Psychoonkologie

Psychoonkologie

Psychoonkologie bzw. Psychosoziale Onkologie beschreibt eine (noch) relativ neue interdisziplinäre Form der Psychotherapie bzw. klinischen Psychologie, welche sich mit den psychischen und sozialen einschließlich sozialrechtlichen Bedingungen, Folgen und Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung befasst.

Psychoonkologie beschreibt sowohl die Tätigkeit des praktischen Psychoonkologen, etwa im klinischen oder ambulanten Setting, als auch die Wissenschaftsdisziplin.

Inhaltsverzeichnis

Psychoonkologie als Wissenschaft

Die Psychoonkologie als Wissenschaft begann in den 70er Jahren zunächst mit der Untersuchung von psychosozialen Faktoren, die für die Entstehung einer Krebserkrankungen mitverantwortlich sein sollten (Psychoimmunologie). Bekannt geworden ist in diesem Kontext die in den 1980er Jahren postulierte Behauptung, derzufolge das Krebsrisiko hoch mit bestimmten Persönlichkeitszügen korreliere, die sich im „Persönlichkeitstyp C“ verdichten. Der „Typ C“ repräsentiert unselbständige und überangepasste Menschen, die antriebsgehemmt, defensiv und depressiv erscheinen und nicht in der Lage sind, ihre Gefühle angemessen auszudrücken. Inzwischen ist das Konstrukt der „Krebspersönlichkeit“ von der Wissenschaft weitgehend verworfen [1] [2] [3], erfreut sich aber dennoch im Alltagsdenken recht großer Popularität und wird nach wie vor auch von einzelnen Wissenschaftlern verfochten – zumeist ohne fundierte systematische Belege.

Psychische Belastungen infolge einer Krebserkrankung

Seit den 1990er Jahren wird zunehmend die Frage diskutiert, welche psychischen Belastungen oder manifesten Störungen sich infolge einer Krebserkrankung entwickeln können und in welcher Form diese sich auf die Lebensqualität der Betroffenen oder auf medizinisch-klinische Aspekte (z. B. auf die Therapieresonanz) auswirken können. Ein wichtiger Aspekt hierbei betrifft die Konstruktion und Anwendung valider und krebsspezifischer Meßinstrumente zur Erfassung der psychischen Komorbidität. Damit im Zusammenhang steht die Suche nach Faktoren, welche eine psychische Begleiterkrankung möglichst sicher prognostizieren können – was im Umkehrschluss die Möglichkeit eröffnet, sie rasch und frühzeitig psychosozial zu versorgen.

Bei etwa einem Drittel aller Krebspatienten muss man davon ausgehen, dass infolge der schweren psychischen Belastung durch die Grundkrankheit auch eine Psychische Störung im Sinne einer Komorbidität auftritt. [4]

Die Rolle des Psychoonkologen

Im praktischen Betreuungs- oder Therapiekontext obliegt es dem Psychoonkologen, den Patienten bei der Krankheitsverarbeitung mittels unterschiedlicher Techniken zu unterstützen (z.B. Krisenintervention, ressourcenorientierte Interventionen, imaginative Verfahren). Hierbei ist - wenn möglich - immer auch das persönliche soziale Umfeld der betroffenen Person zu integrieren. Psychoonkologische Versorgung sollte in allen Phasen der Erkrankung sichergestellt sein, also während der Akutbehandlung, der Rehabilitation und ggf. auch während des Sterbeprozesses.

Der Tätigkeit der Psychoonkologen begegnet man kaum in der klinischen Routine. Außerhalb von Schwerpunkt- und Kompetenzzentren wird meist eine psychologische Betreuung angeboten, welche psychoonkologische Betreuung mit einschließt. Es ist wichtig, in der ärztlichen Tätigkeit psychoonkologische Faktoren mit zu berücksichtigen, so etwa bei der Diagnosemitteilung wie auch bei der Beantwortung oder dem Umgang bezüglich Prognose, Verlauf, vorhersehbarem Leiden und Schmerzen. Die Grundsätze der Psychoonkologie sollten selbstverständlich nicht nur im onkologischen Bereich gelten, sondern allgemein auf chronisch Kranke und andere schwere, psychisch belastende Krankheitssituationen übertragbar sein. Psychoonkologisch geschult sollte also nicht nur der/die betreffende klinische PsychologIn/PsychotherapeutIn sein, sondern auch sämtliches ärztliches Personal, Pfleger etc.

Auf fachlicher Ebene organisiert sich die Psychoonkologie in der Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Onkologie e.V (dapo), wissenschaftlich in der Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (PSO).

Einzelnachweise

  1. Dalton, S.O., Mellemkjær, L., Olsen, J.H., Mortensen, P.B., Johansen, C. (2002). Depression and cancer risk: A register-based study of patients hospitalized with affective disorders, Denmark, 1969-1993. American Journal of Epidemiology, 155, 1088-1095
  2. Schapiro, I.R., Nielsen, L.F., Jørgensen, T., Boesen, E.H., Johansen, C. (2002). Psychic vulnerability and the associated risk for cancer. Cancer, 94, 3299-3306
  3. Schwarz, R. (1994). Die Krebspersönlichkeit. Mythos und klinische Realität. Stuttgart, Schattauer
  4. Singer, S., Bringmann, H., Hauss, J., Kortmann, R-D., Köhler, U., Krauß, O., Schwarz, R. (2007): Häufigkeit psychischer Begleiterkrankungen und der Wunsch nach psychosozialer Unterstützung bei Tumorpatienten im Akutkrankenhaus. Deutsche Medizinische Wochenschrift, 132, 2071-2076.

Literatur

  • Reinhold Schwarz und Susanne Singer: Einführung Psychosoziale Onkologie. UTB Ernst Reinhardt, München, 2008 ISBN 978-3-8252-3071-5
  • Fritz Meerwein & Walter Bräutigam: Einführung in die Psychoonkologie. 5. Aufl. Hans Huber, Bern, 1998 ISBN 3-456-82916-7
  • Volker Tschuschke: Psychoonkologie. Psychologische Aspekte der Entstehung und Bewältigung von Krebs. Schattauer: Stuttgart, 2. Auflage 2006, ISBN 3-7945-2313-X
  • Pia Heußner (Hrsg.), M. Besseler (Hrsg.), H. Dietzfelbinger (Hrsg.), Martin Fegg (Hrsg.), K. Lang (Hrsg.), U. Mehl (Hrsg.), D. Pouget-Schors (Hrsg.), Carola Riedner (Hrsg.), A. Sellschopp (Hrsg.), Manual Psychoonkologie. Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge / Hrsg. Tumorzentrum München an den Medizinischen Fakultäten der Ludwig-Maximilians-Universität und der Technischen Universität, 3., vollst. überarb. und erg. Auflage, München [i.e. Germering], Wien, New York, 2009, ISBN 978-3-88603-964-7
  • P. Herschbach, J. Weis (Hrsg.): Screeningverfahren in der Psychoonkologie. Testinstrumente zur Identifikation betreuungsbedürftiger Krebspatienten. 1. Aufl. 2008

Weblinks


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