Remer Prozess

Remer Prozess

Der Remer-Prozess war ein Gerichtsverfahren vor der Dritten Großen Strafkammer des Braunschweiger Landgerichts im März 1952 gegen den ehemaligen Generalmajor Otto Ernst Remer wegen übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Es erregte in Westdeutschland große Aufmerksamkeit, weil darin posthum die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 rehabilitiert wurden. Der Witwe des Attentäters Claus Graf Stauffenberg z. B. war bis zu diesem Prozess von der Bundesrepublik die Offizierswitwenrente verweigert worden. Remer wurde zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilt. Der verurteilte Remer entzog sich der Strafe durch Flucht ins Ausland.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Major Otto Ernst Remer hatte am 20. Juli 1944 als Kommandeur des Berliner Wachbataillons vom Berliner Stadtkommandanten General Paul von Hase, einem Mitverschwörer, den Auftrag, Joseph Goebbels festzunehmen. Durch eine von Goebbels vermittelte Telefonverbindung mit Adolf Hitler im Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen konnte Remer sich davon überzeugen, dass der „Führer“ noch am Leben sei und bekam von Hitler per Telefon die Anweisung, den Putsch niederzuschlagen. Er wurde während dieses Telefongesprächs von Hitler zum Oberstleutnant befördert. In den Monaten bis zum Ende des Krieges wurde er Generalmajor. Bei der Niederschlagung des Putsches am Abend des 20. Juli hatte Remer allerdings keine entscheidende Rolle gespielt.

1950 gehörte Remer zu den Gründern der Sozialistischen Reichspartei. Bei einer Parteiveranstaltung im Mai 1951 bezeichnete er die Attentäter des 20. Juli 1944 als Landesverräter, die vom Ausland gedungen worden seien, und deren Überlebende bald von einem deutschen Gericht für diesen Verrat zur Rechenschaft gezogen würden. Im Juni 1951 stellte der Bundesinnenminister Robert Lehr, der ein Vertrauter Carl Friedrich Goerdelers gewesen war, gegen Remer Strafantrag wegen Verleumdung. Daraufhin wurde Remer vor einem Braunschweiger Gericht, dessen leitender Staatsanwalt Fritz Bauer neben Angehörigen führender Widerstandskämpfer selbst die Anklage vertrat, wegen übler Nachrede in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener angeklagt.

Der Prozess

Dieser Prozess, der im März 1952 stattfand, erregte große öffentliche Aufmerksamkeit und war nach Einschätzung des Juristen Rudolf Wassermann der „bedeutendste Prozess mit politischem Hintergrund seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und vor dem Frankfurter Auschwitz-Prozess[1]. Er war von Bauer ganz bewusst als ein politisches Signal gedacht. „Angeklagt war das NS-Regime. Indem Bauer für die Widerstandskämpfer des 20. Juli den ihnen gebührenden Respekt einforderte, zwang er das Gericht, das NS-Regime als Unrechtsstaat zu verwerfen.“[2] Es ging in diesem Prozess also um eine endgültige Entkräftung der Vorwürfe des Hochverrats und des Eidbruches, der die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 eben gerade von soldatischer Seite traf. Den Vorwurf des Landesverrats berührte dieser Prozess nur bei der Frage der Verbindungsaufnahmen der Widerstandskämpfer des 20. Juli zum Ausland im Vorfeld des geplanten Umsturzes. Der Fall der tatsächlichen Preisgabe militärischer Geheimnisse an die Alliierten, wie sie durch GenMaj Oster praktiziert wurde und von Historiker-Seite bereits thematisiert worden war[3], wurde in den Gutachten nicht explizit erwähnt; man könnte manche Formulierung allerdings als eine implizite Verurteilung dieser Handlungen verstehen.[4] Vier Gutachten unterstützten die Anklage: zwei evangelische Theologieprofessoren (Künneth und Iwand), ein katholischer Moral-Theologe (Angermair) und ein ehemaliger General (General a.D. Friebe). Alle kamen einhellig zum Ergebnis, dass die Widerstandskämpfer des 20. Juli keine Verräter gewesen seien, sondern ganz im Gegenteil zum Wohle Deutschlands gehandelt hatten.[5]

Nach einwöchiger Verhandlung wurde Remer zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilt. In der Urteilsbegründung, die den Gutachten in allen wesentlichen Punkten folgt, werden die Attentäter des 20. Juli ausdrücklich vom Verdacht des Landes- und Hochverrats freigesprochen:

„Auf keinem dieser Männer ruht aber auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme auch nur der Schatten des Verdachtes, jemals für irgendeine mit dem Widerstandskampf in Verbindung stehende Handlung vom Ausland bezahlt worden zu sein.“ Vielmehr hätten die Widerstandskämpfer „durchweg aus heißer Vaterlandsliebe und selbstlosem bis zur bedenkenlosen Selbstaufopferung gehendem Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihrem Volk die Beseitigung Hitlers und damit des von ihm geführten Regimes erstrebt.“[6]

Dieses Urteil, welches durch das enorme Aufgebot der Medien ins Land hinaus getragen wurde, sorgte dafür, „dass der einwöchige […] 'Remer-Prozess' zu einem öffentlichen Lehrstück wurde, ja zu einem normativen Akt, der entscheidende Grundlagen für die Verankerung des 20. Juli 1944 im Geschichtsbewußtsein der Bundesrepublik schuf“.[7] Unbestreitbar schlug sich der Prozess sogleich in der öffentlichen Meinung zum Thema „20. Juli“ nieder. Bei einer Meinungsumfrage ein halbes Jahr vor dem Prozess hatten nur 38% der Befragten angegeben, die Tat des 20. Juli gutzuheißen, wohingegen sich 24% ablehnend und wiederum 38% unentschieden geäußert hatten.[8] Ein dreiviertel Jahr nach dem Prozess gaben hingegen 58% der Befragten an, dass die Attentäter in ihren Augen keine Verräter gewesen seien. Nur rund 7% antworteten auf diese Frage positiv, dabei war der Verratsvorwurf damals bei den Jugendlichen unter 21 Jahren mit 16% besonders stark vertreten.[9]

Weblinks

Fußnoten

  1. Wassermann, R.: Zur juristischen Bewertung des 20. Juli 1944. Der Remer-Prozess in Braunschweig als Markstein der Justizgeschichte, in: Recht und Politik (1984,2), S. 78.
  2. Wassermann, R.: Zur juristischen Bewertung des 20. Juli 1944. Der Remer-Prozess in Braunschweig als Markstein der Justizgeschichte, in: Recht und Politik (1984,2), S. 77.
  3. Vgl. Assmann, Kurt: Der 20. Juli und das deutsche Offizierskorps, in: Ders.: Deutsche Schicksalsjahre. Historische Bilder aus dem zweiten Weltkrieg und seiner Vorgeschichte, Wiesbaden 2. Aufl. 1951, S. 485f.
  4. So heißt es im katholischen Gutachten: „Wenn es neben den überzeugten Widerstandskämpfern andere Männer gibt, die in Wirklichkeit formellen Verrat übten, so können sie sich nicht auf unsere moraltheologischen Ansichten berufen, um sich nachträglich mit den Männern des 20. Juli zu identifizieren.“ (Angermair, Rupert: Darf ein Tyrann getötet werden? Gutachten im Remer Prozess, in: 20. Juli 1944, hrsg. von der Bundeszentrale für Heimatdienst, bearb. von Hans Royce, Bonn 31960, S. 277.
  5. Baur, Tobias: Das ungeliebte Erbe. Frankfurt a.M. 2007, S. 88-96.
  6. Urteil abgedruckt in Kraus, Herbert (Hrsg.): Die im Braunschweiger Remer-Prozeß erstatteten moraltheologischen und historischen Gutachten nebst Urteil, Hamburg 1953, S. 105-136, hier S. 121 und 128.
  7. Frei, Norbert: Erinnerungskampf. Zur Legitimationsproblematik des 20. Juli 1944 im Nachkriegsdeutschland, in: Gewerkschaftliche Monatshefte (1995,11), S. 673.
  8. Report No. 114, 5 Dec 1951, in: Public Opinion in semisovereign Germany. The HICOG Surveys, 1949 - 1955, hrsg. von Anna u. Richard Merrit, Urbana 1980, S. 147.
  9. Report No. 114, 5 Dec 1951, in: Public Opinion in semisovereign Germany. The HICOG Surveys, 1949 - 1955, hrsg. von Anna u. Richard Merrit, Urbana 1980, S. 198.

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