Realistische Selbstverteidigung

Realistische Selbstverteidigung

Als Selbstverteidigung wird die Vermeidung und die Abwehr von Angriffen auf die seelische oder körperliche Unversehrtheit eines Menschen bezeichnet [1]. Die Spannweite solcher Angriffe beginnt bei Nichtbeachtung, unbedachten Äußerungen, Einnehmen von Gemeinschaftsraum usw., setzt sich fort über Beleidigungen, Mobbing und Körperverletzung und reicht bis zu schwersten Gewaltverbrechen. Dabei ist jedoch immer die Ausübung von Macht das Ziel des Täters [2]. Die weit überwiegende Anzahl solcher Angriffe wird nicht von Fremden, sondern von Bekannten (z. B. Schulkameraden, Verwandte, Ehepartner usw.) verübt [3]. Bei der Verteidigung gegen nicht-körperliche Angriffe spricht man heute auch von Selbstbehauptung (als Substantiv zu sich behaupten) [4].

Das Selbstverteidigungsrecht ist auch im Völkerrecht verankert (siehe: Genfer Konventionen); in bestimmten Fällen, zum Beispiel beim "Krieg gegen den Terror" (ein Terminus, der von der Regierung Barack Obamas gleich zu Beginn von dessen Amtszeit fallengelassen wurde) der USA, ist die Berufung darauf jedoch sehr umstritten.

Inhaltsverzeichnis

Vermeidung

Es existiert eine Reihe von Maßnahmen zur Vermeidung der beschriebenen Angriffe, die z. B. in Einrichtungen der Familienbildung, Volkshochschulen usw. erlernt werden können. Hier nur einige Beispiele: Wenn Kinder nicht zu Fremden ins Auto steigen und die Haustür nicht öffnen wenn es klingelt usw., dann vermeiden sie potentiell gefährliche Situationen. Ebenso handelt, wer um gewisse Menschengruppen lieber einen Bogen macht, "Abkürzungen" durch menschenleere Gegenden vermeidet, sich nicht verbal provozieren lässt usw.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Tatsache, dass die meisten Täter erfolgreich sein wollen, das heißt also, nicht "erwischt" werden wollen. Täter wollen ihr Opfer isolieren, also vom Schutz der Anderen abschneiden, eine wirksame Selbstverteidigung ist daher das Öffentlichmachen des Verbrechens. Darauf beruhen viele Methoden zur Vermeidung durch Abschreckung. Dazu gehört, in der Öffentlichkeit nicht hilflos oder überängstlich zu wirken, sondern durch das Auftreten zu vermitteln, sich im Zweifelsfall helfen zu können. Wenn Kinder nicht alleine, sondern mit Freunden zur Schule gehen; wenn sie auch auf dem Pausenhof nicht alleine oder in schwer einsehbaren Ecken sich aufhalten, sondern in der Nähe der Aufsicht, schrecken sie mögliche Angreifer ab.

Abwehr

Die Abwehr eines Angriffes wird erforderlich, wenn Vermeidung und Abschreckung nicht funktioniert haben, sowie in Situationen, die nicht durch die Polizei oder Rechtsanwälte geregelt werden können.

Zu unterscheiden sind zwei Fälle:

  • Der Angreifer ist ein Fremder, es handelt sich um einen einmaligen, akuten Angriff. Dann ist das wichtigste Ziel, Hilfe zu bekommen und die Situation entweder zu beenden oder ihr zu entkommen.
  • Der Angreifer ist ein Bekannter oder Verwandter, der Angriff kann auch über einen längeren Zeitraum andauern. Hier ist Entkommen auf Dauer keine Lösung.

Abgrenzung zur Notwehr

Unter dem juristischen Begriff Notwehr sind lediglich Maßnahmen zusammengefasst, die einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abwenden, außerdem gilt als Notwehr auch der Schutz von Gegenständen und anderen Rechtsgütern. Angriffe, die nicht strafbewehrt sind, oder deren Strafverfolgung durch Behörden aus praktischen Gründen nicht möglich ist, werden vom Notwehrbegriff nicht abgedeckt (Beispiel: Mobbing). Die Art und die Ausführung der Verteidigung muss so gewählt werden, dass der Angriff sicher und endgültig abgewendet werden kann. Bei mehreren Möglichkeiten soll die mildeste gewählt werden, der Verteidigende muss jedoch kein Risiko eingehen, wenn ein weniger schweres Mittel nicht mit Sicherheit zum Erfolg führt. Im Gegensatz zum populären Irrglauben sind die Auswirkungen der Notwehrhandlung auf den Angreifer irrelevant; weder ist ein Abwiegen von gesundheitlichen Schäden beim Angreifer erforderlich noch sind Verletzungen des Angreifers, die aus der Notwehrhandlung resultieren, strafbar. Die Flucht muss einem Verteidiger nicht zugemutet werden ("Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen").

Abgrenzung zu Kampfsport und Kampfkunst

Fast alle Kampfsportarten waren einst Soldatenhandwerk und sind heute Sportarten, mit festen Regeln und dem Verbot, den Partner zu verletzen. In realistischen Abwehrsituationen herrscht jedoch von vornherein ein Machtgefälle: der Angreifer ist stärker/zahlreicher als der Verteidiger [5]. Die geistige Grundausrichtung der Kampfsportarten, einen gleichstarken Partner zu besiegen, ist der Selbstverteidigungssituation prinzipiell entgegengesetzt, wo man einem überlegenen Angreifer entkommen will. Dennoch sind einzelne Kampfsport-Techniken auch im Ernstfall einsetzbar. Insbesondere Vollkontakterfahrungen der Kampfsportler können sich als hilfreich erweisen. Für Laien sind die Grenzen von Kampfsport/-kunst und Selbstverteidigung schwer zu sehen, da fast alle Kampfsportschulen mit Selbstverteidigung und geistiger Schulung werben. Entscheidend ist jedoch nicht, welches System man trainiert, sondern das Fachwissen des einzelnen Trainers, ob er also z. B. weiß, wie man nicht kämpft.

Kampfkunst als Selbstverteidigung

Der Begriff Kampfsport ist zu unterscheiden von dem der Kampfkunst. Kampfkünste sind von jeher aus Situationen entstanden, in denen Menschen mit Kämpfen konfrontiert waren und sich verteidigen mussten, sei es mit oder ohne Waffen. Bei den Kampfkünsten ist häufig jahrelanges Studium vonnöten, um die teilweise sehr ausgeklügelten und damit schwierig anzuwendenden Techniken und Prinzipien im Ernstfall zu beherrschen. Zu den bekanntesten gehören Wing Chun, Aikido, Karate, Jiu Jitsu uvm.

Selbstverteidigungssysteme

Spezielle Selbstverteidigungssysteme wurden mit der alleinigen Ausrichtung auf Selbstverteidigung geschaffen. Ihnen fehlt der künstlerische und spirituelle Anspruch einer Kampfkunst. Diese Systeme haben oft einen militärischen Hintergrund (Nahkampf) und sind darauf ausgerichtet, den Schülern möglichst schnell grundlegende Selbstverteidigungsfähigkeiten zu vermitteln. Zu den bekanntesten Selbstverteidigungssystemen gehören Krav Maga, Jeet Kune Do, Sambo, und andere moderne Hybridsysteme.

Selbstbehauptung

Unscharf abzugrenzen von der Selbstverteidigung ist die Selbstbehauptung. Mit diesem Begriff wird meist die Durchsetzung der eigenen Rechte mit verbalen, unverletzenden Mitteln bezeichnet. [6] Besonders Menschen mit geringem Selbstwertgefühl und geringem sozialem Wissen haben es schwer, ihre Bedürfnisse, Ansichten und Interessen gegen andere, z. B. in einer Gruppe, durchzusetzen. Daher werden sie häufiger Opfer der psychisch-manipulativen "Machtspiele" des Alltags, die im schlimmsten Fall bis zum Mobbing gehen können. Mit der Selbstverteidigung gegen diese Übergriffe, die sehr viel häufiger als akute körperliche Gewalttaten sind, beschäftigt sich die Selbstbehauptung. "Das Selbstbehauptungstraining ist eine Ansammlung von Methoden, die soziale Ängste und Kontaktstörungen wie Selbstunsicherheiten abbauen soll. Durchsetzungsvermögen und soziale Kompetenz sollen erlernt werden."[7]

Siehe auch

Literatur

  • Barbara Berckhan: Die etwas intelligentere Art, sich gegen dumme Sprüche zu wehren - Selbstverteidigung mit Worten. Kösel, München, 1998. ISBN 3-466-30446-6
  • Sunny Graff: Mit mir nicht!. Orlanda Frauenverlag, Berlin, 1995. ISBN 3-936937-19-2.
  • Anita Heiliger: Täterstrategien und Prävention. Verlag Frauenoffensive, München 2000. ISBN 3-88104-319-5
  • Ulrike Herle: Selbstverteidigung beginnt im Kopf. Piper, München, 1994. ISBN 3-492-11721-X
  • Fritz Hücker: Rhetorische Deeskalation. Boorberg, Stuttgart, 1997. ISBN 3-415-02342-7
  • Joachim Kersten: Gut und (Ge)schlecht. deGruyter, Berlin, 1997. ISBN 3-11-015445-5
  • Keith R. Kernspecht, André Karkalis: Verteidige Dich, Selbstverteidigung für Frauen. Heel, 2003. ISBN 3-89365-964-1
  • Michael Korn: Selbstverteidigung für Kinder. Pietsch, 2006. ISBN 3-613-50519-3
  • Friedrich Lösel, Thomas Bliesener: Aggression und Delinquenz unter Jugendlichen. Luchterhand, München, 2003. ISBN 3-472-05368-2
  • Eva Marsal: Unverletzende Selbstbehauptung. Leske + Budrich, Opladen, 1997. ISBN 3-8100-1214-9
  • Dan Olweus: Gewalt in der Schule. Hans Huber, Bern, 1996. ISBN 3-456-82786-5
  • Peyton Quinn: A Bouncer's Guide to Barroom Brawling. Palladin Press, Boulder (USA), 1990. ISBN 0-87364-586-3
  • Sanford Strong: Strong on Defense. Survival Rules to Protect You and Your Family from Crime. Pocket Books, New York, 1996. ISBN 0-671-53511-0
  • Mike Toss: Die Schlägerei-Selbstverteidigung im Straßenkampf. Bod, Norderstedt 2008 . ISBN 978-3-8370-7293-8
  • John Wiseman: City Survival. Pietsch, Stuttgart, 1999. ISBN 3-613-50336-0

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Khaleghl Quinn (1994): Hände weg! Zweitausendeins. ISBN 3861500922
  2. Denise Caignon, Gail Groves (1998): Schlagfertige Frauen. Erfolgreich wider die alltägliche Gewalt. Fischer Verlag (Tb.), Frankfurt. ISBN 3596138760
  3. Hanni Härtel: Der Weg der Tigerin. Econ, Düsseldorf, 1996. ISBN 3612205315
  4. Barbara Berckhan: Sanfte Selbstbehauptung. Kösel, München, 2006. ISBN 3466307074
  5. Peyton Quinn: Real Fighting. Palladin Press, Boulder (USA), 1996. ISBN 0873648935
  6. Eva Marsal: Unverletzende Selbstbehauptung, Leske + Budrich 1997, ISBN 3-8100-1214-9
  7. P. L. Janssen, W. Gehlen: Neurologie und Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart, 1994. ISBN 3135431045
Bitte beachte den Hinweis zu Rechtsthemen!

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