- Pseudoautosomale Regionen
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Pseudoautosomale Regionen (PARs) sind Abschnitte im Genom mancher Lebewesen, die auf verschiedenen Geschlechtschromosomen der entsprechenden Art identische DNA-Sequenzen haben[1]. Bei Säugern liegen sie entsprechend auf dem X- und dem Y-Chromosom. PARs sind also in beiden Geschlechtern gleich oft vorhanden, so wie dies sonst bei Autosomen der Fall ist, daher der Name. Durch die PARs ist es möglich, dass die ansonsten unterschiedlichen Geschlechtschromosomen während der Meiose rekombinieren können, was für die anschließende Segregation der Chromosomen in die Keimzellen erforderlich ist.
Inhaltsverzeichnis
Pseudoautosomale Regionen der Säugetiere
Auf den Geschlechtschromosomen der Säugetiere gibt es zwei PARs:
- PAR1 ist beim Menschen 2,7 Millionen Basenpaare (Mb) groß, befindet sich am Ende des kurzen Arms (des sogenannten p-Arms) der Geschlechtschromosomen und heißt auch p-PAR. Hier findet während der Meiose bei männlichen Individuen ein obligatorisches Crossing-over statt.
- PAR2 ist beim Menschen 0,33 Mb groß, befindet sich am Ende des langen Armes (q-Arm) der Geschlechtschromosomen und heißt auch q-PAR. Hier ist ein Crossing-over während der Meiose bei männlichen Individuen nicht obligatorisch und sogar relativ selten.
Bislang wurden im Bereich der beiden PAR insgesamt ca. 30 Gene identifiziert[2].
Die Untersuchung der PAR im Y-Chromosom von Pferden (ECAY: Equus caballus Y-Chromosom) war hilfreich bei der Herstellung der ersten Genomkarten der sog. euchromatischen Regionen von ECAY. Solche Untersuchungen sind in tiermedizinischer Hinsicht für die Untersuchung der männlichen Fruchtbarkeit (Fertilität) von Pferden und deshalb auch für Züchtungsfragen bedeutsam. [3] Bei zahlreichen Untersuchungen zu sogenannten Quantitative Trait Loci werden auch die PAR in die Suche mit eingeschlossen. Dabei werden zum Beispiel Marker für die Anfälligkeit (Vulnerabilitätsmarker) für BSE,[4] Marker für Verhalten und Körperbau von Rindern,[5] oder Resistenzen gegen Krankheitserreger gesucht.[6]
Neben den PARs kann es auf Geschlechtschromosomen auch noch weitere homologen Regionen geben, bei denen sich die Sequenzen ähneln (und somit einen gemeinsamen Ursprung haben), aber nicht (mehr) identisch sind. Beim Menschen sind dies Xq21.3 und Yp11.1.
Genetische Besonderheiten
Für die PAR1 ist bekannt, dass es dort sehr viel häufiger als in anderen Bereichen des Genoms zu Rekombinationen kommt. Dabei nimmt die Häufigkeit der Rekombinationen zu, je weiter die betroffenen Genabschnitte in Richtung der Chromosomenenden, also der Telomere, liegen.[7] Das Ausmaß der Rekombinationshäufigkeit scheint dabei bei verschiedenen Spezies deutlich zu differieren.[8] Da man davon ausgeht, dass Genabschnitte, die oft von Rekombinationen betroffen sind, auch häufig von Mutationen betroffen sind, wurden die PAR auf Mutationshäufigkeit untersucht. Zumindest im Falle von Menschen und anderen Primaten sind die PAR sehr viel seltener als erwartet von Mutationen betroffen.[9]
Was die Häufung von Rekombinationen innerhalb der PAR1 betrifft, gibt es einen bemerkenswerten Unterschied zwischen den Verhältnissen bei Menschen und Mäusen, welcher als „PAR-Boundary Paradox“ bezeichnet wird. Wenn man beim Menschen die Genregion untersucht, die die PAR1 von den weiter zur Mitte, also zum Zentromer hin gelegenen Gen-Abschnitten trennt, findet man, dass innerhalb der PAR1 die Rekombinationshäufigkeit 20mal höher ist als im übrigen Genom. Gleichzeitig finden sich dort überdurchschnittlich viele GC-Abschnitte.[10] Dabei wird die Häufung an GC-reichen Sequenzen in der PAR1 als evolutionäre Folge der gehäuften Rekombinationen in diesen Genabschnitten interpretiert.[11] Bei Mäusen hingegen gibt es in diesem Chromosomabschnitt keine positive Korrelation von Rekombinationsraten und GC-Gehalt.[12]
Mit PAR assoziierte Krankheiten des Menschen
Beim Menschen gibt es eine erbliche Erkrankung, die mit Kleinwüchsigkeit und einer Deformation der Speiche (Madelung-Deformität) einhergeht, die sog. Léri-Weill Dyschondrosteosis (LWD). Diese Krankheit ist eine pseudoautosomal dominante Erkrankung. Das heißt, dass die Gene, die für die Erkrankung verantwortlich sind, in der pseudoautosmalen Region der Geschlechtschromosomen sitzen und der Erbgang dominant ist. Bei der Léri-Weill Dyschondrosteosis (LWD) gibt es Deletionen im Bereich der PAR1.[13] Das bei dieser Erkrankung beteiligte SHOX-Gen ist vermutlich auch an anderen genetischen Erkrankungen (die sog. „Langer mesomelic dysplasia“ und das Turner Syndrom) mitbeteiligt.[14] Deletionen im Bereich der PAR stehen bei Männern im Zusammenhang mit einer Unfruchtbarkeit (Infertilität), die auf eine Azoospermie (Fehlen von Spermien im Ejakulat) zurückgeht.[15][16] Eine Besonderheit stellen die sogenannten R*Y-Elemente dar. Es handelt sich dabei um DNA-Sequenzen, die eine Dreifachhelix bilden. Diese „Triplexe“ verhindern die Transkription und Replikation der DNA und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von genetischen Rearrangements. Auf den Geschlechtschromosomen dienen diese Sequenzen zum Abschalten von Genen. Sie finden sich gehäuft in den Intronen von Genen, die im Gehirn exprimiert werden und möglicherweise eine Rolle bei der Entstehung psychischer Erkrankungen spielen. Da diese Genabschnitte in der Umgebung von schnell mutierten Genen gefunden werden, vermutet man, dass sie bei der Evolution des Genoms eine Rolle spielen.[17] Defekte im Amelogenin-Gen in PAR1 verursachen eine Störung der Zahnschmelzbildung die Amelogenesis imperfecta genannt wird.[18]
PAR bei Pflanzen
Die PAR ist auch bei Pflanzen untersucht worden. Studien zur Meiose bei der Nelkengewächsart Weißen Lichtnelke (Silene latifolia) haben gezeigt, dass die Rekombination nicht zwischen den beiden langen Armen der Geschlechtschromosomen stattfindet, sondern zwischen dem kurzen Arm des X-Chromosoms und dem langen Arm des Y-Chromosoms. [19] Da die Geschlechtschromosomen bei dieser Art sehr jung sind (sie entstanden erst vor etwa 10–20 Mio. Jahren) gilt die Untersuchung der PAR der Weißen Lichtnelke als besonders informativ. Detaillierte Untersuchungen dieser PAR stützen die alte Hypothese, dass die Geschlechtschromosomen aus einem Paar von Autosomen hervorgegangen sind. [20][21]
Evolutionäre Aspekte
PAR2 auf dem Y-Chromosom enthält vier Gene[22] und wurde während der Entwicklung der Säugetiere vermutlich verdoppelt. Untersuchungen über die Lage der PAR2-Gene bei Lemuren, Katzen und dem Derbywallaby ergaben, dass die dafür verantwortlichen Mutationen vor 70 bis 130 Mio. Jahren und vor 60 bis 70 Mio. Jahren erfolgten.[22] Auch scheint die Grenze der PAR2 zur den übrigen Abschnitten auf dem X- und Y-Chromosom nicht ganz scharf zu sein, da bei Säugetieren das Amelogenin-Gen diese Grenze überspannt. Diese Beobachtung wird so interpretiert, dass die Evolution der Geschlechtschromosomen, die bei Säugetieren vor ca. 300 Mio. Jahren begann [23] mit Veränderungen in den Genen (SRY) zu tun hat, die den männlichen Phänotyp determinieren. [24]
Das Y-Chromosom
Beim Menschen ist das Y-Chromosom etwa 65 Mb groß und enthält nur etwa 30 aktive Gene. Das Y-Chromosom der Schmalfuß-Beutelmäuse ist mit ca. 10 Mb noch kleiner. Es enthält keine PAR, allerdings findet sich auf ihm auch das SRY-Gen. Dieser Befund stützt die Vermutung, dass es zumindest im Falle der Beutelsäuger Marsupialia und der Höheren Säugetiere Eutheria einen gemeinsamen Vorfahren des Y-Chromosoms gibt.[25]
Der autosomale Ursprung des X-Chromosoms
Schon seit längerem wird vermutet, dass sich die Geschlechtschromosomen der Säugetiere aus autosomalen Regionen entwickelt haben. Genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass der lange Arm des X-Chromosoms bei allen Säugetieren gemeinsam ist. Erste Hinweise für einen sukzessiven Prozess der Entstehung des X-Chromosoms fand man bei Vergleichen von Genregionen auf dem kurzen X-Arm: bei Schnabeltieren und Beuteltieren (Marsupialia) fehlen dort Abschnitte, die beim menschlichen X-Chromosom vorhanden sind. Daraus schließt man, dass der gesamte kurze X-Arm erst kürzlich Teil des X-Chromosoms bei den Höheren Säugetieren Eutheria wurde.[26]
Bei allen drei Säugetierunterklassen (Höhere Säugetiere, Beuteltiere und Ursäuger) gibt es übereinstimmende Regionen des X-Chromosoms, allerdings haben Beuteltiere (Marsupialia) und Kloakentiere (Monotremata) eine autosomale Region gemeinsam, die sich bei den Höheren Säugetieren auf dem X-Chromosom befindet. Dies spricht dafür, dass zumindest Teile des X-Chromosoms ursprünglich ein autosomes Chromosom waren. Ähnliches gilt für das Y-Chromosom, nur dass dort der Anteil an genetischem Material, der wohl von Autosomen stammt, noch wesentlich umfangreicher ist.[27]
Das Alter der Geschlechtschromosomen
Für einen autosomalen Ursprung des kurzen X-Armes spricht auch die Untersuchung der chromosomalen Lokalisation des Amelogenin-Gens (AMG) beim Derbywallaby (Marsupialia), dem Schnabeltier (Monotremata) und dem Menschen (Eutheria). Bei Wallaby und Schnabeltier sitzt AMG auf den Autosomen 5q und 1q sowie 1 und 2 und beim Menschen auf Xp22 und Yp11 (also jeweils in der PAR1).[28] Aufgrund der Vermutung, dass die Radiation der Säugetiere aus einem gemeinsamen Vorfahren vor ca. 150 Mio. Jahren stattfand schließt man, dass AMG vor 80 bis 150 Mio. Jahren den PAR hinzugefügt wurde und dass X- und Y-Chromosomen mindestens so alt sind.[29]
Quellen
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Siehe auch
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