Quechuas

Quechuas
Quechua-Frau mit Lamas (Departement Cusco, Peru)

Quechuas oder Quechua-Indianer, in Ecuador Kichwa ist eine Sammelbezeichnung für die Angehörigen der Ethnien, deren Muttersprache das Quechua (bzw. eine der Quechua-Sprachen) ist. Die Eigenbezeichnung der Menschen, die Quechua sprechen, lautet Runakuna („Menschen“; in Junín und Teilen von Ancash: Nunakuna; Einzahl: Runa bzw. Nuna).

Inhaltsverzeichnis

Historischer und soziopolitischer Hintergrund

Kichwa-Indianerin (Puruhá), Ecuador, Gegend von Alausí (Provinz Chimborazo)
Quechua-Indianer aus Conchucos (Ancash), Peru
Terrassen in den Anden

Die Sprecher der Quechua-Sprache, insgesamt ca. 9-14 Millionen in Peru, Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Argentinien, haben bisher keine oder kaum eine gemeinsame Identität entwickelt. Die verschiedenen Quechua-Varianten unterscheiden sich zum Teil so stark, dass keine gegenseitige Verständigung möglich ist. Zu beachten ist, dass Quechua nicht nur von den Inkas gesprochen wurde, sondern z. T. auch von langjährigen Feinden des Inka-Reiches, so z. B. den Huanca (Wanka ist eine noch heute im Raum Huancayo gesprochene Quechua-Variante), den Chanka (Chanca - Dialekt von Ayacucho) oder den Kañari (Cañar) in Ecuador. Das Quechua wurde von einigen dieser Völker, so den Wanka, bereits vor den Inkas in Cusco gesprochen, während andere Völker, insbesondere in Bolivien, aber auch in Ecuador, die Quechua-Sprache erst in der Inkazeit oder sogar erst danach übernahmen.

In Peru wurde Quechua unter der Militärregierung Juan Velasco Alvarados 1969 zur zweiten Amtssprache erklärt. In neuester Zeit gibt es Tendenzen einer Nationenbildung bei den Quechuasprachigen besonders in Ecuador (Kichwa), aber auch in Bolivien, wo die sprachlichen Unterschiede im Vergleich zu Peru nur gering sind. Ausdruck dessen ist z. B. die Dachorganisation der Kichwa-Völker in Ecuador, ECUARUNARI (Ecuador Runakunapak Rikcharimuy). Doch auch einige christliche Organisationen (z. B. das evangelikale Radio HCJB, la „Voz de los Andes“) sprechen von einem „Quichua-Volk“. In Bolivien wiederum taucht der Begriff „Quechua-Nation“ z. B. im Namen des „Bildungsrates der Quechua-Nation“ (Consejo Educativo de la Nación Quechua, CENAQ) auf, der für den Quechua-Unterricht bzw. die zweisprachige interkulturelle Erziehung in den quechuasprachigen Gebieten Boliviens zuständig ist.

Materielle Kultur und Sozialgeschichte

Trotz der ethnischen Vielfalt und sprachlichen bzw. mundartlichen Unterschiede haben die Quechua-Ethnien eine Reihe gemeinsamer kultureller Merkmale, die sie jedoch im Wesentlichen auch mit den Aymara bzw. allen indigenen Völkern der Zentralanden teilen.

Traditionell ist die - lokal ausgerichtete - Quechua-Identität untrennbar mit der altherkömmlichen Wirtschaftsweise verbunden. Deren grundlegende Säule ist in den tiefer gelegenen Regionen die Landwirtschaft, in der hoch gelegenen Region der Puna die Weidewirtschaft. Dabei umfasst die typische Andengemeinde mehrere Höhenstufen und somit auch den Anbau einer Vielfalt von Feldfrüchten und Viehhaltung. Das Land gehört traditionell der Dorfgemeinde (ayllu) und wird gemeinsam bewirtschaftet oder jedes Jahr zur Bewirtschaftung verteilt.

Erst in der Kolonialzeit, stärker noch nach der Unabhängigkeit der südamerikanischen Staaten, eigneten sich Großgrundbesitzer das Land bzw. einen Großteil dessen an und drängten die Ureinwohner in die Schuldknechtschaft (in Ecuador als Huasipungo bezeichnet, von Kichwa wasipunku, „Haustür“). Wiederholt führten die harten Ausbeutungsbedingungen zu Aufständen der indigenen Bauern, die jedoch gewaltsam niedergeschlagen wurden. Der größte dieser Aufstände ereignete sich 1780-1781 unter Führung von José Gabriel Kunturkanki.

Landbesetzungen und Vertreibungen der Hacendados durch indigene Bauern begleiteten die Regierungsübernahme reformfreudiger Juntas Mitte des 20. Jahrhunderts, so 1952 in Bolivien (Víctor Paz Estenssoro) und 1968 in Peru (Juan Velasco Alvarado). Mit den von diesen eingeleiteten Agrarreformen kam es zu einer Enteignung der Großgrundbesitzer und, besonders in Bolivien, zu einer Verteilung des Landes an die indianischen Bauern als individuelles Eigentum. Dies bedeutete einen Bruch mit der überkommenen Quechua- und Aymara-Kultur. Andererseits haben sich Ayllus in entlegenen Gebieten bis heute gehalten (vgl. beispielhaft die peruanische Quechua-Gemeinde Q'ero).

Der Kampf um Landrechte bildet weithin bis in die Gegenwart einen Brennpunkt des politischen Alltags der Quechuas. In jüngerer Zeit konnten die im Verband ECUARUNARI organisierten Kichwa-Ethnien Ecuadors - auch durch militante Aktionen - kommunale Landtitel bzw. die Rückgabe von Ländereien erstreiten. Unter den Kichwa des Tieflands wurde insbesondere der Fall der Gemeinde Sarayaku bekannt, die sich in jahrelangen Auseinandersetzungen erfolgreich gegen die Enteignung und Ausbeutung des Regenwaldes für die Erdölgewinnung wehrt.

Zwei Haupttypen der gemeinsamen Arbeit werden unterschieden: Bei der Minka handelt es sich um gemeinsame Arbeit für Projekte im Gemeinschaftinteresse (z. B. Bau kommunaler Objekte). Ayni ist dagegen die Arbeit in gegenseitiger Hilfe, wobei Mitglieder des Ayllu einer Familie bei größeren eigenen Projekten (z. B. Hausbau) helfen und jeder einerseits in den Genuss dieser Hilfe kommen kann, andererseits auch irgendwann andern hilft.

Wichtige Elemente der materiellen Kultur bei fast allen Quechua-Ethnien sind zudem etliche traditionelle Handwerke:

Hierzu gehört die aus der Inkazeit bzw. davor tradierte Weberei mit Baumwolle, Wolle (von Lamas, Alpakas, Guanakos, Vikunjas) und einer Vielfalt natürlicher Farbstoffe, bei der zahlreiche Webmuster (pallay) zur Anwendung kommen.

Der Hausbau findet meist mit an der warmen Luft getrockneten Lehmziegeln (tika bzw. spanisch adobe) oder mit Zweigen und Lehmmörtel statt, während die Dächer aus Stroh, Schilf bzw. Punagras (ichu) gedeckt werden.

Die Auflösung der traditionellen Wirtschaftsweisen, regional z. B. durch Bergbau und darauf folgende Proletarisierung, hat in der Regel zu einem Verlust der ethnischen Identität wie auch der Quechua-Sprache geführt. Dies gilt ebenso bei der dauerhaften Abwanderung in die Großstädte (insbesondere Lima), die eine Akkulturation an die dortige hispanische Gesellschaft zur Folge hat.

Beispiele für Verfolgung von Quechua in jüngster Zeit

Bis in die Gegenwart wurden Quechua Opfer politischer Konflikte und ethnischer Verfolgung. Im Bürgerkrieg in Peru in den 1980er Jahren zwischen Staatsmacht und Sendero Luminoso waren etwa drei Viertel der rund 70.000 Todesopfer Quechua-Indianer, während die Verantwortlichen in den Kriegsparteien ausnahmslos Weiße und Mestizen waren.[1]

Von der Politik der Zwangssterilisationen unter Alberto Fujimori waren fast ausschließlich Quechua- und Aymara-Frauen betroffen, insgesamt über 200.000.[2] Der bolivianische Filmregisseur Jorge Sanjines behandelt die Problematik der Zwangssterilisierung bereits in seinem quechuasprachigen Spielfilm Yawar Mallku aus dem Jahre 1969.

Ethnische Diskriminierung spielt auch auf parlamentarischer Ebene noch heute eine Rolle: Als am 25. Juli 2006 die neu gewählten peruanischen Abgeordneten Hilaria Supa Huamán und María Sumire ihren Eid auf Quechua ablegten - erstmals in der Geschichte Perus in einer indigenen Sprache -, weigerten sich die peruanische Parlamentspräsidentin Martha Hildebrandt und das Präsidiumsmitglied Carlos Torres Caro hartnäckig, dies zu akzeptieren.[3][4]

Mythologie

Praktisch alle Quechua-Indianer der Anden sind seit der Kolonialzeit nominell Katholiken. Trotzdem leben in vielen Gegenden Formen der traditionellen Religion weiter, vermischt mit christlichen Elementen (Synkretismus). Die Quechua-Ethnien teilen auch die traditionelle Religion mit den anderen andinen Völkern. Weithin im Andenraum überlebt insbesondere der Glaube an Mutter Erde (Pachamama), die Fruchtbarkeit schenkt und der deshalb regelmäßig Rauch- oder Trinkopfer dargebracht werden. Wichtig sind zudem die Berggeister (apu) sowie kleinere Lokalgottheiten (wak'a), welche besonders in Südperu noch verehrt werden.

Die immer wiederkehrende historische Erfahrung des Völkermords wurde von den Quechuas in Form verschiedener Mythen verarbeitet. Hierzu gehört z. B. die Figur des Nak'aq oder Pishtaku („Schlächter“), des weißen Mörders, der den ermordeten Indigenen das Fett aussaugt,[5] oder das Lied vom blutigen Fluss.[6] Von einem Sieg der Apus über die Spanier erzählen die Q'ero-Indianer im Mythos von Wiraquchapampa.[7] Unter den bis heute lebendigen Mythen ist der in Südperu verbreitete Inkarrí-Mythos besonders interessant, der ein verbindendes kulturelles Element der Quechua-Indianer in den Regionen von Ayacucho bis Cusco bildet.[7][8][9]

Weiterführende Artikel zu quechuasprachigen Ethnien

Bei den hier aufgelisteten Quechua-Ethnien handelt es sich nur um eine Auswahl. Auch die Abgrenzung ist unterschiedlich. Zum Teil sind hier Dorfgemeinschaften mit einigen Hundert Menschen angegeben, zum Teil auch Ethnien mit mehr als einer Million Menschen.

Ecuador

Peru

Tiefland

Hochland

Bolivien

Bilder

Siehe auch

Quellen

  1. Orin Starn: Villagers at Arms: War and Counterrevolution in the Central-South Andes. In Steve Stern (Hrsg.): Shining and Other Paths: War and Society in Peru, 1980–1995. Duke University Press, Durham und London, 1998, ISBN 0-8223-2217-X.
  2. Mass sterilisation scandal shocks Peru, 24. Juli 2002, BBC News, http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/americas/2148793.stm
  3. Perú: Congresista quechua Maria Sumire sufrió presiones para juramentar en español. http://www.servindi.org/archivo/2006/927
  4. Congresistas indígenas sesionarán en quechua. Diario Hispano Peruano, 10.08.2006. http://www.ociocritico.com/peru/noticias/060810quechua.php
  5. Beispiele (Ancash-Quechua mit spanischer Übersetzung) auf http://celia.cnrs.fr/FichExt/Am/A_25_09.htm sowie (nur Chanka-Quechua) http://www.runasimi.de/nakaq.htm
  6. Karneval von Tambobamba. In: José María Arguedas: El sueño del pongo, cuento quechua y Canciones quechuas tradicionales. Editorial Universitaria, Santiago de Chile 1969. Online: http://www.runasimi.de/takikuna.htm#tambubamba (auf Chanka-Quechua). Deutsche Übersetzung in: Juliane Bambula Diaz und Mario Razzeto: Ketschua-Lyrik. Reclam, Leipzig 1976, S. 172.
  7. a b Thomas Müller und Helga Müller-Herbon: Die Kinder der Mitte. Die Q'ero-Indianer. Lamuv Verlag, Göttingen 1993, ISBN 3-88977-049-5.
  8. http://www.runasimi.de/inkarri.htm (auf Quechua)
  9. Juliane Bambula Diaz und Mario Razzeto: Ketschua-Lyrik. Reclam, Leipzig 1976, S. 231 ff.

Literatur

  • von Gleich, Utta: Indigene Völker in Lateinamerika. Frankfurt/Main.
  • Thomas Müller und Helga Müller-Herbon, Die Kinder der Mitte. Die Q'ero-Indianer, Lamuv Verlag. Göttingen 1993, ISBN 3-88977-049-5
  • Torrico, José Antonio Rocha (1997): „Mit dem Blick nach vorn und zurück“, Ethnische Ideologie, die Macht und das politische bei den Quechua in den Tälern und Gebirgsregionen Cochabambas; Dissertation. Ulm.
  • Wentzel, Sondra - Bolivien: Probleme und Perspektiven der Hoch- und Tieflandindianer. In: Gesellschaft für bedrohte Völker: „unsere Zukunft ist eure Zukunft“ Indianer heute, S. 235-242.
  • Wolff, Jonas, 2004: Demokratisierung als Risiko der Demokratie? Die Krise der Politik in Bolivien und Ekuador und die Rolle der indigenen Bewegung, HSFK-Report 6/2004.

Weblinks


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