Riesenhirsch

Riesenhirsch
Megaloceros
Rekonstruktion des Lebensbildes von Megaloceros
Zeitraum
Oberes Pleistozän bis Holozän
bis vor etwa 9500 Jahren
Fossilfundorte
Systematik
Chordatiere (Chordata)
Säugetiere (Mammalia)
Paarhufer (Artiodactyla)
Hirsche (Cervidae)
Wissenschaftlicher Name
Megaloceros
Blumenbach, 1799

Megaloceros (auch Riesenhirsch) war eine Gattung riesiger Hirsche, die während der Zeit des späten Pleistozäns und des frühen Holozäns in Eurasien und dem nördlichen Afrika lebte.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung und Arten

Eine der frühen Arten war Megaloceros obscurus aus dem unteren Pleistozän. Er war die erste Art der Linie, die zum bekannten Megaloceros giganteus führte. Megaloceros giganteus erschien vor etwa 400.000 Jahren und starb am Ende der Eiszeit aus. In Westsibirien überlebte die Art offenbar bis ins frühe Holozän und starb erst vor ca. 7.600 Jahren aus[1]. Seine Überreste finden sich von Nordafrika und Westeuropa bis Sibirien und China. Zahlreiche Funde stammen aus irischen Moorgebieten, und auch aus Deutschland sind etliche Funde bekannt geworden. Hier kam die Art sowohl in den Kaltzeiten als auch in den wärmeren Zwischeneiszeiten vor. Das zeigt möglicherweise, dass das Tier auch in bewaldeten Regionen ein Auskommen fand und nicht wie gelegentlich vermutet auf Steppengebiete angewiesen war. In den kältesten Abschnitten der Kaltzeiten ist die Art allerdings nur selten in Mitteleuropa vorgekommen oder fehlt ganz. In Europa starb der Riesenhirsch bereits vor 11500 Jahren aus und war danach wohl auf Sibirien beschränkt. Nordamerika hat Megaloceros nie erreicht.

Lebensweise

Megaloceros ernährte sich im Gegensatz zum Elch, der ein typischer Laubfresser ist, vor allem von Gräsern. Man geht davon aus, dass er ähnlich wie viele heutige größere Huftiere in Gruppen lebte, und dass die männlichen Riesenhirsche wie heutige Hirsche ritualisierte Kämpfe untereinander ausgetragen haben.

Beschreibung

Skelett eines Exemplars aus Irland
Größenvergleich des Geweihs mit dem eines Rothirsches. (rechts unten)

Die bekannteste Art Megaloceros giganteus hatte eine Schulterhöhe von etwa 2 Metern, und erreichte damit die Größe eines heutigen Elchs, war dabei aber deutlich leichter und hochbeiniger gebaut. Das Geweih, das nur die männlichen Tiere trugen, übertraf an Größe die Geweihe aller heutigen Hirsche. Es erreichte eine Spannweite von 3,60 Metern und war damit eine der größten Stirnwaffen die die Paarhufer hervorbrachten. Er konnte, wie alle heutigen Hirsche, das riesige Geweih jedes Jahr abwerfen und neu aufbauen. Entgegen anders lautenden Berichten war Megaloceros giganteus nicht der größte Hirsch aller Zeiten. Der heutige Elch, besonders die großen Formen in Alaska, übertreffen ihn an Gewicht zum Teil deutlich, und ausgestorbene Riesenformen wie der Breitstirnelch Alces latifrons waren mit Gewichten von bis zu 1400 kg wesentlich schwerer.

Da sich Megaloceros giganteus auf zahlreichen Höhlenzeichnungen eiszeitlicher Menschen findet, ist davon auszugehen, dass er bei der Jagd der frühen Menschen Europas eine Rolle gespielt hat. In diesen Bildern ist er mit einem dunkelbraunen Rücken und einer weißlichen Brust dargestellt, so dass man davon ausgehen kann, dass dies die tatsächlichen Fellfarben dieses Riesenhirsches' waren. Auf einigen der Zeichnungen ist eine dreieckige Struktur im Schulterbereich zu erkennen. Das Skelett von Megaloceros zeigt im Schulterbereich ähnlich wie der Elch eine individuell unterschiedlich starke Verlängerung der Wirbelfortsätze, die mit großer Wahrscheinlichkeit als zusätzliche Ansatzstelle für Muskeln diente, um das schwere Geweih zu tragen. Einen ähnlichen von Wirbelausläufern gebildeten Schulterbuckel findet man auch bei dem ausgestorbenen Breitstirnelch Alces latifrons, der ebenfalls über ein extrem schweres Geweih verfügte. Höhlenzeichnungen zeigen diesen Bereich besonders ausgeprägt, weshalb er möglicherweise durch zusätzliche Fett- oder Muskelmasse vergrößert war. Im Gegensatz zu dem Fetthöcker von Dromedaren oder dem Schulterhöcker des Zebu, der nur aus Weichteilen besteht, wurde er allerdings von Knochen gestützt.

Nicht alle Megaloceros-Arten waren so groß, einige Insel-Zwergformen sind auch bekannt. Megaloceros cazioti aus Korsika und Sardinien, der sich aus Megaloceros verticornis entwickelte, erreichte nur etwa einen Meter Schulterhöhe und hatte ein stark reduziertes Geweih. Megaloceros cretensis aus Kreta war noch kleiner und maß nur 60 cm an der Schulter. Mit seinem kurzen Geweih erinnerte er eher an einen Muntjak.

Nach neuen genetischen Analysen dürfte der nächste lebende Verwandte von Megaloceros der Damhirsch, und nicht wie lange vermutet der Rothirsch sein. Mit dem Elch ist der Riesenhirsch nicht näher verwandt, obwohl man dies aufgrund des Schaufelgeweihs vermuten könnte[2].

Aussterben

Geweih eines Riesenhirsches, Megaloceros giganteus antecedens, Spannweite ca. 2,60 Meter, Urmensch-Museum Steinheim

Früher wurde angenommen, dass der Riesenhirsch infolge der Wiederbewaldung am Ende der letzten Eiszeit ausstarb, da er mit seinem großen Geweih auf der Flucht zwischen den Bäumen hängen blieb. Diese Vorstellung ist allerdings etwas naiv, da es noch heute offene Steppengebiete in Eurasien gibt. Absurd ist auch die Theorie, die Tiere seien nur deshalb ausgestorben, weil sich ihr Geweih zu groß entwickelte. Der Riesenhirsch war über hunderttausende von Jahren eine höchst erfolgreiche Art und starb im Zuge des allgemeinen Großtiersterbens aus, das außer ihm noch etliche andere Tierarten dahinraffte. Wie A. J. Stuart vom Institut für Biologie des University College in London berichtet, hat der Riesenhirsch im westlichen Sibirien 3.000 Jahre länger überlebt als bislang angenommen. Für ihn und sein Team ist das ein Beleg dafür, dass die Gründe für das Aussterben der einzelnen Tierarten komplexer sind. Er vermutet, dass sein Aussterben damit zusammenhing, dass er mit seinem gewaltigen Geweih, das acht Kilogramm Kalzium und vier Kilogramm Phosphat enthielt, eine enorme Nahrungsvoraussetzung mit sich herumschleppte und nur dort überleben konnte, wo er ausreichend nahrhaftes Futter fand. Aber auch diese Vermutung ist zweifelhaft, da das Geweih sich vermutlich auch hätte zurückbilden können.

Siehe auch

Massenaussterben

Literatur

  • P. S. Martin: Quaternary Extinctions. The University of Arizona Press, 1984. ISBN 0-8165-1100-4
  • A. H. Müller: Lehrbuch der Paläozoologie, Band III Vertebraten, Teil 3 Mammalia, 2. Auflage. Gustav Fischer Verlag, 1989. ISBN 3-334-00223-3
  • W. v. Koenigswald: Lebendige Eiszeit. Theiss-Verlag, 2002. ISBN 3-8062-1734-3

Quellen

  1. A. J. Stuart, P. A. Kosintsev, T. F. G. Higham, A. M. Lister: Pleistocene to Holocene extinction dynamics in giant deer and woolly mammoth. Nature 431, 684–689 (2004)
  2. Hughes, Sandrine; Hayden, Thomas J.; Douady, Christophe J.; Tougard, Christelle; Germonpré, Mietje; Stuart, Anthony; Lbova, Lyudmila; Carden, Ruth F.; Hänni, Catherine; Say, Ludovic (2006): Molecular phylogeny of the extinct giant deer, Megaloceros giganteus. Molecular Phylogenetics and Evolution 40(1): 285–291. online

Weblinks


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