Pierre-Robin-Syndrom

Pierre-Robin-Syndrom
Klassifikation nach ICD-10
Q87.0 Angeborene Fehlbildungssyndrome mit vorwiegender Beteiligung des Gesichtes
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Die Pierre-Robin-Sequenz (auch Pierre-Robin-Syndrom) ist eine angeborene Fehlbildung beim Menschen. Sie ist charakterisiert durch drei Symptome

Sie entsteht durch eine embryonale Entwicklungsstörung.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte/Entdeckung

Die Pierre-Robin-Sequenz wurde 1923 von dem französischen Arzt Pierre Robin (1867–1950) erstmals beschrieben und nach ihm benannt. Pierre Robin war Stomatologe in Paris.

Ursache, Entstehung

Die Ursache, ihre auslösenden Faktoren (Ätiologie) und die Entstehung, der Verlauf (Pathogenese) dieses Symptomkomplexes sind bis heute nicht vollständig geklärt. In einigen Fällen wird durch ein gehäuftes familiäres Vorkommen eine Vererbung angenommen. Es wurden chromosomale Veränderungen beobachtet.

Es gibt äußere Ursachen, wie teratogene Substanzen, wie Vitamin A-Überdosierung, mütterliches Rauchen in der Schwangerschaft, Alkoholmissbrauch, Krankheiten der Mutter während der Schwangerschaft (bakterielle oder virale Erkrankungen), die zur Pierre-Robin-Sequenz beitragen.

Rein mechanisch wirkenden Faktoren wie Fruchtwassermangel oder ungewöhnliche Kopfhaltung des Embryos werden ebenfalls für die Pierre-Robin-Sequenz verantwortlich gemacht. Es gibt unterschiedliche Auffassungen, welches die primäre Ursache ist.

Eine Erklärungslinie geht davon aus, dass durch den verkleinerten Unterkiefer die Zunge nach hinten und nach oben gedrängt wird. Dadurch soll das Verschmelzen der Gaumenfortsätze des linken und des rechten Oberkieferwulstes während der Embryonalentwicklung verhindert werden und eine Gaumenspalte entstehen.

Eine andere Erklärung sieht die primäre Ursache in einer Störung der Zungenentwicklung. Die verzögerte Zungenentwicklung verhindert die Streckung des Unterkiefers und bewirkt die Mikrogenie. Die Pierre-Robin-Sequenz kann in Verbindung mit anderen Fehlbildungen auftreten:

Auftrittshäufigkeit

Die Auftrittshäufigkeit ist niedrig und liegt bei ungefähr bei einem Kind unter 8.000 bis 30.000 Geburten, je nachdem, ob man übergeordnete Syndrome mit einbezieht. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen (= Gynäkotropie). Das Verhältnis Mädchen zu Jungen ist ungefähr 3 : 2.

Auswirkungen und Probleme

Eine Pierre-Robin-Sequenz kann vielfache Auswirkungen haben:

  • Beeinträchtigung der Atmung: Durch die Rückverlagerung der Zunge sind die Luftwege möglicherweise behindert. Es können schon kurz nach der Geburt Erstickungsanfälle mit lebensbedrohlicher Atemwegsverlegung durch die Zunge auftreten. Auch kann die Zunge während des Schlafes zurückfallen, die Atemwege verschließen und zu Sauerstoffmangel führen. Eine Rückenlagerung des Säuglings soll vermieden werden. Eine Intubation und operative Eingriffe sind eventuell nötig: Luftröhrenschnitt und Fixierung der Zunge.
  • Ernährungsstörungen, Saug- und Schluckstörungen: Die Ernährung ist oft ein Problem. Insbesondere das Stillen gestaltet sich schwierig. Durch die zurückverlagerte Zunge verschluckt sich das Kind häufig, Luft wird geschluckt und häufiges Aufstoßen oder Erbrechen ist die Folge. Die Koordination von Schlucken und Saugen ist manchmal gestört. Bei Gaumenspalten kommen noch die typischen Probleme dieser Fehlbildung dazu (kein oder unzureichendes Saugvakuum, Gefahr der Aspiration von Nahrung). Eine mangelnde Gewichtszunahme ist oft die Folge. Eine Sondenernährung kann in manchen Fällen nötig werden. Die Gaumenplatte und spezielle Fütterhilfen (vor allem der Haberman Feeder) ermöglichen aber meistens eine orale Ernährung.
  • Sprechprobleme: durch die Gaumenspalte und die zurückverlagerte Zunge kann die Balance zwischen nasalem und oralem Resonanzraum gestört sein. Es entsteht ein hypernasaler Stimmklang.
  • Ohr-Erkrankungen: Durch die Gaumenspalte können Ergüsse und Ohrinfektionen die Folge sein und Hörprobleme auftreten.
  • Zahnfehlstellungen
  • Bei mangelnder Akzeptanz durch die Umgebung (zum Beispiel Hänseleien durch andere Kinder) können psychische Probleme die Folge sein.

Behandlung

In den Spaltzentren führt ein interdisziplinäres Team, in dem Vertreter aus der Kieferchirurgie, Kieferorthopädie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie, Kinderheilkunde und Logopädie vertreten sind, die Behandlung durch.

  • Von Geburt an konsequentes Freihalten der Atemwege: in leichteren Fällen durch Bauchlagerung (Zunge fällt durch Schwerkraft nach vorn), ansonsten mit Hilfe der sog. Tübinger Gaumenplatte oder durch operative Verfahren (Unterkiefer-Drahtextension, Knochendistraktion)
  • In den ersten Lebenswochen konsequentes Monitoring der Vitalfunktionen, vor allem nachts, um Atemaussetzer sofort zu erkennen
  • Versorgung der Gaumenspalte, also Operation zum üblichen Zeitpunkt sowie Überwachung der Mittelohrbelüftung, bei Bedarf Einlegen von Paukenröhrchen
  • funktionskieferorthopädische Behandlung zur Korrektur des Unterkiefers (Gaumenplatte)
  • orofaziale Regulationstherapie nach Castillo Morales zur Reorientierung der Zungenfunktion u. als Unterstützung bei der oralen Nahrungsaufnahme
  • Humangenetische sowie augenärztliche Untersuchung zwecks Diagnose bzw. Ausschliessens des Stickler-Syndroms
  • Sprachtherapie (Logopädie)

Siehe auch

Quellen

  • Shprintzen R J: The implications of the diagnosis of Robin sequence. Cleft Palate Craniofacial Journal 1992 May;29(3):205-9. PMID 1591252
  • Zschiesche S: Kieferorthopädische Behandlungsmöglichkeiten von Säuglingen mit Pierre-Robin-Syndrom. Fortschritte der Kieferorthopädie 41: 474–480, 1980

Weblinks

  • Dissertation Heiko Jahn 'Neues und Bewährtes in der Ätiopathogenese und Therapie der Pierre-Robin-Sequenz [1]
  • emedicine 'Pierre Robin Malformation' (englisch): [2]
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