Prätor urbanus

Prätor urbanus

Die Praetur (eingedeutscht auch Prätur) war eines der höheren Ämter der römischen Ämterlaufbahn, des cursus honorum (im Regelfall das dritte Amt nach der Quästur und der Ädilität). Die Amtsinhaber wurden praetores (eingedeutscht: Prätoren) genannt. Sie wurden vom Volk in den Comitia Centuriata auf ein Jahr gewählt.

Inhaltsverzeichnis

Etymologie

Das Substantiv praetor (frühe Form praitor, von praeitor) leitet sich vom lateinischen Verb prae-ire („vorangehen“) ab und bezeichnet im eigentlichen Sinne jemanden, der vorangeht, also einen Anführer oder einen Vorgesetzten. Im Zivilstand bezeichnet der Prätor einen Bürgermeister (beispielsweise in Capua[1]), den Sufet in Karthago[2] oder den obersten Richter in Rom[3].

Historische Entwicklung

Die Geschichte der frühen Republik liegt weitgehend im Dunkeln, da die römische Geschichtsschreibung erst um 200 v. Chr. einsetzte und man über die Frühzeit nur noch wenig wusste. Daher ist fast kein Punkt in der historischen Forschung unumstritten.

Die späte römische Überlieferung (insbesondere Titus Livius), der die ältere Forschung lange Zeit folgte, berichtet folgendes: Nachdem der letzte König Tarquinius Superbus vertrieben worden sei, sei die königliche Gewalt, die dieser lebenslänglich innegehabt hatte, nunmehr jährlich von den patrizischen Geschlechtshäuptern reihum geführt worden (Annuitätsprinzip). Dass bereits 509 die ersten beiden Konsuln amtierten, wie die Römer später glaubten, gilt heute als unwahrscheinlich. Der neue Träger der alten königlichen Gewalt wurde wahrscheinlich vielmehr praetor maximus genannt.[4] Einen Kollegen dürfte es zunächst nicht gegeben haben (Prinzip der Kollegialität). Der praetor maximus blieb der höchste Beamte der frühen Republik, bis er wohl in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. (oder erst 367) von den Konsuln als höchsten Beamten verdrängt wurde.[5] Die ursprüngliche Zugehörigkeit zu dem höchsten Kollegium zeigte sich allerdings noch darin, dass der Prätor bis zum Ende der Republik (und darüber hinaus) das imperium besaß und also Heerführer sein konnte und dass die ersten Provinzen, die im Zuge der römischen Expansion errichtet wurden und die militärische Unternehmungen einschlossen, einem Beamten unterstellt waren, der ebenfalls den Titel praetor trug.

Mit dem Inkraftsetzen der leges Liciniae Sextiae im Jahre 367 v. Chr. gab es einen jährlich neu gewählten praetor urbanus (von urbs, „Stadt“, gemeint ist Rom), der für die Gerichtsbarkeit in der Stadt Rom zuständig war. Öffentliche Rechtssachen zu behandeln stand ihm nur im Auftrag des Volkes (lege populi) zu. Er stellte eine vorläufige Untersuchung der Rechtssache an und übergab alles Weitere (cognitio) den Geschworenenrichtern (iudices selecti), bis diese Sache spruchreif wurde, worauf er dann Recht sprach (ius dicere oder iurisdictio). 242 v. Chr. kam der praetor peregrinus (peregrinus: „Fremder“ oder „Nichtbürger“) hinzu, der in Rechtsstreitigkeiten zwischen römischen Bürgern und Nichtbürgern tätig war.

Zum Kollegium der Prätoren gehörten auch die Statthalter der Provinzen, obwohl sie von den Gerichtsprätoren durch den gänzlich anderen Aufgabenbereich und durch die räumliche Trennung vollkommen verschieden waren. Die ersten Statthalter (Provinzialprätoren) wurden 227 v. Chr. für die ersten beiden römischen Provinzen Sizilien und Sardinien, die in bzw. nach dem ersten punischen Krieg erobert wurden, geschaffen. 197 v. Chr. kamen zwei weitere für die beiden spanischen Provinzen Hispania citerior und Hispania ulterior hinzu. Der Provinzialprätor hatte in der Provinz die oberste militärische und jurisdiktionelle Gewalt, vertrat die römische Herrschersmacht im vollem Umfang und war durch nichts eingeschränkt. Bis Sulla blieb trotz ansteigender Anzahl der Provinzen die Zahl der Prätoren (zwei Gerichtsprätoren, vier Provinzialprätoren) gleich. Sulla erhöhte die Zahl der Prätoren, wahrscheinlich im Jahre 81 v. Chr., auf acht und beschränkte jedoch ihre Zuständigkeit auf die Rechtsprechung in Rom, zu der aber auch die Leitung der ständigen Gerichtshöfe (quaestiones perpetuae) hinzukam. Nach der Prätur konnte man als Proprätor eine Statthalterschaft bekleiden. Caesar erhöhte die Zahl der Prätoren schrittweise von zehn, 12 auf 16. Die Anzahl der Prätoren in der Kaiserzeit schwankte zwischen 10 und 18 Beamten. In der senatorischen Ämterlaufbahn folgte die Prätur im Regelfall dem Volkstribunat oder dem Amt eines Ädilen und wurde vor dem Konsulat bekleidet. Seit 180 v. Chr. war ein Mindestalter von 40 Jahren vorgeschrieben. Prätoren gehörten, wie gesagt, zu den Magistraten, die wie die Konsuln ein imperium besaßen, also ein Heer kommandieren durften. Wie die Konsuln wurden sie daher von den comitia centuriata gewählt. Besonders in Ausnahmesituationen wurde Prätoren ein militärisches Kommando in einer Provinz übertragen, für das bei längerer Dauer die Amtsgewalt über das normale Jahr hinaus verlängert werden konnte. Die Magistrate führten dann den Titel pro praetore, die Abgrenzung zum Titel pro consule ist allerdings nicht immer eindeutig. Ehemalige Prätoren wurden als praetorii („Prätorier“) bezeichnet; sie bildeten im Senat eine Rangklasse unterhalb der ehemaligen Konsuln (consulares).

Die Prätoren waren die Stellvertreter der Konsuln und insbesondere für die Interpretation der Gesetze und die Rechtspflege im Allgemeinen verantwortlich. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des römischen Rechts, da sie im prätorischen Edikt die jeweils geltenden Verfahrensvorschriften festlegten. Die Ehrenzeichen des Prätors glichen denen der Konsuln: In der Stadt begleiteten ihn zwei, außerhalb der Stadt sechs Liktoren. Er trug die toga praetexta, hatte als besondere Gerichtsstätte ein Gerüst (tribunal), wo er auf der sella curulis saß, und daneben auf Sesseln (subsellia) die Richter. Indessen entschied er unerhebliche Rechtssachen auch ohne alle Förmlichkeiten an jedem beliebigen Orte (ex aequo loco).[6].

In der Kaiserzeit bestand das Amt als Bestandteil der senatorischen Laufbahn fort, konnte aber schon in jüngeren Jahren bekleidet werden. Durch die vermehrte Verleihung von Suffektkonsulaten erhielten mehr Prätoren als bisher die Möglichkeit, das Konsulat zu bekleiden. Kaiser Hadrian ließ das prätorische Edikt um 128 n. Chr. im edictum perpetuum endgültig festschreiben, die Prätoren hatten aber schon zuvor durch den Ausbau der kaiserlichen Gerichtsbarkeit beständig an Bedeutung verloren, da sich ihr Geschäftsbereich nunmehr nur auf geringere Gegenstände beschränkte, wie die cura ludorum (Sorge um die Spiele) und die Besorgung von Rechtsgeschäften.

Literatur

  • Wolfgang Kunkel, Roland Wittmann: Die Magistratur. München 1995, ISBN 3-406-33827-5 (Handbuch der Altertumswissenschaft, Abteilung 10: Rechtsgeschichte des Altertums, Teil 3, Band 2: Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik, Abschnitt 2).
  • T. Corey Brennan: The Praetorship in the Roman Republic. 2 Bände, Oxford 2000, ISBN 0-19-511459-0, ISBN 0-19-511460-4.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Cicero, De lege agraria 2, 92.
  2. Cornelius Nepos, Hannibal 7, 4.
  3. Livius, Ab urbe condita 3, 55, 12: (...) iis temporibus nondum consulem iudicem, sed praetorem appellari mos fuerit. („Damals nannte man den Richter noch nicht consul, sondern praetor.“)
  4. Livius, Ab urbe condita 7, 3, 5: Lex vetusta est (...) ut, qui praetor maximus sit, idibus Septembribus clavum pangat. („Es gibt ein altes Gesetz (...), dass der praetor maximus an den Iden des September einen Nagel [ergänze: im Jupitertempel] einschlagen soll.“
  5. Die genauen Einzelheiten sind, wie vieles in der Geschichte der frühen römischen Republik, aufgrund der unsicheren Quellenlage in der Forschung umstritten. Jochen Bleicken nahm an, die Konsuln hätten den Prätor zunächst nur unterstützen sollen.
  6. Cicero, Pro Caecina 50; Sueton, Tiberius 33.

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