Pogrom von Koniuchy

Pogrom von Koniuchy
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Das Massaker von Koniuchy war ein Überfall sowjetischer und jüdischer Partisanen auf das polnisch-litauische Dorf Koniuchy (deutsch auch Konjuchy oder Konjuschy, heute Kaniūkai, nahe bei Vilnius im damaligen Reichskommissariat Ostland), bei dem am 29. Januar 1944 das Dorf zerstört und eine größere Anzahl der Dorfbewohner ermordet wurde.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Litauen hatte sich in der Folge des Ribbentrop-Molotow-Vertrages seit Juni 1940 zunächst unter sowjetischer Besatzung befunden und wurde dann 1941 im Zuge von Hitlers Angriff auf die Sowjetunion von deutschen Truppen besetzt. Aufgrund der voraufgegangenen sowjetischen Repressionen - annähernd 21.000 Einwohner Litauens waren nach Sibirien deportiert worden[1] - wurde der Einmarsch der deutschen Truppen zunächst von großen Teilen der litauischen Bevölkerung begrüßt, die die deutsche Besatzung gegenüber der sowjetischen als das geringere Übel bewertete und nach dem Abzug der sowjetischen Truppen mit spontanen Gewaltaktionen gegen Kommunisten und gegen die der Sympathie mit den Sowjets verdächtigte jüdische Bevölkerung begann. Auch bei den unverzüglich einsetzenden Internierungen, Deportationen und Massenerschießungen von Juden, denen bis zum Ende der deutschen Besatzung im Juli 1944 rund 85 Prozent der jüdischen Bevölkerung und ein Großteil der im Lande verbliebenen litauischen Kommunisten zum Opfer fielen, fanden die deutschen Besatzer Unterstützung in der litauischen Bevölkerung und bei den unter deutscher Kontrolle operierenden Hilfstruppen und Verwaltungsorganen. Die Kooperation ließ zwar in den ersten Jahren der Besatzung deutlich nach und erreichte auch nicht das gleiche Ausmaß wie in den beiden anderen baltischen Staaten, mit denen Litauen zum Reichskommissariat Ostland („Weissruthenien“) zusammengeschlossen wurde, war aber bedingt durch die deutsche Vorzugsbehandlung der als „germanisch“ eingestuften Balten im Vergleich zu den besetzten slawischen Ländern und geleitet von der Erwartung, dass dem Streben nach nationaler Selbständigkeit, die man in der Vorkriegszeit hauptsächlich durch Polen bedroht sah, durch eine Zusammenarbeit mit den Deutschen eher gedient wäre als durch eine Rückkehr der sowjetischen Besatzung[2].

Zwar formierten sich auch litauische Parteien und Gruppen zum Widerstand und gründeten Ende 1943 das Oberste Komitee zur Befreiung Litauens, das sich dann am 16. Februar 1944 zur provisorischen Regierung der Republik Litauen erklärte, dieses beschränkte sich jedoch hauptsächlich auf die politische Arbeit im Untergrund, während bewaffnete Aktionen gegen die Deutschen vornehmlich von sowjetisch kontrollierten Partisanengruppen in den ostlitauischen Wäldern ausgingen, denen sich auch jüdische Widerstandsgruppen und Flüchtlinge aus den Ghettos und Konzentrationslagern von Kaunas, Vilnius und Šiauliai anschlossen. Eine wesentliche Rolle spielten hierbei Mitglieder der Fareinikte Partisaner Organisatzije (FPO), einer jüdischen Widerstandsbewegung, die 1942 im Ghetto von Vilnius gegründet wurde und wesentlich zur Organisation des Widerstandes auch in anderen litauischen und polnischen Ghettos beitrug. Im vormals polnisch und seit September 1939 sowjetisch besetzten Gebiet von Vilnius, das erst durch den litauisch-sowjetischen Vertrag vom 10. Oktober 1939 an Litauen übergeben worden und mehrheitlich polnisch besiedelt war, operierte außerdem die Polnische Heimatarmee, die einerseits Aktionen gegen die deutsche Besatzung und ihre litauischen Unterstützer durchführte, andererseits aber auch mit den sowjetischen und jüdischen Widerstandsgruppen im Konflikt lag, da sie die polnische Bevölkerung gegen Plünderungen und Übergriffe dieser Gruppen zu schützen versuchte und im Interesse der großpolnischen Ansprüche auf dieses Gebiet alle Bestrebungen zu dessen Wiedereingliederung in die Sowjetunion bekämpfte[3].

Der Überfall auf Koniuchy

Koniuchy, ein hauptsächlich von Polen bewohntes Bauerndorf 30 km südöstlich von Vilnius, stand bei den Partisanen im Wald von Rudniki in dem Ruf, mit der deutschen Besatzung zu kooperieren und soll nach Darstellungen aus dem Umfeld beteiligter Partisanen auch Sitz einer deutschen oder "faschistischen" Garnison gewesen sein[4], während es sich nach polnischen Darstellungen lediglich um eine mit alten Gewehren bewaffnete Selbstschutzgruppe gehandelt haben soll, die das Dorf gegen Plünderungszüge der Partisanen schützen sollte.

Chaim Lazar, ein Historiker des jüdischen Widerstandes im Ghetto von Vilnius, der selbst der FPO angehörte, schildert den Überfall auf Koniuchy folgendermassen:[5]

„Eines Abends rückten 120 von den besten Partisanen aus allen Lagern, ausgerüstet mit ihren besten verfügbaren Waffen, gegen das Dorf vor. Unter ihnen befanden sich rund 50 Juden, angeführt von Yaakov Prenner. Der Plan war, sogar das Vieh zu töten und allen Besitz zu zerstören. […] Mit eigens vorbereiteten Fackeln brannten die Partisanen die Häuser, Ställe und Scheunen nieder, während sie gleichzeitig schweres Feuer auf die Häuser eröffneten. […] Die Mission war in kurzer Zeit abgeschlossen. Sechzig Haushalte, die aus insgesamt ungefähr 300 Personen bestanden, wurden zerstört, Überlebende gab es nicht“.

Erhebliche Abweichungen sowohl in der Zahl der Angreifer als auch in der Zahl der Opfer bietet dagegen ein Lagebericht der Polnischen Heimatarmee vom Februar 1944:[6]

Ende Januar wurde das Dorf Konjuchy durch eine 2000 Mann starke jüdisch-bolschewistische Bande umzingelt und in Brand gesetzt. Auf die flüchtenden Bewohner wurde geschossen. Die Gefangengenommenen, Erwachsene wie auch Kinder, wurden lebendig ins Feuer geworfen. Ergebnis: 34 Tote, 14 Verletzte, die Zahl der bei lebendigem Leib verbrannten Personen wurde nicht festgestellt. Von 50 Gebäuden blieben nur noch vier übrig. Der Grund für den Überfall war die Tatsache, daß das Dorf durch Litauer teilweise bewaffnet worden war, und sich bis zum genannten Überfall gegen Plünderungen gewehrt hatte.

Henrik Ziman, an der Aktion führend beteiligt und Erster Sekretär des Südlichen Untergrundkommitees der Kommunistischen Partei Litauens, sandte am 31. Januar 1944 eine verschlüsselte Nachricht an Antanas Sniečkus, den Chef des Hauptquartiers der litauischen Partisanen in Moskau:[7]

„Am 29. Januar brannte die vereinte Gruppe Vilnius-Partisanen, bestehend aus den Gruppen ‚Śmierć Okupantowi‘ (‚Tod den Okkupanten‘) und ‚Margis‘ und der Spezialgruppe des Generalhauptquartiers, den Ort des härtesten Widerstandes im Landkreis Eišiškės, Koniuchy, nieder.“

Untersuchung durch das IPN

Veranlasst durch eine Anzeige des Canadian Polish Congress (CPC) begann das Instytut Pamięci Narodowej (IPN, Institut für Nationales Gedenken) in Warschau im Februar 2001 eine Untersuchung des Vorgangs mit Zeugenbefragungen und Sichtung der erhaltenen Dokumente. Auch die Staatsanwaltschaften Weißrusslands, Russlands, Litauens und Israels wurden um Amtshilfe gebeten. Das IPN geht auf dem Stand seiner bisherigen Untersuchungen (Stand 2005) von 38 ermordeten Dorfbewohnern -- Männern, Frauen und Kindern -- aus.[8]

Anmerkungen

  1. Rudolf Hilbrecht: Litauen im Reichskommissariat Ostland 1941-1943/44: Parallelen und Kontraste zum übrigen Baltikum, vornehmlich Estland, in: Robert Bohn (Hrsg.), Die deutsche Herrschaft in den "germanischen" Ländern 1940 - 1945, Steiner, Stuttgart 1997 (= Historische Mitteilungen, Beiheft 26), S. 187-207, S. 188
  2. Rudolf Hilbrecht: Litauen im Reichskommissariat Ostland 1941-1943/44: Parallelen und Kontraste zum übrigen Baltikum, vornehmlich Estland, in: Robert Bohn (Hrsg.), Die deutsche Herrschaft in den „germanischen“ Ländern 1940 - 1945, Steiner, Stuttgart 1997 (= Historische Mitteilungen, Beiheft 26), S. 187-207
  3. Piotr Niwiński: Die nationale Frage im Wilnagebiet, in: Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee: Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg, Oldenbourg, München 2003 (= Beiträge zur Militärgeschichte, 57; ISBN 3-486-56715-2), S. 617-634; Kazimierz Krajewski: Der Bezirk Nowogródek der Heimatarmee. Nationalitätenkonflikte und politische Verhältnisse 1939-1945, ebenda, S. 563-584, hier S. 579 Anm. 33
  4. Vgl. Bogdan Musial, Einleitung (2004), S. 28, Anm. 79; Abraham Sutzkever: Das Ghetto von Wilna. In: Ilja Ehrenburg/Wassili Grossman: Das Schwarzbuch. Der Genozid an den sowjetischen Juden. Reinbek 1994: Rowohlt, S. 457-547, hier S. 538f: "Als ausschließlich jüdische Partisanenenabteilungen verblieben nur zwei: ‚Der Rächer‘ und ‚Zum Sieg‘. … Nachdem sie sich in den ersten drei Monaten mit den erforderlichen Waffen versorgt hatten, führten beide Abteilungen eine Reihe von Kampfeinsätzen durch. Sie brachten drei Transportzüge zum Entgleisen. … In Valkininkai sprengten sie ein deutsches Werk und trugen dazu bei, daß die deutsche Garnison in dem befestigten Dorf Konjuschi zerschlagen und aufgerieben wurde".
  5. Vgl. Chaim Lazar: Destruction and Resistance. 2. Aufl. Shengold [u.a.], New York 1985 [ISBN 0-88400-113-X], S. 174f., zitiert bei Bogdan Musial, Einleitung (2004), S. 28, Anm. 79: "One evening, a hundred and twenty of the best partisans from all the camps, armed with the best weapons they had, set out in the direction of the village. There were about 50 Jews among them, headed by Yaakov Prenner. Even livestock was to be killed and all property was to be destroyed. (…) With toches prepared in advance, the partisans burnt down the houses, stables, and granaries, while opening heavy fire on the houses. (…) The mission was completed within a short while. Sixty households, numbering about 300 people, were destroyed, with no survivors."
  6. Zitiert nach Bogdan Musial, Einleitung (2004), S. 28, Anm. 79.
  7. Instytut Pamięci Narodowej / Institute of National Remembrance: Information on the Investigation in the Case of Crime Committed in Koniuchy, 13. September 2005, letzte Änderung 21. August 2006: "on January 29 the joint group of Vilnius partisans, „Śmierć Okupantowi” and „Margiris” groups and the special group of General Headquarters burnt down the most ardent and self-defensive village of the Ejszysk region, Koniuchy."
  8. Instytut Pamięci Narodowej / Institute of National Remembrance: Information on the Investigation in the Case of Crime Committed in Koniuchy, 13. September 2005, letzte Änderung 21. August 2006

Literatur

  • Chaim Lazar: Destruction and Resistance. 2. Aufl. Shengold [u.a.], New York 1985 ISBN 0-88400-113-X , S. 174f.
  • Isaac Kowalski: A Secret Press in Nazi Europe: the Story of a Jewish United Partisan Organization. Central Guide Pulishers, New York 1969, S. 333f.
  • Kazimierz Krajewski: Na Ziemi Nowogródzkiej: "NÓW" - Nowogródzki Okręg Armii Krajowej. Instytut Wydawniczy Pax, Warschau 1997, S. 511f.
  • Bogdan Musial: Einleitung, in: Bogdan Musial (Hrsg.), Sowjetische Partisanen in Weißrußland: Innenansichten aus dem Gebiet Baranoviči 1941 - 1944, Oldenbourg, München 2004 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 88; ISBN 3-486-64588-9), S. 9-30, hier S. 28
  • Rich Cohen, Nachtmarsch - Eine wahre Geschichte von Liebe und Vergeltung. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M., 2002, ISBN 3-596-15240-2, S. 203-205

Weblinks


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