Phytotelmen

Phytotelmen
Dendrotelme

Ein Phytotelm (plur. Phytotelmata, seltener auch Phytotelmen, von griechisch φυτόν, „Pflanze“ und τέλμα, „Pfütze“) ist ein Kleinstgewässer, das sich in einer Vertiefung einer lebenden Landpflanze bildet. Das Wasser stammt meist aus Regen, seltener wird es aktiv von der Pflanze ausgeschieden.

Inhaltsverzeichnis

Typen von Phytotelmata

Wassergefüllter Bromelientrichter

Man unterscheidet die folgenden Typen von Phytotelmata:

  • Astlöcher in Bäumen aller Art (Dendrotelme)
  • Bambusstengel sind innen hohl, wenn der Spross abbricht oder abgeschnitten wird, kann sich in diesem Hohlraum Regenwasser sammeln.
  • Bromelientrichter: viele Bromeliengewächse (Bromeliaceae) bilden trichterförmige Blattrosetten, in denen sich Wasser sammelt.
  • Blattachseln können manchmal auch beträchtliche Mengen Regenwasser enthalten. Beispiele sind die in Mitteleuropa heimische Karde oder die mittelamerikanische Helikonie.
  • Kesselfallen in fleischfressenden Pflanzen (Nepenthes, Cephalotus, Sarracenia etc.) bilden krugförmige Blätter, in die Beutetiere hineinfallen und nicht mehr herausklettern können. Der Kessel enthält eine Flüssigkeit, die im Gegensatz zu den anderen Phytotelmtypen meist von der Pflanze selbst produziert wird (Ausnahme Sarracenia und verwandte Gattungen) und vielfach Verdauungsenzyme enthält.

Lebensbedingungen in Phytotelmata

  • Phytotelmata sind grundsätzlich weltweit verbreitet, allerdings nur in Regionen mit ausreichend hohen Niederschlägen. In Mitteleuropa kann man vor allem wassergefüllte Astlöcher finden. Das Lebensalter von Phytotelmata kann sehr stark variieren. Astlöcher wurden schon über mehr als zehn Jahre durchgehend beobachtet. Auch der Wasserkörper in Bromelientrichtern besteht wahrscheinlich so lange wie die Pflanze lebt. Blattachsel und Kannen karnivorer Pflanzen überdauern hingegen nur etwa eine Vegetationsperiode, manchmal trocknen sie aber auch schon sehr viel früher aus. Die Größe von Phytotelmata schwankt extrem. Blattachseln oder die Fallen kleiner fleischfressender Pflanzen enthalten oft kaum 1ml Wasser, große Kannen der fleischfressenden Pflanze Nepenthes oft mehrere Liter, große Astlöcher bis zu 100l.

Das Wasser in Phytotelmata ist anfangs meist nährstoffarm, da es aus Regen stammt. Im Lauf der Zeit fallen Staub oder abgestorbenes Laub hinein, beziehungsweise ertrinken Tiere in den Kannen fleischfressender Pflanzen. Das Wasser wird daher im Lauf der Zeit immer nährstoffreicher. Die Temperatur des Wasser unterliegt extremen Schwankungen, da die geringe Wassermenge Wärme schnell aufnimmt oder abgibt. Bei starker Erwärmung kann das Wasser auch sehr sauerstoffarm werden.

In Baumlöchern und Bambusstengeln nimmt die Pflanze keinen erkennbaren Einfluss auf die Zusammensetzung des Wassers. Bromelien und fleischfressende Kesselfallenpflanzen hingegen entziehen dem Wasser aktiv Nährstoffe für die Ernährung der Pflanze. Dafür scheiden fleischfressende Pflanzen häufig Enzyme, Detergenzien, Säuren oder Radikale in ihre Kannenflüssigkeit ab, um ihre Beute schneller zu verdauen. In Blattachseln finden sich bisweilen gelöste Schleime.

Die Bewohner der Phytotelmata

Phytotelmata werden von einer Vielzahl an Organismen besiedelt, das Spektrum reicht von Bakterien und Pilzen über Insekten, Milben und Kleinkrebsen bis zu Kaulquappen. Wirklich gut erforscht sind heute nur die Insekten. Die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft wird von mehreren Faktoren bestimmt:

  • Besiedlung: Die Bewohner müssen das Phytotelm erreichen können. Bakterien, Pilze, Algen, Urtierchen und andere sehr kleine Organismen gelangen wahrscheinlich nur durch Zufall in das Phytotelm, indem Sporen vom Wind verweht werden, oder an Blättern haften, die in das Phytotelm fallen. Flugfähige Insekten oder Frösche, deren Larven sich im Phytotelm entwickeln, suchen dagegen ihren Lebensraum aktiv auf. Manchmal verschleppen sie dabei ungewollt flugunfähige Phytotelmbewohner von einem Phytotelm ins nächste.
  • Überleben: Die Bewohner müssen in der Lage sein, im nährstoffarmen, aber oft enzymhaltigen Wasser des Phytotelms zu überleben, sie müssen starke Temperaturschwankungen ertragen und die eingeschränkten Nährstoffquellen nutzen können. Bakterienfresser können etwa erst erfolgreich einwandern, wenn sich genug organisches Material im Phytotelm angesammelt hat, um Bakterienwachsstum zu ermöglichen; Räuber können erst dann überleben, wenn es bereits eine ausreichende Population an Beutetieren gibt etc.
  • Konkurrenzfähigkeit: In jungen Phytotelmata überleben meist alle Organismen, welche die obige Bedingung erfüllen. Mit zunehmendem Alter des Lebensraums kommt es aber immer mehr zu Konkurrenz zwischen den verschiedenen Arten, welche einige wieder zum Aussterben bringen kann. So zeigte sich etwa, dass Fliegenlarven, die von Wissenschaftern in Kannenfallen gesetzt wurden, fast alle innerhalb kürzester Zeit von den Alteingesessenen getötet und gefressen wurden.
  • Verbreitung: eine erfolgreiche Phytotelmart muss schließlich in der Lage sein, ein Phytotelm wieder zu verlassen und ein neues zu besiedeln (s.o.)

Insgesamt wurden bereits mehrere hundert Arten als Bewohner von Phytotelmata beschrieben. Von besonderer Bedeutung sind die folgenden Organismengruppen:

  • Bakterien: Bakterien leben in jedem Phytotelm, sie ernähren sich nicht nur von organischer Substanz, die hineinfällt, sondern betreiben zum Teil auch Photosynthese. Einige von ihnen können Stickstoff aus der Atmosphäre binden, dieser kommt dann der Wirtspflanze, die das Phytotelm gebildet hat, zugute. In gut nährstoffversorgten Phytotelmata kommen mindestens 100 Millionen Bakterien pro Milliliter vor.
  • Pilze: In den Kannen fleischfressender Pflanzen sind Hefen allgegenwärtig; zusammen mit Bakterien sind sie am Abbau der Beute beteiligt. Höhere, fadenförmige Pilze sind seltener. Vielfach befallen sie auch die Pflanze, die das Phytotelm gebildet hat und wirken dann als Krankheitserreger. Manche Pilze leben auch als Parasiten auf Tieren, die das Phytotelm bewohnen. Viele Pilzarten vermögen zwar in einem Phytotelm zu wachsen, können aber unter Wasser keine Sporen bilden und sich somit nicht fortpflanzen.
  • Protozoen kommen auch in den meisten Phytotelmata vor, ausgenommen vielleicht die Kannen mancher fleischfressender Pflanzen, die allzu aggressive Verdauungsenzyme bilden. Es handelt sich meist um häufige Arten, die auch verschmutztes Wasser besiedeln, besonders häufig sind die Gattungen Bodo, Cercomonas, Colpoda und Peranema.
  • Rädertiere: neben vielen Arten, die nur durch Zufall in Phytotelmata geraden, gibt es auch einige, die an diesen speziellen Lebensraum angepasst sind, etwa Habrotrocha rosa in der fleischfressenden Pflanze Sarracenia purpurea
  • Fliegenlarven sind wahrscheinlich die größte Gruppe der Phytotelmbewohner. Viele Arten sind ganz auf diesen Lebensraum spezialisiert. In der Regel entwickeln sich die Larven im Phytotelm, die erwachsenen Tiere leben terrestrisch. Da Fliegen in der Regel gute Flieger sind, können trächtige Weibchen problemlos ein neues Phytotelm suchen und dort ihre Eier ablegen. Wenn die Fliegenweibchen nach dem Schlüpfen ihr Heimat-Phytotelm verlassen, bleiben oft Sporen von Bakterien und Pilzen oder Eier von Rädertieren oder Milben an ihnen hängen, die bei der Eiablage im nächsten Phytotelm wieder abgesetzt werden.
  • Kaulquappen: Viele tropische Laubfrösche legen ihren Laich ausschließlich in Phytotelmata, vor allem in die Trichter von Bromelien. Damit vermeiden sie es, je in ihrem Leben die Baumkronen verlassen zu müssen.
  • Daneben kommen noch Algen, Fadenwürmer, Ringelwürmer, Kleinkrebse, Milben, Libellenlarven, Schmetterlingsraupen, amphibische Ameisen und viele andere Gruppen vor.

Von diesen vielen Arten sind in jedem einzelnen Phytotelm aber stets nur einige wenige vertreten. Ein Phytotelm mit mehr als sechs Insektenarten gilt bereits als sehr artenreich, für andere Tiergruppen dürften ähnliche Zahlen gelten. Die Zahl der Individuen kann aber sehr hoch sein. So sind etwa 400 Rädertiere in einer einzigen Falle von Sarracenia keine Seltenheit.

Ökologie des Phytotelms

So klein die meisten Phytotelmata auch sind, bieten sie doch Platz für verschiedene Organismen mit unterschiedlichen Ansprüchen, sie enthalten somit mehrere ökologische Nischen. Die wesentlichen Lebensweisen sind hier aufgezählt:

  • Autotrophie: Phytotelmata enthalten kaum je grüne Pflanzen; es findet also nur wenig Photosynthese statt. Ihr Anteil an der gesamten Energieversorgung eines Phytotelms beträgt wahrscheinlich höchstens einige Prozent. Wenn doch Pflanzen vorkommen, sind es meist Grünalgen, Blaualgen oder Kryptophyta; ausnahmsweise können auch höhere Wasserpflanzen oder Moose vorkommen. Möglicherweise gibt es aber recht häufig photosynthetisierende Bakterien.
  • Herbivorie: Da es nur wenige Pflanzen gibt, spielen auch Pflanzenfresser keine besondere Rolle. Manchmal allerdings ernähren sich etwa Amoeben von Algen, die in einem Phytotelm wachsen (eigene Beobachtung). Daneben gibt es auch Organismen, welche die Wände des Phytotelms anfressen, also die Pflanze, in der sich das Phytotelm befindet. Diese Organismen zerstören jedoch früher oder später ihren eigenen Lebensraum, da die Flüssigkeit dann ausläuft.
  • Saprophagie: Die Mehrzahl der Phytotelmbewohner lebt entweder von organischer Substanz (totes Laub, Flugstaub, ertrunkene Tiere etc.), die in das Phytotelm fällt, oder von Bakterien, welche diese Substanz abbauen. Innerhalb dieser Gruppe unterscheidet man Filtrierer, die feinste Partikel aus der Flüssigkeit filtern, Mikro-Detritus-Saprophage, die etwas größere Partikel fressen, und Makro-Detritus-Saprophage, die etwa ganze Kadaver anfressen.
  • Prädatoren: Beutegreifer ernähren sich vorwiegend von den Detrivoren, sie können also nur in Phytotelmata leben, die schon eine größere Anzahl an Tieren beherbergen. Je nach Jagdstrategie unterscheidet man detritusbewohnende Prädatoren, die am Grund des Phytotelms in toter organischer Substanz herumkriechen oder lauern, sessile Prädatoren, die an der Wand des Phytotelms festsitzen und auf Beute warten, die vorbeischwimmt, Oberflächen-Prädatoren, die unter der Flüssigkeitsoberfläche auf Tiere lauern, die in das Phytotelm fallen, und freischwimmende Prädatoren, die aktiv herumschwimmen.
  • Top-Prädatoren stehen am Ende der Nahrungskette und fressen Saprophage und kleinere Prädatoren; sie sind daher meist die größten Organismen im Phytotelm. Man unterscheidet hier freischwimmende Top-Prädatoren, Lauerjäger und semiterrestrische Top-Prädatoren, die amphibisch leben und das Phytotelm nur zur Jagd aufsuchen.
  • Eifresser: Frosch-Kaulquappen, die sich in Phytotelmata entwickeln, würden hier oft zu wenig Futter finden. Das Muttertier legt daher in regelmäßigen Abständen weitere, unbefruchtete Eier, die von den Kaulquappen gefressen werden. In diesem Fall können ganz unglaubliche Populationsdichten erreicht werden; in den Fallen der fleischfressenden Pflanze Nepenthes ampullaria wurden in weniger als 100ml Flüssigkeit mehr als 100 Kaulquappen gefunden.

Die Nahrungsketten in Phytotelmata sind also in der Regel relativ kurz und umfassen höchstens drei Glieder (Sarcophage - Prädatoren - Top-Prädatoren); in jungen oder artenarmen Phytotelmata findet man sogar meist nur ein- oder zweigliedrige Nahrungsketten.

Trotz der geringen Größe der Phytotelmata können oft zwei oder mehr Arten mit ähnlichen Bedürfnissen koexistieren, indem sie sich die Ressourcen raffiniert aufteilen. In den Kesseln der fleischfressenden Pflanze Sarracenia purpurea etwa leben drei Arten von Fliegenlarven von Tieren, welche in die Falle stürzen. Die erste, Blaesoxipha fletcheri, frisst an der Beute, solange sie noch an der Oberfläche der Flüssigkeit schwimmt. Die zweite, Metriocnemus knabi, frisst weiter, sobald das tote Tier bis zum Grund der Falle abgesunken ist. Beim Fressen lösen sich jedoch viele kleine Partikel von der Leiche, die von der dritten Fliegenlarve, Wyeomyia smithii, aus der Flüssigkeit filtriert werden. Letztere frisst daneben noch Bakterien und Protozoen.

Phytotelmata als Modellsystem der Ökologie

Phytotelmata sind scharf abgegrenzte Mikrobiotope von oft nur wenigen Zentimetern Größe und einer Lebenswerwartung von oft nur einigen Wochen. Anders als „normale“ Ökosysteme kann man daher ihre gesamte Entwicklung bequem studieren. Ebenso kann man sehr einfach Experimente durchführen, etwa Arten hinzufügen oder herausfangen. Außerdem ist die Zahl der vorkommenden Arten recht überschaubar. Deswegen benutzen Ökologen zunehmend Phytotelmata als Modellsysteme, um Theorien zur Einwanderung von Arten, Konkurrzenz, Nahrungsketten und -netzen etc. zu testen.

Literatur

  • Kitching R L 2000 Food webs and container habitats. The natural history and ecology of phytotelmata. Cambridge University Press, Cambridge. 431 p.
  • Frank J H and Lounibos L P 1983 Phytotelmata: Terrestrial plants as hosts for aquatic insect communities. Plexus Publishing, New Jersey. 293 p.
  • Srivastava D S, Kolasa J, Bengtsson J, Gonzalez A, Lawler S P, Miller T E, Munguia P, Romanuk T, Schneider D C and Trzcinski M K 2004 Are natural microcosms useful model systems for ecology? Trends in Ecology & Evolution 19, 379 - 384.
  • Tan HTW, Ng PKL (1997) Digestion and early succession in the pitcher-fluid. In HTW Tan, ed, A guide to the carnivorous plants of Singapore. Singapore Science Centre, Singapore, pp 132 -138

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