Obszön

Obszön

"obszön", von lateinisch obs-cenus (-a, -um) (schmutzig, hässlich, ekelhaft, anstößig), etymologisch aus ob- <entgegen>, und cena (-ae) <(Haupt-)Mahlzeit, Essen>, verbunden durch Fugen-s; wörtlich also <der Nahrungsaufnahme zuwider>. Aus der Silbentrennung hinter dem s ergibt sich, dass eine etymologische Deutung ob scenam <der Bühne zuwider> nicht überzeugt, umsoweniger, als scena im Latein nur als Fremdwort aus dem Griechischen vorkommen könnte.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsinhalt

Als obszön gilt, was geeignet ist, bei anderen Menschen Ekel zu erregen, die Scham oder ein anderes elementares Gefühl zu verletzen. Wer nur das eigene Empfinden ausdrücken will, der könnte dafür mit den Vokabeln widerlich oder widerwärtig auskommen. Wer statt dessen das Fremdwort obszön verwendet, zeigt damit, dass er sich auf eine verbindliche Werteordnung berufen will (Mitbedeutung: Verstoß gegen eine allgemein anerkannte Verhaltensregel).

Ganz überwiegend handelt es sich darum, ob körperliche Erscheinungen wahrnehmbar werden dürfen, meist solche, über welche der Mensch nicht frei oder nicht ganz frei entscheiden kann: Räkeln, Gähnen, Niesen, Ausscheidungen jeder Richtung und jeder Form, sexuelle Merkmale, sexuelle Verhaltensweisen, Wunden, Krankheiten, besondere Körperformen (angeboren oder erworben). Sowohl Anziehendes als auch Abstoßendes konnte und kann als obszön gelten. In Japan z.B. verursacht der derart motivierte Wunsch, Toilettengeräusche nur ja zu überdecken, hohen zusätzlichen Wasserverbrauch durch permanente und laute Klosettspülung. Die Männer des Volkes der Tuareg wiederum verdecken den Mund mit einem Schleier. Für sie gilt das Zeigen dieses Körperteiles als obszön.

Welche Gefühle einbezogen sind und wo die Verletzung beginnt, hängt vom Empfinden und den Gewohnheiten der Beteiligten ab. Diese Bedingungen wiederum richten sich nach Bildung, Kultur, Religion, Moral und ähnlichen Werten, die entsprechend ethnischer oder gesellschaftlicher Zugehörigkeit, sogar individuell verschieden sein können. Auch historisch kann dieselbe Erscheinung in der einen Epoche abgelehnt, in der anderen hingenommen oder sogar als Mode gepflegt worden sein. Martin Luthers bekanntes Wort über das Rülpsen, das den damaligen Zeitgenossen als sicheres und erwünschtes Signal des Wohlbehagens und Gutgeschmeckthabens galt (so wie heute noch in chinesischer Traditionslinie auf dem Lande) und eingefordert wurde, spricht davon.

Die Empfindung „obszön“ kann von Wahrnehmungen jeder Art ausgelöst werden: Eine Person mit den fraglichen Merkmalen (z. B. ein sichtbar entstellter Mensch im öffentlichen Bad), Kleidung, wenn sie gewisse Körperteile sichtbar (Haupthaar, sekundäre Geschlechtsmerkmale, Nabel, Knie, Knöchel), oder unsichtbar (wie das Verhüllen des gesamten Körpers beim Tragen der Burka) werden lässt, Verhaltensweisen (Kuss in der Öffentlichkeit, exhibitionistische Entblößung), gesprochener oder geschriebener Text (Witz, Schimpfwort), eine Geste („Stinkefinger“), Bilder jeder Art von der Wandkritzelei über die Werbeanzeige bis zum großflächigen Plakat, auch Gegenstände, die eine Verletzung ausmachen oder ihre Ursache sein können (z. B. Knochen, Waffen, Schneidewerkzeuge, Narben als Schmuck, Metallspitzen auf der Kleidung).

Nach sachlichen Merkmalen lässt sich die Grenze zwischen „obszön“ und „nicht obszön“ nicht bestimmen. Die eigentliche Schwelle liegt im subjektiven Empfinden des möglicherweise Verletzten. Die Schwelle kann ohne verletzende Absicht überschritten worden sein, wenn für die Beteiligten unterschiedliche Werte gelten. Manche überschreiten die Schwelle aber auch mit Vorbedacht, eben um den Anderen an seinen Werten zu packen oder sogar um die Werte des Anderen anzufechten. Obszönität bedeutet immer Grenzverletzung, auch Tabu-Bruch und (in einem weiteren Sinne) Kampf suchen.

Obszönität als Mittel der Werbung

Obszönität wird, wie auch andere Möglichkeiten zur Provokation, von der Werbung gezielt eingesetzt, um die Aufmerksamkeit potentieller Kunden auf eine Ware oder eine Dienstleistung zu lenken.

Obszönität als Mittel des Protests

Obszönität lässt sich in der Geschichte auch immer wieder als Phänomen der Auflehnung, des Protests und der Abgrenzung der Jüngeren gegenüber den Älteren beobachten. Die junge Generation setzt dabei das Obszöne gegenüber dem Establishment mit dem Ziel ein, als unzeitgemäß empfundene Tabus und andere Grenzen aufzubrechen – man denke etwa an die Rock-Generation (die Musik der Beatles und die Hüftbewegungen von Elvis Presley wurden seinerzeit von vielen Älteren als obszön empfunden), an die 68er, das Woodstock-Festival, an Punks, Skinheads und Grufties sowie an die Love-Parade in Berlin.

Hier wird deutlich, dass das Obszöne insbesondere in der Musik eine Rolle spielt. Man denke etwa an Frank Zappa und an die für ihre provokativen Texte und ihr schockierendes Auftreten bekannten Sex Pistols, die allein schon wegen des Titels ihrer LP „Never Mind The Bollocks, Here's The Sex Pistols“ der Obszönität angeklagt wurden und sich vor Gericht verteidigen mussten.

Obszönität in der Literatur

In der bildenden Kunst, vor allem aber in der Literatur spielt das Obszöne ebenfalls eine Rolle - etwa bei Titus Petronius (Satyricon), Giovanni Boccaccio (Decamerone), Donatien A. Fr. Marquis de Sade (Die Wonnen des Lasters), Giacomo Casanova, James Joyce (Ulysses), Vladimir Nabokov (Lolita), Elfriede Jelinek, Charles Baudelaire, Charles Bukowski, Anaïs Nin (Das Delta der Venus) und William S. Burroughs (Naked Lunch). Bei vielen der genannten Autoren wurde Obszönität als Argument für die Zensur ihrer Werke ins Treffen geführt (siehe auch Geschichte der Zensur).

Siehe auch

Sekundär-Literatur

  • Melanie Harmuth: Zur Kommunikation von Obszönität : der Fall de Sade. Taunusstein : Driesen 2004. 167 S. Driesen Edition Wissenschaft Zugl.: Siegen, Univ., Diplomarbeit, 2002 ISBN 3-936328-28-5
  • Hans Peter Duerr: "Der Mythos vom Zivilisationsprozess. Bd. 3., Obszönität und Gewalt - Frankfurt am Main : Suhrkamp 1. Aufl. 1995. 741 S. : Ill. Taschenbuch 2451 ISBN 3-518-38951-3
  • Aron Ronald Bodenheimer: Warum? : von der Obszönität des Fragens. Stuttgart : Reclam 2004. 310 S. : Ill., Noten ; Universal-Bibliothek Nr. 8010 ISBN 3-15-008010-X

Weblinks


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