Paul Thomas Mann

Paul Thomas Mann
Thomas Mann, 1937
Foto von Carl van Vechten
Thomas Manns Unterschrift

Paul Thomas Mann (* 6. Juni 1875 in Lübeck; † 12. August 1955 in Zürich) war ein deutscher Schriftsteller.

Thomas Mann zählt zu den bedeutendsten Erzählern deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Er knüpft an die Erzähltechniken des 19. Jahrhunderts an, vor allem an den weit ausholenden Gestus Tolstois und die Symbole und Leitmotive im Werk Fontanes und Richard Wagners. Charakteristisch für Thomas Manns Prosa sind ironische Haltung und „heitere Ambiguität“ (Tagebuch 13. Oktober 1953). Mit zunehmender künstlerischer Reife werden Allegorien und mythologische Motive verwendet. Seine durch Nebensätze und Einfügungen hoch verschränkte Erzählweise bewahrt Balance und Rhythmus. Der Sprachstil ist der jeweiligen Thematik angepasst. Die kalkulierte Wahl des Wortes erreicht höchste sprachliche Prägnanz. Für seinen ersten Roman Buddenbrooks (1900, erschienen 1901) erhielt er 1929 den Nobelpreis für Literatur.

Sein älterer Bruder Heinrich und drei seiner sechs Kinder, Erika, Klaus und Golo, waren ebenfalls bedeutende Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Leben

1875 bis 1913

Die frühen Jahre

Thomas Johann Heinrich Mann
Julia Mann

Thomas Mann, der jüngere Bruder von Heinrich Mann (1871–1950), war Sohn des Kaufmanns und Lübecker Senators Thomas Johann Heinrich Mann. Seine Mutter Julia (geborene da Silva-Bruhns) war mütterlicherseits brasilianischer Herkunft.

Aus der Ehe gingen noch die Kinder Julia (1877–1927, Freitod), Carla (1881–1910, Freitod) und Viktor (1890–1949) hervor. Die Familie zählte zu den ersten Kreisen Lübecks. Seine Kindheit hat Thomas Mann später als „gehegt und glücklich“ bezeichnet.

1891 starb Thomas Manns Vater an Blasenkrebs. In seinem Testament hatte er verfügt, Unternehmen und Wohnhaus in Lübeck zu verkaufen. Die Erlöse wurden angelegt. Seiner Frau und den Kindern standen die Zinsen für ihren Lebensunterhalt zu.

Thomas Mann schilderte seine Schulzeit als stumpfsinnig. Schon früh begann er zu schreiben und beteiligte sich 1893 mit Prosaskizzen und Aufsätzen an der von ihm mit herausgegebenen Schülerzeitschrift Der Frühlingssturm. Einen Brief an Frieda L. Hartenstein von 1889 unterschrieb der Vierzehnjährige mit „Thomas Mann. Lyrisch-dramatischer Dichter“. 1894 verließ er als Obersekundaner vorzeitig das Katharineum zu Lübeck und ging nach München, wohin die Mutter schon ein Jahr zuvor mit den Geschwistern gezogen war.

Sein Vormund Krafft Tesdorpf, der seit dem Tod des Vaters für die noch nicht volljährigen Kinder bestellt war, bestimmte, dass Thomas Mann nach dem Abgang von der Schule einen bürgerlichen Beruf ergreifen sollte. Er nahm deshalb eine Stelle als Volontär in einer Feuerversicherungsgesellschaft an, obwohl die Bürotätigkeit ihn langweilte. Sein Debüt als Schriftsteller gab er 1894 mit der Novelle Gefallen. Sie wurde in dem literarischen Magazin Die Gesellschaft veröffentlicht, die schon 1893 sein Gedicht Zweimaliger Abschied publiziert hatte. Daraufhin wurden ihm weitere Veröffentlichungen in der Kunstzeitschrift Pan angeboten.[1]

Aufgrund dieses ersten Erfolges kündigte Thomas Mann 1895 seine Tätigkeit bei der Versicherungsgesellschaft und begann, Vorlesungen an der Technischen Hochschule München zu besuchen, um später einen journalistischen Beruf auszuüben. 1896 war er mit 21 Jahren volljährig geworden und erhielt monatlich 180 Goldmark aus den Zinsen des väterlichen Vermögens, was ihm ein Leben als freier Schriftsteller ermöglichte. Von 1895 bis 1896 verfasste Thomas Mann Beiträge für die nationalkonservative Monatsschrift Das Zwanzigste Jahrhundert – Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt, deren zeitweiliger Herausgeber Heinrich Mann war.

Erste Buchveröffentlichungen

Heinrich und Thomas Mann, um 1900

1897 folgte er seinem Bruder Heinrich nach Italien. Sie mieteten sich in dem östlich von Rom liegenden Ort Palestrina ein. Gemeinsam verfassten sie dort das Bilderbuch für artige Kinder. Es enthielt parodistische „Kunstgedichte“ neben eigenhändigen Zeichnungen. Die Brüder schenkten es ihrer Schwester Carla zur Konfirmation. Das Unikat gelangte nach Carlas Tod in den Besitz des jüngsten Bruders Viktor, der es später den Kindern von Thomas Mann übergab. Seit der Emigration der Familie 1933 gilt es als verschollen; nur Gedichte, die Viktor Mann in seinen Memoiren Wir waren fünf zitierte, und einige Reproduktionen der Zeichnungen blieben von dem einzigen Gemeinschaftswerk der beiden Brüder erhalten.

Thomas Mann schrieb in Palestrina einige Novellen, unter anderem Der kleine Herr Friedemann, und begann mit dem Roman Buddenbrooks.

Seine sporadische Mitarbeit an dem Organ Das Zwanzigste Jahrhundert – Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt stellte Thomas Mann nach seiner Rückkehr ein, da der völkische Grundton sowie darin enthaltene antisemitische Anklänge ihm missfielen. Stattdessen arbeitete er 1898 ein Jahr lang in der Redaktion des Simplicissimus.

1900 wurde er als „Einjährig-Freiwilliger“ zum Dienst im Münchner Leibregiment eingezogen. Seine militärische Laufbahn endete nach drei Monaten wegen Dienstuntauglichkeit – einem Erlebnis, das man in der Musterungsszene in den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull widergespiegelt finden kann.

„Buddenbrooks“, Verlagseinbände des Erstdrucks von 1901

1901 wurde Manns erster Roman Buddenbrooks veröffentlicht. Die zweibändige Erstausgabe stieß nur vereinzelt auf Resonanz. Die einbändige zweite Auflage von 1903 brachte den Durchbruch und machte Thomas Mann in der Öffentlichkeit bekannt.

Einige Figuren des Romans haben Vorbilder aus der Familiengeschichte der Manns, viele Nebenfiguren sind Lübecker Bürgern nachgestaltet. Die Porträtierten waren oft wegen der ironisierenden Darstellung nicht begeistert, sich im Buch wiederzufinden. Bald kursierte eine Liste, die die lebenden Vorbilder identifizierte; eine Lübecker Buchhandlung lieh ihrer Kundschaft die Liste aus. Das Verhältnis der Lübecker zu ihrem prominenten Mitbürger war deshalb lange Zeit gespannt.

1929, 28 Jahre nach seinem Erscheinen, erhielt Thomas Mann für Buddenbrooks den Nobelpreis für Literatur.

Private Wege

1903 zeichneten sich erste Missstimmungen zwischen den Brüdern ab. Obwohl Thomas Mann sich als Schriftsteller in der Öffentlichkeit etabliert hatte, fühlte er sich von seinem Bruder als Künstler zurückgesetzt und kritisierte seinerseits die „langweilige Schamlosigkeit“ in dessen Büchern. Insbesondere Heinrich Manns gerade veröffentlichter Roman Die Jagd nach Liebe erregte bei ihm Abscheu und Widerwillen.[2] Der Kontakt brach zwar nicht völlig ab, auch kam es immer wieder zu Annäherungsversuchen, ein künstlerischer Austausch fand jedoch nicht mehr statt.

Katia Mann, 1905

1904 lernte Thomas Mann Katharina „Katia“ Pringsheim (Enkelin der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm) kennen und begann, um sie zu werben. In seinen Briefen und Tagebüchern sind bis dahin nur homoerotische Schwärmereien dokumentiert, so schrieb er noch 1901 über Paul Ehrenberg an seinen Bruder Heinrich „Das Ganze ist Metaphysik, Musik und Pubertätserotik: – ich komme nie aus der Pubertät heraus.“[3]. Er lebte seine Homosexualität jedoch nie aus, es blieb bei Schwärmereien für „Jünglinge“, die unter anderem in den Buddenbrooks (Hanno/Kai Graf Mölln), in Tonio Kröger (Tonio Kröger/Hans Hansen) und in Der Tod in Venedig (Gustav von Aschenbach/Tadzio) ihren Niederschlag fanden.

Mit dem Entschluss Katia Pringsheim zu heiraten, entschied er sich für ein „geordnetes“ Leben und heiratete in eine der angesehensten Familien Münchens ein. Katia zögerte zunächst, so dass sich die Eheschließung bis zum 11. Februar 1905 hinauszögerte. In seinem zweiten Roman Königliche Hoheit von 1909 hat Thomas Mann die Brautzeit literarisch verarbeitet. Mit ihr hatte er die sechs Kinder Erika (1905–1969), Klaus (1906–1949, Freitod), Golo (1909–1994), Monika (1910–1992), Elisabeth (1918–2002) und Michael (1919–1977) Mann.

1912 äußerten Ärzte bei Katia den Verdacht auf Tuberkulose, was einen längeren Sanatoriums-Aufenthalt in Davos erforderlich machte. Thomas Mann war, als er sie dort besuchte, angetan von der Atmosphäre des Sanatoriums, der Klientel und von Katias Schilderungen über sie. Sie inspirierten ihn zu dem Roman Der Zauberberg, den er 1913 begann, aber erst 1924 vollenden sollte; 1915 unterbrach er die Arbeiten daran.

1914 bis 1929

Der Erste Weltkrieg

Die Sommervilla von Thomas Mann in Bad Tölz
Nachbau der ehemaligen Villa Thomas Manns im Münchner Stadtteil Herzogpark

Im Jahr 1914 zog die Familie Mann in ihr bekanntes Haus in der Poschingerstraße 1 am Herzogpark. Als im selben Jahr der Erste Weltkrieg ausbrach, gab es Literaten, die der allgemeinen Stimmung im Deutschen Reich nicht widersprachen. Der Krieg wurde begrüßt, gar bejubelt. Alfred Kerr, Robert Musil, Richard Dehmel und Gerhart Hauptmann zeigten sich von der Richtigkeit des Geschehens überzeugt. Thomas Mann vertrat nur einen eher verhaltenen Patriotismus. Er schrieb an seinen Bruder Heinrich:

„Ich persönlich habe mich auf eine vollständige Veränderung der materiellen Grundlagen meines Lebens vorzubereiten. Ich werde, wenn der Krieg lang dauert, mit ziemlicher Bestimmtheit das sein, was man ‚ruiniert‘ nennt.“

Und er fährt später fort:

„In Gottes Namen! Was will das besagen gegen die Umwälzungen, namentlich die seelischen, die solche Ereignisse im Großen zur Folge haben müssen! Muß man nicht dankbar sein für das vollkommen Unerwartete, so große Dinge erleben zu dürfen?“

Thomas Mann hielt den Krieg prinzipiell für notwendig, galt es doch aus seiner Sicht, den „verworfensten Polizeistaat der Welt“ – das zaristische Russland„zu zerschlagen“.

In seinen Gedanken im KriegeReflexionen zum Gegenstand des Krieges – verteidigte der Dichter seine militaristischen Standesbrüder. Den Kontakt zu Heinrich, der sich wie Stefan Zweig, Hermann Hesse, Arthur Schnitzler und Romain Rolland gegen das Geschehen stemmte, hatte er inzwischen ganz abgebrochen.

Die Weimarer Republik

Thomas Mann im Hotel Adlon, 1929

Die Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau am 24. Juni 1922 war mitauslösend für Manns Entscheidung, öffentlich für die Republik und ihre Werte einzutreten. Mit seiner Rede Von deutscher Republik trat er zum ersten Mal als politischer Mahner und Befürworter der neuen Staatsform hervor. Demokratie und Humanität, so Mann, seien eins, und da der Mensch dem Prinzip der Humanität folgen solle, habe er also nach einem demokratischen Zusammenleben zu streben. Er wurde auch Mitglied der liberaldemokratischen Deutschen Demokratischen Partei.

1924 veröffentlichte der Dichter seinen Roman Der Zauberberg. Er war auf Anhieb ein großer Erfolg. Danach kam Unordnung und frühes Leid und Über die Ehe. 1925 begann der Autor mit der Arbeit an der Tetralogie Joseph und seine Brüder. Modell für die Konturen Josephs standen die jungen Menschen, von denen der Schriftsteller sich verzaubert fühlte. Auch der siebzehnjährige Klaus Heuser, ein Freund seiner Kinder, den Thomas Mann 1927 kennenlernte und über den er notierte, er sei seine „nach menschlichem Ermessen letzte Leidenschaft“, dürfte in die Figur des Joseph eingeflossen sein.

Thomas Mann beteiligte sich als Gründungsmitglied der Sektion Dichtkunst bei der Preußischen Akademie der Künste unmittelbar an Versuchen, das Ansehen der Literatur zu heben. Insbesondere wandte er sich gegen das damals geltende „Schmutz- und Schundgesetz“, das die schriftstellerische Freiheit einschränkte. In der Karikatur Die Dichterakademie arbeitet wird unter anderem Thomas Mann als Kopist gewisser Elemente aus den Werken von Gerhart Hauptmann verspottet: Man sieht, wie er dem naturalistischen Autor beim Schreiben über die Schulter sieht, selbst Papier und Feder in der Hand.

Der Nobelpreis 1929

Thomas Manns Sommerhaus auf dem „Schwiegermutterberg“ in Nidden

Der Nobelpreis für Literatur war für Mann keine Überraschung. Bereits Jahre zuvor war spekuliert worden, dass er ihn bekommen könnte, er selbst hatte schon 1927 darauf gehofft. Am Nachmittag des 12. November 1929 erreichte ihn die Nachricht aus Stockholm. Er war konsterniert, dass sich das Komitee praktisch nur auf Buddenbrooks bezog. Grund war der Stockholmer Königsmacher, der Schwede Fredrik Böök, der dem Roman Der Zauberberg keine Wertschätzung entgegenbringen mochte und ihn mehrfach verrissen hatte. Das Preisgeld betrug 200.000 Reichsmark. Einen Teil davon verwendete Mann, um die Schulden seiner Kinder Klaus und Erika nach ihrer Weltreise zu tilgen, außerdem wurde das Haus bezahlt, der Bau des Sommerhauses in Nidden auf der Kurischen Nehrung davon bezahlt, zwei Autos angeschafft und der Rest angelegt. Schon in Stockholm hatte ein Journalist den Manns nahegelegt, das Geld „draußen stehenzulassen“, aber sie verstanden nicht, weshalb. Als sie 1933 aus Deutschland emigrierten, verloren sie einen großen Teil ihres Vermögens, namentlich ihren Immobilien- und anderen Sachbesitz.

1930 bis 1944

Die „Deutsche Ansprache“

„Deutsche Ansprache“, Original-Broschur des Erstdrucks von 1930
Thomas Mann, 1932

Die Reichstagswahl 1930 hatte den Nationalsozialisten einen gewaltigen Stimmenzuwachs beschert. Thomas Mann, der wie viele andere Skeptiker die politische Kraft der NSDAP mit Misstrauen beobachtet hatte, entschloss sich zu einem Appell an die Vernunft, einer Rede, die er am 17. Oktober 1930 im Berliner Beethovensaal hielt und die als „Deutsche Ansprache“ in die Geschichte einging. Unter das vorwiegend republikanische und sozialdemokratische Publikum hatte sich ein Dutzend Nationalsozialisten gemischt, die versuchten, durch Zwischenrufe zu stören. Das gelang ihnen jedoch nicht. Thomas Mann nannte den Nationalsozialismus in nüchterner Unumwundenheit „eine Riesenwelle exzentrischer Barbarei und primitiv-massendemokratischer Jahrmarktsrohheit“ und „Massenkrampf, Budengeläut, Halleluja und derwischmäßiges Wiederholen monotoner Schlagworte, bis alles Schaum vorm Munde hat“. Er fragte, ob das deutsch sei und ob „das Wunschbild einer primitiven, blutreinen, herzens- und verstandesschlichten, hackenzusammenschlagenden, blauäugig gehorsamen und strammen Biederkeit, diese vollkommene nationale Simplizität in einem reifen, vielerfahrenen Kulturvolk wie dem deutschen“ überhaupt verwirklicht werden könne. Der Beifall im Saal war groß, drang aber nicht nach draußen durch. Thomas Mann zählte zu den wichtigsten prominenten Gegnern des Nationalsozialismus, und seine Stimme hatte wegen seines hohen Ansehens im Ausland großes Gewicht, aber seine zahlreichen Appelle verhallten ungehört.

Im Februar 1933 jährte sich Richard Wagners Todestag zum 50. Mal. Mann erreichten mehrere Einladungen, aus diesem Anlass einen Vortrag zu halten. Am 10. Februar hielt er diesen, Leiden und Größe Richard Wagners, zunächst im Auditorium Maximum der Universität München, um tags darauf mit seiner Frau eine längere Reise ins Ausland anzutreten: Die Vortragsreise führte sie nach Amsterdam, Brüssel und Paris, danach folgte ein Winterurlaub in Arosa – auch auf Drängen von Erika und Klaus Mann sollten sie von dieser Reise nicht mehr nach München zurückkehren. Als alle Mitglieder der Sektion Dichtkunst bei der Preußischen Akademie der Künste aufgefordert wurden, gegenüber der nationalsozialistischen Regierung eine Treueerklärung abzugeben, erklärte Mann mit einem Schreiben an den Akademie-Präsidenten Max von Schillings vom 17. März 1933 seinen Austritt. Von der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 blieben seine Werke zwar verschont, nicht aber die seines Bruders Heinrich und seines Sohnes Klaus Mann.

Erste Jahre im Exil

Der Entschluss, Deutschland den Rücken zu kehren, fiel den Manns nicht leicht, da sie ihr Sachvermögen zurücklassen mussten. Nur ein Teil davon konnte später auf Umwegen in die Schweiz geschafft werden. Zu finanziellen Engpässen kam es jedoch nicht, da sie rechtzeitig einen erheblichen Teil des Stockholmer Preisgeldes und auch Bargeld aus Deutschland in die Schweiz transferieren konnten.

Thomas Manns Verleger hatte ihn inständig gebeten, die Deutschen in dieser schweren Stunde nicht alleinzulassen, und sich bereit erklärt, seine Neuerscheinungen auch weiterhin zu veröffentlichen.

Die erste Station des Exils war Sanary-sur-Mer in Frankreich. Thomas Mann stand hier eine depressive Erkrankung durch, ausgelöst durch die Entwurzlung. [4] Letztlich zogen die Manns aber in die Schweiz und wohnten in Küsnacht in der Nähe von Zürich. Die Bewegungsfreiheit des Dichters verringerte sich, da sein deutscher Pass ablief und die Nazis dessen Verlängerung von Manns persönlichem Erscheinen in München abhängig machten. Dort wartete bereits ein „Schutzhaftbefehl“ auf ihn. Das Ausbürgerungsverfahren, von dem ab August 1933 emigrierte Prominente betroffen waren, wurde in seinem Fall zunächst ausgesetzt. Allerdings nutzten die Finanzbehörden die Gelegenheit, um in München sein Haus einschließlich Inventar zu beschlagnahmen. Sie beriefen sich auf Verlagsverträge, aus denen sich angeblich eine erhebliche Steuerschuld des Dichters aus den Jahren 1929–1930 ergab.

1934 und 1935 reisten die Manns die ersten beiden Male in die Vereinigten Staaten. Die US-Amerikaner waren an dem prominenten Schriftsteller interessiert und gewährten ihm ohne gültigen Pass die Einreise. Seinen sechzigsten Geburtstag beging Thomas Mann in Küsnacht, er wurde von den Schweizern überwältigend gefeiert. Am 19. November 1936 wurde ihm auf seinen Antrag hin im tschechischen Konsulat die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verliehen. Im Tagebuch vermerkt er dazu knapp: „Sonderbares Ereignis.“ Wenige Wochen später wurde ihm – gleichzeitig mit seiner Frau Katia und den Kindern Golo, Elisabeth und Michael – die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Zugleich entzogen die Nazis ihm die Ehrendoktorwürde, die ihm 1919 von der Universität Bonn verliehen worden war und in die er am 13. Dezember 1946 wieder eingesetzt wurde.

In den 1930-er Jahren besuchte der Dichter auch sechsmal Ungarn und wohnte dort u. a. beim Grafen Lajos Hatvany in Hatvan bei Budapest. Hier publizierte er mehrmals Texte in der 1854 gegründeten ungarischen deutschsprachigen Zeitung Pester Lloyd, so u.a. 1936 den Essay Achtung, Europa!.

„Wo ich bin, ist Deutschland“

Princeton University

Die endgültige Übersiedlung Thomas Manns und der Seinen in die USA fiel zeitlich mit dem Berchtesgadener Abkommen zusammen, das zum Anschluss Österreichs an Deutschland führen sollte. Bei der Ankunft in New York am 21. Februar 1938 baten ihn Reporter daher um eine Stellungnahme zu jener Entwicklung und fragten ihn, ob er das Exil als eine schwere Last empfinde. Seine Antwort wurde am nächsten Tag in der New York Times abgedruckt:

„It is hard to bear. But what makes it easier is the realization of the poisoned atmosphere in Germany. That makes it easier because it’s actually no loss. Where I am, there is Germany. I carry my German culture in me. I have contact with the world and I do not consider myself fallen.“
(Es ist schwer zu ertragen. Aber was es leichter macht, ist die Vergegenwärtigung der vergifteten Atmosphäre, die in Deutschland herrscht. Das macht es leichter, weil man in Wirklichkeit nichts verliert. Wo ich bin, ist Deutschland. Ich trage meine deutsche Kultur in mir. Ich lebe im Kontakt mit der Welt und ich betrachte mich selbst nicht als gefallenen Menschen.)

Erste Station des Exils in den USA war Princeton. Thomas Mann erhielt, vermittelt durch seine Gönnerin Agnes E. Meyer, eine Gastprofessur an der dortigen Universität. Zugleich arbeitete er an seinem Roman über Goethe, der 1939 unter dem Titel Lotte in Weimar erschien.

„Deutsche Hörer!“

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 löste Bestürzung im In- und Ausland aus und bewog Thomas Mann zu zahlreichen Aktivitäten. Er war Mitglied in mehreren Ausschüssen, die Emigranten unterstützten, unter anderem im Unitarian Service Committee und im Committee for Jewish and Christian Refugees. 1940 begann er mit der Radiosendung „Deutsche Hörer!“. In monatlichen Abständen ausgestrahlt, wurden seine warnenden und stark gefühlsmäßig gefärbten Ansprachen in Kalifornien auf Platte aufgezeichnet und dann mit Luftpost nach New York gebracht. Per Kabel übertrug man sie von dort nach London, wo die BBC die fünf- bis achtminütigen Aufnahmen über Langwelle auch auf das Gebiet von Deutschland ausstrahlte. Die Alliierten banden diese Versuche, das Monopol der deutschen Rundfunkanstalt von außen zu durchbrechen, in ihre allgemeine Demoralisierungstaktik und Propaganda gegenüber dem Dritten Reich ein. Ein Hinweis darauf sind bereits die Worte „Deutsche Hörer!“, die allein schon suggerieren, die Sendung werde bei der deutschen Bevölkerung ankommen und Zuspruch finden. Und vor dem Hintergrund der Totalität des Nationalsozialismus waren sie tatsächlich erfolgreich. Der Zuhörer waren zwar nur wenige, dafür aber treue.

Kriegsflugblatt mit einem Beitrag von Thomas Mann, 1943

Die Einnahmen aus der Sendung spendete Mann dem British War Relief Fund. Eine der bekanntesten seiner Ansprachen ist die Sendung vom 14. Januar 1945:

„Wäre dieser Krieg zu Ende! Wären die grauenhaften Menschen erst beseitigt, die Deutschland hierhin gebracht haben, und könnte man anfangen, an einen Neubeginn des Lebens, an ein Forträumen der Trümmer, der inneren und äußeren, an den allmählichen Wiederaufbau, an eine verständige Aussöhnung mit den anderen Völkern und ein würdiges Zusammenleben mit ihnen zu denken! – Ist es das, was Ihr wünscht? Spreche ich damit Eure Sehnsucht aus? Ich glaube es. Ihr seid des Todes, der Zerstörung, des Chaos übersatt, wie sehr Euer Heimlichstes zeitweise danach verlangt haben möge. Ihr wollt Ordnung und Leben, eine neue Lebensordnung, wie düster und schwer sie sich für Jahre auch anlassen wird.“

Mann wählte nicht von ungefähr eine so apokalyptische Ausdrucksweise. Allerdings machte er aus Hitler und seinen später als „Paladine“ bekannt gewordenen Helfern in bissigen Teilen der Sermone auch Witzfiguren, um eine allzu starke Dämonisierung zu vermeiden: „Nun denn, der Krieg ist schrecklich, aber den Vorteil bringt er mit sich, dass er Hitlern davon abhält, Kulturreden zu halten.“ In den Ansprachen wechselten sich moralische und bürgerlich-soziale Distanzierungen häufig ab.

Thomas Mann war einer von nur wenigen in der Öffentlichkeit aktiven Gegnern des Nationalsozialismus, auf die der deutsche Diktator namentlich in seinen Hetzreden einging. Mann revanchierte sich mit Anspielungen auf die rhetorischen Schwächen des „Führers“ und betonte die Richtigkeit seiner eigenen Vorhersagen:

„Deutsche Hörer! … Ich suchte mit meinen schwachen Kräften hintan zu halten, was kommen musste … – Den Krieg, an dem eure lügenhaften Führer Juden und Engländern und Freimaurern und Gott weiß wem die Schuld geben, während er doch für jeden Sehenden gewiss war von dem Augenblick an, wo sie zur Macht kamen und die Maschine zu bauen begannen, mit der sie Freiheit und Recht niederzuwalzen gedachten.“

Die unter dem Namen „Deutsche Hörer!“ bekannt gewordenen Radiosendungen boten nach dem Krieg in Deutschland viel Diskussionsstoff. Während einige behaupteten, Thomas Mann habe in seinen Reden eine Kollektivschuld aller Deutschen suggeriert, vertraten andere die Meinung, er sei lediglich mit der Mentalität der Weimarer Republik und dem sozialen Klima in den ersten Jahren des Nationalsozialismus sehr hart ins Gericht gegangen.

Lebensbeichte

1941 waren die Manns nach Pacific Palisades, gelegen zwischen Santa Monica und Malibu, nördlich von Los Angeles/Kalifornien, übergesiedelt. Dort lebten sie zunächst in einem gemieteten Haus am Amalfi Drive, bevor sie ein eigens errichtetes Wohnhaus am San Remo Drive beziehen konnten. Der Versuch, die US-amerikanische Staatsbürgerschaft zu erlangen, gelang der Familie erst 1944. In den Jahren 1943 bis 1947 – unterbrochen 1946 durch eine schwere Lungenkrebserkrankung, die in Chicago operativ behandelt wurde – arbeitete Mann an Doktor Faustus. Für dieses Projekt hatte er im Vorfeld musikwissenschaftliche Lehrbücher sowie Biografien über Mozart, Beethoven, Berlioz, Hugo Wolf bis hin zu Alban Berg studiert. Mit zeitgenössischen Komponisten wie Strawinsky, Hanns Eisler und Arnold Schönberg nahm er Kontakt auf, um sich in Sachen Musikkomposition unterweisen zu lassen. Adorno lebte damals in der Nachbarschaft und beriet Thomas Mann gern und ausführlich, wie Katia Mann in ihren Ungeschriebenen Memoiren berichtet. Dokumentarisches und Historiografisches aus der Luther-Zeit und dem Dreißigjährigen Krieg gehörten ebenso zur Vorbereitung des Romans wie Grimmelshausen und Sprichwörtersammlungen des Mittelalters. Er nannte das Buch seine „Lebensbeichte“ und schrieb später:

„[Serenus] Zeitbloom ist eine Parodie meinerselbst. In Adrians Lebensstimmung ist mehr von meiner eigenen, als man glauben sollte – und glauben soll.“

1945 bis 1955

Thomas Mann und das Nachkriegsdeutschland

Als einige Zeitungen nach Ende des Kriegs Thomas Mann als ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland ins Gespräch brachten, wies dieser das Ansinnen erschrocken von sich, meinte aber selbstbewusst – und in einem für ihn typischen Anflug von Ironie: „Ich habe ein gewisses fürstliches Talent zum Repräsentieren – wenn ich einigermaßen frisch bin“. Ob er die Idee, das Amt zu übernehmen, jemals ernsthaft in Erwägung gezogen hätte, bleibt fraglich, denn Mann selbst hatte zwischen sich und Nachkriegsdeutschland einen Keil getrieben: In seinem offenen Brief Warum ich nicht nach Deutschland zurückkehre vertrat er die These von der Kollektivschuld der Deutschen. Drohbriefe und Verrisse seines Doktor Faustus waren die Folge. Die Bombardierung deutscher Städte während des Zweiten Weltkrieges kommentierte er mit den Worten: „Alles muß bezahlt werden.“ Es mussten einige Jahre vergehen, bis sich in der deutschen Öffentlichkeit wieder eine versöhnlichere Haltung gegenüber Thomas Mann einstellte.

Rückkehr nach Europa

Von den USA war Thomas Mann nach dem Tod des US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt im Jahr 1945 zunehmend enttäuscht. Sein Entschluss, nach Europa zurückzukehren, verfestigte sich, als er im Juni 1951 vor dem Repräsentantenhaus im Kongress als „one of the world’s foremost apologists for Stalin and company“ (einer der weltweit bedeutendsten Verteidiger von Stalin und Genossen) bezeichnet wurde. Er musste (wie schon zuvor die deutschen Emigranten Hanns Eisler und Bertolt Brecht) Rechenschaft über seine Aktivitäten vor dem Komitee für unamerikanische Aktivitäten ablegen. Genau ein Jahr später, im Juni 1952, kehrten die Manns mit Tochter Erika in die Schweiz zurück, wo sie zunächst in einem gemieteten Haus in Erlenbach bei Zürich, ab 1954 dann in der angekauften Villa in Kilchberg, Alte Landstraße 39, über dem Zürichsee lebten.

Mann während seines Besuchs in Weimar, 1949

Schon 1949 hatte Thomas Mann anlässlich der Feiern zu Goethes 200. Geburtstag Deutschland einen Besuch abgestattet, und zwar in Frankfurt am Main wie auch in Weimar, was von der Öffentlichkeit misstrauisch beäugt, von Mann jedoch mit dem Satz kommentiert wurde: „Ich kenne keine Zonen. Mein Besuch gilt Deutschland selbst, Deutschland als Ganzem, und keinem Besatzungsgebiet.“

Die Deutschland-Besuche von der Schweiz aus wurden zu einer festen Einrichtung. 1954 setzte Thomas Mann die 1922 begonnene Arbeit am Roman Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull fort – er blieb letztlich ein Fragment. Zum 150. Todestag von Friedrich Schiller 1955 veröffentlichte Mann den Essay Versuch über Schiller und hielt diesbezüglich einige Reden. 1955 besuchte er ein letztes Mal seine Vaterstadt Lübeck und bekam im Rahmen dieses Aufenthaltes die Ehrenbürgerwürde verliehen. In seiner Dankesrede nahm er Bezug auf seinen Vater, den ehemaligen Senator:

„Ich kann wohl sagen, sein Bild hat immer im Hintergrunde gestanden all meines Tuns, und immer habe ich es bedauert, daß ich ihm zu seinen Lebzeiten so wenig Hoffnung machen konnte, es möchte aus mir in der Welt noch irgend etwas Ansehnliches werden. Desto tiefer ist die Genugtuung, mit der es mich erfüllt, daß es mir gegönnt war, meiner Herkunft und dieser Stadt, wenn auch auf ausgefallene Weise, doch noch etwas Ehre zu machen.“
Die Beisetzung Thomas Manns auf dem Kilchberger Friedhof.
Grab von Thomas, Katia, Erika, Monika, Michael und Elisabeth Mann auf dem Friedhof Kilchberg

Im Juli 1955 hielt sich Thomas Mann zusammen mit seiner Frau im holländischen Seebad Noordwijk auf. Am 18. Juli erwähnte er ihr gegenüber erstmalig einen ziehenden Schmerz im linken Bein, der ihm „kürzlich angeflogen“ sei und nun beginne, ihm lästig zu fallen. Die hinzugezogenen Ärzte diagnostizierten eine Beinvenenthrombose und verordneten Bettruhe. Am 23. Juli erfolgte die vorzeitige Rückkehr nach Zürich zur weiteren Behandlung. Im dortigen Kantonsspital unter der Fürsorge der Ärzte – und nicht zuletzt auch der ausdauernden Gegenwart seiner Frau Katia – stellte sich kurzfristig eine Besserung seines Zustandes ein. Sich auf seine Rückkehr nach Kilchberg freuend, schrieb er an Theodor W. Adorno: „Pazienza! Es ist ja Zauberberg-Zeit, in die ich eingetreten bin.“ Jedoch folgte innerhalb von Tagen eine stetige Verschlechterung: er verlor an Gewicht und litt zunehmend unter Kreislaufschwäche. Am 12. August 1955 verstarb Thomas Mann achtzigjährig im Zürcher Kantonsspital an einer Ruptur der unteren Bauchschlagader (Aorta abdominalis) infolge von Arteriosklerose.

Zur Beerdigung auf dem Kilchberger Friedhof am 16. August erschienen zahlreiche Trauernde aus dem In- und Ausland. Als einer der langjährigen Wegbegleiter des Verstorbenen schrieb Carl Zuckmayer in seinen Worten des Abschieds: „An diesem Sarg verstummt die Meinung des Tages. Ein Leben hat sich erfüllt, das nur einem einzigen Inhalt gewidmet war: dem Werk deutscher Sprache, dem Fortbestand europäischen Geistes.“

Selbstbespiegelung und Rezeption

Tagebücher

Thomas Mann hat sein Leben lang Tagebuch geschrieben. Nach seiner überstürzten Emigration in die Schweiz blieben die Tagebücher 1933 in München zurück, und Thomas Mann fürchtete, dass sie den Nationalsozialisten in die Hände fallen würden. Die Tagebücher wurden in einer abenteuerlichen Aktion von seinem Sohn Golo in die Schweiz gerettet. Alle Tagebücher aus der Zeit vor März 1933 hat Thomas Mann im Mai 1945 verbrannt, im Garten seines Wohnhauses in Pacific Palisades. Allein die Hefte aus der Zeit September 1918 bis Dezember 1921 blieben erhalten, da der Autor sie aktuell für die Arbeit an Doktor Faustus benötigte. Die noch vorhandenen und heute veröffentlichten Tagebücher umfassen die Zeiträume von September 1918 bis Dezember 1921 und von März 1933 bis Juli 1955. Thomas Mann hatte verfügt, dass die versiegelten Pakete mit den Tagebüchern erst zwanzig Jahre nach seinem Tod geöffnet werden dürfen.

Die sukzessive Veröffentlichung begann 1975, in dem sich auch der Geburtstag des Autors zum hundertsten Mal jährte. Dementsprechend groß waren die Erwartungen des Publikums. Da der Text der Tagebücher sich aber als „unliterarisch“ erwies und vom sprachlichen Stil der Werke weit entfernt, waren die Reaktionen auf die Veröffentlichung jedoch überwiegend eher enttäuscht. Überraschend war nicht so sehr, dass sich Thomas Manns homoerotische Neigung noch deutlicher offenbarte; die zentrale Bedeutung für sein Leben, die Thomas Mann im Tagebuch seiner Liebe zu jungen Männern beimaß, war allerdings weder aus dem Werk noch aus bisher bekannten Äußerungen zu ermessen. Einige Kritiker bezeichneten die Tagebücher als narzisstisch, nicht zuletzt, da an manchen Stellen offensichtlich wird, dass Thomas Mann mit der Möglichkeit einer späteren Veröffentlichung gerechnet hat. In der Tagebuchnotiz vom 15. September 1950 spielt der Autor allerdings nochmals mit dem Gedanken an die Verbrennung der Tagebücher. Die Reaktion der noch lebenden und also „betroffenen“ Familienmitglieder war insgesamt zurückhaltend. Der jüngste Sohn Michael Mann, der mit der Edition der Tagebücher befasst war, schien unter der aus den Tagebüchern deutlich werdenden Einstellung seines Vaters ihm gegenüber allerdings gelitten zu haben. Sein Tod zum Jahreswechsel 1976/1977 wird mit seiner Arbeit an den Tagebüchern seines Vaters in Zusammenhang gebracht.

Die Tagebücher Thomas Manns sind ein bedeutsames und zugleich anregendes Dokument. Reizvoll ist der ständige Wechsel zwischen kurzen Anmerkungen und ausgeformten Sätzen. Wie das literarische und essayistische Werk besitzt das Tagebuch die Treffsicherheit des Wortes und die Imaginationskraft der Sprache Thomas Manns. Damit wird nicht nur das Bild des Schriftstellers im Privaten höchst anschaulich vermittelt und die Entstehungsgeschichte des Werks dokumentiert, sondern es werden auch wertvolle Hinweise auf künstlerische Motivation und beabsichtigte Wirkung gegeben.

Wirkung

Briefmarke (1956) zum ersten Todestag
Briefmarke (1978) aus dem Block Nobelpreisträger deutschsprachiger Literatur

Das Leben und Werk von Thomas Mann war schon zu Lebzeiten umstritten und blieb es bis über den Tod hinaus.

Vielfach wurde seinen Werken auch ein Mangel an Genialität und Phantasie vorgeworfen, der sich nicht zuletzt aus seiner Arbeitsweise ergab. Manns Werke entstammen nicht einem plötzlichen Ausbruch an Kreativität, sondern sind das Resultat oft jahrelanger, täglicher, disziplinierter Kleinarbeit. Die Schilderungen in seinen Werken, sowohl von Landschaften, Personen als auch Begebenheiten, gehen sehr oft auf reale Gegebenheiten zurück, selten sind Handlungsstränge frei erfunden. Deren Integration zu einer neuen Handlung (oft auch mit realem Vorbild, wie in den Buddenbrooks oder im Joseph), deren weitläufige Assoziationen sowie deren präzise sprachliche Ausführung bilden das Kernstück der Arbeit Thomas Manns und machen seine Werke zu einem Lesevergnügen, das man oft auch despektierlich als „bildungs-bürgerlich“ bezeichnet.

Seine literarischen Erfolge, sein bürgerlich-repräsentativer Lebensstil und nicht zuletzt seine Fähigkeit zu prägnantem Polemisieren trugen ihm Feindschaften ein. Dementsprechend gespannt war das Verhältnis zu manchen Schriftstellerkollegen. Robert Musil, von Mann durchaus hoch geschätzt, und Kurt Tucholsky bezeichneten ihn als „Großschriftsteller“, Bertolt Brecht nannte ihn einen „regierungstreuen Lohnschreiber der Bourgeoisie“, Alfred Döblin bezeichnete ihn als den Herrn, „der die Bügelfalte zum Kunstprinzip“ erhebt. Freundschaftliche Beziehungen unterhielt Mann insbesondere zu Hermann Hesse und Jakob Wassermann. Auch die Tatsache, dass er die meisten seiner literarischen Gestalten nach realen Vorbildern, teils aus dem familiärem Umkreis, teils aus seinem prominenten Bekanntenkreis, modellierte, trug ihm nicht immer Freunde ein.

Das Verhältnis der Nationalsozialisten zu Thomas Mann, der sich schon seit den frühen 1920er Jahren öffentlich gegen die rechtsextremen politischen Tendenzen in Deutschland gewendet hatte, war nach der Machtergreifung 1933 zunächst gespalten. In München wurden zwar Haus und Vermögen beschlagnahmt und sogar ein „Schutzhaftbefehl“ erlassen. Manches deutet aber darauf hin, dass eine Rückkehr des international bekannten Nobelpreisträgers Thomas Mann ins Deutsche Reich zumindest den Machthabern in Berlin hochwillkommen gewesen wäre. So durfte noch im März 1934 der Roman Der junge Joseph beim Berliner S. Fischer Verlag erscheinen. Thomas Mann selbst zögerte auch sehr lange, in der Öffentlichkeit klar gegen das Regime Stellung zu nehmen. Erst nachdem er im Februar 1936, nicht zuletzt auf starken Druck seiner Tochter Erika hin, mit einem Offenen Brief an Eduard Korrodi in der Neuen Zürcher Zeitung den öffentlichen und eindeutigen Bruch mit den deutschen Machthabern herbeigeführt hatte, erfolgten Ausbürgerung und Versteigerung des zurückgebliebenen Münchener Hausrats.

Warum Mann keine bekennenden Schüler hat, wurde im Jahr seines 100. Geburtstags wissenschaftlich beleuchtet. Der Literaturwissenschaftler Peter Pütz (Thomas Manns Wirkung auf die deutsche Literatur der Gegenwart) bringt es auf den Punkt: Manns Wirkung liege „nicht in der Nachfolge, sondern im Gegenentwurf“.

Thomas Mann hat sich keiner literarischen Schule oder Strömung zugerechnet: Ich „habe nie einer Schule oder Koterie angehört, die gerade obenauf war, weder der naturalistischen, noch der neu-romantischen, neuklassischen, symbolistischen, expressionistischen, oder wie sie nun hießen. Ich bin darum auch nie von einer Schule getragen, von Literaten [Schriftstellerkollegen] selten gelobt worden.“ [5]

Da niemand neben Mann bestehen kann, besteht man nur gegen ihn. Und Marcel Reich-Ranicki resümiert: „Dutzende von Schriftstellern erklärten, niemand sei ihnen gleichgültiger als der Autor des Zauberberg. Aber sie beteuerten es mit vor Wut und wohl auch Neid bebender Stimme.“[6]

Walter Nigg schreibt über Thomas Manns Haltung gegenüber Nietzsche: „Allzu verwunderlich ist Thomas Manns widerspruchsvolle Haltung nicht, da der manierierte Schriftsteller wenig Substanz in sich hatte. Von den Buddenbrooks bis hin zu den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull ist er nie auch nur einen Schritt über die ironische Einstellung hinaus gelangt, eine Haltung, die gegenüber dem Phänomen Nietzsche versagen musste.“[7]

Der ungarische Schriftsteller Sándor Márai beschäftigte sich mit Thomas Manns Spannungsverhältnis zu Deutschland: „Thomas Mann ist auf eine Weise Deutscher, als wäre er es in Afrika: trotzig und treu, gleichzeitig auch ein wenig einstudiert, demonstrativ, beleidigt und hochmütig Deutsch. Er hat etwas von Mozart - seine Musik - und von Goethe - seine Rolle -, natürlich auch sehr viel von Thomas Mann, der in Lübeck als Patrizier geboren wurde und jetzt Thomas Mann in Küsnacht bei Zürich ist. Er ringt mit dem, was deutsch an ihm ist, auf Leben und Tod; will das Deutsche in sich zugleich ein wenig am Leben erhalten und ein wenig zu Tode verletzten. (...) Möglich, das er nicht ganz der ideale Deutsche ist, aber sicher der ehrlichste. (...) Welch ein Konflikt! Ich verneige mich tief vor ihm, und manchmal tut er mir leid, der Arme.“[8]

Werke

Romane

„Königliche Hoheit“, Einband der Erstauflage, 1909

Erzählungen und Novellen

Theaterstücke

Essays

(nicht vollständig)

Autobiographisches

(Auswahl)

Aufnahmen

Von folgenden Werken existieren original Tonbandaufnahmen von Thomas Mann, der seine eigenen Werke mit hörbarem Genuss rezitierte.

  • Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull ISBN 3-89940-263-4
  • Tonio Kröger
  • Das Eisenbahnunglück
  • Das Wunderkind
  • Deutsche Hörer! DHV Hörverlag, ISBN 3-89940-398-3
  • Versuch über Schiller
  • Schwere Stunde
  • Der Erwählte
  • Über die Entstehung der Buddenbrooks

Literaturverzeichnis

Biografien

  • Karl Werner Böhm: Zwischen Selbstzucht und Verlangen. Thomas Mann und das Stigma Homosexualität. Untersuchungen zu Frühwerk und Jugend. Königshausen & Neumann, Würzburg 1991, ISBN 3-88479-558-9
  • Klaus Harpprecht: Thomas Mann. Eine Biographie. Rowohlt-Verlag, Reinbek 1995. ISBN 3-498-02873-1
  • Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Beck, München 1999, ISBN 3-406-44661-2; Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2002, ISBN 3-596-14872-3
  • Peter de Mendelssohn: Der Zauberer. Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. S. Fischer, Frankfurt
    • Erster Teil: 1875–1918. 1975, ISBN 3-10-049402-4
    • Zweiter Teil: Jahre der Schwebe. 1919 und 1933, Nachgelassene Kapitel, Register. 1992, ISBN 3-10-049405-9
  • Donald A. Prater: Thomas Mann – Deutscher und Weltbürger. Eine Biographie. Hanser, München/Wien 1995, ISBN 3-446-15363-2
  • Edo Reents: Thomas Mann. Claassen, München 2001, ISBN 3-546-00291-1
  • Klaus Schröter: Thomas Mann in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek 1964; überarbeitete Neuausgabe ebd. 2005, ISBN 3-499-50677-7
  • Michael Stübbe: Die Manns. Genealogie einer deutschen Schriftstellerfamilie. Degener, Insingen 2004, ISBN 3-7686-5189-4
  • Hans Wißkirchen: Die Familie Mann. rororo Monographie, Reinbek 1999. ISBN 3-499-50630-0
  • Hans Wysling und Ivonne Schmidlin: Thomas Mann. Ein Leben in Bildern. Artemis, Zürich 1994, ISBN 3-7608-1100-0 (mit zahlreichen Abbildungen Thomas Manns, seiner Angehörigen, von Zeitgenossen, Titelblättern und einigen Faksimiles; Folio-Format)

Sekundärliteratur

  • Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Thomas Mann. text + kritik Sonderband. 2., erweiterte Aufl. edition text + kritik, München 1982, ISBN 3-88377-124-4
  • Jeffrey B. Berlin: Approaches to Teaching Mann’s Death in Venice and Other Short Fiction. The Modern Language Association of America. New York 1992, ISBN 0-87352-709-7; ISBN 0-87352-710-0 (Taschenbuch)
  • Joachim Fest Die unwissenden Magier - Über Thomas und Heinrich Mann, Siedler, Berlin 1998 ISBN 3-442-75535-2
  • Manfred Görtemaker: Thomas Mann und die Politik. S. Fischer, Frankfurt 2005, 3-10-028710-X
  • Volkmar Hansen (Hrsg.): Thomas Mann, Romane und Erzählungen. Interpretationen. Reclam, Stuttgart 1993, ISBN 3-15-008810-0
  • Dirk Heißerer: Thomas Manns Zauberberg. Piper, München/Zürich 2000, ISBN 3-492-23141-1; durchgesehene, aktualisierte und ergänzte Neuausgabe: Thomas Manns Zauberberg. Einstieg, Etappen, Ausblick. Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN 3-8260-3171-7
  • Malte Herwig: Bildungsbürger auf Abwegen. Naturwissenschaft im Werk Thomas Manns. Klostermann, Frankfurt 2004, ISBN 3-465-03352-3
  • Martina Hoffschulte: „Deutsche Hörer!“ Thomas Manns Rundfunkreden (1940 bis 1945) im Werkkontext. Mit einem Anhang: Quellen und Materialien. Telos-Verlag, Münster, ISBN 3-933060-11-7
  • Ulrich Karthaus: Thomas Mann. Literaturwissen für Schule und Studium. Reclam, Stuttgart 1994, ISBN 3-15-015203-8
  • Thomas Klugkist: 49 Fragen und Antworten zu Thomas Mann. S. Fischer, Frankfurt 2003, ISBN 3-10-042219-8
  • Hellmut Koopmann (Hrsg.): Thomas-Mann-Handbuch. Kröner, Stuttgart 1990, ISBN 3-520-82801-4; aktualisierte Ausgabe Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2005, ISBN 3-596-16610-1
  • Hermann Kurzke: Thomas Mann. Epoche – Werk – Wirkung. Beck, München 1985, ISBN 3-406-30870-8; 3., erneut überarbeitete Auflage ebd., ISBN 3-406-43136-4
  • Hans Mayer Thomas Mann, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1980 ISBN 3-518-03633-5
  • Volker Mertens: Groß ist das Geheimnis. Thomas Mann und die Musik. Militzke, Leipzig 2006, ISBN 3-86189-747-4
  • Jürgen H. Petersen: Faustus lesen. Eine Streitschrift über Thomas Manns späten Roman. Königshausen & Neumann, Würzburg 2007, ISBN 978-3-8260-3671-2
  • Alexander Martin Pfleger: Thomas Manns Rezeption von Versdramen Gerhart Hauptmanns. In: Gerhart-Hauptmann-Blätter. Jahrgang VI (2004), Heft I, S. 4–8
  • Marcel Reich-Ranicki Thomas Mann und die Seinen, DVA Stuttgart 1987 ISBN 3-421-06364-8
  • Joachim Rickes: Die Romankunst des jungen Thomas Mann. „Buddenbrooks“ und „Königliche Hoheit“. Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN 3-8260-3219-5
  • Günter Rohrmoser: Dekadenz und Apokalypse. Thomas Mann als Diagnostiker des deutschen Bürgertums. Gesellschaft für Kulturwissenschaft, Bietigheim/Baden 2005, ISBN 3-930218-35-6
  • Sibylle Schulze-Berge: Heiterkeit im Exil. Ein ästhetisches Prinzip bei Thomas Mann. Zur Poetik des Heiteren im mittleren und späten Werk Thomas Manns. Königshausen & Neumann, Würzburg 2006. ISBN 3-8260-3232-2
  • Tobias Temming: „Bruder Hitler“? Zur politischen Bedeutung Thomas Manns. Essays und Reden aus dem Exil. Wissenschaftlicher Verlag Berlin. Berlin 2008. ISBN 978-3-86573-377-1
  • Kurt Sontheimer: Thomas Mann und die Deutschen. Nymphenburger Verlagshandlung, München 1961; überarbeitete Neuauflage Langen Müller, München 2002, ISBN 3-7844-2861-4
  • Hans Rudolf Vaget: Seelenzauber. Thomas Mann und die Musik. S. Fischer, Frankfurt 2006, ISBN 3-10-087003-4
  • Volker Weiß: Dostojewskijs Dämonen. Thomas Mann, Dmitri Mereschkowski und Arthur Moeller van den Bruck im Kampf gegen „den Westen“. In: Heiko Kauffmann, Helmut Kellershohn & Jobst Paul (Hrsg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analysen rechter Ideologie. Unrast, Münster 2005, ISBN 3-89771-737-9

Datenbank

Die Datenbank der Thomas-Mann-Sammlung Dr. Hans-Otto Mayer (Schenkung Rudolf Groth) in der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf verzeichnet laufend Monografien und Aufsätze aus Sammelbänden und Fachzeitschriften sowie umfangreiche wissenschaftlich relevante Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften zu Thomas Mann und seiner Familie. Seit 1995 wurden über 5200 Titelsätze von Sekundärliteratur erfasst; jährlich kommen rund 800 Datensätze hinzu. Auf den Internetseiten der Universitätsbibliothek Regensburg ist sie frei zugänglich.

Verfilmungen

Eine Auswahl von Filmen, die nach Romanen, Novellen und Motiven von Thomas Mann entstanden sind:

Vertonungen

Weblinks

Fußnoten

  1. Viktor Mann: Wir waren Fünf, S. 30
  2. Marcel Reich-Ranicki: Thomas Mann und die Seinen, S. 122
  3. Marcel Reich-Ranicki: Thomas Mann und die Seinen, S. 48
  4. Die in Form von Tagebuch-Einträgen von ihm selbst verfasste Krankengeschichte ist exzerpiert in → [1]
  5. Mann, Thomas: Meine Zeit. Vortrag. Gehalten in der Universität Chicago Mai 1950. Amsterdam: Bermann-Fischer/Querido 1950, S. 20
  6. Nachprüfung. Aufsätze über deutsche Schriftsteller von gestern, Stuttgart 1980, S. 110
  7. Walter Nigg: Große Unheilige. Zürich 1996 (Diogenes), S. 224
  8. Sándor Márai: Die vier Jahreszeiten. München/Zürich 2009 (Piper), S. 68
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