Askr

Askr
Ask und Embla auf einer Briefmarke des Postverk Føroya von 2003. Im Hintergrund ist Odin zu sehen. Künstler: Anker Eli Petersen.

Ask und Embla (anord. Askr und Embla) sind in der nordischen Mythologie die Stammeltern des Menschengeschlechtes von Midgard.

Drei Götter finden am Strand zwei seelen- und schicksalslose Baumstämme, Ask („Esche“) und Embla, die das Meer an Land gespült hat. Der erste Gott (Odin) gibt ihnen Atem, Seele und Leben. Der zweite Gott gibt ihnen Geist und Bewusstsein. Der dritte Gott gibt ihnen das menschliche Aussehen, Blut? und die Fähigkeiten zu sprechen, zu hören und zu sehen. Nach der einen Erzählung sind die drei Götter Odin, Hoenir und Lodur (Völuspá 17–18). Nach der anderen Erzählung sind es die Söhne Börs (Gylfaginning 9), das sind Odin, Vili und Ve.

Zu Grunde liegt wohl ein indogermanischer Mythos der Entstehung des Menschen aus dem Baum.

Inhaltsverzeichnis

Etymologie der Namen

Der Name des ersten Baumstammes, Askr, heißt „Esche“, vgl. anord. askr, germ. *askaz, idg. *osk- „Esche“.

Der Name Embla hingegen konnte bislang noch nicht überzeugend gedeutet werden. Überwiegend vermutet man in Anlehnung an Askr einen Baumnamen. Nach gängiger Deutung soll Embla „Ulme“ heißen[1], anord. almr, germ. *elmaz, idg. *elem aus der idg. Wortwurzel *el-. Eine seltener vertretene Ansicht deutet Embla als „Erle“[2], anord. alri, elri(r), germ. *aliza-, idg. *el-. Eine dritte Ansicht führt Embla auf germ. *ambilo „Ranke, Rebe, Schlingpflanze“, vgl. griech. ámpelos, zurück, und übersetzt Embla mit „Schlingpflanze“[3]. Alle diese Deutungen haben das Problem, dass sie auf sprachliche Vorstufen des Altnordischen zurückgreifen müssen, da entsprechende altnordische Wörter „Embla“ nicht unmittelbar nahe stehen.

Deutung des Mythos

Dieser Mythos geht wahrscheinlich auf die Menschwerdung, im übertragenen Sinne, durch das Erlernen des Feuerquirlens zurück. Das trockene Reben- oder Ulmenholz (Embla) war die sich leicht entzündende Unterlage beim Feuerbohren. Das harte Eschenholz der Feuerquirl. Es handelt sich demnach um einen kulturhistorischen Mythos, der die Menschwerdung durch den Gebrauch des Feuers umschreibt.

Die Entstehung des Menschen in der nordischen Mythologie

Für uns Jetztmenschen ist die Entstehung des Menschen in der nordischen Mythologie nur noch schwer nachvollziehbar. Die Lieder-Edda und die Prosa-Edda liefern zwei voneinander abweichende Inhalte. Die verschiedenen Übersetzungen vom nordischen Mythos der Entstehung des Menschen weichen an dieser Stelle stark voneinander ab. Zudem sagen uns die beschriebenen Handlungen teilweise nichts mehr.

In beiden Erzählarten finden drei Götter, unter ihnen Odin, am Strand zwei Gegenstände, die im Original als tré bezeichnet werden (Gylfaginning 9). Das Wort bedeutet „Baum; Holz (als Material) wie Holzstück, Knüppel, Stange; Stamm; Mast“. Die Götter finden in jedem Fall etwas Rohes aus Holz, entweder zwei Hölzer, zwei Baumstämme oder zwei ganze Bäume.

Sie sind schicksalslos, orlǫglausa. orlǫg ist ein Wort, das die Wörter „Schicksal“ und „Fatum“ nur unvollkommen übersetzen können. Die Stelle bedeutet in etwa: Sie hatten noch keine Bestimmung, die sie zu erfüllen haben und der sie auch nicht entkommen können. Das, was nach höchster Gesetzmäßigkeit zu geschehen hat. Jedes Wesen hatte für die Germanen aber ein urlag, so das althochdeutsche Wort dafür. Auch die Götter.

Diesen zwei Hölzern gibt der erste Gott, Odin, in Variante 1 (Völuspá) ǫnd „Atem, Leben, Seele“ und in Variante 2 (Gylfaginning) noch zusätzlich líf „Leben; Lebenszeit; Lebensführung; Leib, Körper; Person, Mensch“. Im Wort ǫnd ist schon alles enthalten, auf was es ankommt: Odin gibt den Hölzern den Atem. Damit beseelt er sie nach germanischem Glauben (vergleiche unsere Redewendung „ausatmen“ für „sterben“). Und damit leben sie. Odin, der erste Gott, gibt das erste Lebensmerkmal: den Lebenshauch, die lebensspendende Seele.

Der zweite Gott gibt in Variante 1 óð. óð gehört zu óðr „wütend, rasend; heftig, schnell, hitzig“. Der Name Odin wird aus diesem Wort gebildet. Gemeint ist mit diesem Wort nicht unbedingt unsere heutige Wut, sondern eher das Ekstatische. Unserem Wort „Geist“ wohnt dieselbe Idee inne. Geist kommt von idg. gheis- „erregt, aufgebracht sein, schaudern“.[4] Geist ist demnach das Erregte. Da wir heute mit der ekstatischen 'Wut' der alten Germanen nicht mehr viel anzufangen wissen, wäre eine sinngemäße Übersetzung für óð an dieser Stelle „Geist“.[5] In Variante 2 gibt der zweite Gott vit „Verstand, Bewusstsein; das Wissen um etwas“ und hræring, das von Arnulf Krause mit „Bewegungsfähigkeit“ von K. J. Simrock mit „Bewegung“ übersetzt wird. Das Ganze hat etwas mit dem flackernden Licht des Geistes, den wir sowohl mental (engl. mind) als auch als wahrnehmendes und sich erfahrendes, sich mit allem verbinden könnendes Bewusstsein (engl. spirit) in uns wahrnehmen, zu tun. Der zweite Gott gibt das zweite Lebensmerkmal: etwas, das wir heute nur unvollkommen mit Geist oder Bewusstsein wiedergeben können.

Der dritte Gott gibt in Variante 1 [...] ok litu góða. ist „das seichte Wasser des Strands“, kann aber auch für „Meer, Welle“ oder das „Haar“ stehen und vielleicht auch für „Lebenswärme“. K. J. Simrock und Arnulf Krause übersetzen es mit „Blut“ (vielleicht in Anlehnung an die Vorstellung, dass das Meer aus dem Blut des Riesen Ymir entstand) und Arthur Häny mit „Wärme“. litu ist „Farbe, Gestalt, Aussehen, Schönheit“, góða von góðr „gut“. Die gute Farbe, das gute Aussehen. Hier scheint es um das dritte Lebensmerkmal, das einen Lebendigen von einem Toten unterscheidet, zu gehen. Das Blut, das durch unsere Adern fließt, und das auch als Träger von Lebenskraft gilt. Und um das Blut, das unsere Haut rötet (gute Farbe, gesunde Farbe) oder um die äußere Gestalt, die Menschengestalt. In Variante 2 gibt der dritte Gott denn auch ásjónu, mál ok heyrn ok sjón. ásjónu von ásjóna „Antlitz, Aussehen, äußere Erscheinung, Gestalt“; mál „Sprache, Sprechvermögen, Sprechweise“; heyrn „Gehör, das Hören“; sjón „das Sehvermögen, Sehkraft, Augenlicht; das Sehen, Anblick, Aussehen“. Hier wird offensichtlich ein schon beseeltes und mit Geist versehenes Holz äußerlich in einen Menschen umgeformt. Zudem erhält es die Fähigkeiten zu sprechen, zu hören und zu sehen. Auch hier sind nicht nur rein äußerliche Merkmale aufgezählt, sondern Merkmale, die es dem Menschen erlauben, seine Umwelt sinnlich wahrzunehmen und sich in ihr auszudrücken. Der dritte Gott gibt dem Menschen das Menschenartige und etwas irdisch Lebendiges, das Blut, das durch seine Adern fließt.[6]

Vergleichbare Mythen

Auch bei den Südgermanen scheint es einen vergleichbaren Mythos gegeben zu haben. Der erste König der Sachsen hieß angeblich Aschanes (latinisiert Askanius), in dessen Namen ebenso die Esche anklingt. Der sächsische Name Aschanes geht ebenso wie Askr auf germ. *askaz zurück. Das Wort „Leute“ ist verwandt mit got. liudan „wachsen“. Gervasius von Tilbury findet im 13. Jh. einen Zusammenhang zwischen „Germane“ und lat. germinare „sprossen, wachsen, keimen“. Johannes Aventinus ergänzt im 16. Jh.: weil die Deutschen auf Bäumen gewachsen sein sollen. Von den sächsischen Frauen ist im 19. Jh. ebenso überliefert, dass sie auf Bäumen wachsen „Darauf so bin ich gegangen nach Sachsen, wo die schönen Mägdlein auf den Bäumen wachsen.“ Auch gibt es die Volkssage, wonach die kleinen Kinder aus den Bäumen kommen (Hessen, Ostfriesland, Siebenbürgen, Tirol).

In der griechischen Mythologie überliefert der Dichter Hesiod einen Mythos, wonach der Mensch des dritten, des ehernen Zeitalters aus den Eschen entstand (Hesiod: Werke und Tage, 145). Dieser Entstehungsmythos steht entgegen anderen griechischen Auffassungen, wonach ähnlich wie in der Bibel der Mensch aus der Erde entstand. Auch stehen Mensch und Esche bei Hesiod in einem Bezug zu Feuer. Im Mythos vom Feuerraub gebraucht er das Wort melioi für „Menschen“, das die männliche Form des Worts „meliai“ ist, das wiederum identisch mit den Eschennymphen Meliai ist (Hesiod: Theogonie, 563). Die melioi waren demnach genau gesagt 'die Männer, die zu den Eschennymphen gehören'.[7]

Bei den Römern bedeutete lat. populus sowohl „Volk“ als auch „Pappel“.

In der persischen Mythologie sind die ersten beiden Menschen, Meschia und Meschiane, aus den Früchten des ersten Baums erwachsen. Der Baum wuchs aus dem Blut des ersten Wesens Kajomorts, nachdem es getötet war. Kajomorts war wie der nordische Ymir ein zweigeschlechtliches Urwesen. Im Anschluss daran ähnelt dieser Mythos dem Mythos von Adam und Eva und dem Baum der Erkenntnis.[8]

Der biblische Mythos von Adam und Eva. Die Namen von Adam und Eva im Alten Testament beginnen mit denselben Buchstaben wie Ask und Embla. Zur Zeit des Niederschreibens der Edda war auch in der mittelalterlichen Auslegung der biblischen Schöpfungssage eine Dreiheit, die Trinität, für die Beseelung der ersten Menschen verantwortlich.[9] Adam und Eva wurden aber nicht aus Bäumen, sondern aus Lehm erschaffen.

Quellentexte

„Schließlich kamen drei aus dieser Schar,
mächtige und wohl gesinnte Asen zum Haus,
sie fanden am Strand, kaum Kraft habend,
Ask und Embla, schicksalslos.

Seele besaßen sie nicht, Vernunft hatten sie nicht,
weder Blut noch Bewegung noch gute Farbe;
Seele gab Odin, Vernunft gab Hönir,
Blut gab Lodurr und gute Farbe“

– Lieder-Edda: Völuspá, 17–18, Übersetzung nach Arnulf Krause

„Aber woher kamen die Menschen, die die Welt besiedeln? – […] Als die Söhne Borrs am Meeresstrand entlangliefen, fanden sie zwei Baumstämme. Die hoben sie auf und erschufen daraus die Menschen. Der erste gab ihnen Seele und Leben, der zweite Verstand und Bewegungsfähigkeit, der dritte äußere Gestalt, Sprechvermögen, Gehör und die Fähigkeit zu sehen. Sie gaben ihnen Kleider und Namen; der Mann hieß Ask, die Frau Embla, und aus ihnen ging das Menschengeschlecht hervor, dem Midgard zur Heimat gegeben wurde.“

Snorri Sturluson: Prosa-Edda: Gylfaginning, 9, Übersetzung nach Arnulf Krause

„Nach einer alten Volkssage sind die Sachsen mit Aschanes (Askanius), ihrem ersten König, aus den Harzfelsen mitten im grünen Wald bei einem süßen Springbrünnlein herausgewachsen. Unter den Handwerkern hat sich noch heutzutage der Reim erhalten:
Darauf so bin ich gegangen nach Sachsen,
wo die schönen Mägdlein auf den Bäumen wachsen;
hätt ich daran gedacht,
so hätt ich mir eins davon mitgebracht.
Und Aventin leitet schon merkwürdig den Namen der Germanen von germinare, auswachsen, ab, weil die Deutschen auf den Bäumen gewachsen sein sollen.“

Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Nr. 413 - Ursprung der Sachsen

Quellenverzeichnis

  1. S. Bugge ?
  2. Vollmer's Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 1874.
  3. H. Sperber PBB 36 1910
  4. Duden: Herkunftswörterbuch, Stichwort „Geist“
  5. so auch an selber Stelle Arthur Häny: Die Edda. (Übersetzung)
  6. Der gesamte Abschnitt: Walter Baetke: Wörterbuch der altnordischen Prosaliteratur. 1. & 2. Aufl., in digitaler Fassung, Greifswald 2006 – Gerhard Köbler: Altnordisches Wörterbuch. 2. Aufl., 2003. – Herkunft: Texte der Lieder- und der Prosa-Edda, die online über das Titus-Projekt verfügbar sind. http://titus.uni-frankfurt.de/indexd.htm?/texte/texte.htm am 28.11.2007,
  7. Karl Kerényi: Die Mythologie der Griechen. 2 Bd.e, dtv-Verlag, 11. Aufl., 1988, Bd. 1, S. 165, 179
  8. Vollmer's Mythologie aller Völker. Stuttgart 1874
  9. Wolfgang Golther: Handbuch der germanischen Mythologie. Leipzig 1875, neu aufgelegt Marix Verlag, 2004, S. 628 f.

Literatur

  • Wolfgang Golther: Handbuch der germanischen Mythologie. Leipzig 1875, neu aufgelegt Marix Verlag, 2004, S. 628 f.
  • Jacob Grimm: Deutsche Mythologie (3 Bd.e). Berlin, 4. Aufl. 1875–78 (Bd. 1, S. 473 f.); neu aufgelegt Marix Verlag, 2007, Bd. 1, S. 436 f.
  • Paul Herrmann: Deutsche Mythologie. 1898, neu aufgelegt im Aufbau Verlag, 8. Aufl., 2007, S. 366
  • Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen. Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-16910-7

Siehe auch: Germanische Schöpfungsgeschichte

Weblinks


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