Gewalt. Die loyalistischen Paramilitärs befürchteten geheime Absprachen zwischen der IRA und der britischen Regierung. Zeitgleich intensivierten sie ihre Morde an katholischen Zivilisten und töteten zwischen 1974 und 1976 mehr als 300.[16] Die IRA reagierte hierauf mit Vergeltungsangriffen auf protestantische Zivilisten. Sie führte zwischen 1974 und 1976 insgesamt 91 sektiererische Morde aus.[17]
Des weiteren kam es Mitte 1975 zum Angriff der Provos auf die noch vorhandene Official IRA, um diese Organisation endgültig zu zerschlagen. Die daraus folgende Fehde führte zum Tod von elf republikanischen Paramilitärs und einer Reihe Zivilisten. Darüber hinaus brach die Disziplin der IRA in dieser Zeit zusammen, was einige der IRA-Freiwilligen in die organisierte Kriminalität abrutschen ließ. Außerdem waren die britischen Geheimdienste auch in der Lage, während der Waffenruhe mehr Informanten innerhalb der IRA zu rekrutieren.[18]
Deshalb gab die IRA das Ende des Waffenstillstandes im Januar 1976 bekannt.[19]
Hungerstreiks und Aufstieg Sinn Féins
Die IRA-Gefangenen, die nach März 1976 verurteilt wurden, genossen keinen Sonderstatus mehr, da die britische Regierung ihre Internment-Politik eingestellt hatte, sondern wurden im Gefängnis wie „normale“ Kriminelle behandelt. Als Reaktion weigerten sich über 500 Häftlinge sich zu waschen oder Gefängniskleidung zu tragen („Decken-Protest“ und „schmutziger Protest“). Diese Proteste gipfelten 1981 in einen zweiten Hungerstreik, sieben IRA und drei INLA Mitglieder hungerten sich für die Anerkennung des politischen Status zu Tode. Ein Hungerstreikender (Bobby Sands) und der Anti H-Block Aktivist Owen Carron wurden ins britische Parlament gewählt und zwei andere Gefangene im Hungerstreik in den irischen Dáil. Darüber hinaus gab es in ganz Irland Arbeitsniederlegungen und große Demonstrationen, um Mitgefühl mit den Hungerstreikenden zu bekunden. Mehr als 100.000 Menschen nahmen in Belfast an der Beerdigung von Sands, dem ersten Hungerstreikenden der starb, teil.
Nach dem Erfolg des IRA-Hungerstreiks bei der Mobilisierung von Unterstützung und den gewonnenen Parlamentssitzen, investierten die Republikaner nach 1981 zunehmend mehr Zeit und Ressourcen für die Wahlen, dadurch gewann die Partei Sinn Féin immer mehr an Bedeutung innerhalb der republikanischen Bewegung. Sinn Féin fasste diese Politik auf einem Ard Fheis (jährlicher Parteitag) im gleichen Jahr so zusammen: „mit dem Stimmzettel in der einen und der Armalite (Maschinengewehr) in der anderen Hand“[20]
Supergrasses
In den 1980er Jahren wurden die Paramilitärs durch den Gebrauch von speziellen Informanten der Sicherheitskräfte, den sogenannten „supergrasses“ (Super-Petzer), hart getroffen. Diese waren Männer, die sich nach der Verhaftung aus Angst vor einer langjährigen Haftstrafe als Spione von den verschiedenen britischen Sicherheitsdienst anwerben ließen oder denen man die Immunität vor Strafverfolgung im Gegenzug für die Aussagen gegen andere Terroristen anbot. Obwohl es letztendlich nur wenige Verurteilungen durch das Supergrass-System gab, führte es doch dazu, dass viele Paramilitärs verunsichert oder verhaftet wurden und eine lange Zeit im Gefängnis saßen, während sie auf ihre Gerichtsverhandlung warteten.
Das erste Mal wurde diese Taktik 1981 nach der Verhaftung des Belfaster IRA-Mannes Christopher Black angewandt. Nach der Zusicherung, dass er vor Strafverfolgung geschützt sei, machte Black Aussagen, die zu 38 Verhaftungen führten. Am 5. August 1983 wurden 22 Mitglieder der IRA aufgrund von Blacks Anschuldigungen zu insgesamt 4.000 Jahren Gefängnis verurteilt. (Achtzehn dieser Verurteilungen wurden im Berufungsverfahren am 17. Juli 1986 aufgehoben.) Bis zu 600 Paramilitärs wurden im Rahmen der Supergrass-Regelung verhaftet.
Die anschließende Angst vor Denunzianten hat viel zur Verringerung der Aktivitäten von IRA-Einheiten in Belfast und Derry beigetragen.
Friedensprozess
In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren intensivierten die loyalistischen Paramilitärs ihre Morde an Katholiken. Als Reaktion darauf versuchte die IRA, loyalistische Führer zu ermorden. Sie wollte sektiererische Vergeltungsmaßnahmen gegen protestantische Zivilpersonen, wie sie sich in den 1970er Jahren ereigneten, vermeiden. Allerdings verübte sie 1993, in einem Versuch, die Führung der Ulster Defence Association auszulöschen, eine der schlimmsten Gräueltaten der gesamten IRA-Kampagne bei einem Bombenanschlag auf ein Fischgeschäft in der Shankill Road, in dem sich angeblich UDA-Männer regelmäßig trafen. Doch die Bombe explodierte vorzeitig und tötete einen der Bombenleger, Thomas Begley, und neun protestantische Zivilisten. Weitere 58 wurden verletzt. Die loyalistischen Paramilitärs waren nicht im Gebäude.
Die von den Morden zwischen der IRA und den Loyalisten erzeugte Spirale der Gewalt endete erst im August 1994, nachdem die IRA einen einseitigen Waffenstillstand vermeldete.
Ab 1988 traf sich Gerry Adams regelmäßig zu Geheimgesprächen mit John Hume, dem Parteichef der gemäßigten Social Democratic and Labour Party (SDLP), und darüber hinaus wurden auch geheime Gespräche mit britischen Beamten sowie der irischen Regierung geführt.
Die IRA verkündete letztlich 1994 eine unbefristete Waffenruhe, unter der Bedingung, dass Sinn Féin in die politischen Gespräche für eine Lösung mit einbezogen wird. Die protestantischen Paramilitärs folgten diesem Schritt wenig später. Als Sinn Féin nicht wie gefordert einbezogen wurde, kündigte die IRA ihre Waffenruhe vom Februar 1996 bis Juli 1997 auf. In dieser Zeit unternahm sie mehrere Bombenattentate und Schießereien. Nach einer erneuten Waffenruhe wurde Sinn Féin wieder in den „Friedensprozess“ mit einbezogen, der schließlich in das Karfreitagsabkommen von 1998 mündete.
Die Vertreter von SF und SDLP rangen nun mit UUP und DUP um eine Lösung in Nordirland. Die Republik Irland und Großbritannien steckten ihr Territorium ab, doch in den langjährigen Verhandlungen mussten die legitimen Interessen der Unionisten wie der Republikaner berücksichtigt werden. London forderte Dublin auf, vom Verfassungsziel einer Wiedervereinigung Irlands abzusehen.
Mit dem Karfreitagsabkommen wurde, zur Überraschung vieler Beobachter, ein Konsens beider Seiten erzielt, der u.a. die politischen Forderungen Englands berücksichtigte. Londons Zugeständnis war im Gegenzug eine Reform der Polizei und eine stärkere Beteiligung der Sinn Féin an der Verwaltung Nordirlands. Volksabstimmungen zeigten, dass die Bevölkerung der Gewalt müde war. Das Leben in Nordirland begann sich darauf zu normalisieren.
Im Juni 2007 gründete die britische Regierung eine parteiübergreifende Gruppe namens Consultative Group on the Past, die Vorschläge zur gesamtgesellschaftlichen Aussöhnung in Nordirland erarbeiten sollte. Ihr Abschlussbericht löste bei seiner Veröffentlichung im Januar 2009 eine öffentliche Debatte im Vereinigten Königreich aus, da er vorschlug, allen Angehörigen eines durch politisch motivierte Gewalt Umgekommenen eine Anerkennungspauschale zu zahlen, unabhängig davon, ob diese zivile Opfer oder Paramilitärs gewesen seien.
Aktuelle Situation in Nordirland
Die neue Regierung ist seit ihrer Einberufung im Jahr 1999 mehrfach wieder aufgehoben worden. 2002 weigerten sich die Politiker der damals größten Fraktion, der Ulster Unionists, mit Vertretern der IRA-nahen Sinn Féin weiter im Parlament zu sitzen, die Assembly wurde außer Kraft gesetzt. Anlass war der Verdacht, dass die IRA Spionage in den Regierungsgebäuden betrieben hätte. Die Ermittlungen wurden letztendlich ergebnislos eingestellt, sie brachten jedoch 2005 zutage, dass der Bürochef der Sinn Féin in Stormont, Denis Donaldson, jahrelang als Informant für britische Geheimdienste tätig war. Wenige Monate nach den Enthüllungen wurde Donaldson ermordet aufgefunden.
Seitdem stieg die Democratic Unionist Party unter Ian Paisley zur stärksten Partei auf. Damit wurde Paisley Hauptkandidat für das Amt des Vorsitzenden der Versammlung (First Minister). Seine kompromisslose Haltung (und die seiner Partei) war es, dass die Macht mit Sinn Féin nicht geteilt werden könne. Dies dürfe erst dann geschehen, wenn diese alle Artikel des Karfreitagsabkommens, wie die vollständige Entwaffnung der IRA sowie die uneingeschränkte Unterstützung der nordirischen Polizei, umgesetzt hätte.
Am 28. Juli 2005 erklärte die IRA den bewaffneten Kampf für beendet. Nur zwei kleine radikale Splittergruppen, die Real IRA und die Continuity IRA, sind jedoch nach wie vor gewaltbereit und halten bis heute am Kriegszustand fest. Bei Ausschreitungen in Dublin, die mit dem Nordirlandkonflikt in Zusammenhang standen, wurden am letzten Februarwochenende 2006 25 Menschen verletzt, gefolgt von einer anschließenden Entschuldigung des Sinn-Féin-Chefs. Immer wieder kommt es zu Vorfällen, die direkt oder indirekt mit paramilitärischen Organisationen zu tun haben. Auch die Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen enden nicht nur bei den Paraden des Öfteren in Gewaltakten. So wurde zum Beispiel der katholische 15-jährige Michael McIlveen im Mai 2006 von protestantischen Jugendlichen mit Baseballschlägern zu Tode geschlagen. Anfang des Jahres 2007 entwaffnete sich die IRA offiziell.
Danach erkannte die Sinn Féin am 28. Januar 2007 auf einem Sonderparteitag in Dublin in einer historischen Abstimmung von 2000 Delegierten die nordirische Polizei an. Damit räumte sie ein wichtiges Hindernis auf dem Weg zur Wiederherstellung einer nordirischen Regionalregierung aus dem Weg. In Folge dessen hat sich die britisch-protestantische Democratic Unionist Party am 26. März 2007 (Vereinbarung von St. Andrews) auf ein Machtteilungsabkommen mit Sinn Féin geeinigt.
Am 3. Mai 2007 erklärte die Führung der Ulster Volunteer Force (UVF) endgültig der Anwendung von Gewalt abzuschwören. Damit sei verbunden, dass die UVF aufhöre, als paramilitärische Organisation zu existieren. Gleichwohl werde sie nicht ihre Waffen abgeben, sondern nur unzugänglich machen. Am 11. November 2007 verkündete die Ulster Defence Association (UDA), eine andere große paramilitärischen Organisationen der Loyalisten, ebenfalls einen formellen Gewaltverzicht[21].
In der Nacht vom 30. auf den 31. Juli 2007 beendete die britische Armee nach 38 Jahren ihren Einsatz in Nordirland. Im Rahmen der „Operation Banner“, die im Zug der Unruhen des Jahres 1969 begonnen hatte, waren insgesamt 300.000 Soldaten im Einsatz gewesen. Um Mitternacht (Ortszeit) übernahm die Polizei wieder die alleinige Verantwortung für die Innere Sicherheit und der Großteil der Militärangehörigen wurde abgezogen[22].
In der Nacht vom 7. auf den 8. März 2009 starben zwei britische Soldaten bei einem Anschlag, als zwei Unbekannte aus einem vorbeifahrenden Wagen das Feuer auf den Eingang der Massereene Barracks bei Antrim, in der Einheiten des Corps of Royal Engineers stationiert sind, eröffneten.[23][24] Dieses Attentat, bei dem zwei weitere Soldaten und zwei Imbisslieferanten schwer verletzt wurden, kostete zum ersten Mal seit 1997 britischen Militärangehörigen das Leben. Alle Parteien im Vereinigten Königreich und Irland verurteilten das Ereignis einhellig und fürchteten die Erneuerung der Gewaltspirale.[25] Zu dem Attentat bekannte sich die republikanische Splittergruppe Real IRA in einem Anruf bei einer irischen Lokalzeitung. [26] Zwei Tage später erschoss die Continuity IRA einen Polizisten. [27]
Konfliktparteien
Irische/nationalistische Seite
Die mehrheitlich katholischen Nationalisten streben eine Loslösung von Großbritannien und eine Vereinigung mit der Republik Irland an.
- (Provisional) Irish Republican Army (IRA oder PIRA): Die bekannteste paramilitärische Organisation in Nordirland. Am 28. Juli 2005 erklärte sie ihren bewaffneten Kampf für beendet. Die Bezeichnung „Provisional“ bezieht sich auf die Abspaltung von der „Official IRA“ (OIRA) bei Ausbruch des Bürgerkriegs 1969
- Sinn Féin: Ihr Name bedeutet übersetzt „Wir selbst“. Sie gilt als der politische Arm der IRA. Bekanntestes Mitglied der Partei ist Gerry Adams.
- Irish Republican Socialist Party (IRSP)/Irish National Liberation Army (INLA): 1975 aus der OIRA hervorgegangene, sozialistische Partei und ihr bewaffneter Arm, der sich seit 1998 im Waffenstillstand befindet.
- Republican Sinn Féin/Continuity IRA (CIRA): Abspaltung von der PIRA 1986. Nicht im Waffenstillstand.
- 32 County Sovereignty Movement/Real IRA (RIRA): entstanden 1997. Nicht im Waffenstillstand.
- Social Democratic and Labour Party (SDLP) ist eine Gewalt ablehnende Partei, die friedlich die Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland anstrebt.
Unionistische/loyalistische Seite
Die mehrheitlich protestantischen Unionisten wollen Teil des britischen Königreichs bleiben.
- Ulster Unionist Party (UUP): Wichtige politische Partei. Bekanntestes Mitglied der Partei ist David Trimble.
- Democratic Unionist Party (DUP): Protestantisch-unionistische, politische Partei, die das Karfreitagsabkommen lange nicht unterstützte. Bekanntestes Mitglied dieser Partei ist der Pfarrer Ian Paisley.
- Ulster Defence Association (UDA): Die wichtigste der protestantischen Paramilitärs, die sich anders als die IRA bislang noch weigert, ihre Waffen abzugeben.
- Ulster Freedom Fighter (UFF): Da die UDA lange Zeit eine legale Organisation war, nutzte sie bei Mordanschlägen den Nom de Guerre UFF. Die Einheiten verselbständigten sich zum Teil zeitweise.
- Ulster Volunteer Force (UVF): Die zweite protestantische, paramilitärische Organisation.
Nordirische Sicherheitskräfte
Besonders das nationalistische Lager hat die nordirischen Sicherheitskräfte immer als aktive Konfliktpartei und nicht als neutrale Ordnungsmacht wahrgenommen. Besonders sind hierbei die nordirische Polizei Police Service of Northern Ireland (PSNI), ehemals Royal Ulster Constabulary (RUC), und das Ulster Defence Regiment (UDR) zu nennen. Eine Reihe offizieller Untersuchungen wie z. B. der Stevens-Report 2003[28] wies seit Mitte der 1980er Jahre nach, dass es immer wieder zur direkten Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsorganen und loyalistischen Todesschwadronen gekommen war. Mit dem britischen Militär kooperierende Agenten verübten auch illegale Tötungen von vermeintlichen IRA-Sympathisanten, etwa dem Rechtsanwalt Patrick Finucane 1989.[28] Daher wurde die Vorgehensweise der protestantisch/britischen Seite zum Teil als Schmutziger Krieg (Dirty War) bezeichnet.[29][30]
Neutrale Konfliktparteien
Als einzige Partei, die zwar den Konflikt als zentralen politischen Punkt betrachtet, sich jedoch keiner Seite zugehörig fühlt und überkonfessionell auftritt, ist die Alliance Party of Northern Ireland zu nennen. Ihre Ziele sind die friedliche Koexistenz aller Bewohner Nordirlands und eine politische Lösung für die Region, die möglichst allen gerecht wird.
Britische Regierung
Die Nordirlandminister der britischen Regierung regieren Nordirland, wenn dieses nicht dazu in der Lage ist.
Republik Irland
Das Ziel einer Vereinigung mit Nordirland war in der Verfassung festgeschrieben. Im Zuge des Karfreitagsabkommens verzichtete Irland nach einem Volksentscheid auf diesen Anspruch; der Passus wurde gestrichen. Allerdings hält das Karfreitagsabkommen die Möglichkeit einer Wiedervereinigung mit der Republik Irland ausdrücklich offen, wenn sich die Mehrheit der Nordiren dafür ausspricht. Das ist jedoch bisher nicht der Fall.
Siehe auch
Geschichte Irlands, Geschichte Nordirlands, Ulster
Einzelnachweise
- ↑ Abstracts on Organisations – 'U'
- ↑ Peter Taylor: Loyalists, S. 37–40, Bloomsbury Publishing 1999, ISBN 0-7475-4519-7
- ↑ Peter Taylor: Loyalists, S. 41–44.
- ↑ Peter Taylor: Loyalists, S. 59–60.
- ↑ We Shall Overcome … The History of the Struggle for Civil Rights in Northern Ireland 1968–1978 by NICRA (1978)
- ↑ Lost Lives 2007 edition, ISBN 978-1-84018-504-1.
- ↑ About turn
- ↑ Peter Taylor: Provos The IRA & Sinn Féin, S. 77–78, Bloomsbury Publishing 1998, ISBN 0-7475-3392-X
- ↑ Patrick Bishop, Eamonn Mallie: The Provisional IRA, S. 182, Corgi Books 1997
- ↑ Patrick Bishop, Eamonn Mallie: The Provisional IRA, S. 188.
- ↑ List of Deaths
- ↑ Patrick Bishop, Eamonn Mallie: The Provisional IRA, S. 192.
- ↑ Peter Taylor: Provos The IRA & Sinn Féin, S. 139.
- ↑ Ed Moloney: A Secret History of the IRA, S. 116, Penguin 2003, ISBN 0141028769
- ↑ Patrick Bishop, Eamonn Mallie: The Provisional IRA, S. 247.
- ↑ http://cain.ulst.ac.uk/events/truce/sum.htm
- ↑ Kevin Kelly: The Longest War: Northern Ireland and the IRA, S. 233–241, Lawrence Hill & Co 1988, ISBN 0882081497
- ↑ Kevin Kelly: The Longest War: Northern Ireland and the IRA, S. 233–241.
- ↑ Kevin Kelly: The Longest War: Northern Ireland and the IRA, S. 241–265.
- ↑ Brendan O’Brien: The Long War: The IRA and Sinn Fein, S. 127, O’Brien Press Ltd 1999, ISBN 0862786061
- ↑ Yahoo Nachrichten von 11. November 2007
- ↑ The Independent: Northern Ireland: The longest tour of duty is over, 31. Juli 2007
- ↑ vgl. o. V.: Two die in 'barbaric' Army attack, in: BBC Online, 8. März 2009. Zugriff am 8. März 2009.
- ↑ o. V.: How the barracks attack unfolded, in: BBC Online, 8. März 2009. Zugriff am 8. März 2009.
- ↑ vgl. Antrim shooting: Political reaction, in: BBC Online, 8. März 2009. Zugriff am 8. März 2009.
- ↑ Real IRA was behind army attack. BBC (8. März 2009). Abgerufen am 8. März 2009.
- ↑ Booth, Jenny: Continuity IRA claims murder of police officer in Northern Ireland, in: Times Online, 8. März 2009. Zugriff am 8. März 2009.
- ↑ a b http://cryptome.org/stevens-3.htm
- ↑ Martin Dillon: The Dirty War: Covert Strategies and Tactics Used in Political Conflicts. Routledge, 1999, ISBN 041592281X.
- ↑ Britain’s dirty war; Northern Ireland.(Security forces and murder in Northern Ireland). In: The Economist. 26. April 2003. Abgerufen am 9. Januar 2009.
Literatur
- T. Ryle Dwyer: Michael Collins, ISBN 3-928300-62-8 (deutsch).
- Michael Collins: The Path to Freedom. Mercier Press, ISBN 1-85635-148-3 (englisch).
- Dietrich Schulze-Marmeling (Hrsg.): Nordirland – Geschichte Landschaft Kultur & Touren. Die Werkstatt, 1996, ISBN 3-89533-177-5.
- Pit Wuhrer: Die Trommeln von Drumcree. Nordirland am Rande des Friedens. Rotpunktverlag, 2000, ISBN 3-85869-209-3.
- Danny Morrison: Aus dem Labyrinth. Schriften auf dem Weg zum Frieden in Nordirland, ISBN 3-89771-000-5.
- Kevin Bean, Mark Hayes (Hrsg.): Republican Voices. Stimmen aus der irisch-republikanischen Bewegung. ISBN 3-89771-011-0 (Interviews mit ehemaligen Mitgliedern; deutsch).
- Frank Otto: Der Nordirlandkonflikt. Ursprung, Verlauf, Perspektiven. Verlag C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52806-6.
- Christian Ludwig Knoll (Hrsg.): Nordirland auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, Nordthor Verlag/Books on Demand GmbH, 2004, ISBN 3-8334-1059-0.
- Brian A. Jackson: Counterinsurgency Intelligence in a „Long War“: the British experience in Northern Ireland (PDF, 13 S.), RAND Corporation, In: MILITARY REVIEW, January-February 2007, S. 74–85.
- Robert McLiam Wilson: Eureka Street, Belfast. ISBN 3-596-14416-7.
Weblinks
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