R4M Orkan

R4M Orkan

Die R4M (Rakete 4 Kilogramm Minenkopf) „Orkan“ ist eine deutsche Rakete aus dem Zweiten Weltkrieg. Vorwiegend waren damit die Jagdflugzeuge des Typs Messerschmitt Me 262 und Focke-Wulf Fw 190 ausgerüstet, um die - in engen Formationen fliegenden - Bomber vom Typ B-17 und B-24 aus sicherer Entfernung erfolgreich zu bekämpfen. Die R4/M war die erste in industriellen Ausmaß gefertigte Luft-Luft-Rakete, welche auch wirklich als einsatzfähig betrachtet werden konnte. Zuvor hatte es bereits im Ersten Weltkrieg Behelfskonstruktionen gegeben, welche erfolglos gegen deutsche Zeppeline eingesetzt worden waren.

Inhaltsverzeichnis

Anwendung und Wirkungsweise

Die Raketenbatterien wurden unter den Tragflächen entweder in Schienen- oder Rohrrosten angebracht. Unter jeder Tragfläche einer Me 262 wurden meist zwölf bis dreizehn Raketen angebracht, es waren aber auch sechs oder 24 Raketen möglich. Der Abschuss der Raketen erfolgte als Salve, dabei wurden die Raketen mit 7  Millisekunden Zeitabstand in Dreiergruppen abgefeuert. Die Raketen verfügten über einen kombinierten Aufschlag-/Zeitzünder. Beim Abschuss wurde eine Verzögerungsladung gezündet, welche den Gefechtskopf nach 5 Sekunden zur Explosion brachte, falls die Rakete auf kein Ziel traf. Diese Funktionsweise steht im Gegensatz zu den aus Werfergranaten umgebauten 21-cm-Raketengeschossen, die nach Zurücklegen einer bestimmten Flugstrecke automatisch explodierten und beispielsweise von den Messerschmitt Bf 110-Verbänden eingesetzt wurden. Die Wirkung der R4/M-Rakete beruhte immer auf der Explosionswirkung eines direkten Treffers und nicht auf der Splitterwirkung eines Nahtreffers, wie dies z. B. bei Flak-Granaten der Fall war. Mit einer nennenswerten Splitterwirkung war bei den R4/M-Raketen auch kaum zu rechnen gewesen, da es sich bei deren Gefechtsköpfen um dünnwandige Stahlblechbehälter mit lediglich 1,0 mm Wandstärke handelte. Dies wird verdeutlicht durch den Buchstaben M der Typenbezeichnung, der für „Minenkopf“ steht.

Beim Angriff mit R4/M-Raketen näherten sich die Me 262-Jagdflugzeuge von hinten den feindlichen Bomberpulks. Diese Angriffsweise stand im Gegensatz zu den Bf 109 und Fw 190-Jägern, die oftmals frontal die feindlichen Bomberverbände angriffen, um die weniger stark geschützten Frontbereiche der Feindbomber mit Bordwaffen zu beschießen.

Die Rakete wurde als Antwort auf die eng gestaffelten und zunehmend schwerer gepanzerten amerikanischen Tagbomber-Formationen (B-17 und B-24) konzipiert, da die bisherige konventionelle Bekämpfung mit Hilfe von Maschinengewehren (MG 131 (13 mm)) und Bordkanonen (MG FF bzw. MG 151 (20 mm) und MK 108 (30 mm)) immer weniger Erfolg zeigte.

Die Platzierung eines erfolgreichen Schusses war aufgrund der gestreckten Flugbahn der leitwerkstabilisierten Rakete relativ einfach. Wegen der hohen Anfangsgeschwindigkeit der Rakete und des relativ großen Bereichs, den eine volle Raketensalve abdeckte, war ein rechtzeitiges Ausweichen der schwerfälligen Bomber äußerst schwierig, insbesondere auch deshalb, weil aufgrund des engen Formationsflugs keine beliebigen Ausweichmanöver geflogen werden konnten, ohne eine Kollision mit eigenen Flugzeugen zu riskieren.

Ein einzelner Raketentreffer war für die Flugzeuge meistens verheerend. Ein Treffer in den Rumpf eines Bombers konnte ein klaffendes Loch in die Beplankung reißen. Bei einem Treffer an den Tragflächen wurden entweder die darin untergebrachten Treibstofftanks zur Explosion gebracht oder die tragende Struktur derart beschädigt, dass es – bedingt durch die hohe Reisegeschwindigkeit des Flugzeugs – zu einem Tragflächenbruch kam. Dies galt auch für die äußerst robust gebaute B-17 Flying Fortress. Da aber die Jäger-Version der Me 262 kaum zum Einsatz kam und zudem die R4/M-Raketen erst sehr spät zur Verfügung standen, hielten sich auch die Erfolge in Grenzen.

Erprobung, Einsatz und Erfolge

Aufgrund der Forderung des RLM nach einer platzsparenden Rakete mit Leitwerk wurde dieser Entwurf von der Fa. HEMAF in Osterode/Harz und der DWM in Lübeck in neun Monaten realisiert.

Die Erprobung der ersten R4/M erfolgte im Februar 1945 bei dem im selben Monat aufgestellten Jagdverband 44 unter Adolf Galland. Innerhalb eines Monats wurden ca. 60 Me 262 mit R4/M ausgerüstet. Neben der Me 262 wurde auch der Raketenjäger Me 163 und die konventionelle Fw 190 mit der ungelenkten R4/M ausgerüstet. Der nicht mehr zum Einsatz gekommene Objektschutzjäger Bachem Ba 349 Natter sollte im Bug eine Abschussanlage namens Bienenwabe mit 28 Rohren für R4/M-Raketen enthalten. Ein Schießversuch schlug jedoch fehl; der Bug explodierte[1].

Obwohl bei der Me 262 und der Me 163 aerodynamische Schwierigkeiten befürchtet wurden, beeinträchtigte die Anbringung der 24 R4/M-Raketen an den Flächenunterseiten die Flugeigenschaften dieser beiden Modelle nicht wesentlich. Testpilot Fritz Wendel sagte aus, die Me 262 fliege „keine fünf Kilometer langsamer“, und hatte keine Beanstandungen[2]. Auch der erste Flug einer Me 163 mit der R4/M-Bewaffnung durch Adolf Niemeyer verlief reibungslos[3].

Am 18. März 1945 wurde die neue Rakete erstmals eingesetzt, als 1221 Bomber mit 632 Jägern als Begleitschutz Berlin angriffen. Sechs Me 262 des JG 7 feuerten ihre 144 R4/M-Raketen auf den Bomberverband ab und griffen ihn anschließend mit Bordwaffen an. Die Alliierten verloren 25 Bomber. Bei diesem Einsatz gingen zwei Me 262 verloren, ein Pilot kam ums Leben[2]. Englischsprachige Quellen nennen zumeist andere Zahlen über diese „letzte große Luftschlacht im Zweiten Weltkrieg“. Laut diesen haben 37 Me 262 insgesamt zwölf Bomber und einen Begleitjäger abgeschossen, während drei Me 262 verlorengingen.

In deutschen Quellen wird der Erfolg der R4/M als „ausgezeichnet“ und „überragend“ bezeichnet. In der kurzen Einsatzzeit sollen fast 500 alliierte Flugzeuge durch die R4/M zerstört worden sein. So sollen bei einem Einsatz aus einem Verband von 425 B-17 G 25 Maschinen ohne eigenen Verlust abgeschossen worden sein. Noch im April 1945 sollen 24 Fw 190 mit der R4/M 40 Bomber ohne eigene Verluste abgeschossen haben. Insgesamt wurden 20.000 Raketen in Auftrag gegeben, von denen bis Kriegsende etwa 10.000 fertiggestellt wurden[1].

Unabhängig von den tatsächlichen Abschusszahlen war die R4/M aber zweifellos die effektivste Waffe deutscher Jagdflieger in den letzten Kriegsmonaten. Die Zahlen beider Seiten sprechen für die Effektivität des Düsenjägers in Kombination mit der Raketenbewaffnung. Jedoch war die Verlustquote der Alliierten durch ihre enorme zahlenmäßige Überlegenheit so gering, dass der Einsatz der R4/M keine signifikanten Auswirkungen mehr hatte.

Abgeleitete Raketentypen

Gegen gepanzerte Bodenziele wurden der Panzerblitz 2 und Panzerblitz 3 aus der R4/M entwickelt. Bei Panzerblitz 2 wurde der Minenkopf durch einen großen Hohlladungskopf von 130 mm Kaliber ersetzt, der 180 mm Panzerstahl durchschlagen konnte. Weil der Panzerblitz 2 aufgrund des großen Gefechtskopfes nur eine Fluggeschwindigkeit von 370 m/s erreichte, wurde bei Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken der Panzerblitz 3 entwickelt, der eine modifizierte Hohlladungsgranate 75-mm-HL.Gr.43 als Gefechtskopf trug. Es wurde eine Fluggeschwindigkeit von 570 m/s erreicht, und es konnten 160 mm Panzerstahl bei einem Auftreffwinkel von 90° durchschlagen werden; es kam jedoch nur zum Bau einiger Muster.

Technische Daten

Hersteller Heber, Osterode
Leistung
Geschwindigkeit (Vmax) 525 m/Sek
Geschwindigkeit nach 1000 m 125 m/Sek
Brenndauer ca. 0,75 sek
Schub(max) 245 kp
Bekämpfungsreichweite bis 1,5 km
Antrieb Feststoff-Motor
Gewicht
Gesamtmasse 3,85 kg
Treibladung 0,815 kg
Sprengladung 0,52 kg
Zünder Aufprallzünder
Abmessung
Länge 812 mm
Durchmesser 55 mm
Leitwerkspann im Flug 242 mm
Preis
1944 2 Batterien à 500 RM
1945 2 Batterien à 750 RM

Quellen

  1. a b Heinz J. Nowarra: Die deutsche Luftrüstung 1933–1945, Band 4, 1993, S. 87
  2. a b Mano Ziegler: Turbinenjäger Me 262, 5. Auflage, 1993, S. 177–185
  3. Mano Ziegler: Raketenjäger Me 163, 11. Auflage, 1992, S. 189

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