Otto von Braunschweig

Otto von Braunschweig
Otto IV. und Papst Innozenz III. reichen sich die Hände (aus Heidelberg, Cod. Pal. germ. 19-23, um 1450)
Wappen Ottos IV.
Das Grabmal der Eltern Ottos im Braunschweiger Dom: Heinrich der Löwe (links), Mathilde (rechts), zu deren Füßen das Grab Ottos
Moderne Grabplatte Ottos IV. im Braunschweiger Dom

Otto IV. von Braunschweig (* 1175/76 in Braunschweig;[1]19. Mai 1218 auf der Harzburg) aus dem Haus der Welfen war römisch-deutscher König von 1198 - unangefochten erst seit 1208 - bis 1218 und von 1209 bis 1218 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Seine wechselvolle Herrschaft war geprägt vom staufisch-welfischen und dem französisch-englischen Gegensatz.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Herkunft

Otto IV. war dritter Sohn Herzog Heinrichs des Löwen und der Mathilde, Tochter Heinrichs II. von England. Geburtsdatum und –ort sind nicht überliefert. Seine älteren Brüder waren Pfalzgraf Heinrich (1173/74–1227) und Lothar (1174/1175–1190), Ottos jüngerer Bruder war Herzog Wilhelm von Lüneburg (1184–1213).

Jugend am englischen Hof

Nach Sturz und Verbannung seines Vaters wuchs Otto seit 1182 am englischen Königshof seines Großvaters Heinrich II. († 1189) auf. Zu seinem Onkel Richard Löwenherz († 1199), der seit 1189 die englische Königskrone trug, hatte Otto ein freundschaftliches Verhältnis. Richard versuchte ihn 1190 zum Grafen von York zu ernennen, was am Widerstand des lokalen Adels scheiterte. Auch der Plan, Otto mit Margarethe, der Erbin des schottischen Königreichs, zu verloben, misslang. Im Jahre 1193/94 wurde er zusammen mit seinem jüngeren Bruder Wilhelm als Geisel für den gefangenen Richard Löwenherz an Kaiser Heinrich VI. gegeben. Nach seiner Ende 1194 erfolgten Freilassung wurde Otto 1196 von Richard Löwenherz mit der Grafschaft Poitou im Westen Frankreichs belehnt, wodurch er den Titel eines Herzogs von Aquitanien erhielt.[2] Er bewährte sich im Krieg Richards gegen Frankreich als Heerführer.

Die Doppelwahl von 1198

Nach dem unerwarteten Tod des staufischen Kaisers und Königs von Sizilien Heinrich VI. im September 1197 unterstellte seine Witwe Konstanze († 1198) den bereits 1196 zum römisch-deutschen König gewählten zweijährigen Thronfolger Friedrich der Vormundschaft des Papstes. Die Verbindung zwischen dem Reich und dem Königreich Sizilien wurde gelöst. In Thüringen wählten die staufischen Parteigänger im März 1198 Heinrichs VI. jüngsten Bruder Philipp von Schwaben zum König. Die Staufergegner unter maßgeblicher Beteiligung Richard Löwenherz’, Erzbischofs Adolf von Köln und der am Handel mit England interessierten Kölner Patrizier suchten einen welfischen Gegenkandidaten aufzustellen. Da sich der ursprünglich vorgesehene älteste Sohn Heinrichs des Löwen noch auf dem Kreuzzug befand, wurde Otto als Kandidat aufgestellt und am 9. Juni 1198 zum römisch-deutschen König gewählt. Er zog in Aachen ein, wo er am 12. Juli 1198 vom Kölner Erzbischof unter Verwendung nachgebildeter Insignien gekrönt wurde. Zeitgleich verlobte er sich mit Maria, Tochter Heinrichs I. von Brabant.

Am 8. September 1198 wurde Philipp von Schwaben in Mainz mit den in staufischem Besitz befindlichen Insignien zum römischen König gekrönt. Die Krönung wurde jedoch vom Erzbischof Aimo von Tarentaise vorgenommen. Da die Krönung weder am ‚rechten’ Ort, nämlich in Mainz statt in Aachen, noch von der ‚rechten’ Hand, vom burgundischen Erzbischof statt vom Erzbischof von Köln, vollzogen wurde, besaß sie nicht die vollständige Legitimationskraft für ein ordnungsgemäßes Königtum. Im folgenden Deutschen Thronstreit trat Papst Innozenz III. als Schiedsrichter auf. Er erkannte um die Jahreswende 1200/1201 Otto IV. als König an. Otto beschwor im Gegenzug mit dem Neußer Eid vom 8. Juni 1201 die Anerkennung der päpstlichen Gebietsforderungen in Mittelitalien und Sizilien. Trotz päpstlicher Unterstützung schwächte sich seine Position gegenüber Philipp zusehends. Der englische König Johann Ohneland leistete nach seiner Niederlage gegen Frankreich keine Unterstützung mehr. Einstige Parteigänger Ottos, darunter sein Bruder Heinrich, der Kölner Erzbischof und die Kölner Bürgerschaft, wechselten zwischen 1204 und 1206 in das staufische Lager. Im Jahre 1205 wurde Philipp erneut zum König gewählt und in Aachen gekrönt.

Am 27. Juli 1206 wurde Otto IV. bei Wassenberg vom Heer Philipps geschlagen, woraufhin auch Papst Innozenz III. von Otto abfiel. Kurz vor seiner allgemeinen Anerkennung als König wurde Philipp von Schwaben am 21. Juni 1208 in Bamberg durch den bayerischen Pfalzgrafen Otto VIII. aus persönlichen Motiven ermordet.

Kaiserkrönung 1209

Otto verhängte die Acht über den Königsmörder und verlobte sich mit Beatrix, der Tochter Philipps von Schwaben. Otto wurde jetzt allgemein als König anerkannt und ließ sich am 11. November 1208 auf einem Hoftag in Frankfurt am Main erneut zum König wählen. Als Beatrix’ Verlobter nahm er auf dem Königsumritt im Winter 1208/09 das staufische Königsgut in Besitz. Am 22. März 1209 erneuerte er im Vertrag zu Speyer gegenüber dem Papst den Neußer Eid von 1201. Hierbei waren jedoch keine fürstlichen Zeugen anwesend, weshalb er am 4. Oktober 1209 nicht ohne Bedenken von Papst Innozenz III. zum Kaiser gekrönt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt stellt die Chronik des Otto von St. Blasien eine wichtige Quelle für die Regierungszeit Ottos dar. Otto zog mit seinen Truppen nordwärts, als ihn in Pisa ein Hilferuf der aufständischen Barone Apuliens erreichte, die Ottos Unterstützung gegen König Friedrich suchten. Der seit 1208 volljährige König hatte gerade in Sizilien einen Adelsaufstand niedergeschlagen. Otto brach die Neußer Eide, suchte die Reichsgewalt in Italien wiederherzustellen und seinen staufischen Rivalen Friedrich aus dessen Königreich zu verdrängen. Er zog im Herbst 1210 von Norditalien aus mit seinen Truppen nach Süden, besetzte weite Teile des Kirchenstaats und erreichte nach der Eroberung Unteritaliens im Herbst 1211 den Süden Kalabriens, wo er die pisanische Flotte zur Überfahrt nach Sizilien erwartete. Papst Innozenz III. verhängte am 18. November 1210 den Kirchenbann über Otto IV. und erneuerte den Bann am 31. März 1211. Das Schreiben des Papstes an die deutschen Bischöfe enthielt die Worte:

Das Schwert, das wir selbst geschmiedet, schlägt uns schwere Wunden.[3]

Machtverlust und Niedergang

Unter Unterstützung des französischen Königs Philipp II. August und des Papstes wählte im September 1211 in Nürnberg eine Fürstenopposition den Staufer Friedrich zum „anderen Kaiser“ (alium imperatorem), nicht zum König.[4] Zu den Teilnehmern gehörten König Ottokar I. von Böhmen, Landgraf Hermann I. von Thüringen und Erzbischof Siegfried von Mainz. Otto brach daraufhin den Angriff auf Sizilien ab und kehrte nach Deutschland zurück. Im Mai 1212 konnte er auf einem Hoftag in Nürnberg zunächst seine Autorität wiederherstellen. Im Juli 1212 belagerte Otto die Feste Weißensee des abtrünnigen Landgrafen Hermann von Thüringen. Nachdem Ottos staufische Gemahlin Beatrix am 11. August 1212 nach nur dreiwöchiger Ehe verstorben war und König Friedrich im September 1212 in Konstanz deutschen Boden betrat, fiel der ehemals staufische Anhang von Otto ab. Der ebenfalls abtrünnige Kanzler, Bischof Konrad von Speyer, verriet Ottos Reformpläne, die eine Kopfsteuer sowie die Säkularisierung und Besteuerung von geistlichem Gut vorsahen.[5] Durch diese Veröffentlichung wurde die Abfallbewegung der Reichsfürsten und des Klerus beschleunigt.

Die Schlacht bei Bouvines

Friedrich erneuerte am 19. November 1212 in Vaucouleurs das staufisch-kapetingische Bündnis gegen England und Kaiser Otto. Am 5. Dezember ließ sich Friedrich nochmals in Frankfurt zum König wählen und vier Tage darauf in Mainz krönen. Otto zog sich nach Köln und anschließend nach Sachsen zurück. Seine erfolglosen Kämpfe richteten sich gegen den abgefallenen Erzbischof Albrecht I. von Magdeburg und gegen den Landgrafen von Thüringen. Im Mai 1214 heiratete er auf dem Hoftag zu Maastricht Maria von Brabant, mit der er bereits 1198 verlobt war. In den Niederlanden schloss er neue Bündnisse, die sich gegen König Philipp II. August von Frankreich richteten. Otto suchte den deutschen Thronstreit im französisch-englischen Krieg für sich zu entscheiden. Er leistete seinem ebenfalls unter Kirchenbann stehenden Onkel König Johann Ohneland Truppenhilfe. Dieser befürchtete trotz seiner kürzlich erfolgten Unterwerfung unter den Papst eine Invasion Englands durch den französischen König. König Johann plante, mit Unterstützung Ottos und niederländischer Verbündeter, seine verlorenen Besitzungen auf dem französischen Festland in einem Doppelangriff zurückzuerobern. Nachdem Johann an der Loire zurückgeschlagen wurde, kam es am 27. Juli 1214 in der Schlacht bei Bouvines zu einer vernichtenden Niederlage König Ottos IV. und seiner Verbündeten, darunter sein Schwiegervater Heinrich von Brabant, gegen den französischen König Philipp II. August. Otto IV. floh nach Köln, während der Graf von Flandern und der Graf von Boulogne in jahrelange Gefangenschaft gerieten.

Der deutsche Thronstreit war damit für Friedrich II. entschieden, der 1215 in Aachen zum König gekrönt und allgemein anerkannt wurde. Im November 1215 schickte Otto Gesandte zum 4. Laterankonzil, die den Papst zu seiner Absolution bewegen sollten. Dies wäre die Voraussetzung zur Rückkehr zur Macht gewesen. Eine Verhandlung ließ Innozenz III. jedoch nicht zu. Otto führte 1215 und 1216 erfolglose Feldzüge gegen den dänischen König Waldemar, der die nordelbingischen Gebiete besetzt hielt. Im Jahre 1216 fielen auch die Bürger von Bremen und Köln von Otto ab, so dass sich sein Einflussbereich nur noch auf seinen braunschweigischen Hausbesitz beschränkte.

Testament und Tod

Der an einer ruhrartigen Infektion erkrankte Kaiser hielt sich ab dem 13. Mai 1218 auf der Harzburg auf. Aufgrund der raschen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes wurde Bischof Siegfried I. von Hildesheim herbeigeholt, der Otto am 15. Mai vom Kirchenbann befreite, seinen letzten Willen mit ihm beriet und als Zeuge am 18. Mai beglaubigte.[6] Die letzten Lebenstage Ottos sind in dem von einem Zisterzienser verfassten Augenzeugenbericht Narratio de morte Ottonis IV. imperatoris beschrieben. Otto setzte seinen Bruder Pfalzgraf Heinrich als Testamentsvollstrecker und Universalerben ein. Diesem übergab er die Reichsinsignien mit der Auflage, dieselben nach einer Wartezeit dem einstimmig gewählten König zu übergeben. Den Welfenschatz überließ er der Verwaltung der Braunschweiger Stiftskirche St. Blasius.

Otto IV. starb am 19. Mai und wurde im Beisein des Hildesheimer Bischofs nach Braunschweig überführt. Dort wurde er in der Stiftskirche St. Blasius neben seiner ersten Ehefrau Beatrix bestattet.

Wirkung

Otto hat eine bedeutende Rolle für die Geschichte der höfischen deutschen Literatur gespielt. Als Enkel des englischen Königspaares Heinrich II. und Eleonore von Aquitanien, die in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts den kulturell und literarisch wohl bedeutendsten Hof des christlichen Europa führten, und als an diesem Hof und unter der Obhut seines selbst als Troubadour brillierenden Onkels Richard Löwenherz aufgewachsen, muss Otto sowohl mit der anglonormannischen Sprache sowie mit der hochentwickelten mäzenatischen Kultur des Hauses Plantagenet vertraut gewesen sein. Seiner Mutter Mathilde darf man den Anstoß zur Übersetzung des französischen Rolandslieds ins Mittelhochdeutsche zuschreiben. In Ottos Umkreis oder zu Ottos Ehren entstanden die Otia imperialia des Gervasius von Tilbury und (höchstwahrscheinlich) Der Guote Gerhart des Rudolf von Ems. Auch Wolfram von Eschenbach scheint ihm und seinem angevinischen Erbe in seinem Parzival-Roman eine Reverenz zu erweisen.

Literatur

  • Odilo Engels: Die Staufer, 6. Aufl., Stuttgart 1994, S. 140–150
  • Herbert Grundmann: Wahlkönigtum, Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jahrhundert, Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, Band 5, 8. Aufl., München 1985, S. 17–38
  • Bernd Ulrich Hucker: Otto IV.. In: Neue Deutsche Biographie, Bd. 19, Nauwach-Pagel, Berlin 1999, S. 665–667
  • Bernd Ulrich Hucker: Otto IV. Der wiederentdeckte Kaiser. Eine Biographie. Frankfurt a. M. 2003.
  • Steffen Krieb: Vermitteln und Versöhnen. Konfliktregelung im deutschen Thronstreit 1198–1208. Köln 2000, ISBN 3-412-11199-6.
  • Thomas Ostwald: Welfenkaiser Otto IV., Ed. Corsar, Braunschweig 2009. ISBN 3-925320-12-1
  • Volker Mertens: Le mécénat de l'empereur Otton IV. In: Cours princières et châteaux. Hrsg. von Danielle Buschinger. Greifswald 1993, S. 143–164.
  • Hans Martin Schaller: Das geistige Leben am Hofe Kaiser Ottos IV. von Braunschweig. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 45 (1989), S. 54−82.
  • Eduard Winkelmann: Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig. Bd. 2 (Kaiser Otto IV. von Braunschweig, 1208-1218). Leipzig 1878, Neudruck Darmstadt 1963.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Peter Thorau: Otto IV. . In: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, dtv, München 2003, Sp. 1570
  2. Robert Favreau: Otto von Braunschweig und Aquitanien. In: Jochen Luckhardt, Franz Niehoff (Hrsg.): Heinrich der Löwe und seine Zeit, Band 2, Essays, München 1995, S. 368–376
  3. Herbert Grundmann: Wahlkönigtum, Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jahrhundert, Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, Band 5, 8. Aufl., München 1985, S. 29
  4. Knut Görich: Die Staufer. Herrscher und Reich. Beck Verlag, München 2006, S. 87
  5. Bernd Ulrich Hucker: Otto IV., der kaiserliche Sohn Heinrichs des Löwen. In: Jochen Luckhardt, Franz Niehoff (Hrsg.): Heinrich der Löwe und seine Zeit, Band 2, Essays, München 1995, S. 366
  6. Carl Schiller: Geschichte der Harzburg, Goslar 1861, S. 78–79

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