Phytozönologie

Phytozönologie

Die Pflanzensoziologie (Phytozönologie) ist eine deskriptive und systematische Methode der Geobotanik (Vegetationsgeographie) zur Typisierung der Vegetation und Gliederung der Vegetationseinheiten (vgl. Vegetationskunde).

Inhaltsverzeichnis

Begriffsbestimmung

Die Vegetationsdecke der Erde besteht aus verschiedenen Pflanzenarten, die in unterschiedlichen und wiederkehrenden Artenkombinationen auftreten. Die Pflanzensoziologie ist die Lehre von der Vergesellschaftung der Pflanzenarten und Teil der Vegetationskunde. Sie beschreibt einzelne Pflanzengesellschaften und strebt eine empirisch begründete systematische Ordnung[1] aller Pflanzengesellschaften an, um ihre charakteristischen Eigenschaften und ihre Verwandtschaft darzustellen. In der Pflanzensoziologie ist die Zürich-Montpellier-Schule nach Braun-Blanquet vorherrschend.

„Pflanzensoziologie“ ist ein historisch gewachsener, im Gegensatz zu "Phytozönologie" sachlich aber nicht korrekter Begriff. Während die Soziologie und ihre biologischen Fachrichtungen Tiersoziologie und Biosoziologie innerartliche Vergesellschaftungen untersuchen, bestehen die von der Pflanzensoziologie untersuchten Pflanzengesellschaften aus mehreren Arten. In der Zoologie untersucht die Zoozönologie die Vergesellschaftung von Tierarten, während in der Biozönologie Vergesellschaftungen und Beziehungen von Tier- und Pflanzenarten erforscht werden.

Methode

Die pflanzensoziologische Methode beruht auf vier Arbeitsschritten: 1. die Vegetationsaufnahme, 2. die tabellarische Typisierung von Vegetationsaufnahmen nach floristischer Ähnlichkeit, 3. die Gesellschaftsbeschreibung der Vegetationstypen und 4. die systematische Einordnung der Vegetationstypen.

Vegetationsaufnahme

Die Vegetationsaufnahme wird im Gelände durchgeführt und bezeichnet die Übertragung von realen Vegetationsbeständen in eine symbolische Abbildung[2]. Dazu wird als erstes die Aufnahmefläche gewählt, die einen homogenen Pflanzenbestand umfassen und eine bestimmte Mindestgröße, das Minimumareal, nicht unterschreiten soll. Zur Bestimmung des Minimumareals wird die Zunahme der Arten in Abhängigkeit von der Zunahme der Fläche notiert und in einer Artenzahl-Areal-Kurve graphisch dargestellt. Das Minimumareal ist beim Abflachen dieser Kurve erreicht. Seine Größe schwankt zwischen weniger als einem Quadratmeter bei Trittrasen und bis zu über 100 Quadratmeter bei Forstaufnahmen. Sie ist von der Homogenität des Bestandes, dem Artenreichtum der Pflanzengesellschaft und von der Vegetationsverteilung im Gelände abhängig.

In der Aufnahmefläche werden zunächst die Kopfdaten (Aufnahmeort, Daten zur Geländesituation, zur Vegetationsdeckung und -schichtung, zum Boden und zur Nutzung, bei größeren Untersuchungsgebieten geographische Koordinaten, Meereshöhe) erhoben. Eventuell werden diese nachträglich durch Daten aus Karten und anderen Datensammlungen ergänzt. Die Aufnahmefläche sollte fotografisch dokumentiert werden (Situation im Gelände, Abgrenzung, besondere Arten). Dann wird die Aufnahmefläche abgesucht, alle in ihr vertretenen Arten notiert und anschließend für jede Art einzeln Artmächtigkeit und Soziabilität nach Schätzskalen bewertet.

Die Artmächtigkeit wird nach einer kombinierten Abundanz-/Dominanz-Skala, der Braun-Blanquet-Skala angegeben. Bei Pflanzenarten mit niedriger Deckung wird die Individuenzahl (Abundanz) geschätzt, bei solchen mit einer Deckung ab 5% der Deckungsgrad (Dominanz):

Symbol Individuenzahl Deckung
r selten, ein Exemplar (deutlich unter 1%)
+ wenige (2 bis 5) Exemplare (bis 1%)
1 viele (6 bis 50) Exemplare (bis 5%)
2 sehr viele (über 50) Exemplare (5 bis 25 %)
(oder beliebig) 5 bis 25 %
3 (beliebig) 26 bis 50%
4 (beliebig) 51 bis 75%
5 (beliebig) 76 bis 100%

Um den Schätzwert 2 (5-25%) zu präzisieren, wurde von Reichelt & Wilmanns 1973 eine erweiterte Braun-Blanquet-Skala vorgeschlagen[3], die oft angewendet wird. Abweichende Schätzwerte nach dieser Skala:

Symbol Individuenzahl Deckung
2m sehr viele (über 50) Exemplare (bis 5%)
2a (beliebig) 5 bis 15 %
2b (beliebig) 15 bis 25 %

Bei der Soziabilität wird das Wuchsverhalten der einzelnen Arten und ihre Verteilung in der Aufnahmefläche bewertet. Es finden folgende Schätzwerte Verwendung:

Symbol Soziabilität
1 einzeln wachsend
2 in kleinen Gruppen oder horstweise wachsend
3 in kleinen Flecken oder Polstern wachsend
4 in kleinen Kolonien bis ausgedehnten Flecken (Teppichen) wachsend
5 in großen Herden wachsend

Je nach Fragestellung können auch weitere qualitative Daten erhoben werden, z. B. zum phänologischen Zustand oder zur Vitalität der Pflanzen.

Beispiel einer Vegetationsaufnahme nach der Braun-Blanquet-Skala:

Trittrasen am Straßenrand, Aufnahmefläche 0,15 × 1,00 m, Deckung 20%, Vegetationshöhe 1-5 cm, Substrat schluffiger Sand.

11 Polygonum aviculare

23 Poa annua

12 Matricaria discoidea

+1 Capsella bursa-pastoris

Die Angabe +1 wird häufig verkürzt als + dargestellt. Viele Autoren geben nur den Deckungsgrad an und verzichten auf die Angabe der Soziabilität.

Tabellarischer Vergleich

Die Vegetationsaufnahmen werden gesammelt und zum Vergleich in eine pflanzensoziologische Tabelle eingetragen[4]. Die Zeilen der Tabelle listen die Arten auf, die Spalten die einzelnen Aufnahmen. Die Zeilen und Spalten werden nach ähnlichen Artenkombinationen und ähnlichen Vorkommensschwerpunkten sortiert. Dabei lassen sich pflanzensoziologische Vegetationstypen herauskristallisieren, die über ihre floristische Struktur charakterisiert sind. Diese taxonomisch ranglosen pflanzensoziologischen Einheiten werden als Pflanzengesellschaften bezeichnet, die im Gelände vorfindbaren Artenkombinationen entsprechen.

Gesellschaftsbeschreibung

Sind die Vegetationseinheiten im tabellarischen Vergleich der Vegetationsaufnahmen und der typisierenden Zuordnung ermittelt worden, können die Pflanzengesellschaften beschrieben werden, wobei die charakteristische Artenkombination der jeweiligen Pflanzengesellschaft definiert werden soll. Gelingt die Beschreibung der floristischen Struktur der Pflanzengesellschaft, dann können weitere synthetische Merkmale wie Sättigung, Verbreitung, Benachbarung, Substrateigenschaften für die beteiligten Vegetationsaufnahmen berücksichtigt werden, um geographische Aspekte, ökologische Standorteigenschaften und anthropogene Bedingungen der Vegetationseinheiten zu analysieren.

Systematische Einordnung

Mit der generalisierenden Gesellschaftsbeschreibung werden die realen Fälle zu einem Idealtypus abstrahiert, der so nirgendwo in der realen Vegetation vorkommt, aber vielen realen Vegetationsbeständen im charakteristischen Arteninventar ähnlich ist. Ist die Pflanzengesellschaft gut typisiert und beschrieben worden, kann sie mit bekannten pflanzensoziologischen Assoziationen verglichen und zugeordnet werden. Assoziationen sind eindeutig identifizierbare Pflanzengesellschaften mit syntaxonomischen Rang und enden auf -etum. Beispielsweise würde eine die ranglose Matricaria discoidea-Gesellschaft aus dem oben beschriebenen Beispiel dem Polygono arenastri-Matricarietum discoideae zugeordnet werden.

Systematik

Die Assoziationen bilden die Grundeinheiten der pflanzensoziologischen Systematik. Die Assoziationen ergeben ein hierarchisch geordnetes System von Pflanzengesellschaften, die zu bestimmten pflanzensoziologischen Verbänden, die zu Ordnungen[5] und die wiederum zu Klassen[6] zusammengefasst werden[7]. Dadurch können pflanzensoziologische Einheiten unterschiedlichen Umfangs und syntaxonomischer Stufe gebildet werden. Durch die pflanzensoziologische Systematik können mit Hilfe umfangreicher Übersichtstabellen auf Verbands-, Ordnungs- oder Klassenebene gesellschaftstreue Charakterarten, die für eine Assoziation typisch sind, und Differentialarten, die innerhalb einer Assoziation Ausbildungen trennen, identifiziert werden. Die Namensgebung der pflanzensoziologischen Syntaxa bestehen aus einem Artnamen mit einer Endung, die die syntaxonomische Ebene kennzeichnet:

Assoziation: -etum
Verband: -ion
Ordnung: -etalia
Klasse: -etea

Geschichte

Die Pflanzensoziologie entstammt der Vegetationsgeographie, wie den landeskundlichen Vegetationsbeschreibungen von Carl von Linné und Alexander von Humboldt, und ist in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelt und schließlich von Josias Braun-Blanquet (1928) zu einer wissenschaftlichen und im Gelände praktikablen Methode ausgebaut worden. Diese wird als Zürich-Montpellier-Schule der Pflanzensoziologie bezeichnet und hat sich gegenüber anderen Schulen wie der Uppsala-Schule von Du Rietz durchgesetzt[8]. Die Pflanzensoziologie nach Braun-Blanquet wurde in Deutschland von Reinhold Tüxen und der Floristisch-Soziologischen Arbeitsgemeinschaft wesentlich gefördert. In Süddeutschland hat Erich Oberdorfer wesentlich zum Durchbruch dieser Methode beigetragen. Neben Fachwissenschaftlern waren und sind viele interessierte Laien an der Entwicklung der Pflanzensoziologie beteiligt. Die pflanzensoziologische Methode wird als Arbeitsmittel in verschiedenen Fachwissenschaften eingesetzt (z.B. Geographie, Biologie, Agrarwissenschaft, Forstwissenschaft, Landschaftsplanung). Nachdem die pflanzensoziologische Systematik Anfang der 1970er Jahre für Mitteleuropa weitgehend ausgearbeitet war, verlagerte sich das akademische Interesse an der Pflanzensoziologie von den produktionsorientierten Fachwissenschaften auf Ökologie und Naturschutz. Zugleich wurden quantitative Ansätze in der Pflanzensoziologie verbreitet, die mit statistischen Signifikanzanalysen versuchten, die pflanzensoziologische Methode den exakten Naturwissenschaften anzugleichen[9]. Solche Ansätze sind umstritten, weil die Grundlage der Pflanzensoziologie die Vegetationsaufnahme bildet, die ein qualitativer Verfahrensschritt ist, und mit Signifikanzanalyse und Homogenitätsberechnung eine letztlich unwissenschaftliche Pseudogenauigkeit eingeführt würde.

Literatur

  • Josias Braun-Blanquet: Pflanzensoziologie. Wien 1964.
  • Günther Reichelt u. Otti Wilmanns: Vegetationsgeographie. Westermann, Braunschweig 1973
  • Hartmut Dierschke, Karl-Heinrich Hülbusch, Reinhold Tüxen: Eschen-Erlen-Quellwälder am Südwestrand der Bückeberge bei Bad Eilsen, zugleich ein Beitrag zur örtlichen pflanzensoziologischen Arbeitsweise. In: Mitteilungen der Erich floristisch-soziologischen Arbeitsgemeinschaft. Bd. 15/16, S. 153-164.
  • Bernd Gehlken: Klassenlotterie. Die Pflanzensoziologie zwischen Vegetationskundigkeit, Formalismus und Technokratie. In: In guter Gesellschaft. Hrsg. Arbeitsgemeinschaft Freiraum und Vegetation. S. 259-364. Kassel 2000.
  • Bernd Gehlken: Der schöne 'Eichen-Hainbuchen-Wald' – auch ein Forst, oder: Die 'Kunst' der pflanzensoziologischen Systematik. Hrsg. Arbeitsgemeinschaft Freiraum und Vegetation. Kassel 2008.
  • Michael Mühlenberg: Freilandökologie. Heidelberg, Wiesbaden 1993.
  • Erich Oberdorfer: Süddeutsche Pflanzengesellschaften. Bd. I-IV. Jena 1977ff
  • Josef Schmithüsen: Allgemeine Vegetationsgeographie. Berlin 1961
  • Ludwig Trepl: Geschichte der Ökologie. Vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Frankfurt am Main 1987.
  • Klaus Dierssen: Einführung in die Pflanzensoziologie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1990
  • Hartmut Dierschke: Pflanzensoziologie. Grundlagen und Methoden. 683 S. Ulmer. Stuttgart. 1994. ISBN 3-8252-8078-0
  • Reinhold Tüxen: Die Pflanzengesellschaften Nordwestdeutschlands. Lehre 1974
  • Reinhold Tüxen: Pflanzensoziologie als synthetische Wissenschaft. In: Miscellaneous Papers. Bd. 5, S. 141-159. Wageningen 1970.
  • Otti Wilmanns: Ökologische Pflanzensoziologie. Heidelberg, Wiesbaden 1989.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Tüxen (1974) und Oberdorfer (1977ff)
  2. Braun-Blanquet 1964. Otti Wilmanns 1989
  3. Vgl. Wilmanns (1989)
  4. Die Tabellenarbeit wird ausführlich in Dierschke et al. (1973) beschrieben.
  5. Siehe dazu die analoge Systematik der Biologie: Ordnung (Biologie)
  6. Siehe dazu die analoge Systematik der Biologie: Klasse (Biologie)
  7. Tüxen (1974) und Oberdorfer (1977 ff.)
  8. vgl. Trepl (1987: 122-138, 208-217).
  9. vgl. Trepl (1987).

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