Paludes

Paludes

Paludes (frz. Paludes [Die Sümpfe]) ist eine Satire[1] von André Gide, die 1895[2] erschien.

Paludes ist die Geschichte eines sesshaften Junggesellen, der in einem Turm haust. Der Turm ist umgeben von Sümpfen. Der Junggeselle, Tityrus genannt wie bei Vergil, kann nicht reisen. Gesprochen wird über den normalen Menschen, genauer - über den liegenden Menschen Tityrus recubans [rückwärts lehnend liegen]. Paludes handelt auch noch von Tieren, die im Finstern dahinleben und die deshalb das Sehen gewöhnlich verlernt haben.

Inhaltsverzeichnis

Ort

Tityrus möchte Paris verlassen.[3]

Inhalt

Als der Erzähler gefragt wird, wer Tityrus sei, erwidert er: „Ich“. Er nimmt den Leser freimütig mit hinein in seine Dichterwerkstatt. Zunächst wird Paludes in Verse gesetzt. Darauf sucht und findet dieser Literat Epitheta zu einem embryologischen Begriff. Für „Schwammigkeit“ scheint jener Sprachforscher dann allerdings kein Epitheton zu finden. Nicht nur der Leser nimmt am Schaffensprozess teil, sondern auch Angèle, die Freundin des Autors. Ihr wird sodann ein besonderes dichterisches Verfahren zur Konzentration der Monotonie im Text plausibel gemacht. Der Erzähler nimmt für den Protagonisten Tityrus Personen aus seinem Bekanntenkreis und vereinzelt diese. Wahrheit entstehe nur durch Arrangieren der Ereignisse. Wenn der Dichter zudem Urteile tunlichst vermeide und lediglich bei der Schilderung bloßer Empfindungen bleibe, dann könne er sich überhaupt nicht irren.

Tityrus lebt in den Niederungen und geht dort auf Wegen, die weniger „schwammig“ sind, durch die Sümpfe. Auf Hügel steigen will er nicht, weil er weiß, was er dort sehen wird. Obwohl, ein Blick auf des Tages Trübe wäre auch von oben herab ganz reizvoll gewesen.

Unten gibt es nichts Neues. So fallen die Sätze des Erzählers als Wiederholung des Gestrigen aus. Seinem Freund Hubert erklärt der Autor geduldig das gerade entstehende Werk. Das wird garantiert etwas Rundes, Glattes, Ausgefülltes, Abgeschlossenes werden, in das nicht einmal mehr eine Stecknadel hineinpassen werden wird. Hingegen mit Seinesgleichen, den zahllosen Literaten in seinem näheren Umkreis, geht der Autor weniger nachsichtig um. Er verkehrt schriftlich mit ihnen. Man redet nicht, sondern tauscht bekritzelte Zettelchen aus. Doch man schenkt sich nichts. Einige Repräsentanten der übrigen intellektuellen Elite geben dem Autor zu verstehen, dass seine so genannte „zweckfreie Handlung“ abtrennbar, ja abschaffbar, sei. Man bespöttelt Paludes, dieses Buch über Schlammwürmer. Den Verfasser ficht das alles nicht an. Er stellt - wieder allein in der Studierstube, an die Adresse des Lesers gerichtet - klar: Die Ausführungen seien bildlich gesprochene Äquivalente seiner Gedanken. Unsicher ist er sich schon. Ob z.B. das gerade Niedergeschriebene gut sei, wisse er nicht.

Zu seiner Freundin Angèle möchte der Erzähler liebenswürdig sein. „Süße Angèle!“ ist das Höchste der Gefühle. Mehr kann er nicht artikulieren oder gar tun. Angèle geht nach einer misslungenen kleinen Reise auf ihn zu, aber er weist sie ab. Ihre Beziehung kann nicht flüchtig genug sein, sagt er der Frau ins Gesicht. Er und sie gehörten nach seiner Ansicht nicht zu den Fortpflanzungsfähigen. Angèle wirft ihm Grausamkeit vor. Er erwidert verzweifelt, zum intensiveren Leben - etwa so wie Freund Hubert - sei er unfähig.

Hubert, der hinzukommt, lacht den Erzähler aus, wundert sich darüber, wie „wenig impulsive Kraft“ der Freund besitzt. Darauf die Antwort des Erzählers, der Paludes inzwischen abgeschlossen hat: „Ich schreibe Polder.“[4]

Zitate

  • Der Erzähler teilt aus seinem Werk Paludes mit: „Die Wahrnehmung beginnt, wenn die Eindrücke wechseln, daher die Notwendigkeit einer Reise.“[5]
  • „Man kann nur unglücklich sein, wenn man sich sieht.“[6]

Selbstzeugnisse

  • Gide im Geleitwort: „Bevor ich andern mein Buch erkläre, erwarte ich, daß andere es mir erklären.“[7]
  • Vorbild für Angèle ist Gides Ehefrau Madeleine[8].

Rezeption

  • Das Buch wurde nach seinem Erscheinen zunächst nicht beachtet.[9]
  • Der „Held des Buches“ ist ein „schwacher, unfruchtbarer, zweifelnder und vom Leben erschreckter Mensch.“[10] Paludes ist „eine Satire auf die seßhaften, kleinmütigen Biedermänner.“[11]
  • „Variationen über das Nichts“[12]: Zeltner stellt in ihrem Nachwort[13] heraus, der Ich-Erzähler schreibt über den Sumpf, das „Symbol des Form- und Wesenlosen.“ Aus dieser Wesenlosigkeit wird allerdings „etwas sehr Wesentliches: eine der gelungensten modernen Erzählungen.“[14] Der Erzähler verspottet die Literaten und auch sich selbst. Das Buch handelt von einem, der Paludes schreibt, der an sich selbst zweifelt. Der Erzähler lässt seine Freunde ab und zu über Paludes reden und kreiert somit den impliziten Leser.

Deutsche Ausgaben

Quelle
  • Raimund Theis (Hrsg.), Peter Schnyder (Hrsg.): André Gide: Paludes. Aus dem Französischen übertragen von Gerda Scheffel. S. 245 - 313. Grundlage der Übersetzung waren zwei Ausgaben der Éditions Gallimard/Paris aus den Jahren 1920 und 1926[15]. Mit einem Nachwort von Gerda Zeltner: „Zu Paludes“. S. 545 - 552. Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Band VII/1, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1991. 587 Seiten, ISBN 3-421-06467-9
Deutschsprachige Erstausgabe
  • André Gide: Paludes (Die Sümpfe). Deutsche vom Verfasser genehmigte und durchgesehene Ausgabe. Übersetzer: Felix Paul Greve. J.C.C. Bruns' Verlag Minden 1905. 124 Seiten. Leinen
Sekundärliteratur
  • Renée Lang: André Gide und der deutsche Geist (frz. André Gide et la Pensée Allemande). Übersetzung: Friedrich Hagen. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1953. 266 Seiten
  • Günter Krebber: Untersuchungen zur Ästhetik und Kritik André Gides. Kölner Romanistische Arbeiten. Neue Folge. Heft 13. Genf und Paris 1959. 171 Seiten
  • Claude Martin: André Gide. Aus dem Französischen übertragen von Ingeborg Esterer. Rowohlt 1963 (Aufl. Juli 1987). 176 Seiten, ISBN 3-499-50089-2
  • Hans Hinterhäuser (Hrsg.), Peter Schnyder (Hrsg.), Raimund Theis (Hrsg.): André Gide: Et nunc manet in te. Aus dem Französischen übertragen von Maria Schäfer-Rümelin. S. 431 - 477. Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Band IV/4, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1990. 709 Seiten, ISBN 3-421-06464-4

Einzelnachweise

  1. Quelle, S. 246, 3. Z.v.o.
  2. Martin, S. 157
  3. Quelle, S. 272, 18. Z.v.o.
  4. Quelle, S. 311, 1. Z.v.u.
  5. Quelle, S. 274, 6. Z.v.o.
  6. Quelle, S. 275, 8. Z.v.u.
  7. Quelle, S. 247, 1. Z.v.o.
  8. Hinterhäuser, S. 443, 17. Z.v.o.
  9. Krebber, S. 39, 16. Z.v.o.
  10. Martin, S. 63, 22. Z.v.o.
  11. Lang, S. 170, 8. Z.v.o.
  12. Quelle, S. 550, 1. Z.v.o.
  13. Quelle, S. 545 - 552
  14. Quelle, S. 552, 10. Z.v.o.
  15. Quelle, S. 6

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