Rassen

Rassen

Rasse ist ein abstrakter Ordnungsbegriff, vergleichbar mit der Klasse in der Logik oder der Sorte im umgangssprachlichen Sinne. Er dient als unspezifischer Sammelbegriff für eine Zusammenfassung von Lebewesen, sowie zu deren Ordnung und Bewertung. Sinn bzw. konkrete Bedeutung erhält er erst innerhalb eines bestimmten Kontexts oder durch eine Einzelwissenschaft, in der er benutzt wird.

Inhaltsverzeichnis

Etymologie und Begriffsgeschichte

Die genaue Herkunft des Wortes „Rasse“ ist unklar, es werden unterschiedliche, stark voneinander abweichende, Erklärungen vertreten. In der Literatur werden häufig Ableitungen vom lateinischen „radix“ (Wurzel im genealogischen Sinne), von „generatio“ (Geschlecht im genealogischen Sinne, aber auch „Art“, im Sinne von „Wesen eines Dings“), sowie „ratio“ (ebenfalls in der Bedeutung „Wesen eines Dings“ oder „Art und Weise“) beschrieben.[1] Eine alternative Herleitung des Wortes führt nach Spanien und wird als Hispanisierung des arabischen Ra´s (Kopf, Ursprung) zu raza gedeutet.[2] Belegt sind einzelne Verwendungen in den romanischen Sprachen seit dem frühen 13. Jahrhundert.[3]

Die früheste bislang bekannte Verwendung in der spanischen Literatur erfolgte 1438 durch den Priester Alfonso Martínez de Toldedo:

„Man nehme zwei Söhne an, den eines Bauern und den eines Ritters: Beide wüchsen im Gebirge unter der Erziehung eines Mannes und eines Weibes auf. Du wirst sehen, dass der Bauer sich weiterhin über die Dinge eines Dorfes, so wie ackern, graben und Holz mit dem Vieh einsammeln, erfreuen wird; und der Sohn des Ritters wird sich nur dann erfreuen, wenn er reitend Waffen zu horten vermag und Messerstiche erteilen darf. Dies beabsichtigt die Natur, so wirst Du dieses in jenen Orten, in denen Du leben wirst, Tag für Tag beobachten können, so dass der Gute einer guten Rasse [rraça] von seiner Herkunft angezogen wird und der Benachteiligte, einer gemeinen Rasse [rraça] und Herkunft angehörig, unabhängig wer er ist und wie reich er sein mag, sich niemals von einer anderen Herkunft angezogen fühlen wird, als woher er ursprünglich stammt.[4]

Rasse war zu dieser Zeit weder positiv noch negativ konnotiert. Der Verfasser verwandte „Rasse“ wertneutral im Sinne von „Herkunft“ oder „Geschlecht“, und nahm die Wertung durch eine zusätzliche Attributierung vor (gute Rasse; schlechte Rasse). Jedoch beinhaltet dieser frühe Text bereits die Vorstellung unveränderlicher, durch Natur und Abstammung festgelegter Wesenszüge.[5] Abweichend von der späteren naturwissenschaftlichen Bedeutung, einer durch gemeinsame somatische Merkmale gekennzeichneten Gruppe, lag hier die Vorstellung einer langen Ahnenreihe zugrunde, innerhalb derer sich hervorragende Qualität nicht notwendigerweise gebunden an erkennbare physische Charakteristika vererbt.[6]

Eingang in das Recht erfuhr der Begriff in den „Estatutos de limpieza de sangre“ (Statuten von der «Reinheit des Blutes»), die erstmals 1449 in Toledo erlassen wurden und als ein Vorläufer der Nürnberger Rassegesetze gelten. Sie existierten an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Versionen bis ins 19. Jahrhundert.[7]

„[...] es wurde ein Kirchenstatut von unserem Erzbischof von Toledo vorgeschlagen, welches forderte, dass seit jenem Tage alle Kirchenpfründe jener Heiligen Kirche sowie Würdenträger wie etwa Domherren, Kostverteiler, Kapläne und Kleriker Altchristen sein müssen, also ohne Rasse eines Juden, Mauren oder Häretikers [...][8]

Im 18. Jahrhundert bis etwa 1900 ist die Schreibweise Race üblich, abgeleitet von franz. race mit der weiten Bedeutung von „Geschlecht, Stamm, Abstammung, Nachkommenschaft, Gattung, Sorte, Art (von Menschen und Tieren), also für eine Gruppe von Individuen mit bestimmten gemeinsamen Eigenschaften.“ Siehe dazu Race (Kant). [9]

Im 17. Jahrhundert benutzte der französische Forscher François Bernier den Begriff noch synonym zu „espèce“ (Art). Er gilt als der erste Forscher, der den Begriff im Rahmen einer anthropologischen Taxonomie zum Zwecke der Klassifikation von Menschen angewandt hatte.[10]

In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde Rasse als „ein naturgeschichtlicher Ordnungsbegriff zur Bezeichnung einer Tier- beziehungsweise Pflanzengruppe mit übereinstimmenden typischen (vererbbaren) Merkmalen des äußeren Erscheinungsbildes“ verwendet, oft im eingeschränkten Sinne eines durch Züchtung gewonnenen „edlen Geschlechts mit ausgeprägten, hervorragenden Eigenschaften“.[9]

In der heutigen Umgangssprache wird „Rasse“ auch in (positive Einschätzungen ausdrückenden) Verbindungen wie „Rasse haben“ oder „rassig sein“ verwendet.

Zuchtwesen

Hauptartikel: Rasse (Züchtung)

Im Zuchtwesen wird der Begriff Rasse bei Haustieren zur Differenzierung innerhalb einer Art verwendet.

Biologie

Hauptartikel: Unterart und Rasse (Botanik)

Der Terminus „Rasse“ gelangte aus der Tierzucht in die frühe Biologie. Dort wurde er dann lange Zeit zur Klassifizierung und Einordnung von Organismen, auf verschiedenen taxonomischen Ebenen auf oder unterhalb des Artniveaus, verwendet. Definition und Gebrauch der „Rasse“ erfolgten nicht einheitlich, was eine Vielzahl unterschiedlicher Typen von Rassen zur Folge hatte, die weder gegeneinander noch klar gegen höhere oder niedere Taxa abgrenzbar waren. Zusätzlich erschwert wurde die Situation dadurch, dass man Rassen als Arten niederen taxonomischen Ranges begriff und sie entsprechend des damals vorherrschenden Artkonzepts völlig typologisch definierte und behandelte, was viel Spielraum für Willkür und subjektive Einschätzung ließ. Lediglich die „geographische Rasse“ erlangte eine gewisse Bedeutung, als Vorläufer der Unterart.

Heute spielt der Begriff „Rasse“ in der Biologie kaum eine Rolle mehr, und ist weitgehend dem der „Unterart“ gewichen; die einzige Ausnahme bildet die Zuchtlehre. Darin wird er zur infrasubspezifischen Klassifikation von Haustieren verwendet, die eine Sonderstellung in der biologischen Systematik einnehmen und in ihrer Gesamtheit zu einer Unterart der jeweiligen Stammart zusammengefasst werden. In aktueller Literatur tauchen „Rassen“ kaum noch auf, und wenn doch, dann fälschlicherweise als Synonym für Unterart oder Varietät, oder sie bezeichnen mehr oder weniger willkürliche Zusammenfassungen phänotypisch ähnlicher Individuen einer Art deren taxonomischer Rang unklar ist, bzw. Populationen und Teilpopulationen ohne eigenen taxonomischen Rang. Andere Verwendungen, z. B. im Sinne von „Art“ oder „Gattung“ sind historisch.

Im Gegensatz zur biologischen Art sind weder Rassen noch Unterarten objektivierbar. Es handelt sich dabei um Kategorien des Denkens und nicht etwa um reale Naturkörper oder Einheiten der Evolution. Wie der Evolutionsbiologe Ernst Mayr betont, basieren alle rassistischen Theorien darauf, Rassen nicht als Abstraktion sondern als Realität aufzufassen.[11]

Klassifizierung und Bewertung des Menschen

Hauptartikel: Rassentheorie, Rassenideologie und Rassismus

In verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Milieus und zu verschiedenen Zeiten erfuhr der Begriff „Rasse“ jeweils unterschiedliche Verwendungen bei Versuchen zur Gruppierung oder Klassifizierung des Menschen. Rassekonzepte dienten oft zur Ab- und Aufwertung von Bevölkerungsgruppen. Unter anderem wurden in Anthropologie, Ethnologie und Soziologie auf den Menschen bezogene Rassekonzepte entwickelt. Diese lassen sich nicht immer von früher in der Zoologie benutzten Begriffsverwendungen abgrenzen.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde Rasse als anthropologischer Begriff auf Menschen im Sinne einer „Menschenart mit gemeinsamen körperlichen Merkmalen“[12] übertragen und „im 19. Jahrhundert vielfach mit Volk gleichgesetzt“.[9] Zur selben Zeit wurden in Europa auf der Grundlage von Rassenbegriffen die ersten ethnologischen und anthropologischen Rassentheorien mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit aufgebaut. Diese Aneignung des Begriffs durch die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielfach als „pseudowissenschaftlich“ bezeichnete Rassenforschung (in Frankreich 1855 beginnend mit Gobineau,[13] in Deutschland mit dem Antisemitismus seit etwa 1880) hatte zur Folge, dass der Nationalsozialismus, „zu dessen zentralem Kampfbegriff sich Rasse entwickelte“, den Begriff „für seine Zwecke wohlpräpariert“ vorfand.“[12]

In der Biologie wird der Mensch heute weder in Rassen, noch in Unterarten unterteilt. Molekularbiologische und genetische Forschungen haben gezeigt, dass eine systematische Unterteilung der Menschen in Unterarten ihrer enormen Vielfalt und der fließenden Übergänge geographischer Populationen nicht gerecht würde. Zudem wurde herausgefunden, dass der Großteil genetischer Unterschiede beim Menschen innerhalb einer geographischen Population zu finden ist.

Einzelnachweise

  1. Werner Conze, Antje Sommer: Rasse. In: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Klett-Cotta, Stuttgart 2004, ISBN 3-608-91500-1, S. 137
  2. Nabil Osman: Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunf. C.H.Beck, 6. Aufl., München 2002, ISBN 3-406-47584-1.
  3. Werner Conze, Antje Sommer: Rasse. In: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Klett-Cotta, Stuttgart 2004, ISBN 3-608-91500-1, S. 137
  4. Zitiert nach: Hering Torres, Max Sebastián: Rassismus in der Vormoderne. Die "Reinheit des Blutes" im Spanien der Frühen Neuzeit, Campus Verlag, Frankfurt/Main 2006, ISBN 3-593-38204-0, S. 219
  5. Hering Torres, Max Sebastián: Rassismus in der Vormoderne. Die "Reinheit des Blutes" im Spanien der Frühen Neuzeit, Campus Verlag, Frankfurt/Main 2006, ISBN 3-593-38204-0, S. 219
  6. Werner Conze, Antje Sommer: Rasse. In: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Klett-Cotta, Stuttgart 2004, ISBN 3-608-91500-1, S. 137
  7. Georg Bossong: Die Sepharden: Geschichte und Kultur der spanischen Juden, Ch. Beck 2008, ISBN 3406562388, S. 66
  8. Zitiert nach: Hering Torres, Max Sebastián: Rassismus in der Vormoderne. Die "Reinheit des Blutes" im Spanien der Frühen Neuzeit, Campus Verlag, Frankfurt/Main 2006, ISBN 3-593-38204-0, S. 221
  9. a b c Wolfgang Pfeifer (Hrsg.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. dtv, München 1995, S. 1084–1085, ISBN 3-423-03358-4.
  10. Imanuel Geiss: Geschichte des Rassismus. Frankfurt am Main, Suhrkamp 1993, S. 16–17, ISBN 3-518-11530-8.
  11. Ernst Mayr: Evolution und die Vielfalt des Lebens, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 1979, vgl. S. 36f, ISBN 3-540-09068-1
  12. a b Hermann Paul: Deutsches Wörterbuch. 9., vollständig neu bearbeitete Auflage von Helmut Henne und Georg Objartel unter Mitarbeit von Heidrun Kämper-Jensen, Tübingen 1992, S. 678, ISBN 3-484-10679-4.
  13. Essai sur l’inégalité des races humaines („Versuch über die Ungleichheit der Menschenrasse“)

Weblinks


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