Premierminister (Vereinigtes Königreich)

Premierminister (Vereinigtes Königreich)

Der Premierminister ist der ranghöchste Beamte in der Regierung Ihrer Majestät (Her Majesty's Government) im Vereinigten Königreich (vor 1801 Königreich Großbritannien). Der volle Titel des derzeitigen Premierministers, Gordon Brown, ist Prime Minister, First Lord of the Treasury and Minister for the Civil Service of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland (Premierminister, Erster Lord des Schatzamtes und Minister für den Staatsdienst des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland). In früheren Jahrhunderten war der Titel des First Lord of the Treasury nicht mit dem des Premierministers verbunden. Der letzte Premierminister, der nicht gleichzeitig First Lord of the Treasury war, war Lord Salisbury bis 1902.

Als erster Premierminister, der dieses Amt seiner Funktion nach ausübte, gilt Robert Walpole (17211742). Der Titel, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Gebrauch kam, blieb aber bis 1905 nur die inoffizielle Bezeichnung für den ranghöchsten Minister des Monarchen. Dieser konnte zuvor verschiedene offizielle Titel tragen – beispielsweise Erster Lord, Lordkanzler oder Lordsiegelbewahrer – oder einer der Staatssekretäre sein. Er galt staatsrechtlich als premier among ministers, als primus inter pares.

König Eduard VII. erkannte den Titel 1905 offiziell an, als das Amt in der order of precedence (Rangfolge) einen Status unmittelbar nach dem Erzbischof von York erhielt. Der erste offizielle Premierminister war somit Henry Campbell-Bannerman.

Inhaltsverzeichnis

Kompetenzen

Der Premierminister hat innerhalb der Regierung die Richtlinienkompetenz, ernennt die Mitglieder seines Kabinetts, koordiniert ihre Arbeit und die ihrer Ministerien, nimmt an zeremoniellen Anlässen teil, ist das „Gesicht“ der Regierung im Vereinigten Königreich und außerhalb.

Zweimal täglich während der Parlamentswochen wird eine ausgewählte Gruppe politischer Journalisten („die Lobby“) in die Räume der Foreign Press Association (oder auch nach 10 Downing Street selbst) vorgelassen, wo sie ihre Fragen einem Pressebeamten, dem Prime Minister's Official Spokesman stellen können. Die Aufgabe dieses Beamten ist zum einen die Beantwortung dieser Fragen in Vertretung des Premierministers, zum anderen die Information über Ereignisse innerhalb der Regierung, die Number 10 kommuniziert haben möchte.

Wahl des Premierministers

Laut Gesetz wird der Premierminister durch den britischen Monarchen ausgewählt. Nach geltender Übereinkunft wählt der britische Monarch den Mehrheitsführer des Unterhauses House of Commons als Premierminister. Wenn keine Partei die Mehrheit hat, mehrere Parteien aber eine Koalition bilden (was beim britischen Mehrheitswahlrecht eher selten geschieht), wird der führende Politiker der Koalition bestimmt.

Wenn die beiden großen Parteien (die Labour Party und die Konservativen) weder alleine noch in einer Koalition mit kleineren Parteien die Mehrheit im Unterhaus haben, hat der Monarch formal das Recht, jeden der beiden Parteivorsitzenden zum Premierminister zu ernennen, obwohl er tatsächlich keine Wahl hat, falls einer der beiden Kandidaten bereits der Amtsinhaber ist. Denn ein neuer Premierminister kann nur bestimmt werden, wenn der bisherige zurücktritt, was aber wiederum bedeutet, dass dann nur noch der Oppositionsführer gebeten werden kann, die neue Regierung zu bilden.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird per Konvention erwartet, dass ein zu bestimmender Premierminister (wie auch die anderen Mitglieder des Kabinetts) über einen eigenen Sitz im Parlament verfügt. Im Gegensatz zu anderen Kabinettsposten, die teilweise auch von Mitgliedern des House of Lords besetzt werden, waren alle Premierminister seit Arthur Balfour während ihrer Amtszeit Mitglieder des House of Commons (lediglich Alec Douglas-Home war bei seinem Amtsantritt als Earl of Home Oberhausmitglied, verzichtete aber umgehend auf den Titel und sicherte sich in einer Nachwahl einen Unterhaussitz).

Rücktritt

Der Premierminister und die Regierung müssen nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum oder nach einer verlorenen Vertrauensfrage zurücktreten, es sei denn, der gescheiterte Premierminister erreicht beim Monarchen eine Auflösung des Parlaments, die theoretisch auch verweigert werden kann, was aber in der Praxis nicht geschieht. Tatsächlich ist die Parteidisziplin stark genug, um diese Art von Abstimmungen selten zu halten, so selten, dass seit 1885 lediglich drei Misstrauensvoten erfolgreich waren. Der Premierminister muss sich daher die Unterstützung seiner Fraktion bewahren, wenn er nicht – wie geschehen bei Arthur Neville Chamberlain und Margaret Thatcher – bei schwindender Popularität aus dem Amt gejagt werden will.

Der Vorsitzende der zweitgrößten Partei im Unterhaus – und potenzielle Nachfolger – wird Leader of Her Majesty's Loyal Opposition (Führer der loyalen Opposition Ihrer Majestät) genannt.

Erster unter Gleichen oder „Fast-Präsident“?

In der Theorie ist der Premierminister des Vereinigten Königreichs ein primus inter pares, ein Erster unter Gleichen im britischen Kabinett. Bei der Auswahl der Minister bindet der Premierminister üblicherweise Parlamentsmitglieder ein, die über eine eigene politische Basis, eine Hausmacht, verfügen, und die ihm potenziell gefährlich werden könnten. Andererseits hat der Premierminister sehr wenig Möglichkeiten, auf die Zusammensetzung der britischen Zivilverwaltung Einfluss zu nehmen, so dass ein Spannungsverhältnis zwischen den gewählten Politikern und der Beamtenschaft spürbar ist. Dennoch kann in der Praxis ein starker Premierminister die Regierung so dominieren, dass er ein „Fast-Präsident“ wird, das heißt er nimmt eine Führungsaufgabe so wahr, wie in anderen Ländern (etwa die USA oder Frankreich) der Präsident, ohne die Last der zeremoniellen Pflichten eines Staatsoberhaupts zu tragen. Beispiele für starke britische Premierminister in diesem Sinne sind William Ewart Gladstone, David Lloyd George, Winston Churchill, Margaret Thatcher und Tony Blair.

Ursprünge des Amtes

Das Amt des Premierministers entspringt dem Amt des First Lord of the Treasury, des Ersten Lords des Schatzamtes. Dieser war der führende Verantwortliche für die Verwaltung des königlichen Schatzes, wenn es keinen Schatzmeister (Lord Treasurer) gab, ein Amt, das aus mittelalterlichen Zeiten stammt und nach 1714 außer Gebrauch kam. Bis zu Sir Robert Walpole (17211742) war der Erste Lord des Schatzamtes durchaus nicht der mächtigste und führende Minister. Zuvor gab es keine klare Führungsstruktur in der Regierung und der mächtigste Minister konnte eine ganze Reihe von Titeln haben, den des First Lord of the Treasury oder Lord Privy Seal eingeschlossen. Auch nach Walpole war der Erste Lord nicht immer das mächtigste Mitglied der Regierung, dies reichte bis in das Jahr 1902, als Lord Salisbury, der Lordsiegelbewahrer, als Premierminister diente, während Arthur Balfour Erster Lord des Schatzamtes war. Seither ist der Premierminister gleichzeitig Erster Lord des Schatzamtes – und als solcher, nicht als Premierminister, residiert er in 10 Downing Street.

Obwohl Sir Robert Walpole als erster Premierminister angesehen wird, bildeten sich der Begriff und die Art, mit dem Amt umzugehen, erst später. Der Begriff war anfangs eine Beleidigung, gleichgesetzt dem „Schoßhund“, und stellte den Minister als Marionette des Monarchen dar. Bis zu Robert Peels erfolglosem Versuch, ohne Parlamentsmehrheit zu regieren, machte der Monarch nicht bekannt, wen er als seinen Premierminister betrachtete. Der Titel war nicht offiziell (obwohl seit langem in Gebrauch) bis zur Amtszeit von Sir Henry Campbell-Bannerman (190508), als dem Premierminister ein Status unmittelbar nach dem Erzbischof von York gegeben wurde.

10 Downing Street (Number 10)

Der Premierminister als Erster Lord des Schatzamtes wohnt traditionell in der 10 Downing Street in London. Dieses Haus hatte König Georg II. Sir Robert Walpole zum persönlichen Geschenk gemacht. Walpole nahm das Geschenk nicht an, akzeptierte das Haus jedoch in seiner Eigenschaft als Erster Lord des Schatzamtes, und bezog die Residenz 1735. Die meisten der ihm folgenden Amtsinhaber haben hier gewohnt, obwohl einige Premierminister des 19. Jahrhunderts es vorzogen, in ihrem eigenen Haus zu leben. Einige wenige waren nicht Erster Lord des Schatzamtes und somit auch nicht berechtigt, in Downing Street zu wohnen. Harold Wilson und John Major wohnten zeitweise im Admiralty House. Während Wilsons Amtszeit (1964–1970 und 1974–1976) wurde das Haus einer so grundlegenden Renovierung unterzogen, dass es einem völligen Neubau gleichkam, Major zog in Folge der erforderlichen Reparaturarbeiten nach einem Granatwerfer-Anschlag der Provisional IRA auf das Gebäude aus. Tony Blair nahm bei seiner Wahl 1997 11 Downing Street als Residenz und überließ Nr. 10 Gordon Brown, seinem Schatzkanzler („Chancellor of the Exchequer“), da 10 Downing Street für einen Premierminister mit vier Kindern zu klein sei und Gordon Brown zu dieser Zeit unverheiratet war – ungeachtet der Tatsache, dass beide Häuser, und weitere darüber hinaus, miteinander verbunden sind.

Siehe auch

Weblinks


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