Reittherapie

Reittherapie
Therapeutisches Reiten

Therapeutische Reiten (auch Reittherapie) beinhaltet pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und sozial-integrative Maßnahmen, die über das Medium Pferd umgesetzt werden. Zielgruppe sind Kinder, Jugendliche oder Erwachsenen mit körperlichen, seelischen und sozialen Entwicklungsstörungen oder Behinderungen. Die Entwicklungsförderung steht dabei im Mittelpunkt; reiterliche Fähigkeiten sind dagegen eher nebensächlich. Therapeutisches Reiten umfasst die Bereiche:

Nicht dazu zählt der Behindertenreitsport, der eine Sportart und keine Therapie ist.

Inhaltsverzeichnis

Heilpädagogisches Reiten

Die Arbeit mit dem Medium Pferd und das Reiten an sich sprechen den Menschen ganzheitlich und über alle Sinne an. Es fordert körperlich, emotional, geistig und sozial. Die Beziehung zum Pferd spielt im Heilpädagogischen Reiten die tragende Rolle. Der Reittherapeut fördert im Beziehungsdreieck „Klient-Pferd-Reittherapeut“ den konstruktiven Umgang miteinander. Lern-Erfahrungen können auf die Gruppe übertragen und geübt werden. Persönliche und soziale Entwicklung sind das Ziel.

Die Umsetzung erfolgt durch den direkten Kontakt und Umgang mit dem Pferd, das Pflegen des Pferdes, Übungen am und auf dem geführten Pferd, Arbeit im Stall, mit einem Menschen oder in Gruppenarbeit, für Fortgeschrittene beim Reiten und bei Projekten (Reiterspiele, Geländereiten, Wanderreiten).

Heilpädagogisches Voltigieren

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Übungen

Auf dem an der Hand oder an der Longe geführten Pferd werden gymnastische Übungen und Geschicklichkeitsspiele ausgeführt (Voltigieren). Der Bewegungsrhythmus des Pferdes hat eine lockernde, ausgleichende und angstlösende Wirkung, gleichzeitig spricht er auf vielfältige Art und Weise die Wahrnehmung des Reiters an. Durch individuelle Therapieplanung können die individuellen Problematiken gezielt auf die Anforderungen der jeweiligen Behinderung oder Störung abgestimmt werden.

Hippotherapie

Hippotherapie setzt Pferde zur Physiotherapie und Ergotherapie ein. Dabei sitzt der Patient in der Gangart Schritt auf dem Pferderücken. Bewegungsimpulse des Pferdes werden auf Becken und Wirbelsäule des Menschen übertragen. Der gesamte Bewegungsapparat muss sich neu einpendeln. So könnten zum Beispiel halbseitig gelähmte Menschen ein Gefühl für ihre Körpermitte entwickeln. Zugleich werde die Muskelspannung positiv beeinflusst; schlaffe Muskeln spannen sich an, spastische, also zu stark gespannte Muskulatur hingegen gibt nach. Dadurch wird die gesamte Haltung vor allem des Oberkörpers geschult und das Balancegefühl verbessert.

Nicht angewendet werden soll die Hippotherapie bei Entzündungen der Wirbelsäule, medikamentös nicht gut eingestellten Anfallsleiden, aktivem Schub Multipler Sklerose, Gefahr von Thrombosen oder Embolien, Bluterkrankheit oder Pferdehaar-Allergie.

In der Hippotherapie arbeitet der Hippotherapeut mit einem Physiotherapeuten zusammen, oder wenn er selbst einer ist mit einem Longenführer.

Therapiepferd

Beim therapeutischen Reiten werden speziell ausgebildete Pferde eingesetzt. Sie zeichnen sich durch einen ruhigen, geduldigen, kontaktfreudigen, sensiblen Charakter aus. Meist werden Kleinpferde (Haflinger, Islandpferd) mit Stockmaß von 150 cm eingesetzt. Siehe auch Voltigierpferd.

Mechanischer Trainer

Seit rund zehn Jahren ist ein gerade für gehandicappte Menschen manchmal praktischer und auch kostengünstiger zu handhabendes Gerät erhältlich. Mit der Physiologie des Pferdes möglichst nach empfundenen Bewegungen trainiert es verschiedene Muskelgruppen des darauf Sitzenden.

Ausbildung

Die Ausbildung zum heilpädagogischen Reittherapeuten setzt eine pädagogisch-therapeutische Grundausbildung voraus (Pädagoge, Sozialpädagoge, Erzieher, Heilpädagoge). Dazu kommt eine Ausbildung als Reitwart (für heilpäd. Reiten), oder als Voltigierwart (für heilpäd. Voltigieren). Berufsbegleitend erfolgt dann die Ausbildung zum Reittherapeuten. Physiotherapeuten/Ergotherapeuten können eine Zusatzqualifikation als Hippotherapeut erwerben.

Kostenträger

In der Schweiz zahlt die Krankenkasse Hippotherapie. Für Deutschland hat das Bundesministerium für Gesundheit am 20. Juni 2006 mitgeteilt, dass ein therapeutischer Nutzen der Hippotherapie nicht nachgewiesen sei und die Therapie daher als nicht verordnungsfähiges Heilmittel zu führen ist (vgl. BAnz. v. 26. September 2006, S. 6499).

Heilpädagogisches Reiten und -Voltigieren gehört bei vielen Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe zum methodischen Angebot und wird von den einweisenden Stellen (z.B. bei Heimerziehung) über den Pflegesatz übernommen oder kann auch Teil ambulanter Hilfen sein (vgl. Böwer 2003). Oft sind jedoch die Kosten privat zu tragen (vgl. näher: www.dkthr.de; Fachhochschule Hildesheim 2006).

Siehe auch

Pferdesport, Tiergestützte Therapie, Hippologie

Literatur

  • Andrea Förster: Tiere als Therapie - Mythos oder Wahrheit? Zur Phänomenologie einer heilenden Beziehung mit dem Schwerpunkt Mensch und Pferd. Ibidem, ISBN 3-898-21421-4
  • Michael Böwer: Ambulant Bewegung schaffen. Sozialpädagogische Gruppenarbeit für Eltern und Kinder über das Medium Pferd. In: Unsere Jugend. Heft 7+8/2003, S. 333-338
  • Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen und Institut für Therapeutisches Reiten: Heilpädagogik und Soziale Arbeit. Zum Einsatz des Pferdes in der Behinderten- und Jugendhilfe. Online-Publikation, Hildesheim 2006 (mit umfangreicher Literaturliste)
  • Marianne Gäng: Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren. Ernst Reinhardt, München 1994, ISBN 3-497-01324-2
  • Bettina Güntert: Heilpädagogische Aspekte und Wirkung der Hippotherapie bei Kindern. Innsbruck 2003 (Diplomarbeit Pädagogische Akademie)
  • Wolfgang Heipertz: Therapeutisches Reiten. Franckh, Stuttgart 1977, ISBN 3-440-04380-0
  • Ursula Künzle: Hippotherapie auf den Grundlagen der funktionellen Bewegungslehre Klein-Vogelbach. Hippotherapie, Theorie, praktische Anwendung, Wirksamkeitsnachweis“. Springer, Berlin 2000, ISBN 3-540-65220-5
  • Inge-Marga Pietrzak: Kinder mit Pferden stark machen - Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren. Cadmos, Lüneburg 2001, ISBN 3-86127-359-4
  • Daniela Rasl: Hippotherapie und der Körperabschnitt Becken: der Einfluss von Hippotherapie auf zentral-neurologisch bedingte Blasenfunktionsstörungen. Akad. f. d. physiotherapeutischen Dienst am Kaiser Franz-Josef Spital d. Stadt Wien, Wien 2003 (Diplomarbeit)
  • Bernhard Ringbeck: Heilpädagogisches Voltigieren zur Förderung bewegungsauffälliger Kinder. In: Praxis der Psychomotorik. 13/1988 S. 93-97
  • Ingrid Strauß: Hippotherapie: neurophysiologische Behandlung mit und auf dem Pferd.3., überarb. und erw. Aufl. Hippokrates, Stuttgart 2000, ISBN 3-7773-1368-8 (mit einem Beitrag zur Kinder-Hippotherapie von Emmy Tauffkirchen)

Weblinks

Verbände

Gerichtsurteile


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