Auerochsen

Auerochsen
Auerochse
Auerochsenskelett

Auerochsenskelett

Systematik
Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)
Familie: Hornträger (Bovidae)
Unterfamilie: Bovinae
Tribus: Rinder (Bovini)
Gattung: Eigentliche Rinder (Bos)
Art: Auerochse
Wissenschaftlicher Name
Bos primigenius
Bojanus, 1827

Der Auerochse oder Ur (Bos primigenius) ist eine ausgestorbene Art der Rinder. Er gilt als Stammvater des Hausrindes. Das indische Zebu stammt möglicherweise von einer anderen, mittlerweile ebenfalls ausgestorbenen Art der Wildrinder ab.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Das Aussehen lässt sich anhand von Knochenfunden, Höhlenmalereien, Beschreibungen und Abbildungen rekonstruieren.

Mit einer Kopfrumpflänge von über 3 m, einer Schulterhöhe von 1,75 bis 1,88 Metern bei den Bullen und einem Gewicht von bis zu einer Tonne war der Auerochse bis zur letzten Eiszeit das mächtigste Landtier Europas, vergleichbar nur mit dem Wisent. Der Geschlechtsdimorphismus war stark ausgeprägt, die Kühe hatten eine Schulterhöhe von etwa 1,50 m. Die Hörner wurden bis zu 80 cm lang, waren in typischer Weise nach vorn geschwungen und hatten eine schwarze Spitze. Diese Angaben beziehen sich jedoch in erster Linie auf den voreiszeitlichen Auerochsen. Klar ist, dass der Auerochse sehr viele Unterarten ausgebildet hat, die je nach Verbreitungsgebiet in ihrer Größe divergierten. Gerade nach der Eiszeit nahm der Auerochse in seiner Größe deutlich ab. Der Auerochse war nun bedeutend kleiner als vor der letzten Eiszeit und hatte im Durchschnitt eine Körpergröße von 1,60 bei den Bullen und 1,40 bei den Kühen.

Stier des Heckrindes, einer dem Auerochsen ähnlichen Rückzüchtung

Das Fell der in Nord-und Mitteleuropa lebenden Auerochsen war bei Kühen dunkelrotbraun mit rotbraunem Aalstrich, bei Stieren dagegen wesentlich dunkler, oft fast schwarz mit beigem oder grauweißem Aalstrich und oft einem helleren Bereich an den Flanken. Darüber hinaus hatten die Tiere helle Stirnlocken, helle Augenringe sowie aufgehellte Bauch- und Beininnenseiten. Charakteristisch war auch ein helles Flotzmaul. Kälber kamen hellbraun zur Welt und wurden dann im Laufe eines Jahres immer dunkler. Bei den Rassen aus Südeuropa waren die Stiere eher hell-bis graubraun gefärbt, jene aus Nordafrika rotbraun mit einem weißen bis fahlgelben Sattel.

Verhalten

Illustration eines Wolfsangriffs auf einen Urstier

In offenen Wäldern lebten Auerochsen als tagaktive Tiere und ernährten sich von Gräsern, Laub und Eicheln. Die kleinen Herden bestanden aus einem Bullen, einigen Kühen und deren Jungen. Um das Recht, eine Herde zu führen, kam es zwischen den Bullen zu heftigen Kämpfen.

Im Winter bildeten die weibliche Tiere zusammen mit den Jungtieren herumschweifende Herden, während die Bullen jeweils eigene Territorien besetzten und diese gegen andere Bullen verteidigten.

Verbreitung

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Auerochsen umfasste große Teile Europas, nah verwandte Formen des Wildrindes kamen auch in Vorderasien, Teilen Indiens und Nordafrikas vor.

Geschichte

Augsburger Abbildung des Ur
Prähistorische Höhlenzeichnung eines Auerochsen in Lascaux
Bild vom Buch Siegmunds von Herberstein (Ausgabe 1556) mit dem lateinischen Unterschrift:Urus sum, polonis Tur, germanis Aurox: ignari Bisontis nomen dederant (Ich bin der Ur, polnisch Tur, deutsch der Auerochs, Ungelehrte nennen mich Bison).

In Mitteleuropa tauchten Auerochsen etwa vor 250.000 Jahren auf. Sie sind häufig auf Höhlenmalereien abgebildet, wie zum Beispiel in der Höhle von Lascaux und Livernon in Frankreich. Es wurden auch frühe Schnitzarbeiten mit Auerochsen gefunden. Die Domestizierung fand etwa 6000 v. Chr. im Bereich des heutigen Kleinasien, Syrien und Irak statt. Lange Zeit diente das Rind hauptsächlich als Fleischlieferant, erst einige Jahrtausende nach der Domestikation setzte sich die primäre Nutzung der Milch durch.

Nach vergleichenden Untersuchungen der mitochondrialen DNA von Auerochse und europäischem Hausrind aus Knochenproben von der Mittelsteinzeit bis zur Bronzezeit sind die modernen europäischen Rinderrassen keine direkten Nachkommen des europäischen Auerochsen. Stattdessen wird als Ort der Domestizierung der Nahe Osten vermutet, von wo sich das Hausrind vor 8000 Jahren relativ rasch nach Europa ausbreitete und dabei die lokalen Populationen des Auerochsen verdrängte.[1] [2]

Das indische Zebu und ähnliche Hausrinderrassen stammen von einer völlig anderen Unterart des Auerochsen (Bos primigenius indicus) ab, die sich schon vor etwa 300.000 Jahren von den nahöstlichen und europäischen Unterarten getrennt hat und nach Auffassung mancher Experten eine eigene Art (Bos indicus) darstellen könnte. 1994 vorgenommene genetische Untersuchungen belegen, dass die heutigen Hausrinder nicht wie lange geglaubt einem Stamm angehören, sondern von zwei verschiedenen Linien abstammen. Dies deutet daraufhin, dass das Wildrind zweimal unabhängig voneinander domestiziert wurde, einmal in Indien und einmal im Mittelmeerraum.

Während er im Mittelmeerraum und in Asien offenbar schon um die Zeitenwende ausstarb, war der Auerochse in Mitteleuropa sehr viel länger beheimatet. Durch Jagd und Habitatzerstörung wurde er immer seltener, besonders seit Beginn der großen Rodungsperiode vom neunten bis zum elften Jahrhundert. Der letzte bayerische Auerochse wurde um 1470 im Neuburger Wald geschossen. [3]

Denkmal für den letzten Auerochsen im polnischen Jaktorów

Am längsten hielt er sich in Osteuropa, besonders in Masowien und Litauen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden die allerletzten Exemplare im Wald von Jaktorów, 55 Kilometer südwestlich von Warschau, unter den Schutz des Landesherrn gestellt und gehegt. Otto Antonius wertete die vorhandenen Protokolle aus. Demnach zählte man 1564 acht alte und drei junge Stiere sowie 22 Kühe und fünf Kälber. 1599 waren noch 24 Exemplare vorhanden, 1602 aber nur noch vier. 1620 war noch eine einzige Kuh übrig, die 1627 starb.[4]

In den 1920er Jahren versuchten die Zoodirektoren Heinz und Lutz Heck in Hellabrunn und in Berlin die Dedomestikation des Auerochsen aus Hausrindern. Das daraus entstandene Heckrind ähnelt äußerlich bereits stark dem Auerochsen, ist allerdings kleiner. Heute leben dem Auerochsen sehr ähnliche Heckrinder unter anderem an den Lippeauen Lippstadt-Benninghausens sowie in den Steverauen von Olfen.

Als wissenschaftlichen Namen des Auerochsen findet man oft auch Bos taurus, den ursprünglich von Carl von Linné für das Hausrind vergebenen Namen. Da beide nun zu einer Art gerechnet werden, sollte nach der Prioritätsregel des ICZN der ältere Name Gültigkeit haben. Die ICZN entschied aber 2003, das in diesem Sonderfall Bos primigenius der gültige Name sein solle[5].

Funde

Der Auerochse von Prejlerup ist eine neuere archäozoologische Entdeckung. Im Odsherred auf der dänischen Insel Seeland wurden im 20. Jahrhundert zwei Skelette von Auerochsen im Abstand von nur 3,5 km gefunden. Der 1904 gefundene ist der 9500 Jahre alte „Ur von Vig“ (Uroksen fra Vig). Der 1983 gefundene ist der „Ur von Prejlerup“ (Uroksen fra Prejlerup). Dieser vor etwa 8500 Jahren angeschossene Ur, in dessen vollständigem Skelett noch sechs Pfeilspitzen gefunden wurden, verendete in einem Moor.

1974 wurde in Goldach im Kanton Sankt Gallen (Schweiz) das Skelett eines Auerochsen gefunden. Die Knochen des Goldacher-Ur liegen im Keller des Naturmuseum Sankt Gallen. Angeblich soll dies das besterhaltene Skelett eines Auerochsen sein, das je in der Schweiz gefunden wurde und auf 12.000 Jahre alt geschätzt. Diese Altersangabe ist aber umstritten. Über die Universität Basel soll der Goldacher Ur in die molekulargenetischen Untersuchungen des Institut für Anthropologie der Universität Mainz eingespeist werden. Mit der DNA aus den Goldacher Ur-Knochen könnten Alter und Geschlecht verlässlich bestimmt werden.

Einzelnachweise

  1. Domestikation des Rindes
  2. Alle Rinderrassen stammen aus dem Nahen Osten
  3. http://www.waldwildnis.de/cd/archiv/scherzinger2/index.htm
  4. laut Arnfried Wünschmann in Grzimeks Tierleben, 1968, Bd. 13, S. 376
  5. ICZN Opinion 2027

Literatur

Weblinks


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