Organisches Lösungsmittel

Organisches Lösungsmittel

Unter einem Lösungsmittel (auch: Lösemittel) versteht man einen Stoff, der Gase, andere Flüssigkeiten oder Feststoffe lösen kann, ohne dass es dabei zu chemischen Reaktionen zwischen gelöstem Stoff und lösendem Stoff kommt. In der Regel werden Flüssigkeiten wie Wasser oder flüssige organische Stoffe zum Lösen anderer Stoffe eingesetzt. Aber auch Feststoffe können andere Stoffe lösen (z. B. wird in Wasserstofftanks von Wasserstoffautos gasförmiger Wasserstoff in festem Metall gelöst). Der Begriff „Lösemittel“ ist inzwischen eingebürgerter, umgangssprachlicher Labor- und Betriebsjargon aus dem Berufsalltag. Die weltweite Nachfrage nach Lösungsmitteln lag 2005 bei 17,9 Millionen Tonnen, was einem Wert von etwa 8 Milliarden Euro entspricht.[1]

Inhaltsverzeichnis

„Lösungsmittelhaltig“, „lösungsmittelfrei“ im Alltag

In der Alltagssprache ist der Begriff Lösungsmittel (Lösemittel) oft assoziiert mit Stoffen, die unangenehme Gerüche, Gesundheits- und Umweltschäden verursachen können.

Lösungsmittelfrei sind in diesem Sinne dann Farben, Klebstoffe, Lacke oder Lasuren, welche in Wasser gelöst sind und weniger als 3 % wassermischbare Lösungsmittel enthalten. Der Begriff lösungsmittelhaltig bezeichnet Produkte, die synthetische Substanzen wie Aceton, Glycolether, Alkohole, Benzin oder Aromaten enthalten. Da Wasser selbst auch als Lösungsmittel betrachtet wird, ist die Verwendung dieser Begriffe nicht kongruent.

Die Vermeidung von giftigen und/oder umweltschädlichen Substanzen ist Bestandteil der Grünen Chemie.

Chemie

Obwohl das Lösungsmittel in der Regel nicht selbst an der chemischen Reaktion teilnimmt, ist es für chemische Reaktionen sehr wichtig. Die Wirkungen des Lösungsmittels sind unterschiedlich und hängen von der Reaktion ab. Durch die Lösung eines Stoffes in einem Lösungsmittel werden Reaktionen oft erst in endlichen Zeiträumen ermöglicht, da die Stoßhäufigkeiten z. B. in Feststoffen bei niedrigen Temperaturen nicht ausreichend hohe Reaktionsgeschwindigkeiten ergeben. Die wichtigsten Aufgaben des Lösemittels bei chemischen Reaktionen sind

  • konvektiver Wärme- und Stofftransport;
  • Stabilisierung von Übergangszuständen der Reaktion;
  • Verdünnung zur Vermeidung von Nebenreaktionen.

Für die Reinigung und Prozessierung von Reaktionsgemischen (Downstream-Prozess) spielen Lösungsmittel eine weitere wichtige Rolle. Hier seien exemplarisch einige wichtige Verfahrensweisen benannt:

Das am meisten eingesetzte Lösungsmittel ist destilliertes Wasser.

Löseeigenschaften

Die quantitative Vorhersage von Löseeigenschaften ist schwierig und entzieht sich oft der Intuition. Es lassen sich generelle Regeln aufstellen, die jedoch nur als grobe Richtschnur gelten können.

Polare Stoffe lösen sich gut in polaren Lösemitteln (z. B. Salze in Wasser). Unpolare Stoffe lösen sich gut in unpolaren Lösemitteln (z. B. unpolare organische Stoffe in Benzol oder Ether).

Lösungsmittel werden meist nach ihren physikalischen Eigenschaften in Klassen eingeteilt. Solche Einteilungskriterien sind z. B.:

Aprotische Lösungsmittel

Verfügt ein Molekül nicht über eine funktionelle Gruppe, aus der Wasserstoffatome im Molekül als Protonen abgespalten werden können (Dissoziation), spricht man von einem aprotischen Lösungsmittel. Diese stehen den protischen Lösungsmitteln gegenüber.

aprotisch-unpolar

Ein Alkan ist unpolar. Die Wasserstoffatome sind alle gleich fest an die Kohlenstoffkette gebunden und können daher als Protonen nur sehr schwer und unter Bildung ihrerseits sehr reaktiver Carbanionen abdissoziieren. Dies macht alle Stoffe dieser Gruppen ineinander leicht löslich, sie sind sehr lipophil (eigentlich noch lipophiler als die sehr schwach polaren, namensgebenden Fette), und sehr hydrophob. Aber nicht nur Wasser kann sich nicht lösen, sondern alle anderen stark polaren Stoffe auch nicht, wie z. B. kurzkettige Alkohole, Chlorwasserstoff oder Salze. In der Flüssigkeit werden die Teilchen lediglich von Van-der-Waals-Kräften zusammengehalten. Deshalb fallen bei dieser Stoffgruppe die Siedetemperaturen im Vergleich zu Molekülgröße und -masse wesentlich niedriger aus als bei permanenten Dipolen.

Vertreter dieser Gruppe sind:

aprotisch-polar

Ist das Molekül jedoch asymmetrisch substituiert, besonders mit stark polarisierenden funktionellen Gruppen wie der Carbonylgruppe oder der Nitrilgruppe, die aber keine X-H-Bindungen (XC) besitzen, so weist das Molekül ein Dipolmoment auf, zwischenmolekular tritt nun also elektrostatische Anziehung dauerhafter Dipole zu den immer noch vorhandenen, aber total überlagerten Van-der-Waals-Kräften hinzu. Dies hat eine wesentliche Erhöhung des Siedepunktes zur Folge, und in vielen Fällen eine Verschlechterung der Mischbarkeit mit unpolaren Lösungsmitteln, sowie eine Verbesserung der Löslichkeit von und in polaren Stoffen.

Beispiele:

Protische Lösungsmittel

Sobald ein Molekül über eine funktionelle Gruppe verfügt, aus der Wasserstoffatome im Molekül als Protonen abgespalten werden können (Dissoziation), spricht man von einem protischen Lösungsmittel. Diese stehen den aprotischen Lösungsmitteln gegenüber.

Das wichtigste protische Lösungsmittel ist Wasser, das (vereinfacht) in ein Proton und ein Hydroxid-Ion dissoziiert.

Weitere protische Lösungsmittel stellen z. B. Alkohole und Carbonsäuren dar. Hier erfolgt die Abspaltung des Protons immer an der OH-Gruppe, da der elektronegative Sauerstoff die entstehende negative Ladung gut aufnehmen kann.

Das Maß, in dem das jeweilige Lösungsmittel dissoziiert, wird durch die Acidität bestimmt. Es ist zu beachten, dass auch an Kohlenstoff gebundene Wasserstoff-Atome als Protonen abgespalten werden können (CH-Acidität), die Acidität dieser Verbindungen aber zu gering ist, um eine nennenswerte Dissoziation in neutralem Medium zu erlauben. Die Freisetzung dieser Protonen ist nur durch sehr starke Basen möglich.

Polar protische Lösemittel lösen ihrerseits Salze und polare Verbindungen, dagegen ist die Löslichkeit unpolarer Verbindungen gering.

Protisch sind:

Tabelle mit Lösungsmitteln und ihren Daten

Lösungsmittel Schmelzp.
[°C]
Siedep.
[°C]
Flammp.
[°C]
Dichte
[g/cm3]
bei 20 °C
Dielektrizitäts
Konstante
bei 25 °C
Dipolmoment
[· 10-30 Cm]
Brechungs-
index
n_D^{20}
Eτ(30)
[kJ/mol]
Aceton −95,35 56,2 −19 0,7889 20,70 9,54 1,3588 176,4
Acetonitril −45.7 81,6 13 0,7857 37,5 (20 °C) 11,48 1,3442 192,3
Anilin −6,3 184 - 1,0217 6,89 (20 °C) 5,04 1,5863 185,2
Anisol −37,5 155,4 - 0,9961 4,33 4,17 1,5179 155,5
Benzen (Benzol) 5,5 80,1 −8 0,87565 2,28 0,0 1,5011 142,2
Benzonitril −13 190,7 - 1,0102 (15 °C) 25,20 13,51 1,5289 175,6
Brombenzol −30,8 156 - 1,4950 5,40 5,17 1,5597 156,8
1-Butanol −89,8 117,3 34 0,8098 17,51 5,84 1,3993 209,8
tert-Butylmethylether (TBME) −108,6 55,3 −28 0,74  ?  ? 1,3690  ?
γ-Butyrolacton −44 204–206 101 1,13 39,1 4,12 1,436  ?
Chinolin −15,6 238 - 1,0929 9,00 7,27 1,6268 164,7
Chlorbenzol −45,6 132 28 1,1058 5,62 5,14 1,5241 156,8
Chloroform −63,5 61,7 - 1,4832 4,81 (20 °C) 3,84 1,4459 163,4
Cyclohexan 6,5 80,7 4,5 0,7785 2,02 (20 °C) 0,0 1,4266 130,4
Diethylenglycol −6,5 244,3 124 1,1197 (15 °C) 7,71 7,71 1,4475 224,9
Diethylether −116,2 34,5 −40 0,7138 4,34 (20 °C) 4,34 1,3526 144,6
Dimethylacetamid −20 165 - 0,9366 (25 °C) 37,78 12,41 1,4380 182,7
Dimethylformamid −60,5 153 67 0,9487 37,0 12,88 1,4305 183,1
Dimethylsulfoxid 18,4 189 - 1,1014 46,68 13,00 1,4770 188,1
1,4-Dioxan 11,8 101 12 1,0337 2,21 1,5 1,4224 150,0
Eisessig 16,6 117,9 42 1,0492 6,15 (20 °C) 5,60 1,3716 214,0
Essigsäureanhydrid −73,1 139,5 - 1,0820 20,7 (19 °C) 9,41 1,3900 183,5
Essigsäureethylester −83,6 77,06 −2 0,9003 6,02 6,27 1,3723 159,3
Ethanol −114,5 78,3 18 0,7893 24,55 5,77 1,3614 216,9
Ethylendichlorid −35,3 83,5 - 1,2351 10,36 6,2 1,4448 175,1
Ethylenglycol −13 197 117 1,1088 37,7 7,61 1,4313 235,3
Ethylenglycoldimethylether −58 84 - 0,8628 7,20 5,70 1,3796 159,7
Formamid 2,5 210,5 - 1,1334 111,0 (20 °C) 11,24 1,4472 236,6
Hexan −95 68 - 0,6603 1,88 0,0 1,3748 129,2
Heptan −91 98 −4 0,684 1,97 0,0 1,387  ?
2-Propanol (Isopropylalkohol) −89,5 82,3 16 0,7855 19,92 5,54 1,3776 203,1
Methanol −97,8 64,7 6,5 0,7914 32,70 5,67 1,3287 232,0
3-Methyl-1-butanol (Isoamylalkohol) −117,2 130,5 - 0,8092 14,7 6,07 1,4053 196,5
2-Methyl-2-propanol (tert-Butanol) 25,5 82,5 9 0,7887 12,47 5,54 1,3878 183,1
Methylenchlorid −95,1 40 - 1,3266 8,93 5,17 1,4242 171,8
Methylethylketon (Butanon) −86,3 79,6 - 0,8054 18,51 (20 °C) 9,21 1,3788 172,6
N-Methyl-2-pyrrolidon (NMP) −24 202 245 1,03 32,2 4,09 1,47
N-Methylformamid −3,8 183 - 1,011 (19 °C) 182,4 12,88 1,4319 226,1
Nitrobenzol 5,76 210,8 81 1,2037 34,82 13,44 1,5562 175,6
Nitromethan −28,5 100,8 35 1,1371 35,87 (30 °C) 11,88 1,3817 193,5
Pentan −130 36 −49 0,6262 - - 1,358 -
Petrolether/Leichtbenzin
Piperidin −9 106 - 0,8606 5,8 (20 °C) 3,97 1,4530 148,4
Propanol −126,1 97,2 24 0,8035 20,33 5,54 1,3850 211,9
Propylencarbonat (4-Methyl-1,3-dioxol-2-on) −48,8 241,7 - 1,2069 65,1 16,7 1,4209 195,6
Pyridin −42 115,5 23 0,9819 12,4 (21 °C) 7,91 1,5095 168,0
Schwefelkohlenstoff −110,8 46,3 −30 1,2632 2,64 (20 °C) 0,0 1,6319 136,3
Sulfolan 27 285 - - 43,3 (30 °C) 16,05 1,4840 183,9
Tetrachlorethen −19 121 - 1,6227 2,30 0,0 1,5053 133,3
Tetrachlorkohlenstoff −23 76,5 - 1,5940 2,24 (20 °C) 0,0 1,4601 135,9
Tetrahydrofuran −108,5 66 −22,5 0,8892 7,58 5,84 1,4070 156,3
Toluol −95 110,6 7 0,8669 2,38 1,43 1,4961 141,7
1,1,1-Trichlorethan −30,4 74,1 - 1,3390 7,53 (20 °C) 5,24 1,4379 151,3
Trichlorethen −73 87 - 1,4642 3,42 (16 °C) 2,7 1,4773 150,1
Triethylamin −114,7 89,3 - 0,7275 2,42 2,90 1,4010 139,2
Triethylenglycol −5 278,3 166 1,1274 (15 °C) 23,69 (20 °C) 9,97 1,4531 223,6
Triethylenglycoldimethylether (Triglyme) - 222 - - 7,5 - 1,4233 161,3
Wasser 0,0 100 - 0,9982 78,39 6,07 1,3330 263,8

Anwendung

Lösungsmittel sind unterschiedlich stark wassergefährdend, feuergefährlich und gesundheitsschädlich.

Beim ökologischen Bauen wird ein großes Gewicht auf die Art der verwendeten Lösemitteln gelegt. Oft gibt es bei Verbraucherprodukten lösemittelfreie bzw. -arme Alternativen.

Bei offener Anwendung verdampft der größte Teil der Lösemittel in die Umgebungsluft. Beim Einsatz in geschlossenen Systemen wird die überwiegende Menge zurückgewonnen.

Kohlenwasserstoffe aus Lösemitteln wirken in Bodennähe als Vorläufersubstanzen für die Ozonbildung und sind so mitverursachend für den Sommersmog.

Quellen

  1. Marktstudie Lösungsmittel von Ceresana Research

Siehe auch

Weblinks

Eigenschaften von Lösungsmitteln (engl.)


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