- Heckrind
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Das Heckrind, oft unzutreffend als Auerochse (Bos primigenius) bezeichnet, ist das Ergebnis einer fast achtzig Jahre langen Zuchtgeschichte mit dem Ziel, ein diesem Wildrind ähnliches oder ihm gleichendes Rind durch Dedomestikation oder „Abbildzüchtung“ aus verschiedenen Hausrindrassen zu erhalten. Benannt ist es nach den Brüdern Heinz und Lutz Heck, die mit der damals noch unzutreffend als „Rückzüchtung“ bezeichneten Zuchtmethode begannen.
Inhaltsverzeichnis
Artstatus
Es ist wie die meisten Hausrinder ein direkter Abkömmling des 1627 ausgestorbenen Auerochsen und bildet mit diesem eine Art. Gäbe es diesen noch, wäre er mit ihm kreuzbar und die Nachkommen fruchtbar.
Aussehen und Eigenschaften
Heckrinder sind keineswegs uniform, sondern weisen eine beachtliche Variabilität in ihrem Aussehen auf.
Ein typischer Heckbulle weist durchschnittlich etwa 140 cm und eine Kuh etwa 130 cm Widerristhöhe auf bei einem Gewicht von etwa 600 kg; damit ist das Heckrind nicht wesentlich größer als die meisten anderen Hausrinder, während der Auerochse durchschnittlich 170 cm Widerristhöhe bei Bullen und 150 cm bei Kühen aufwies. Bei diesem entsprach die Widerristhöhe etwa der Rumpflänge, was durch die langen Beine zustande kam. Beim Heckrind sind die Beine meist nur unwesentlich länger als bei den meisten anderen Hausrindern, daher oft um einiges kürzer als beim Auerochsen.[1]
Der Schädel entspricht in relativer Größe und Länge jenem der anderen Hausrinder, der des Auerochsen war jedoch sowohl relativ größer als auch langschnauziger. Die typische Hornform des Auerochsen in Bezug auf Krümmung, Dicke und Länge ist nur bei wenigen Heckrindern zu sehen (etwa jene auf der Insel Wörth), die allermeisten haben Hörner, welche sich in diesen Aspekten vom Ur deutlich unterscheiden und eher denen der Ausgangsrassen gleichen. Heckrinder bilden ein Winterfell aus, welches die Tiere gegen Temperaturen bis -25°C problemlos schützt.
Wie bei anderen wildfarbenen Rinderrassen werden die Kälber braun geboren und färben sich in den ersten Monaten um. Die Stiere sind schwarz mit hellgelbgrauen Strich auf dem Rücken (Aalstrich) und zeigen mitunter einen heller gefärbten Sattel, welcher beim Auerochsen wahrscheinlich nicht vorkam. Ähnlich gefärbt sind die Kühe, deren Palette von schwarz bis rötlichbraun reicht. Beide verfügen über ein weißbehaartes Maul, das sich je nach Ausprägung stark vom schwarzen Kopfhaar abhebt. Viele Heckrinder weisen blonde Stirnfransen oder –locken auf, doch es ist unklar, ob die Stirnlocken des Auerochsen hell gefärbt oder ebenfalls schwarz waren; so bezeichnet Cis van Vuure die blonde Lockenfarbe als eine bei Hausrindern aufgetretene Verfärbung. Die Tiere schützen sich durch ein dichtes, stumpfes und längeres Winterfell. Das Sommerkleid ist kurz und glänzend. Die Hörner sind, anders als beim Auerochsen, sehr formvariabel und erinnern teilweise noch stark an die der Ausgangsrassen. Sie sind von heller bis weißer Farbe mit dunkler Spitze.
Der Geschlechtsdimorphismus ist bei Heckrindern relativ schwach ausgeprägt oder fehlt gänzlich, während er beim Auerochsen in Bezug auf die Fellfarbe, Größe, Hörnkrümmung und –größe wie bei anderen Wildrindern deutlich erkennbar war.[2]
Was Robustheit und natürliche Instinkte angeht, kommen Heckrinder wie die anderen Robustrassen ohne menschliches Eingreifen in der Natur zurecht. Oft wird gehofft, dass natürliche Auslese wilde Heckrinder (z.B. in Oostvaardersplassen) im Erscheinungsbild und Verhalten an den Auerochsen heranführen kann. Dies ist im modernen raubtierarmen Europa jedoch kaum vollständig zu erreichen und nähme einen extrem langen Zeitraum in Anspruch. Derzeit wird versucht, durch Einkreuzung großer, robuster Rassen ein dem Auerochsen optisch gleichendes Rind heranzuzüchten (siehe Taurusrind). Ein dem Auerochsen so weit wie möglich in phänotypischer, genotypischer und ökologischer Hinsicht entsprechendes Rind wird von TaurOs Project angestrebt (siehe TaurOs Project).
Kritik
Die Vorgehensweise der Heck-Brüder, das Resultat der Versuche, sowie dieses als "neuen Auerochsen" zu präsentieren, wurde bereits früh kritisiert. Das damals zur Verfügung stehende Wissen über den Auerochsen und Züchtung im Allgemeinen war viel kleiner als es heute ist, so hatten die Heck-Brüder nicht nur ein nur vages Bild vom Auerochsen, sondern stimmten auch nicht jeweils darüber überein. Auch sind ihre Annahmen heute teilweise als falsch zu betrachten (siehe van Vuure, 2005). Herre 1953 nannte das Heckrind eine wissenschaftlich wertlose Kreuzungszucht aus Hausrassen, da das Endresultat bei genauer Observation sehr unbefriedigend ausfiel und auch die Wahl der Ursprungsrassen nicht ideal war (siehe van Vuure, 2005). Das Heckrind erfüllt als Robustrasse wie viele andere Rinder zwar die ökologische Rolle des Auerochsen, ist aber an sich noch kein Beitrag zur Restauration dieses Wildrinds. Cis Van Vuure, welcher in seinem Buch Retracing the Aurochs - History, Morphology and Ecology of an extinct wild Ox, 2005, den Erfolg des Versuchs der Hecks wissenschaftlich evaluiert, spricht von einer "versäumten Gelegenheit", da man, hätte man damals genauer auf die Anatomie des Auerochsen und auf eine geeignete Rassenauswahl geachtet, man dem Auerochsen heute bedeutend näher wäre.
Sehr oft wird das Heckrind fälschlich als Auerochse bezeichnet, bzw. mit diesem gleichgesetzt. Hierbei handelt es sich um eine grobe Ungenauigkeit.
Verbreitung
Im niederländischen Naturentwicklungsgebiet Oostvaardersplassen in Flevoland in der Nähe von Lelystad gibt es eine Herde von etwa 600 Heckrindern, die dort ohne menschliches Zutun ihr Auskommen finden. Ein ähnliches Projekt verfolgt zur Zeit der NABU in Nordrhein-Westfalen. Heckrinder werden zur Beweidung der Emsauen eingesetzt, gemeinsam mit Koniks. In verschiedenen Tierparks und Freigehegen gibt es ebenfalls kleinere Herden von Heckrindern, zum Beispiel im Eiszeitlichen Wildgehege Neandertal sowie im Tierpark Hellabrunn in München, die sich beide besonders um den Erhalt der Heckrinder nach dem Zweiten Weltkrieg verdient gemacht haben, als es nur noch wenige dutzend Exemplare gab.
Dort und im Tierpark Sababurg im nordhessischen Reinhardswald kann man die Tiere auch problemlos beobachten. Darüber hinaus wird es auch auf einigen, meist ökologisch betriebenen landwirtschaftlichen Höfen zur Fleischproduktion gehalten. Kleine Herden beweiden beispielsweise das Alacher Ried westlich von Erfurt und das Großengotternsche Ried. Dort erfüllt die extensive Beweidung mit Heckrindern vor allem Naturschutzziele.
Geschichte und Anstoß zu weiteren Projekten
Ausgehend von der Annahme, dass man so lange noch nicht von Aussterben reden kann, solange Millionen von Nachkommen mit zum Teil noch sehr ursprünglichen Merkmalen existieren, begannen die Brüder Heinz und Lutz Heck (damals Leiter der Tiergärten in Berlin und München) in den 1920er Jahren, von ihnen als ursprünglich erachtete Rinderrassen zu kreuzen, um bald wieder einen richtigen Auerochsen zu erhalten.
Sie verwendeten dabei das Korsische Rind, das Schottische Hochlandrind, das Ungarische Steppenrind, das Spanische Kampfrind, das Angler Rind, das schwarzbunte Niederungsrind sowie einige andere Rinderrassen.[3] Aus heutiger Sicht können nur das Hochlandrind und das Kampfrind als ursprüngliche, dem Auerochsen nahe, Rassen bestätigt werden. Dennoch gelang es, sich farblich dem Auerochsen anzunähern - trotzdem war und ist man vom Ziel, ein dem Auerochsen entsprechendes Rind zu züchten, noch weit entfernt.
Den Zweiten Weltkrieg überlebten 39 Tiere, die wohl ausschließlich aus der Münchner Linie stammen. Lange fristeten die Heckrinder eher ein Schattendasein. In den 1980er Jahren entdeckte man sie jedoch für die Landschaftspflege, und seitdem haben sie sich sehr verbreitet. Heute dürfte es wohl bereits zwischen 2 000 und 3 000 Tiere geben.
Den Anspruch, den ausgestorbenen Auerochsen wieder auferstehen zu lassen, erhebt heute kaum noch jemand. Die Anstrengungen gehen dahin, ein Rind zu züchten, das den Platz im Ökosystem, den einst der Auerochse einnahm, wieder besetzen kann.
Um diesem Ziel näher zu kommen, hat man in den letzten Jahren die teilweise sehr alten und relativ ursprünglichen Rinderrassen Sayaguesa, Chianina, und Lidia (Spanisches Kampfrind) eingekreuzt. So will man ein wesentlich größeres, hochbeinigeres Rind mit auerochsenähnlicheren Hörnern, geringerer Wamme und größerem Farb- und Größenunterschied zwischen den Geschlechtern züchten (siehe Taurusrind). Die Ähnlichkeiten welche man erzielen mag, werden jedoch rein oberflächlicher Natur bleiben.
Taurusrind
Seit 1996 wird das Werk der Gebrüder Heck der Auerochsen-Abbildzüchtung in Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Niedersachsen fortgeführt. Durch die Einkreuzung von sehr großen Rassen - vor allem aus dem Mittelmeerraum - gelang es bei einzelnen Individuen, die Widerristhöhe auf fast 1,70 m gegenüber durchschnittlich nicht mehr als 1,45 m bei Heckrindstieren anzuheben. Die Stiere erreichen dann ein Körpergewicht von über 1000 kg im vierten Lebensjahr. Diese nunmehr Taurusrind genannte Rasse weist auch für den Landwirt interessante Perspektiven auf, konnten doch Tagesgewichtszunahmen bei Kälbern auf nicht gedüngten Extensivweiden von über 1000 g festgestellt werden[4].
TaurOs Project
Einen multidisziplinären wissenschaftlichen Ansatz verfolgt das TaurOs Project (www.taurosproject.com) um Henri Kerkdijk-Otten, welches mit Hilfe genetischer und historischer Information ein Rind welches dem Auerochsen in genetischer, phänotypischer, ökologischer und ethologischer Hinsicht so weit wie möglich entspricht, durch Kreuzung der (durch DNA-Tests als geeignetste bestätigte) Rassen Sayaguesa, Pajuna, Maremmana primitivo, Tudanca, Hochlandrind und Limanina und Selektionszucht zu schaffen. Dieses Projekt ist nicht mit dem Taurusrind zu verwechseln.
Bedeutung
Obwohl in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus einer romantischen Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Natur geboren, hat man das fast vergessene Heckrind seit Anfang der 1980er-Jahre als möglicher Ersatz für ein wichtiges ökologisches Element natürlicher Lebensräume wiederentdeckt. Ausschlaggebend war dabei die Feststellung der Rolle großer Grasfresser, sogenannter Megaherbivoren, die zur sogenannten Megaherbivorentheorie geführt hat. Entscheidend für ein funktionierendes Ökosystem in Europa sind nach dieser Theorie Wisent, Wildpferd, Auerochse, Elch, Rotwild, Wildschwein und einige andere große Pflanzenfresser.
Da abgesehen vom Auerochsen noch alle in historischer Zeit in Europa vorhandenen großen Pflanzenfresser und Beutegreifer existieren, versucht man ein Konzept zu entwerfen, wie man das gesamte ursprüngliche Ökosystem auf Teilflächen wiederherstellen und natürliche dynamische Entwicklungen wieder zulassen kann.
Dazu wäre auch die Auswilderung anderer Großtiere in Mittel- und Westeuropa nötig. Wisent, Wildpferd, Elch, Rotwild, Wolf, Luchs, Braunbär und weitere einst fast ausgestorbenen Tiere wie Biber, Europäischer Mufflon, Damhirsch, Alpensteinbock und andere müssten auf vernetzten, aber durchaus begrenzten Flächen wieder zusammenleben und ihre natürliche Verhaltens- und Populations-Dynamik entfalten können, statt in Gehegen und isolierten Reservaten eine Randexistenz zu führen.
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Heckrind (Stier) im niederländischen Oostvaardersplassen
Einzelnachweise
- ↑ Cis van Vuure: History, Morphology and Ecology of the Aurochs (Bos primigenius). 2002.
- ↑ Cis van Vuure: Retracing the Aurochs - History, Morphology and Ecology of an extinct wild Ox. 2005, ISBN 954-642-235-5.
- ↑ Walter Frisch: Der Auerochs - Das europäische Rind. 2010, ISBN 978-3-00-026764-2.
- ↑ Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, siehe [1]
Weblinks
Commons: Heckrind – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- [2] Der Einfluss von Megaherbivoren auf die Naturlandschaft Mitteleuropas, Aufsatz aus einer Naturschutzfachzeitschrift. (PDF-Datei; 308 kB)
- [3] Artikel Rückkehr der Auerochsen, Informationsseite des Senders 3sat.
- Weg ist weg. In: Die Zeit. 26. April 2010. (über die Geschichte der Zuchtanstrengungen)
Kategorie:- Hausrindrasse
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