Paula Modersohn

Paula Modersohn
Selbstporträt mit Kamelienzweig, 1907

Die Malerin Paula Modersohn-Becker (* 8. Februar 1876 in Dresden-Friedrichstadt; † 20. November 1907 in Worpswede) war eine der bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus. In den knapp vierzehn Jahren, in denen sie künstlerisch tätig war, schuf sie 750 Gemälde, etwa 1.000 Zeichnungen und 13 Radierungen, die die bedeutendsten Aspekte der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in sich vereinen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Familie

Worpsweder Landschaft, um 1900

Paula Becker war das dritte Kind von insgesamt sieben Geschwistern. Ihr Vater Carl Woldemar Becker war Ingenieur von Beruf, ihre Mutter Mathilde entstammte der thüringischen Adelsfamilie von Bültzingslöwen. Aus den Briefen, die Carl Woldemar Becker an seine Tochter richtete, ist bekannt, dass Paula Beckers Vater sowohl Paris und Sankt Petersburg als auch London kannte und neben Russisch auch Französisch und Englisch sprach. Die mütterliche Familie war ähnlich weltoffen. Mathilde von Bültzingslöwens Vater war im Ausland Kommandeur eines Truppenkontingents, einige ihrer Brüder waren nach Indonesien, Neuseeland und Australien ausgewandert. Der Bruder von Carl Woldemar Becker und somit der Onkel von Paula war Oskar Becker, der im Jahre 1861 ein Attentat auf den damaligen preußischen König Wilhelm von Preußen verübte.[1]

Bei der Erziehung der Kinder der Familie Becker spielten Kunst, Literatur und Musik eine große Rolle. Paula erhielt ebenso wie ihre Schwestern Klavierunterricht. Paulas älteste Schwester, die über eine schöne Singstimme verfügte, durfte Gesangsunterricht nehmen. Bis auf Paula schätzte ihre Familie Richard Wagner – Paula Becker empfand ihn als „undeutsch“; Goethe galt in der Familie als der alles überragende Dichter. Paula Beckers Elternhaus wird von ihren Biografen als liberal-bürgerlich eingestuft, wohlhabend war es dagegen nicht.

Die frühen Jahre

Dresden und Bremen

Moorkanal mit Torfkähnen, um 1900
Paulas Elternhaus in Bremen von 1888 bis 1899

Die ersten zwölf Lebensjahre verbrachte Paula Becker in Dresden-Friedrichstadt. Über diese ersten Jahre ist wenig bekannt. Überliefert ist nur ein schweres Unglück, bei dem die zehnjährige Paula gemeinsam mit den zwei Cousinen Cora und Maidli Parizot beim Spielen in einer Sandgrube verschüttet wurden. Während Paula und Maidli rechtzeitig gerettet werden konnten, erstickte ihre elfjährige Cousine Cora Parizot unter den Sandmassen. Aus Briefen, die Paula Modersohn-Becker Jahre später an Rainer Maria Rilke schrieb, weiß man, dass dieses Erlebnis sie stark prägte. Ihre Biografin Liselotte von Reinken sieht darin sogar die Ursache für die mitunter rücksichtslose Entschiedenheit, mit der Paula Modersohn-Becker ihre künstlerischen Ziele verfolgte.

Im Zuge der Verurteilung von Oskar Becker musste auch die gesamte Familie haften, was unter anderem dazu führte, dass Carl Woldemar Becker seinen Beamtenstatus verlor und nicht weiter beschäftigt werden konnte. Aus diesem Grund wechselte die Familie 1888 den Wohnort und zog nach Bremen. Carl Woldemar Becker konnte dort eine städtische Stelle als Baurat und Ingenieur bei der Hannoverschen Bahn annehmen. Die Familie wohnte in der Hansestadt in einem Haus der Länderbahn in der Schwachhauser Chaussee 23 (heute Schwachhauser Heerstraße). Hier hatte Paula ihr erstes kleines Atelier. Das künstlerische Leben war zu dieser Zeit in Bremen sehr rege und über Freundschaften der Mutter bestand zu den künstlerischen Kreisen in Bremen ein enger Kontakt, so dass die Familie Becker daran lebhaft Anteil nahm.

Der erste Kunstunterricht

Im Frühsommer 1892 ging Paula Becker auf Wunsch ihrer Eltern nach England. Eine Halbschwester ihres Vater lebte dort in der Nähe Londons. Paula Becker sollte dort Haushaltsführung und Englisch erlernen. Dank der Unterstützung ihres Onkels erhielt Paula Becker dort auch Kunstunterricht. Nach ersten Skizzenstunden besuchte sie eine private Kunstschule, in der sie täglich von zehn bis sechzehn Uhr im Zeichnen unterrichtet wurde. Dieser Kunstunterricht währte allerdings nur kurze Zeit. Der Aufenthalt in London war von Paula Beckers Eltern ursprünglich für ein Jahr geplant; Paula Becker kehrte jedoch bereits nach einem halben Jahr zurück. Sie hatte unter Heimweh gelitten und sich unter der autoritären Führung ihrer Tante nicht wohl gefühlt.

Lehrerinnenseminar

Vor allem auf Grund des Einwirkens ihres pflichtbewussten Vaters besuchte Paula Becker ab 1893 in Bremen ein Lehrerinnenseminar. Sie folgte damit ihrer ältesten Schwester, die ebenfalls dieses Seminar besucht hatte. Während dieser Zeit erhielt Paula Becker privaten Malunterricht – ein Entgegenkommen des Vaters, denn Paula Becker hatte die Ausbildung zur Lehrerin nur ungern begonnen.

Kinderkopf mit weißem Tuch, um 1900, Privatsammlung

Der Malunterricht fand bei dem Maler Bernhard Wiegandt statt und war für Paula Becker die erste Gelegenheit, nach einem lebenden Modell zu arbeiten. Aus dieser Zeit stammt eine Reihe von Porträts ihrer Geschwister sowie das erste Selbstporträt, das auf das Jahr 1893 datiert wird. Im September 1895 bestand Paula Becker das Lehrerinnenexamen mit einem guten Abschluss.

Im Frühjahr 1893 sah Paula Becker das erste Mal Bilder des Worpsweder Künstlerkreises. Otto Modersohn, Fritz Mackensen, Fritz Overbeck , Hans am Ende und Heinrich Vogeler stellten in der Kunsthalle Bremen ihre Gemälde aus. Paula Becker war zwar angetan, aber eine besondere Begeisterung ist ihren Tagebucheinträgen nicht zu entnehmen. Besonders gut gefiel ihr allerdings ein Bild ihres späteren Mannes Otto Modersohn – sie beeindruckten die eigenartigen Farben und die Art und Weise, mit der er die Stimmung in der Heide einfing.

Kunstunterricht in Berlin

Paula Modersohn-Becker, Foto von 1895

Der Familie ihrer Mutter verdankte Paula Becker es, dass sie im Frühjahr 1896 nach Berlin fahren konnte, um dort an einem sechswöchigen Kurs an der Zeichen- und Malschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen teilzunehmen. Diese Malschule war sehr angesehen; elf Jahre zuvor hatte Käthe Kollwitz an dieser Schule ihre Ausbildung begonnen. Der Zutritt zu einer Kunstakademie war Paula Becker als Frau dagegen verwehrt.

Nach dem Abschluss des sechswöchigen Kurses konnte Paula Becker ihren Unterricht an der Schule fortsetzen. Offenbar war es ihrer Mutter gelungen, eine Schulgeldermäßigung zu erreichen. Um die Kosten für den Malunterricht zu decken, nahm Mathilde Becker eine Pensionärin in ihr Haus auf. Mathilde Beckers Bruder, Wulf von Bültzingslöwen und seine Frau Cora hatten sich außerdem bereit erklärt, Paula bei sich wohnen zu lassen und für ihren täglichen Unterhalt aufzukommen.

In der Ausbildung dominierte der Zeichenunterricht, bei dem nach lebenden Modellen gearbeitet wurde. Erst wer das Zeichnen sicher beherrschte, wurde zu den Malklassen zugelassen. Aus dieser Zeit existiert noch eine Reihe von Aktzeichnungen von Paula Becker, bei denen das Lineare stark betont wurde und die deutliche Hell-Dunkel-Kontraste aufweisen. 1897 wurde sie zu der ersten Malklasse bei Jeanne Bauck, einer heute unbekannten Künstlerin, zugelassen. Auf Jeanne Bauck, von der Paula Becker begeistert war, ist ihr Wunsch zurückzuführen, eine Zeit lang in Paris zu leben.

Während ihrer Berliner Zeit verbrachte Paula Becker viel Zeit in Museen. Ähnlich wie die Nazarener fast siebzig Jahre zuvor schätzte sie vor allem die Künstler der deutschen und italienischen Renaissance. Zu diesen Malern zählten Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Hans Holbein der Ältere, Tizian, Botticelli und Leonardo da Vinci. Sie bevorzugte damit Maler, die eine Tendenz zur großen, klaren Form haben und die das Linear-Konstruktive besonders betonen.

Worpswede und Paris

Umzug nach Worpswede

Moorgraben, 1900 bis 1902

Anlässlich der Silberhochzeit der Eltern unternahm die Familie Becker im Sommer 1897 einen Ausflug in das kleine, vor den Toren Bremens gelegene Dorf Worpswede. Paula Becker war von der Landschaft und ihrem Farbenspiel, der Einsamkeit des Ortes und der dort angesiedelten Künstlerkolonie tief beeindruckt. Vor Beginn des Herbstsemesters 1897 fuhr sie erneut mit einer Freundin dorthin, um zu wandern und die Maler aufzusuchen. Als sie im Januar 1898 600 Mark erbte und ihre kinderlosen Verwandten Arthur und Grete Becker ihr eine auf drei Jahre befristete jährliche Rente von 600 Mark aussetzten, damit sie ihre Ausbildung fortsetzen konnte, beschloss sie, unterstützt von ihren Eltern, nach Worpswede zu gehen. Ursprünglich war nur an einen kurzen Ferienaufenthalt gedacht. Mathilde Becker plante, dass ihre Tochter ein paar Wochen bei Fritz Mackensen Mal- und Zeichenunterricht genießen und dann im Herbst eine Aupair-Stelle in Paris annehmen sollte. Dem Einfluss des Vaters war es zu verdanken, dass Mackensen sich tatsächlich dazu bereit fand, die Tochter bei ihren Malstudien zu unterstützen. Als Paula Becker jedoch im September 1898 nach Worpswede ging, war offenbar bereits ein längerer Aufenthalt geplant.

Die Worpsweder Künstlerkolonie

Die Künstler, die sich in Worpswede seit 1889 angesiedelt hatten, fühlten sich von den Kunstakademien unabhängig. Die meisten waren Schüler der seit Wilhelm von Schadow berühmten Kunstakademie Düsseldorf, standen jedoch wie viele Künstlergemeinschaften des 19. Jahrhunderts der akademischen Kunstausbildung und ihrer Ateliermalerei kritisch gegenüber. Durch den Rückzug nach Worpswede wollten sie sich ähnlich wie die von Théodore Rousseau gegründete Schule von Barbizon um ein neues Naturverständnis in ihrer Malerei bemühen. Ziele waren eine schlichte, unverfälschte Malerei in freier Natur und eine positive Darstellung der als ursprünglich und unverdorben empfundenen Bauernschaft.

Mädchen im Garten neben Glaskugel, (Elsbeth), um 1901/1902

Eine enge Freundschaft knüpfte Paula Becker mit Clara Westhoff, die Bildhauerin werden wollte und bei Mackensen Modellier- und Zeichenunterricht nahm. Nachdem das Verhältnis zwischen Paula Becker und den Worpsweder Künstlern anfangs sehr zurückhaltend war, intensivierte sich ab März 1899 der Kontakt zu dem Ehepaar Modersohn sowie zu Heinrich Vogeler, unter dessen Anleitung sie im Sommer 1899 einige Radierungen schuf. Das disziplinierte und farbarme grafische Arbeiten mit Druckplatte und Radiernadel lag ihr jedoch nicht sonderlich.

Den Kunstunterricht bei Fritz Mackensen empfand Paula Becker anfangs sehr hilfreich, aber schon Ende 1898 stellte sich bei ihr das Gefühl ein, dass er nicht der rechte Lehrer für sie sei. Mit ihrer zur Vereinfachung von Form und Farbe tendierenden Kunst fand sie nicht nur in Worpswede keine künstlerischen Anregungen. Die vernichtende Kritik, die sie gegen Ende 1899 über ihre erste Ausstellungsbeteiligung erhielt, hatte ihr auch deutlich gemacht, dass sie mit ihrer Malerei außerhalb der allgemeinen deutschen Kunstszene stand. In der Weser-Zeitung stand am 20. Dezember 1899 über ihre zwei ausgestellten Bilder:

„Für die Arbeiten...reicht der Wörterschatz einer reinlichen Sprache nicht aus und bei einer unreinlichen wollen wir keine Anleihe machen. Hätte eine solche Leistungsfähigkeit auf musikalischem oder mimischem Gebiet die Frechheit gehabt, sich in den Konzertsaal oder auf die Bühne zu wagen, es würde alsbald ein Sturm von Zischen und Pfeifen dem groben Unfug ein Ende gemacht haben....'“

Zwar feierten Künstler wie Max Slevogt, Lovis Corinth, Max Liebermann oder Wilhelm Leibl in München und Berlin erste Erfolge; künstlerisch dominierte aber in Deutschland immer noch die Salonmalerei der Gründerzeit. Aufgeschlossener und innovativer war dagegen die Kunstszene in Paris. Dorthin wollte Paula Becker seit ihrem Studienaufenthalt in Berlin reisen.

Siehe auch: Künstlerkolonie Worpswede

Der erste Studienaufenthalt in Paris

In der Silvesternacht 1899 brach Paula Becker nach Paris auf. So wie Rom um die Wende ins 19. Jahrhunderts Anziehungspunkt für deutsche Künstler war, war Paris gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum führenden europäischen Kunstzentrum geworden, und zahlreiche deutsche Künstler, darunter Emil Nolde, Carl Hofer, Bernhard Hoetger oder Käthe Kollwitz, verbrachten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einige Zeit in Paris. Clara Westhoff, die Freundin aus Worpswede, war bereits seit Ende 1899 in Paris, weil sie hoffte, Schülerin von Auguste Rodin zu werden. Im Jahr 1900 studierte Paula Becker an der Académie Colarossi in Paris. Ihre Lehrer waren Courtois, Collin und Girandot. Fast zur gleichen Zeit war auch der aus der Nähe Bremens kommende Heinz Witte-Lenoir in Paris angekommen. Beide belegten Kurse an der Académie Colarossi im Aktzeichnen. Heinz Witte-Lenoir berichtete: „Ich hatte in meiner Werkstatt einige Zeichnungen von Florain, Steinlen und Degas sowie einen Ballen indische Handarbeiten, der noch nicht ausgepackt war und die wir zusammen mit einigen Kollegen und Kolleginnen bewunderten. Ich erinnere mich, dass meine ockerigen Aktgebilde ein starkes Interesse für sie hatte und sie einige Zeit später noch einmal mit einer Engländerin gekommen, um sie noch einmal wieder anzusehen. Das war nun nicht so, dass Paula Modersohn für mich eine größere Bedeutung hatte als viele meiner anderen Bekannten der damaligen Zeit.“

Kopf eines kleinen Mädchens (Elsbeth), 1902
Kind auf rotgewürfeltem Kissen, 1904

Finanziell konnte sich Paula Becker diesen Aufenthalt leisten, weil sie nach wie vor die Rente ihrer Verwandten erhielt. Sie bezog ein kleines Zimmer in dem Ateliergebäude Nr. 9 in der Rue Campagne Première, das sie mit Möbeln vom Trödel und Kisten einrichtete. Im Quartier Latin wurde sie Schülerin der privaten Akademie Colarossi, und so wie in Berlin besuchte sie erneut Museen. Allein und gemeinsam mit Clara Westhoff besuchte sie außerdem Ausstellungen und Galerien, um die modernen französischen Maler kennenzulernen. Clara Westhoff berichtete später, wie sie gemeinsam den Kunsthändler Ambroise Vollard aufsuchten und Paula Becker zutiefst beeindruckt von den Gemälden Paul Cézannes war, der zu dieser Zeit noch ein völlig unbekannter Künstler war. Nach Sicht der Kunsthistorikerin Christa Murken Altrogge kann Paula Becker als erste deutsche Künstlerin gewertet werden, die die Größe und das Richtungsweisende dieses Malers erkannte. In einem mit 21. Oktober 1907 datierten Brief an Clara Westhoff schrieb sie Jahre später, dass Cézanne

einer von den drei oder vier Malerkräften ist, der auf mich gewirkt hat wie ein Gewitter und ein großes Ereignis.

Sicher ist auch, dass Paula Becker während dieses Aufenthaltes in Paris die große Ausstellung der Nabis-Künstler besucht hat. Diese vom Japanischen Farbholzschnitt beeinflussten Künstler legten Wert auf eine flächenbetonte Malerei, deren Farbe Bedeutungsträger und nicht Mittel zur Wiedergabe von Augenschein ist.

Seit April 1900 fand in Paris die große Jahrhundertausstellung statt. Anlässlich dieser Ausstellung kam das Ehepaar Overbeck und mit ihm Otto Modersohn im Juni nach Paris. Paula Becker kannte den elf Jahre älteren Landschaftsmaler Modersohn von ihrem ersten Aufenthalt in Worpswede und schätzte ihn sehr. Modersohns gesundheitlich angeschlagene Ehefrau Helene war in Worpswede zurückgeblieben und starb während der kurzen Zeit, die er in Paris verbrachte. Modersohn und mit ihm das Ehepaar Overbeck kehrten überstürzt nach Deutschland zurück.

Rückkehr nach Worpswede

Vierzehn Tage nach der Abreise von Modersohn und den Overbecks kehrte auch Paula Becker gemeinsam mit Clara Westhoff nach Worpswede zurück. Da die geerbten 600 Mark aufgebraucht und die ihr ausgesetzte Rente abgelaufen war, legte ihr Vater ihr nahe, sie möge sich eine Stelle als Gouvernante suchen. Ihr angegriffener Gesundheitszustand erlaubte das jedoch noch nicht sofort. Sie hatte sich in Paris überarbeitet und gleichzeitig aus Sparsamkeit so spartanisch gelebt, dass ihr der Arzt Ruhe verordnete. In dieser Zeit schrieb Paula Becker jenen Tagebucheintrag, der in ihren Biografien häufig zitiert wird, da er eine Vorahnung ihres frühen Todes anzudeuten scheint:

...Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig. Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben ist ein Fest, ein kurzes, intensives Fest...Und wenn nun die Liebe mir noch blüht, vordem ich scheide, und wenn ich drei gute Bilder gemalt habe, dann will ich gern scheiden mit Blumen in den Händen und im Haar. (Tagebuch, 26. Juli 1900)

Paula Becker korrigierte diese Andeutung Wochen später durch einen anderen Tagebucheintrag mit den Worten Und es dauert doch noch lange. Ich bin gesund und stark und lebe. (Tagebuch, 3. September 1900)

Während sie sich physisch von ihrem anstrengenden Parisaufenthalt erholte, leistete ihr Otto Modersohn gelegentlich Gesellschaft. Die Beziehung zu ihm intensivierte sich, und am 12. September 1900, knapp drei Monate nach dem Tod von Helene Modersohn, verlobten sich die beiden.

Mädchen mit Katze im Birkenwald, 1904/1905

In die Verlobungszeit fällt auch die Bekanntschaft mit Rainer Maria Rilke. Er hatte sich 1898 mit Heinrich Vogeler während dessen Florenz-Aufenthaltes angefreundet und kam nun als Gast Vogelers zu Besuch nach Worpswede. Bei Modersohn kehrte in derselben Zeit Carl Hauptmann, der Bruder von Gerhart Hauptmann ein. Abends traf man sich regelmäßig auf dem Barkenhoff, den das Ehepaar Vogeler bewohnte. Clara Westhoff und Paula Becker erschienen Rilke wie Schwestern. In seinen Tagebüchern nannte er die beiden Freundinnen die blonde Malerin und die Dunkle, um die immer Handlung, Bewegung und Erzählung war. Beiden Frauen war er eng verbunden. Während er in Clara Westhoff – die er wenig später heiratete – jedoch sehr stark auch die Künstlerin sah, erlebte er Paula Becker vor allem als ernste Freundin und widmete ihr ein Gedicht, das später in seinem Buch der Bilder erscheinen sollte:

Du blasses Kind, an jedem Abend soll
der Sänger dunkel stehn vor deinen Dingen

In seiner Monografie über die Worpsweder Maler erwähnt Rilke Paula Modersohn-Becker jedoch nicht, und bei Rodin führte er sie kurz darauf als Ehefrau eines berühmten Malers ein. Die Malerin Paula Modersohn-Becker, die im Urteil heutiger Kunsthistoriker das Werk ihres Mannes weit überstrahlt, nahm Rilke erst kurz vor ihrem Tod als Künstlerin wahr.

Heirat mit Otto Modersohn

Am 25. Mai 1901 heirateten Otto Modersohn und Paula Becker. Paula Modersohn-Becker hatte auf Druck ihrer Eltern zuvor sogar noch einen Kochkurs in Berlin begonnen, den sie jedoch frühzeitig wieder abbrach. Ihre in einem Brief vom 8. März 1901 angegebene Begründung charakterisiert nicht nur Paula Modersohn-Beckers Person, sondern auch ihre kommenden Ehejahre.

Es ist gut, sich aus Verhältnissen zu lösen, die einem die Luft nehmen.
Stillleben mit Milchsatte, gelegentlich auch als Frühstückstisch bezeichnet, 1905
Stillleben mit Blattpflanze, Zitrone und Apfelsine, 1906, Privatsammlung

Nach einer kurzen Hochzeitsreise, bei der das Ehepaar unter anderem bei Gerhart Hauptmann in Agnetendorf zu Gast war, begann für Paula Modersohn-Becker eine Zeit, in der sie versuchte, ihre Pflichten als Ehe- und Hausfrau und Stiefmutter der jungen Elsbeth mit ihren künstlerischen Ambitionen zu vereinen. Ihr Atelier war eine kleine Klause auf dem Hof des Bauern Brünjes. Modersohn ließ in das Dach Oberlichter einbauen, damit sie das Gebäude nutzen konnte. Ihren Tagesablauf organisierte sie mit Hilfe eines Dienstmädchens; von neun Uhr bis mittags um eins malte sie in ihrem Atelier, kam dann zum Essen heim und kehrte um drei Uhr wieder in ihr Atelier zurück, wo sie oft bis abends um sieben blieb. Ihrer Stieftochter Elsbeth versuchte sie, eine gute und fürsorgende Mutter zu sein. Sie war das Modell einer Reihe ihrer Kinderbilder. Mädchen im Garten neben Glaskugel, das um 1901/1902 entstand und Kopf eines kleinen Mädchens zeigen ihre Stieftochter.

Ihr Mann empfand die ersten drei Jahre ihrer Ehe als sehr glücklich. Aus seinen Tagebucheinträgen weiß man, dass er zutiefst davon überzeugt war, mit einer richtungweisenden Künstlerin verheiratet zu sein – auch wenn das zu dieser Zeit außer ihm keiner zu bemerken schien.

Otto Modersohn, Tagebuch 15. Juni 1902: „Wundervoll ist dies wechselseitige Geben und Nehmen; ich fühle wie ich lerne an ihr und mit ihr. Unser Verhältnis ist zu schön, schöner als ich je gedacht, ich bin wahrhaft glücklich, sie ist eine echte Künstlerin, wie es wenige gibt in der Welt, sie hat etwas ganz Seltenes. […] Keiner kennt sie, keiner schätzt sie - das wird anders werden.“

Paula Becker hatte in Modersohn einen sie liebenden Mann gefunden, der ihre künstlerische Weiterentwicklung nach Kräften unterstützte und ihr alles aus dem Weg räumte, damit sie ihrer künstlerischen Arbeit nachgehen konnte. Er brachte ihr zeitlebens das tiefste künstlerische Verständnis entgegen. „Keiner hat wohl solche Einblicke in ihr Wesen tun können, wie ich.“ (an Gustav Pauli, 1919)

Am 13. April 1902 schrieb er in sein Tagebuch: „Mit Paula heute morgen über Paris gesprochen, es ist doch eine fabelhafte Stadt, wie überreich, Überraschungen, Anregung bietend, wie keine Stadt sonst. […] In das dicke Blut der Deutschen müßte immer von Zeit zu Zeit von dem lebendigen, temperamentvollen Wesen der Franzosen etwas eingeführt werden. Wie gut wäre das allen Worpswedern. […] Ich gehe mit Paula sicher nochmal nach Paris. - “

Die Heirat hatte Paula Modersohn-Becker von dem Zwang befreit, einem ungeliebten Beruf nachgehen zu müssen, um für ihren Unterhalt zu sorgen. Während ihres Lebens hat sie lediglich an die mit ihr freundschaftlich verbundenen Rilke und Vogeler jeweils ein Bild verkauft – ohne die Heirat mit Modersohn hätte sie dem Rat ihres Vaters folgen und sich eine Stelle als Gouvernante suchen müssen. Während Modersohn in seinen Tagebüchern festhielt, dass die Ehe schöner verlaufe als er je geglaubt hätte, finden sich in den Tagebucheinträgen von Ostern 1902 bei Paula Modersohn-Becker Anzeichen einer kritischeren Haltung – wenn sie diese auch mit einer Selbstironie kontrastiert:

Es ist meine Erfahrung, daß die Ehe nicht glücklicher macht. Sie nimmt die Illusion, die vorher das ganze Wesen trug, daß es eine Schwesterseele gäbe. Man fühlt in der Ehe doppelt das Unverstandensein, weil das ganze frühere Leben darauf hinausging, ein Wesen zu finden, das versteht... Dies schreibe ich in mein Küchenhaushaltebuch am Ostersonntag 1902, sitze in meiner Küche und koche Kalbsbraten.

Anders als ihr Mann, der die Stille und Zurückgezogenheit von Worpswede brauchte, um sich künstlerisch zu entfalten, schätzte Paula Modersohn-Becker den Kontakt und die Abwechslung.

„Paula kann einfach nicht so schlicht, nüchtern leben. Solch anregendes Leben ist ihr wie der Blume die Sonne notwendig - sie verkümmert, verbittert sonst.[…] Meine einzige Paula, die so sehr künstlerisch ist und so sehr Lebenskünstlerin. […] Paula ist ja allen so sehr überlegen.(Zitat: Otto Modersohn, Tagebuch 5. November 1905)

Paris 1903

Clara Rilke-Westhoff, 1905 (Hamburger Kunsthalle)
Porträt Rainer Maria Rilke, 1906, Bremen, Sammlung Ludwig Roselius

Im Frühjahr 1903 erbat sich Paula Modersohn-Becker von ihrem Mann die Zusage, für einen Zeitraum von zwei Monaten nach Paris zurückkehren zu können. In Paris verkehrte sie sehr viel mit dem Ehepaar Rilke, auch wenn sie die wachsenden Spannungen zwischen Rainer Maria Rilke und Clara Westhoff als belastend empfand.

Den überwiegenden Teil ihrer Zeit verbrachte sie im Louvre, um dort nach antiken und ägyptischen Vorbildern zu zeichnen. In ihren Selbstporträts, die danach entstanden, lässt sich nachvollziehen, dass sie sich stark mit den Mumienporträts aus dem oberägyptischen Fayum beschäftigte. Gemeinsam mit dem Ehepaar Rilke besuchte sie außerdem erneut Ausstellungen. Belegt ist aus dieser Zeit, dass sie sich intensiver mit Japanischen Farbholzschnitten auseinandersetzte, unter anderem in der Sammlung Hayashi, die altjapanische Rollbilder zeigte, die den Jugendstil prägen sollten. Rilke ermöglichte ihr außerdem einen Besuch bei dem berühmten französischen Bildhauer Auguste Rodin, der ihr sein Atelier zeigte und sie anschließend in seinen Pavillon in Meudon bei Paris einlud.

Kunsthistoriker vermuten gelegentlich, dass Paula während dieser Zeit auch Gemälde von Paul Gauguin gesehen hat, obwohl in ihren Tagebüchern nichts dazu vermerkt ist. Die Stillleben, die nach ihrer Rückkehr nach Worpswede entstanden und bei denen Gegenstände als farbige Teilflächen dargestellt sind, die dem Bildganzen untergeordnet sind, zeigen Ähnlichkeiten zu Gauguins Gemälden.

Worpswede 1903 bis 1905

Selbstbildnis vor grünem Hintergrund mit blauer Iris, um 1905
Stillleben mit Zitrone, Apfelsine und Tomate, um 1906 / 1907

Bereits im März 1903 kehrte sie wieder nach Worpswede zu ihrem Mann und ihrem Stiefkind zurück und brachte aus Paris zahllose künstlerische Anregungen mit. Der Aufenthalt dort hatte ihr eine Verbundenheit zu ihrem Mann und ihrer Stieftochter deutlich gemacht. Sie selber wünschte sich ein Kind und bedauerte zu dem Zeitpunkt sehr, dass es ihr bis jetzt verweigert blieb. Unter den etwa 130 Gemälden, die bis Ende 1904 entstanden, befinden sich neben Stillleben auch viele Kinderporträts und Darstellungen von Säuglingen und Kleinkindern, die sie anders als zuvor ohne ihre Mütter ausschnitthaft darstellt. Allerdings stellt sich nun gerade das von Rilke erworbenem Bild Säugling mit der Hand der Mutter, tatsächlich als Fragment heraus. (Quelle Paula Modersohn Becker Museum). Paula Modersohn-Becker selbst zerschnitt ein größeres, mehrfiguriges Bild in zumindest drei Teile, wie eine Restauratorin entdeckte. Wenn man davon ausgeht, dass Otto Modersohns Kritik vom 26. September 1903 sich auf dieses Bild bezog, scheint damit der Beweis angetreten, dass sie entgegen der Auffassung Otto Modersohns durchaus bereit war, Kritik zu bedenken. Die Zerstörung dieses Bildes, das darf man voraussetzen, wäre allerdings mit Sicherheit nicht in seinem Sinne gewesen. Otto Modersohn, Tagebuch, 26. September 1903: „Bei Meyers Arbeiten von Reyländer und Paula. Reyländer sehr unangenehm, oberflächlich, conventionell, äußerliches Gespiele, hingeschlenkert - eine gefährliche Art, bei der es keine Entwicklung giebt. x Leute auf der Akademie sind so. Paula das Gegentheil. Sie haßt das Conventionelle und fällt nun in den Fehler alles lieber eckig, häßlich, bizarr, hölzern zu machen. Die Farbe ist famos, aber die Form? Der Ausdruck! Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Cretins. Sie ladet sich zuviel auf. 2 Köpfe 4 Hände auf kleinster Fläche, unter dem thut sies nicht und dazu Kinder! Rath kann man ihr schwer ertheilen, wie meistens.“ (Busch/Reinken/Werner, Neuausgabe 2007)

Otto Modersohn wollte, vor allem im Vergleich und entgegen der allgemeinen Auffassung in Worpswede, festhalten, dass in seinen Augen Paulas „Farbe famos“, dass sie das Gegenteil von „oberflächlich“ etc. ist. Dass es gerade bei „ihrer Art“ „Entwicklung gibt“, die er in Worpswede sonst nicht sah.

Kinderbilder, wie das 1904 entstandene Kind auf rotgewürfeltem Kissen, zeigen, wie sie die Anregungen der Nabis-Künstler verarbeitete. Diese verbanden Farbflächen mit weißen Stegen, um darüber teppichähnliche Wirkungen zu erzielen. Modersohn-Becker setzt ihr Modell dagegen in einem rotgestreiften Kleidchen auf ein rot-weiß-gewürfeltes Kissen, das eine quadratische Fläche um das Kind bildet und damit ihrem Gemälde Geschlossenheit verleiht. Ungewöhnlich ist der Detailgrad, mit der Modersohn-Becker hier das Gesicht malt. Auf anderen Kinderbildern aus derselben Zeit setzt sie eine Vereinfachung von Form und Farbe erheblich radikaler um und reduziert das Gesicht auf das Notwendige.

Paris 1905

Selbstporträt, 1906, Bremen

Bereits im Jahre 1903, nach ihrem letzten kurzen Aufenthalt in Paris, hatte Paula Modersohn-Becker angekündigt, dass sie immer wieder für eine Zeit lang dahin zurückkehren wollte. Obwohl es Otto Modersohn schwerfiel, gab er dem erneuten Reisewunsch seiner Frau nach und finanzierte den Aufenthalt. Am 14. Februar 1905 reiste sie nach Paris, um dort gemeinsam mit ihrer Schwester Herma Becker unbeschwerte Tage zu verbringen. Ihren Mann drängte sie wiederholt, sich ihnen doch anzuschließen. Sie belegte erneut Kurse im Zeichnen an privaten Akademien, wurde sich aber zunehmend bewusst, dass sie mittlerweile eine eigene malerische Sprache entwickelt hatte. Erneut suchte sie einige Künstler des Nabiskreises auf, darunter Maurice Denis.

Endlich gab Otto Modersohn ihrem Wunsch nach und kam in Begleitung von Milly Becker, Martha und Heinrich Vogeler und dessen Schwester Marie nach Paris, obwohl ihm seine Frau angedeutet hatte, dass sie gern mit ihm allein Paris erleben wollte. Gemeinsam besuchte man erneut Kunstausstellungen. Da kurz zuvor am 8. März 1905 Otto Modersohns Mutter gestorben war, konnte er das Pariser Leben nicht mehr so genießen, wie beide es sich gewünscht hatten. Enttäuscht, weil er ihr die letzte Pariswoche „recht verdorben“ hatte, wie Paula Modersohn-Becker ihrer Schwester Herma in einem Brief aus Worpswede am 21. April 1905 berichtete: Er bildete sich ein, ich bliebe am liebsten in Paris und hielte von Worpswede nichts mehr.

Während Kunsthistoriker nur vermuten können, dass Paula Modersohn-Becker während ihres zweiten Besuchs neben Gemälden von Paul Cézanne auch Bilder von Paul Gauguin sah, ist dies für den dritten Besuch durch Reisetagebuchnotizen ihres Mannes eindeutig belegt. Nach ihrer Rückkehr nach Worpswede begann sie sich intensiv mit diesem Künstler auseinanderzusetzen und ließ sich unter anderem von einer ihrer Schwestern Aufsätze über diesen Maler zusenden.

Die letzten Jahre

Rückkehr nach Worpswede – Sommer 1905 bis Februar 1906

Kinderakt mit Goldfischglas, 1906 / 1907, München, Neue Pinakothek

Der dritte Aufenthalt in Paris hatte Paula Modersohn-Becker angeregt, sich mehr dem Stillleben zuzuwenden. Vor 1905 sind nur zehn Stillleben in ihrem Werk nachweisbar, von 1905 bis 1907 sind es annähernd fünfzig. In diesen führte sie die abgebildeten Gegenstände immer stärker auf ihre Grundformen zurück – Kreis, Ellipse und Trapez.

Am 20.Dezember 1905 schrieb Otto Modersohn in sein Tagebuch: „und an der Seite Paula mit ihren meisterlichen Stilleben und Skizzen, das kühnste und beste an Farbe was hier in Worpswede je gemalt.“ Und am 23. April 1906: „Paulas herrliche Stilleben haben mich ganz gefangen genommen, mit ihnen verglichen besteht nichts. Das wußte ich eigentlich schon lange.“

Daneben entstanden zahlreiche weitere Kinderporträts, darunter Bilder wie Bauernmädchen auf einem Stuhl sitzend, in denen auf alle differenzierenden Linien und Formen verzichtet wird, oder Blasendes Mädchen im Birkenwald, das ihre Biografin Liselotte von Reinken für die schönste Fassung ihrer immer neuen Versuche hält, die Einheit von Kind und Natur in einfacher Zeichensprache auszudrücken. Ein in strenger Profilsicht dargestelltes Mädchen, das auf einem Tuterohr bläst, schreitet weitausschreitend vor einem engen Gitter herbstlich gefärbter Bäume.

Die wenigen kritischen Anmerkungen in den Tagebüchern ihres Mannes werden immer wieder durch ausgesprochen anerkennende und weit vorausschauende Äußerungen über ihre Kunst aufgewogen. (siehe Busch/Reinken/Werner 2007)

Im Tagebuch-Eintrag vom 11. Dezember 1905 schrieb er:

„[…] malt lebensgroße Akte und das kann sie nicht, ebenso lebensgroße Köpfe kann sie nicht […] Ihre herrlichen Studien läßt sie liegen. Zu ihnen Zeichnungen machen – Technik lernen – und sie ist fertig. Sie ist hochkoloristisch – aber unmalerisch hart besonders in ausgeführten Figuren. Verehrt primitive Bilder, sehr schade für sie – sollte sich malerische ansehen. Will Farbe und Form vereinigen – geht gar nicht in der Weise, wie sie es macht […]“ (zit. n. Busch, S. 427)

In Paula Modersohn-Becker reifte immer wieder der Wunsch, nach Paris zu gehen. Clara Westhoff, die von Rilke getrennt wieder in Worpswede lebte, vertraute sie diesen Wunsch ebenso an wie ihrer Mutter, der sie in Briefen gestand, dafür bereits Geld zu sparen. Als Rilke im Dezember 1905 nach Worpswede kam, um dort mit Frau und Kind Weihnachten zu feiern, weihte auch sie ihn in ihre Pläne ein. Rilke befasste sich nun erstmals ausführlicher mit der Kunst von Modersohn-Becker und schrieb an seinen Gönner August Karl Freiherr von der Heydt im Januar 1906:

„Das merkwürdigste war, Modersohns Frau in einer ganz eigenen Entwicklung ihrer Malerei zu finden, rücksichtslos und geradeaus malend, Dinge, die sehr worpswedisch sind und die noch nie einer sehen und malen konnte. Und auf diesem ganz eigenen Wege sich mit van Gogh und seiner Richtung seltsam berührend.'“ (zit. n. Reinken, S. 109)

Rilke ermutigte sie in ihrem Wunsch, Worpswede und damit ihren Mann zu verlassen. Um sie zu unterstützen, erwarb er von ihr das Gemälde Säugling mit der Hand der Mutter. Er riet ihr wenig später auch, ihre Gemälde doch auf verschiedenen Pariser Ausstellungen zu zeigen. Paula Modersohn-Becker aber, die nur sehr ungern anderen ihre Bilder zeigte, wollte dieser Empfehlung nicht folgen, weil sie meinte, künstlerisch noch nicht so weit zu sein.

Trennung von Otto Modersohn

Stillleben mit Tonkrug, 1907, Privatsammlung

Am 23. Februar 1906 verließ Paula Modersohn-Becker Worpswede. Im Tagebuch hielt sie fest, dass sie mit diesem Schritt Otto Modersohn verlassen habe. Für ihn kam der Schritt überraschend, und er sandte ihr nach Paris bittende Briefe, wieder zu ihm zurückzukehren. Paula Modersohn-Becker dagegen bat ihn, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass sie von nun an getrennte Lebenswege gehen würden. Otto Modersohn kam sogar im Juni für eine Woche nach Paris, die Aussprache zwischen den zwei Ehepartnern blieb jedoch ergebnislos. Otto Modersohn unterstützte seine Frau jedoch weiterhin finanziell. Ihre Familie warf ihr Egoismus vor.

In Paris richtete sie sich in der Avenue du Maine ein spartanisches Atelier ein. Sie nahm auch erneut Zeichenkurse und besuchte einen Anatomiekurs an der École des Beaux-Arts, weil sie mit ihrer Malerei unzufrieden war. Erneut besuchte sie zahlreiche Ausstellungen. Angeregt durch eine im „Salon des Indépendants“ gezeigten Plastik besuchte sie den Bildhauer Bernhard Hoetger in seinem Atelier. Als dieser durch eine zufällige Bemerkung von ihr entdeckte, dass sie Malerin war, bestand Hoetger darauf, sich ihre Gemälde anzusehen. Hoetger war von diesen begeistert. Für Paula Modersohn-Becker, die bislang lediglich von ihrem Mann und kurz vor ihrem Weggang aus Worpswede durch Rilke Unterstützung in ihrem künstlerischen Weg gefunden hatte, hatte dieses Urteil sehr großes Gewicht:

Sie haben mir Wunderbarstes gegeben. Sie haben mich selber mir gegeben. Ich habe Mut bekommen. Mein Mut stand immer hinter verrammelten Toren und wußte nicht aus noch ein. Sie haben die Tore geöffnet. Sie sind mir ein großer Geber. Ich fange jetzt auch an zu glauben, daß etwas aus mir wird. Und wenn ich das bedenke, dann kommen mir die Tränen der Seligkeit... Sie haben mir so wohl getan. Ich war ein bißchen einsam,

schrieb sie ihm am 5. Mai 1906. Das Urteil von Hoetger war für sie der Anlass, sich mit aller Kraft ihrer Malerei zu widmen. Die Anzahl der Gemälde, die von 1906 bis 1907 entstanden, werden auf insgesamt neunzig geschätzt – ihre Biografin Liselotte von Reinken hat anlässlich dieser ungewöhnlich hohen Anzahl von Gemälden angemerkt, dass man allein aufgrund der damit verbundenen physischen Kraftanstrengung zweifeln würde, wenn man nicht ihre Briefe und Tagebücher als Beleg dafür hätte.

Sie arbeitete vor allem an Aktbildern. Außerdem entstanden neben Stillleben in dieser Zeit zahlreiche Selbstbildnisse wie Selbstbildnis mit Zitrone. Viele davon waren Halbakte. Sie wagte sich auch an einen in der Kunstgeschichte bis dahin nicht nachweisbaren Bildtypus, ein Selbstbildnis in ganzem Akt.

Letzte Rückkehr nach Worpswede

Der barmherzige Samariter 1907, Bremen, Sammlung Ludwig Roselius
Alte Armenhäuslerin im Garten, 1907

Am 3. September 1906 teilte Paula Modersohn-Becker ihrem Mann mit, er möge in die Scheidung einwilligen, und sie bat ihn, ihr noch einmal 500 Mark zu geben. Danach wollte sie allein für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Wenige Tage später, am 9. September, widerrief sie ihre Entscheidung. Den Meinungswechsel bewirkte maßgeblich Bernhard Hoetger, der ihr in den Tagen dazwischen deutlich machte, wie wenig sie dazu im Stande sein würde, für sich selbst finanziell aufzukommen.

Ich habe diesen Sommer gemerkt, daß ich nicht die Frau bin alleine zu stehen....Ob ich schneidig handle, darüber kann uns erst die Zukunft aufklären. Die Hauptsache ist: Stille für die Arbeit und die habe ich auf die Dauer an der Seite Otto Modersohns am meisten.

schrieb sie am 17. November an Clara Rilke-Westhoff.

Im Oktober bat Paula Modersohn-Becker ihren Mann, nun doch nach Paris zu kommen, damit sie versuchten, sich wieder zu finden. Sie blieben den Winter über in Paris. Er bezog in derselben Straße wie sie ein Atelier und berichtete in seinem Reisetagebuch: „Es wurde eine sehr denkwürdige, hochanregende Zeit...verkehrten viel mit Hoetgers, mit Paula wurde alles alsbald gut. Museen, namentlich der Louvre, Kunsthandlungen lernte ich natürlich gründlich kennen, überhaupt die ganze wunderbare Stadt. Paula malte sehr viel: das italienische Modell mit dem Kinde, abends war ich immer in ihrem großen Atelier.“ Im März 1907 kehrte Paula Modersohn-Becker gemeinsam mit ihrem Mann nach Worpswede zurück. In Worpswede entstanden in diesem Jahr nicht mehr viele Bilder, dafür aber sehr wichtige.

Ihr größter Wunsch war in Erfüllung gegangen: sie war jetzt endlich schwanger, litt jedoch darunter, dass die Schwangerschaft es ihr unmöglich machte, wie früher viele Stunden am Tag zu malen. Zu den letzten Bildern, die sie vollendete, zählt Alte Armenhäuslerin im Garten. Es ist die Darstellung einer alten Frau, die, umgeben von einem Feld mit wildem Mohn, in den im Schoß zusammengelegten Händen einen Fingerhutstängel hält. In diesem Bild verarbeitete sie Anregungen aus der naiven Kunst. Dem Bild folgte ein letztes Selbstbildnis, das Selbstbildnis mit Kamelienzweig.

Am 2. November brachte Paula Modersohn-Becker nach einer schwierigen Geburt ihre Tochter Mathilde („Tille“, gest. 1998) zur Welt. Der Arzt verordnete ihr Bettruhe. Am 20. November durfte sie erstmals aufstehen, worauf eine Embolie einsetzte, an der sie im Alter von 31 Jahren verstarb. Wie schade, so überlieferte Otto Modersohn, seien ihre letzten Worte gewesen (Bohlmann-Modersohn: Otto Modersohn, Leben und Werk S. 184).

„Es ist nicht auszudenken, was noch alles entstanden wäre, wenn sie noch länger gelebt hätte. Sie träumte in den letzten Monaten viel von Italien, das sie nie gesehen, von Akten im Freien, von großfigurigen Bildern. Man kann nur ahnen, was sie der Welt noch geschenkt hätte.“ (Otto Modersohn: Ein Buch der Freundschaft, 1932)

Rezeptionsgeschichte

Es ist vor allem dem Engagement von Otto Modersohn und Heinrich Vogeler zu danken, dass in den Jahren nach Paula Modersohn-Beckers Tod ihre Gemälde in mehreren Ausstellungen gezeigt wurden. Die Bedeutung der Malerin Paula Modersohn-Becker und ihres Werkes hat Vogeler erst nach ihrem frühen Tod erkannt – manche Biografen Modersohn-Beckers sehen in seinem engagierten Einsatz für ihr Werk eine Wiedergutmachung dafür, dass er sie lange nur als Ehefrau seines Künstlerkollegen Otto Modersohn wahrnahm. Paula Modersohn-Becker hat während ihres Lebens nur etwa fünf Bilder verkauft – den frühen Ausstellungen in den ersten Jahren nach ihrem Tod ist es erst zu verdanken, dass einige Sammler auf sie aufmerksam wurden und begannen, ihre Gemälde zu erwerben. Zu diesen Sammlern gehört Herbert von Garvens, August von der Heydt, der, angeregt durch Rilke, 28 ihrer Gemälde erwarb, sowie Ludwig Roselius, auf dessen Initiative das Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen zurückzuführen ist. 1913 wurden in der Kunsthalle Bremen 129 ihrer Gemälde gezeigt, und eine immer größer werdende Anhängerschaft begann, ihre Bilder aufgrund ihrer formalen Dichte und ihrer gleichnishaften Ausdrucksstärke zu schätzen.

Zu ihrem zehnten Todestag im Jahre 1917 veranstaltete die Kestner-Gesellschaft eine große Ausstellung mit ihren Werken und veröffentlichte eine Auswahl ihrer Briefe und Tagebucheinträge. Diese Sammlung, veröffentlicht unter dem Titel Eine Künstlerin: Paula Becker-Modersohn – Briefe und Tagebuchblätter wurde ein Erfolg und machte ihren Namen bekannt. Sie sind mehrfach neu aufgelegt worden und nach dem Zweiten Weltkrieg auch als Taschenbuch erschienen. Sie haben aber auch zu einer lang anhaltenden sentimentalen Deutung ihrer Person geführt: ein Mädchen, das davon träumt, Künstlerin zu werden, diesen Weg gegen Widerstände und auf Grund glücklicher Umstände umzusetzen vermag, von einem möglichen Lebensweg als Gouvernante durch die Ehe mit einem bekannten und anerkannten Künstler bewahrt wird, nach einer anfänglich glücklichen Ehezeit sich zunehmend in dieser Ehe gefangen fühlt, auszubrechen versucht und kurz darauf im Kindbett verstirbt. Wenn auch die Entschlossenheit ihrer künstlerischen Selbstfindung Bewunderung erregte, hat sie mitunter den Blick auf die Künstlerin Paula Modersohn-Becker verstellt. Die sehr persönlichen, nie zur Veröffentlichung bestimmten Tagebücher und Briefe sind von einer schwärmerisch-romantischen Geisteshaltung getragen, die im Widerspruch zu der Bildsprache Modersohn-Beckers steht. Als eine „verklärte Phantasie-Figur“ werde Paula Modersohn-Becker aufgrund dieser Aufzeichnungen wahrgenommen, schrieb Günter Busch in seinem einleitenden Essay zur Ausgabe ihrer Briefe und Tagebücher, die im Jahre 1979 erschien. Dazu hat beigetragen, dass die 1917 veröffentlichte Auswahl manchen Tagebuchpassagen nicht das entsprechende Korrektiv entgegensetzte. So ist zwar in dieser Ausgabe ihre scheinbare Todesahnung enthalten, die sie während ihrer Krankheit nach dem ersten Parisaufenthalt niederschrieb. Das jubelnde Und es wird doch noch lange dauern, das sie festhielt, als es ihr kurz darauf gesundheitlich wieder besser ging, fehlt dagegen. 2007 wurde die von Günter Busch und Liselotte von Reinken herausgegebene Ausgabe der Briefe und Tagebuchblätter, von Wolfgang Werner revidiert und erweitert, neu aufgelegt. Diese, bisher vollständigste Fassung ihrer schriftlichen Zeugnisse, korrigiert den Blick auf die Künstlerin in vielen Details und erlaubt einen nüchternen Blick auf ihr Leben und Werk.

1919 erschien der erste Werkkatalog, der von dem Kunsthistoriker und Leiter der Bremer Kunsthalle, Gustav Pauli, herausgegeben wurde. Der Werkkatalog führte zu diesem Zeitpunkt nur 259 Werke auf, er wurde in den nachfolgenden Jahren jedoch allmählich erweitert. Zugeordnet wurde Modersohn-Becker meist dem Kreis der Worpsweder Künstler, obwohl sie mit ihrer Kunst deutlich außerhalb dieser Gruppe stand. So zeigen ihre Landschaftsbilder beispielsweise eine größere stilistische Verwandtschaft zu den Gemälden eines Max Pechstein oder einer Gabriele Münter.

Am 2. Juni 1927 wurde das Paula-Becker-Modersohn-Haus in Bremen eingeweiht. Bis 1933 folgten zahlreiche weitere Ausstellungen. Während der Zeit des Nationalsozialismus zählte das Werk Modersohn-Beckers zur entarteten Kunst. Es wurde aus den Museen entfernt, einzelne Bilder wurden ins Ausland verkauft. Im Ausland war Paula Modersohn-Becker eine bis dahin weitgehend unbekannte Künstlerin; die Verkäufe bewirkten, dass man nun auch im Ausland auf sie aufmerksam wurde. Trotzdem zählt sie auch heute im Ausland eher zu den unbekannten Künstlern – ihre Rolle als Kunstschaffende, die das künstlerische Weltbild des 20. Jahrhunderts vorausahnte, wird überwiegend in den deutschsprachigen Ländern wahrgenommen. Zu dieser begrenzten Wahrnehmung der Künstlerin Modersohn-Becker hat beigetragen, dass sich, anders als bei Gauguin, van Gogh oder Cézanne, kein Künstler nachweisbar kreativ mit ihrer Kunstauffassung auseinandersetzte und ihre Bildideen weiterentwickelte; ihr Werk ist nicht „schulbildend“ geworden und steht weitgehend isoliert.

Die systematische Aufarbeitung ihres Gesamtwerkes setzte erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein und fand meist in Zusammenhang mit großen Retrospektiven anlässlich verschiedener Gedenktage statt. Einige ihrer Werke wurden auch in das Ausstellungskonzept der documenta 1 (1955) und der documenta III im Jahr 1964 in Kassel einbezogen. Das Urteil, das Rilke kurz vor ihrem Tode über ihr Werk fällte, hat auch nach dieser systematischen Aufarbeitung noch Bestand. Modersohn-Becker zeigt eine enge Verwandtschaft zu den neuen malerischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Angeregt von den Arbeiten der avantgardistischen französischen Künstler, mit denen sie sich während ihrer Aufenthalte in Paris auseinandersetzte, hat sie eine eigenständige Bildsprache entwickelt, in der sich Elemente des Expressionismus, Fauvismus und Kubismus ebenso zeigen wie Bezüge zu der Kunst vergangener Epochen. Dies bestätigt sich auch bei einem Blick in das 1998 von Günter Busch und Wolfgang Werner erarbeitete Werkverzeichnis der Gemälde, das über 750 Werke erfasst. Die 2007/2008 in Bremen stattfindenden Ausstellungen beleuchten die Verbindungen Paula Modersohn-Beckers zu so unterschiedlichen Bereichen wie der zeitgenössischen Kunst in Paris und den altägyptischen Mumienporträts und zeigen einmal mehr die weitgespannten Interessen der Künstlerin.

Das Werk

Selbstporträt, 1906, Privatsammlung

Das Werk von Paula Modersohn-Becker umfasst Porträts, Kinderbildnisse, die Darstellung der bäuerlichen Lebenswelt in Worpswede, Landschaften, Stillleben und Selbstporträts. Letztere begleiteten sie während ihrer gesamten Schaffensperiode. Sie ist darin Käthe Kollwitz vergleichbar, bei der sich gleichfalls die persönliche Entwicklung in ihren Selbstporträts spiegelte. Über ihre Selbstporträts schrieb Heinrich Vogeler in seinen Erinnerungen:

„Paula Becker malte sich häufig selber. Es sind außer dem liebreizenden einfachen Bildnis aus der Frühzeit meist Selbstbildnisse einer ihrer Kraft bewußt werdenden Frau, die Oberlippe verlor ihre Weichheit, energisch unterstreicht sie den klaren, beobachtenden Blick der Augen.“ (zitiert n. Murken-Altrogge, S. 72 f)

Besonders häufig malte sie sich während des Jahres 1906, in dem sie versuchte, sich von ihrem Mann unabhängig zu machen. Während dieser Zeit entstanden auch ihre Akt-Selbstbildnisse, die als die ersten Aktselbstdarstellungen der Kunstgeschichte gelten. Sie sind für die damalige Bildtradition äußerst kühn und verstießen gegen alle Kunstkonventionen.

Die bäuerlichen Szenen sind bewusst unromantisch, nicht anklagend und stellen anders als bei Käthe Kollwitz nicht den sozialen Aspekt in den Vordergrund. Sie sind dominiert von einer Sympathie für den Menschen und einem Interesse an Form und Konstruktion. Der Bildraum ist häufig entgegen akademischen Regeln flächig reduziert und beginnt bereits an der unteren Bildgrenze. Die Rahmenkante überschneidet häufig Teile der Darstellung. Diese „unschöne“ Darstellung bäuerlichen Lebens unterschied sie deutlich von der damals gängigen Malerei, in der das Landleben heroisiert wurde. Ihre Darstellungen haben auch wenig gemeinsam mit den mehr genrehaften Darstellungen bäuerlicher Milieuschilderungen des Worpsweder Künstlerkreises.

Ungewöhnlich sind auch ihre Kinderbildnisse. Sie sind frei von allem Sentimentalem, allem Verspielten oder Anekdotischen und zeigen eine ernsthafte und ungeschönte Wahrnehmung von Kindern. Sie hebt sich damit deutlich ab von den Kinderbildnissen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wie sie beispielsweise Hans Thoma, Hermann Kaulmann oder Ferdinand Waldmüller malten. Sie hat mit dieser Darstellungsweise jedoch auch das meiste Unverständnis erregt. Die Kunsthistorikerin Christa Murken-Altrogge hat auf die stilistische Nähe zwischen ihren Kinderbildnissen und den Gemälden des jungen Picasso aufmerksam gemacht, die der Blauen und Rosa Periode zugerechnet werden und die zur selben Zeit entstanden. In den Porträts von 1906 und 1907 zeigen sich jedoch auch Elemente des geometrisch-konstruktiven Stils des Kubismus.

Paula Modersohn-Becker-Stiftung

1978 begründete ihre Tochter Tille (1907–1998) die Paula Modersohn-Becker-Stiftung.

Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen

Das Paula Modersohn-Becker Museum in der Bremer Böttcherstraße zeigt dauerhaft Meisterwerke von Paula Modersohn-Becker. Das Museum und das expressionistische Museumsgebäude gehen auf Ludwig Roselius (1874–1943) zurück, der Bernhard Hoetger (1874–1949) beauftragte, das Gebäude zu entwerfen, in dem seine Sammlung von Werken Paula Modersohn-Beckers untergebracht werden sollte. Am 2. Juni 1927 wurde das Museumsgebäude unter dem Namen Paula-Becker-Modersohn-Haus eröffnet; Ludwig Roselius setzte bei der Namensnennung den Geburtsnamen von Paula Modersohn-Becker voran. Durch Neuankäufe und Leihgaben der Paula Modersohn-Becker-Stiftung konnte die Sammlung von Ludwig Roselius erweitert werden. Außerdem befindet sich in dem Museum auch eine Sammlung von Skulpturen, Gemälden und Zeichnungen von Bernhard Hoetger. Die Ausstellungsräume werden auch für Sonderausstellungen genutzt.

Das erste Denkmal für Paula Modersohn-Becker

Bereits 1899 fertigte die Bildhauerin Clara Westhoff eine Büste ihrer Freundin Paula Becker an – ein Symbol ihrer Freundschaft und der gemeinsamen Leidenschaft für die Kunst. Ein Abguss dieses markanten Kopfes, dessen Original in der Sammlung der Kunsthalle Bremen ausgestellt wird, ist seit dem 100. Todestag der Künstlerin am 20. November 2007 in den Bremer Wallanlagen zu sehen. Der bronzene Abguss der Büste ist auf einem Steinsockel angebracht, den der niedersächsische Künstler Hawoli geschaffen hat.

„Da trat einmal ein Mensch zu uns herein, dessen Bild sich auf eine besondere Art einprägte. War es die Haltung, die entschlossener schien als die anderer Menschen, der kluge braune Blick, der einen fühlen machte: Halt, hier ist jemand, paß auf!“ So berichtet Clara Rilke-Westhoff 1932 in einer Gedenkschrift über ihre erste Begegnung mit Paula Becker im Jahr 1898. Ein Jahr später schuf die Bildhauerin mit der Büste ihrer Weggefährtin ein naturnahes, intensives Abbild der 23-jährigen Paula, das zugleich tiefe Bewunderung für die Freundin ausdrückt. 1908, nach dem Tod ihrer Freundin, überarbeitete sie diese Gips-Skulptur und ließ die zweite, idealisierte Fassung in Bronze gießen. Neben dem Grabmal auf dem Worpsweder Friedhof und der Paula Modersohn-Becker-Briefmarke aus der Serie Frauen der deutschen Geschichte erhielt die berühmte Malerin zusätzlich zum „Paula Modersohn-Becker-Steg“ in Bremen diese ganz besondere Hommage in jener Stadt. in der sie ihre künstlerische Karriere begann.

Einzelnachweise

  1. http://www.radiobremen.de/magazin/kultur/kunst/modersohn-becker/biografie.html

Literatur

Paula Modersohn-Becker auf einer Briefmarke aus der Serie Frauen der deutschen Geschichte
  • Paula Modersohn-Becker, Sophie Dorothee Gallwitz: Eine Künstlerin – Paula Becker-Modersohn. Briefe und Tagebuchblätter. Kestner-Gesellschaft, Hannover 1917.
  • Christa Murken: Paula Modersohn-Becker. DuMont Buchverlag, Köln 2007. ISBN 978-3-8321-7768-3
  • Paula Modersohn-Becker - eine Biographie mit Briefen, Marina Bohlmann-Modersohn btb, Berlin 2007 (aktualisierte Neuauflage) ISBN 978-3-442-73643-0 (enthält als einzige Neuerscheinung die sehr gut recherchierte Rezeptionsgeschichte im 15. Kapitel, sehr spannend zu lesen.)
  • Paula und Otto Modersohn, Marina Bohlmann-Modersohn, Rowohlt, Reinbek 2003. ISBN 3-499-23370-3
  • Otto Modersohn - Leben und Werk, Marina Bohlmann-Modersohn, Herausgeber: Otto Modersohn Museum und die Gesellschaft Otto Modersohn Museum eV., Fischerhude, 2005. ISBN 3-929250-05-5 (Taschenbuch) (ohne ihn wäre ihr Werk nicht entstanden)
  • Christa Murken-Altrogge: Paula Modersohn-Becker. DuMont Buchverlag, Köln 1991. ISBN 3-7701-2677-7
  • Liselotte von Reinken: Paula Modersohn-Becker mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 1983. ISBN 3-499-50317-4 (Sehr interessant geschriebene, kurze Biografie über Modersohn-Becker)
  • Günter Busch, Liselotte von Reinken (Hrsg.): Paula Modersohn-Becker in Briefen und Tagebüchern. Fischer, Frankfurt am Main 1979. ISBN 3-10-050601-4
  • Günter Busch, Liselotte von Reinken (Hrsg.): Paula Modersohn-Becker in Briefen und Tagebüchern., 2te revidierte und erweiterte Ausgabe, Fischer, Frankfurt am Main 2007. (In diesem Buch lassen sich alle Zitate aus Paula Modersohn-Beckers Tagebüchern und Briefe unter ihrem jeweiligen Datum nachlesen.)
  • Norbert Weiss, Jens Wonneberger: Dichter Denker Literaten aus sechs Jahrhunderten in Dresden. Die Scheune, Dresden 1997. ISBN 3-931684-10-5
  • Gabriele Gorgas: Eine der Großen dieses Jahrhunderts. Erstes umfassendes Werkverzeichnis der Gemälde von Paula Modersohn-Becker erschienen. In: DNN. Dresden 2. August 1999.
  • Dieter Sell: Ein kurzes, intensives Fest. Vor 125 Jahren wurde die Malerin Paula Modersohn-Becker in Dresden geboren. In: Sonntag. Berlin 11. Februar 2001. ISSN 00381411
  • Siegfried Merker: Nachtrag zu Paula Modersohn. (Leserbrief). In: DNN. 24. Februar 2001.
  • Monika Keuthen: „…und ich male doch!“ Paula Modersohn-Becker. Econ-List, München 1999, 2001. ISBN 3-612-26605-5
  • Peter Elze: Göttertage. Paula Modersohn-Becker in Bildern, Briefen und Tagebuchaufzeichnungen aus Worpswede. Beste Zeiten, Bremen 2003. ISBN 3-88808-530-6
  • Barbara Beuys: Paula Modersohn-Becker oder: wenn die Kunst das Leben ist. Hanser, München 2007. ISBN 978-3-446-20835-3
  • Rainer Stamm: Ein kurzes intensives Fest. Paula Modersohn-Becker. Eine Biographie, Reclam Verlag, Stuttgart 2007. ISBN 3-15-010627-3
  • Charlotte Ueckert: Paula Modersohn-Becker. Rowohlt, Reinbek 2007. ISBN 978-3-499-50567-6
  • Kerstin Decker: "Paula Modersohn-Becker. Eine Biografie". Propyläen, Berlin 2007. ISBN 978-3-549-07323-0
  • Tankred Dorst: "Künstler. Ein Stück" Suhrkamp Verlag KG, 10/2007. ISBN 978-3-518-12515-1
  • Günter Busch, Wolfgang Werner (Hrsg.): Paula Modersohn-Becker 1876 - 1907. Werkverzeichnis der Gemälde, 2 Bde., Hirmer, München 1998

Weblinks


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