Pilgram Marpeck

Pilgram Marpeck

Pilgram Marbeck, andere Schreibweise: Marpeck, (* um 1495 in Rattenberg / Tirol; † Ende 1556 in Augsburg) war eine führende Persönlichkeit der Süddeutschen Täuferbewegung. Nach ihm ist der Marbeck-Kreis benannt, welcher die theologische Ausrichtung der Süddeutschen Täufer dominierte.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Vorgeschichte

Eine Reihe von Indizien machen es wahrscheinlich, dass es sich bei Pilgram Marbeck um einen Sohn des Rattenberger Richters und Bürgermeisters Heinrich Marbeck handelt. Das Wappen dieser Familie - ein sogenannter Jochgeier, auf einer Kugel stehend - weist auf Widschönau im Marbackjoch als Herkunftsgegend der Marbeck-Sippe hin.

Stadt Rattenberg in Tirol, Marbecks Geburtsort

Marbeck wuchs in einem tiefreligiösen Elternhaus auf. In seinem Lebensrückblick schrieb er, dass seine gottesfürchtigen Eltern ihn zum Glauben geführt hätten. Er besuchte wahrscheinlich die Lateinschule seines Geburtsortes[1] und erwarb gründliche Kenntnisse des Griechischen und Lateinischen. Eine besondere Begabung entwickelte der junge Marbeck im technischen Bereich. Er baute sie aus und machte sich später einen bedeutenden Namen als Wasserbau-Ingenieur.

Kurz vor 1520 heiratete Marbeck eine gewisse Anna. Über ihre Herkunft ist sonst nichts bekannt. Vier Kinder wuchsen in der Familie Marbeck heran, eine leibliche Tochter und drei Adoptivkinder. 1520 kam es zur Aufnahme das Ehepaares Marbeck in die Rattenberger Bergwerkbrüderschaft. Er arbeitete wohl zunächst als Privatunternehmer. Es existieren Belege dafür, dass er Erz nach Kitzbühel, einem Bergwerksdorf ca. 50 Kilometer östlich von Rattenberg, verkaufte.

Pilgram erhielt 1523 einen Sitz im Äußeren Rat der Stadt. Später, nachdem er 1525 in das Amt der Bergrichters berufen worden war, wurde er auch Mitglied des Inneren Rates der Stadt. Einer seiner Zeitgenossen beschrieb ihn als „sehr frommen Mann, ausgezeichnet in seinem Beruf und eifrig in der Verwaltung der Stadt Rattenberg“.

Kontakt zur lutherischen Reformation

1523 erhielt Marbeck den Auftrag, im Namen der Stadt für den Mönch Dr. Stephan Agricola beim Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg Fürsprache einzulegen. Agricola befand sich aufgrund seiner Lehren, die eine gewisse Nähe zur Theologie Martin Luthers zeigten, im Gefängnis zu Mühldorf. Die Intervention Marbecks muss erfolglos gewesen sein; am 18. April desselben Jahres reiste er ein zweites Mal nach Mühldorf, um Agricola - noch immer im Gefängnis befindlich - zu besuchen. Bei diesem Gespräch sind - so vermutet die Forschung - für den bis zu diesem Zeitpunkt überzeugten Katholiken seine bisherigen religiösen Anschauungen ins Wanken geraten. Marbeck befasste sich daraufhin mit den lutherischen Anschauungen.

Das Luthertum hielt um 1524 seinen Einzug in Tirol, wurde aber von Ferdinand, dem Erbherzog der österreichischen Erblande, entschieden bekämpft und befand sich alsbald wieder auf dem Rückzug. Schon im Januar 1525 wurden jedoch die lutherischen Prediger von Rattenberg und Kitzbühel abgesetzt.

Begegnung mit der Täuferbewegung

Obwohl Marbeck der lutherischen Theologie innerlich nahe stand, war er dennoch von der praxis pietatis ihrer Anhänger enttäuscht. Wo - wenn auch nur für kurze Zeit - die lutherische Lehre Annahme fand, entdeckte er eine libertinäre Ethik als Folge. „Er hab gefunden, dasz an de Orten, wo man das Evangelium auf lutherische Weise gepredigt, auch eine fleischliche Freiheit sei gespürt worden, das hab ihn etwas hinterstellig gemacht, als dasz er bei ihnen nit Ruh hab finden mögen.“ - so äußerte sich Marbeck später in einem Gespräch mit dem Straßburger Reformator Martin Butzer.

Die große Wende in Marbecks Leben brachte die Ankunft der Täufer in Tirol. Den eigentlichen Anfang nahm hier die Täuferbewegung durch Salzburger Täufer, die vor der Inquisition im Jahr 1526 nach Kitzbühel geflohen waren. Ein ehemaliger Priester namens Paul sammelte eine große Schar von Anhängern um sich. Helene von Freiberg, Besitzerin des Schlosses Münichau, stellt den Täufern einen Versammlungsraum zur Verfügung. Hans Roth, ein Student, agierte als Missionar in Kitzbühel und Umgebung so erfolgreich, dass viele sich von ihm taufen ließen. Besonderen Anklang fand dessen Verkündigung unter den Bergwerksbrüdern, zu denen auch das Ehepaar Marbeck gehörte. Im November 1527 wurde Leonhard Schiemer, der Bischof der Rattenberger Täufergemeinde verhaftet und nach einem gescheiterten Fluchtversuch am 14. Januar 1528 dem Scharfrichter zur Folterung und zur Hinrichtung übergeben.

Marbeck forderte man im Anschluss an diese Hinrichtung seitens herzoglichen Behörden auf, in seiner Funktion als Bergrichter „den (anderen) Wiedertäufern nachzustellen“. Er lehnte dies jedoch strikt ab und wurde daraufhin am 28. Januar 1528 als Bergrichter entlassen. Er verlor einen Großteil seines Vermögens, das er einige Jahre zuvor der herzoglichen Verwaltung als Darlehen zur Verfügung gestellt und dafür - als Verzinsung gewissermaßen - die Einnahmen aus dem Rattenberger Maut erhalten hatte.

Das standhaft ertragene Martyrium Leonhard Schiemers machte auf den Bergrichter einen tiefen Eindruck. Hier lag wohl auch der Beweggrund, der Marbeck veranlasste, mit seiner Familie aus Tirol zu flüchten.

Pilgram Marbeck wandte sich zunächst nach Augsburg, wo sich aufgrund der Wirksamkeit von Ludwig Hätzer, Hans Denck und Balthasar Hubmeier eine täuferische Gemeinde gebildet hatte. Die Forschung nimmt an, dass Marbeck und seine Frau in Augsburg die Glaubenstaufe empfingen (Frühjahr 1528?), bevor sie nach Steintal bei Straßburg weiterzogen.

Marbeck in Straßburg

An seinem neuen Wohnort suchte Marbeck alsbald Gelegenheit, seine Fähigkeiten als Ingenieur unter Beweis zu stellen. Da die Stadt Straßburg unter Bauholzmangel litt, machte Marbeck bei den entsprechenden Stellen den Vorschlag, Holz im schwarzwäldischen Fürstenberg zu kaufen und via Kinzig und Rhein als Floßgut in den Elsass zu transportieren. Er entwickelte dafür ein spezielles Verfahren. Das geflößte Holz wurde noch lange Jahrzehnte nach Marbecks Tod als „Pilger-Holz“ (von Pilgram abgeleitet) bezeichnet.

Um 1530 nahm die Marbeck-Familie ihren Wohnsitz direkt in Straßburg. Sie pflegten engen Kontakt zu den dort ansässigen Täufern, die allerdings aufgrund ihrer unterschiedlichen Prägungen in verschiedene Lager aufgeteilt waren. Bereits nach kurzer Zeit avancierte Marbeck zum Führer einer ihrer Gruppen, die Keimzelle des späteren Marbeck-Kreises.

Die Aktivitäten Marbecks stießen beim Straßburger Reformator Martin Butzer auf größte Besorgnis. In Schriften und Reden griff er ihn direkt an: „Diesem Pilgram ragen die Ohren seines Gefallens und vermeinten Wissens ziemlich herfür.“ Als Marbeck in Straßburg zu taufen begann, strengte Butzer ein Prozess gegen ihn aufgrund des Wiedertäufermandats an, das allen Wiedertäufern das Taufen bei der Androhung von Todesstrafe untersagte.

Es folgten zwei Disputationen, in denen Marbeck seine Lehrmeinungen darlegte. Die erste dieser öffentlichen Auseinandersetzungen mit Butzer fand am 9. Dezember 1531 statt. Marbeck ging hier zunächst auf seine Tauflehre ein: „Noch nie habe jemand etwas Stichhaltiges gegen die Taufe der Gläubigen anführen können.“ Besonders kritisierte er Butzers Gleichsetzung von Beschneidung und Taufe. Ein weiterer Diskussionspunkt war die von den Täufern vertretene Lehre von der Trennung von Kirche und Staat. Er beklagte sich darüber, dass die Reformatoren genau wie die Papsttreuen den Staat um Hilfe anrufen, wenn es um die Durchsetzung ihrer Lehre geht und nannte als Beispiel die von der Obrigkeit anberaumte Disputation. Als Butzer einwandte, dass er den Rat der Stadt nmur deshalb angerufen habe, um Zwiespalt in der Stadt zu verhüten, antwortete Marbeck: „Wer Schutz oder Schirm der Creatur sucht, sei verflucht!“

Am 18. Dezember fand eine weitere Disputation statt, an deren Ende der Stadtrat feststellte, Marbeck habe die Versammelten nicht von der Schriftgemäßheit seiner Auffassungen überzeugen können. Er wurde als Direktor des Holzwerks entlassen und der Stadt verwiesen.

Rückkehr nach Tirol und weitere Wanderungen

Nach mehreren Widersprüchen und Eingaben verließ Marbeck schließlich am 17. Januar 1532 Straßburg und wandte sich wieder seiner Heimat Tirol zu. Er nahmt seinen Wohnsitz wegen der drohenden Verfolgung nicht im Inntal, sondern zog mit seiner Familie nach Südtirol, wo er als Prediger und Evangelist in verschiedenen Täufergemeinden wirkte. Jakob Hutter hatte hier kurz zuvor erfolgreich gewirkt.

Anfang 1533 finden wir Marbeck in St. Gallen, wo er am Bau eines Walkwerkes beteiligt war. Bis 1544 scheint die Familie Marbeck keinen festen Wohnsitz gefunden zu haben. Pilgram Marbeck konnte sich aber aufgrund seiner technischen Begabungen an verschiedenen Orten seinen Lebensunterhalt sichern. Sein eigentliches Anliegen war es jedoch, die durch Verfolgung geschwächten Täufergemeinden innerlich aufzubauen und ihnen in ihrer Theologie eine klare Ausrichtung zu geben.

In Augsburg

Im Jahr 1544 wurde Marbeck vom Rat der Stadt Augsburg die Stelle eines Wassermeisters angeboten. Er nahm an und erhielt eine jährliche Besoldung von 150 Gulden. Er entwickelt unter anderem für Augsburg eine Holzflößerei. In religiöser Hinsicht erfuhr er in seinem letzten Lebensjahrzehnt wenig Schwierigkeiten. Zwar entdeckte der Rat, dass er 1550 seine testamentserleuterung, einen Kommentar zum Neuen Testament, herausgegeben hatte; es wurde aber - wie bei der Herausgabe anderer Marbeck´scher Schriften nichts unternommen. 1553 erhielt er wegen seiner geheimen Lehrtätigkeit eine Verwarnung und ein Jahr später drohte man ihm sogar die Verbannung an, sofern er von seinen täuferischen Aktivitäten nicht abließe. Dennoch blieb er bis zu seinem Tod 1556 im Dienst der Stadt.

Marbeck ist wahrscheinlich eines natürlichen Todes gestorben und gehörte damit zu den wenigen Täuferführern, die nicht als Märtyrer starben.

Bedeutung

Durch Marbecks Wirken wurde das vielgestaltige Täufertum in den 50er Jahren des 16. Jahrhunderts zu einer Einheit, obwohl bald danach die Mennoniten und Hutterer wieder ihren eigenen Weg suchten. „In theologischer Hinsicht ist Marbeck für die Täufer von großer Bedeutung gewesen. Er hat das Gedankengut von Hans Denck weiter ausgebaut und damit Dencks Auseinandersetzung mit Spiritualisten und Lutheranern fortgeführt. Neben den Schriften Menno Simons ist die Marbeck-Literatur die wichtigste Fundgrube für das Denken der Täufer geworden“ [2].

Für Marbeck hatte das Heil, welches Gott den Menschen anbietet, immer zwei Seiten. Auf der einen Seite stand die Entscheidung Gottes, der das Heil aller Menschen will, auf der anderen Seite aber eben auch die Entscheidung des Menschen, dieses ihm von Gott angebotene Heil anzunehmen oder abzulehnen. Er wurde damit zu einem der Väter der modernen Freikirchen, zum Beispiel der Baptisten. Diese sehen ihr Idiom nicht nur in der Forderung „Trennung von Kirche und Staat!“, sondern verstehen sich vor allem als Freiwilligkeitsgemeinden, zu „denen nur solche gehören sollen, die sich bewusst für den Glauben an Jesus Christus entschieden haben“.

Siehe auch

Werke

  • Bekenntnis, Straßburg 1531
  • Testamenterleütterung, Erleutterung durch ausszug aus heiliger Biblischer schrifft (tail und gegentail) sampt ainstails angehangen beireden, o.O. und J.
  • Clare Verantwurtung ettlicher Artickel (so jetz durch irrige geyster schrifftlich vnnd mündtlich auschweben) von wegen der ceremonien dess Newen Testaments ... (1531)
  • Verantwurtung über Caspar Schwenckfelds Iudicium ..., o.O., o.J.
  • Vermanung auch gantz klarer/gründtlicher unn unwidersprechlicher bericht zu warer Christlicher ewigbestendiger pundtsvereynigung (=„Bundesvereinigung“) allen waren glaubigen frummen und gutthertzigen menschen zu hillf o.O. und J., wahrscheinlich um 1542

Literatur in Auswahl

  • Walter Klaassen, Art. Marpeck, Pilgram, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 22 (1992), S. 174-177 (Lit.!).
  • Jan J. Kiwiet: Pilgram Marbeck - ein Führer in der Täuferbewegung der Reformationszeit, Kassel 1958 (2.Aufl.) - Dieses Buch enthält im Anhang eine umfangreiche Bibliographie.
  • Johann Loserth: Marbeck; in: Mennonitisches Lexikon Bd. III (1938), S. 25-34
  • Ludwig Keller: Marbeck, Pilgram. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 20, Duncker & Humblot, Leipzig 1884, S. 290 f.

Einzelnachweise

  1. Jan J. Kiewiet: Pilgram Marbeck. Ein Führer der Täuferbewegung im süddeutschen Raum, Kassel 1958, S. 20
  2. Jan J. Kiewiet, a.a.O., S. 148

Weblinks


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