Otto I. von Bayern

Otto I. von Bayern
Otto I. von Bayern

Otto Wilhelm Luitpold Adalbert Waldemar von Wittelsbach (* 27. April 1848 in München; † 11. Oktober 1916 auf Schloss Fürstenried) war von 1886 bis zu seinem Tode König von Bayern. Er war der zweitgeborene Sohn von König Maximilian II. und der jüngere Bruder von König Ludwig II.

Da er wegen seiner Geisteskrankheit regierungsunfähig war (offiziell hieß es: „Der König ist schwermütig.“), nahm sein Onkel, Prinzregent Luitpold, seine Aufgaben wahr. Dessen Sohn Ludwig war seit dem Tod Luitpolds 1912 Prinzregent und ließ sich 1913 auf Drängen seiner Minister als Ludwig III. selbst zum König ausrufen. Otto behielt jedoch ebenfalls bis zu seinem Tode den Titel „König von Bayern“.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Otto I. im Jugendalter
Grab von Otto I.

Am 27. April 1848 wurde Prinz Otto, zwei Monate zu früh, in der Münchner Residenz geboren. Als Taufpate fungierte sein Onkel, König Otto I. von Griechenland.

Am 27. April 1863 wurde der Prinz zum Unterleutnant ernannt und am 1. März 1864 zur militärischen Ausbildung ins Kadettenkorps eingeführt. Am 26. Mai 1864 folgte seine Ernennung zum Oberleutnant. Nach dem Tod seines Vaters König Max II. am 10. März 1864 bestieg sein älterer Bruder Ludwig als Ludwig II. den Thron. In der Zeit vom 18. Juni bis zum 15. Juli 1864 empfingen die Brüder sowohl das österreichische als auch das russische Kaiserpaar. Nur etwa ein Jahr später wurden jedoch bei Otto die ersten Anzeichen einer psychischen Störung festgestellt.

Mit Erreichen der Volljährigkeit am 27. April 1866 erfolgte seine Beförderung zum Hauptmann und sein Eintritt in den aktiven Militärdienst beim Infanterie-Leib-Regiment. In dieser Funktion nahm Otto sowohl am Deutschen Krieg 1866 als auch am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 aktiv teil, an letzterem als Oberstinhaber des 5. Chevauleger-Regiments. An der Kaiserproklamation in Versailles nahm Otto als Vertreter seines Bruders Ludwig teil; über seine Eindrücke schrieb er an ihn: „Ach Ludwig, ich kann Dir gar nicht beschreiben wie unendlich weh und schmerzlich es mir während jener Zeremonie zumute war […] Alles so kalt, so stolz, so glänzend, so prunkend und großtuerisch und herzlos und leer.“ Allgemein verband Otto mit Ludwig II. eine innige brüderliche Zuneigung, die sich in häufigen gemeinsamen Unternehmungen (Besuch der Wartburg 1867) zeigte. 1868 wurde Otto in den Georgi-Ritterorden, den Hausorden der Wittelsbacher, aufgenommen.

Kurz nach Ende des Deutsch-Französischen Krieges begann sich Ottos geistiger Zustand rapide zu verschlechtern. Seit 1871 vermied er zunehmend Begegnungen mit fremden Menschen. Er wurde unter ärztliche Aufsicht gestellt und es erfolgten Berichte über seinen Zustand an den Reichskanzler Otto von Bismarck. Seit Januar 1872 galt Otto offiziell als geisteskrank, ab 1873 wurde er im südlichen Pavillon von Schloss Nymphenburg in Isolation gehalten. Der behandelnde Arzt war der zur damaligen Zeit als Koryphäe auf dem Gebiet der psychischen Krankheiten geltende Dr. Bernhard von Gudden, der in einem weiteren Gutachten von 1873 Ottos Krankheit bestätigte.

Bei der Fronleichnamsmesse 1875 in der Münchner Frauenkirche kam es zu einem aufsehenerregenden Zwischenfall, als Otto (der am Gottesdienst nicht teilgenommen hatte), in Jagdkleidung in die Kirche stürmte und den zelebrierenden Erzbischof Gregor von Scherr auf den Knien um Vergebung seiner Sünden bat. Das Hochamt wurde unterbrochen, der Prinz ohne Widerstand von zwei Kirchendienern weggeführt. Otto wurde daraufhin ins Schloss Schleißheim verbracht, wo er unter noch stärkere Überwachung gestellt wurde. Sein letzter öffentlicher Auftritt war die Teilnahme an der Königsparade vom 22. August 1875 auf dem Münchner Marsfeld an der Seite seines Bruders. Ab dem 1. Juni 1876 hielt er sich auf Verordnung seiner Ärzte einige Wochen in Schloss Ludwigsthal im Bayerischen Wald auf. Als sich sein Zustand im Frühjahr 1880 nochmals massiv verschlimmerte, wurde Otto endgültig in das eigens dafür umgebaute Schloss Fürstenried bei München gebracht, wo er den Rest seines Lebens verbringen sollte. Auf Anordnung von König Ludwig, der seinen Bruder wiederholt nachts besuchte, durfte ihm keinerlei Gewalt angetan werden.

Nach dem Tod Ludwigs II. am 13. Juni 1886 wurde Otto nach der Thronfolgeregelung dessen Nachfolger als König von Bayern. Die entsprechende Proklamation, die ihm einen Tag später in Fürstenried verlesen wurde, begriff er nicht; er hielt seinen Onkel Luitpold, der bereits seit dem 10. Juni, dem Tag der Entmündigung Ludwigs II., die Regentschaft (der offizielle Titel war „Verweser des Königreiches Bayern“) führte, für den rechtmäßigen König. Nach dem Tod des Prinzregenten Luitpold am 12. Dezember 1912 folgte dessen Sohn Ludwig zunächst wiederum als Prinzregent; durch eine vom Landtag gebilligte Verfassungsänderung vom November 1913 wurde dieser dann zum König von Bayern proklamiert. Das Land besaß somit für einige Jahre zwei Könige.

Am 11. Oktober 1916 starb Otto I. unerwartet aufgrund einer Darmverschlingung und wurde am 14. Oktober 1916 in der Gruft der Kirche St. Michael in München nahe dem Sarkophag seines Bruders zur letzten Ruhe gebettet.

Historische Wahrnehmung der Zeit Ottos I.

Die sogenannte „Prinzregentenzeit“, wie die Regentschaft Prinz Luitpolds häufig bezeichnet wird, gilt aufgrund der politischen Passivität Luitpolds als Ära der allmählichen Rückstellung bayerischer Landes- hinter die Reichsinteressen. In Verbindung mit dem unglücklichen Ende der vorausgegangenen Herrschaft König Ludwigs II. wirkte dieser Bruch in der bayerischen Monarchie umso stärker. Die Verfassungsänderung von 1913 schließlich brachte nach Ansicht von Historikern den entscheidenden Bruch in der Kontinuität der Königsherrschaft, zumal diese Änderung vom Landtag als Volksvertretung bewilligt worden war und somit indirekt einen Schritt weg von der konstitutionellen hin zur parlamentarischen Monarchie bedeutete. Beides in Verbindung wird heute als Hauptursache für das unspektakuläre und ohne Widerstände erfolgte Ende des bayerischen Königreiches 1918 angesehen.

Krankheitsbild

Sowohl von Ludwig II. als auch seinem Bruder Otto I. wurde behauptet, beide seien geisteskrank beziehungsweise schwermütig. Die Psychiatrie zu der Zeit, in der diese Thesen aufgestellt wurden, befand sich noch am Anfang ihrer Entwicklung und basierte auf Äußerungen von Dritten, aus denen die ersten Psychiater vage Krankheitsbilder erstellten. Die moderne Psychologie geht davon aus, dass beide königlichen Brüder unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung litten.

Die Innsbrucker Nachrichten berichten unter Berufung auf einen in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ erschienenen Artikel am 15. Oktober 1889 über den Gesundheitszustand des 41-jährigen Monarchen:

„König Otto sieht zur Zeit wenn nicht gerade beleibt, so doch sehr kräftig aus. Er trägt einen mächtigen, bis auf die Brust reichenden Vollbart, welcher der Schere sehr bedürftig ist, aber auf ein gewöhnliches Maß nicht reduziert werden kann, weil der leicht erregbare Monarch sich gegen ein solches Ansinnen energisch wehrt. Es könnte der übermäßig lange Bart nur im Schlafe geschnitten werden, und das wagt niemand. Der Blick des Königs ist meist stier, ins Leere gerichtet. Nur wenn die alte Dienerin Marie, die den König als kleinen Jungen schon auf ihren Armen trug, ihm in die Nähe kommt, dann ruft er sie mit seinem sonoren Bariton ziemlich lebhaft an und gibt in kurzen Worten den Befehl, ihm irgend einen Gegenstand, hie und da ein Glas Bier zu bringen, was er aber sofort wieder vergisst. An anderen Personen geht der stets schwarz gekleidete Monarch vorüber, als wenn er sie nicht erkennen würde. Es ist strenger Befehl, ihn nicht zu grüßen, auch darf er niemals auf seinen Promenaden angesprochen werden. Häufig steht Otto I. in einer Ecke, gestikuliert mit Armen und Händen und spricht im Halluzinationszustand lebhaft zu dem Gegenstande seiner Einbildung. Dann aber tritt völlige Apathie ein, welche stunden- und tagelang andauert.
Mit Leidenschaft raucht Se. Majestät Zigaretten, gewöhnlich 30 bis 36 Stück am Tage. Der Verbrauch von Zündhölzern ist aus dem Grunde enorm, weil der König stets ein ganzes Bündel Streichhölzer anzündet und es dann mit sichtlicher Freude brennend wegwirft.
Peinlich genau ist die Lebensweise des Geisteskranken geregelt. Am Diner nehmen Teil: am oberen Ende der Tafel die Majestät, dann nach einem größeren Zwischenraum die Adjutanten, der Arzt und der Hofmarschall. Der König isst gern und reichlich, trinkt ein Glas Bier und verlangt ab und zu mit scharfer Kommandostimme Sekt, den er gerne zu sich nimmt. Bei der Tafel will König Otto völlig ignoriert sein, wie auch er sich um die weiter unten sitzenden Kavaliere nicht kümmert. Gibt der Arzt das vereinbarte lautlose Zeichen, so wird dem König das Gewünschte sofort gebracht. Besondere Vorkehrungen hinsichtlich des Besteckes existieren nicht, der König gebraucht Messer und Gabel im normalen Zustande, nur die Serviette wird von der Majestät stellenweise verschmäht und dafür der Rock benützt.
In den elegant eingerichteten Appartements des Königs, die durchweg im Erdgeschoße liegen, während die Dienerschaft den ersten Stock bewohnt, ist das Schlafzimmer mit allem Komfort ausgestattet; auch benützt der hohe Kranke die Toilettengegenstände sehr häufig, nur vom Baden will er trotz der prachtvollen Kabine wenig wissen, und es hat seine Schwierigkeit, ihn dazu zu bewegen.
Äußerst empfindlich ist König Otto gegen das Schließen von Türen, die aber durchaus nicht mit Gucklöchern versehen sind. Es ist Befehl, dass alle Türen der Flucht im Erdgeschoss während des Tages geöffnet bleiben, auch die Türen nach dem Garten hinaus. Findet der König eine geschlossene Tür, so gerät er geradezu in Wut und schlägt mit wuchtigen Fausthieben auf dieselbe los. Seit er die Fenster nach der Straßenseite zertrümmert hat, sind diese mit Eisengittern versehen.
Ebenso hegt Otto I. eine gründliche Antipathie gegen das Fahren. Die Abneigung des Königs gegen Ausfahrten wird darauf zurückgeführt, dass auf der Straße sich Neugierige einfanden, deren Anglotzen der Kranke peinlichst empfindet. Wenn Ausfahrten stattfinden, dann muss der Wagen an der Rückseite des Schlosses warten. Hier ist es einmal passiert, dass der wie traumverloren in die Luft starrende König den Wagentritt fehlte und daneben trat. Mit einem Schlag sprang er zurück ins Haus und schrie: „Ich fahre nicht!“ Dass der König sich, wie geschrieben wurde, nach seinem lieben München sehne und öfters den Wunsch, in die Residenz zu fahren, geäußert habe, ist, wie mit Bestimmtheit versichert wurde, unwahr. Ein solcher Wunsch ist nicht laut geworden.
Was die Beschäftigung des Königs betrifft, so nimmt er wohl ab und zu eine der aufliegenden Zeitungen zur Hand; ob er sie liest und den Inhalt erfasst, vermag der Gewährsmann nicht anzugeben.
Seine Umgebung ist unablässig bemüht, auf Zerstreuung des Kranken zu sinnen. Im heurigen Frühjahr kam jemand auf den Gedanken, in des Königs Zimmer eine kleine Spieldose zu legen. Der Monarch horchte erstaunt auf die leise Musik, und ein Freudenschimmer flog über sein Antlitz. Einer von den fünf Pflegern meldete diese Gefühlsäußerung sofort dem jourhabenden Arzte. Das verständigte Hofmarschallamt erstattete einen weiteren Bericht, und es wurde schleunigst ein großes Spielwerk im Werte von etwa 5000 Mark angeschafft. Allein die gewünschte Wirkung konnte nicht erzielt werden, der König reagierte auf die Musik der großen Spieluhr nicht mehr und zeigt im Laufe der Zeit sogar richtigen Widerwillen, so dass das Instrument entfernt werden musste.
Die Umgebung des Königs hat Beweise dafür, dass der hohe Kranke die einzelnen Personen erkennt, und in einem lichten Moment ist es vorgekommen, das Se. Majestät auch einzelne Herren angesprochen hat. Was die Zukunft bringe, lässt sich nicht sagen: möglich, dass dem König ein langes Leben beschieden ist, möglich aber auch, dass dem gestörten Geisteszustand sich einmal plötzlich ein Kräfteverfall zugesellt.“

Trivia

Prinz Otto von Bayern wurde 1954 im Film Ludwig II. – Glanz und Ende eines Königs in einer Nebenrolle von Klaus Kinski dargestellt. Mit dieser Rolle konnte Kinski im deutschen Film und im Ausland auf sich aufmerksam machen.

Literatur

  • Richter, Arndt: Die Geisteskrankheit der bayerischen Könige Ludwig II. und Otto: eine interdisziplinäre Studie mittels Genealogie, Genetik und Statistik; Degener & Co., Neustadt an der Aisch, 1997, ISBN 3-7686-5111-8
  • Schweiggert, Alfons: Schattenkönig. Otto, der Bruder König Ludwig II. von Bayern, ein Lebensbild. Ehrenwirth, München 1992, ISBN 3-431-03192-7.

Weblinks




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