Ringparabel

Ringparabel
Titelblatt des Erstdruckes
Recha begrüßt ihren Vater, 1877 von Maurycy Gottlieb
Zeitgenössischer Einband des Erstdruckes.

Nathan der Weise ist der Titel und die Hauptfigur eines fünfaktigen Ideendramas von Gotthold Ephraim Lessing, das 1779 veröffentlicht und am 14. April 1783 in Berlin uraufgeführt worden ist. Das Werk hat als Themenschwerpunkt den Humanismus. Besonders wichtig dabei ist die Ringparabel im dritten Aufzug des Dramas. Diese Parabel findet sich allerdings bereits in der dritten Geschichte von Giovanni BoccacciosDecamerone“.[1] Die Geschichte von den drei ununterscheidbaren Ringen lässt sich bis zum Jahr 1100 zurückverfolgen. Sie wurde wahrscheinlich auf der Iberischen Halbinsel von sephardischen Juden erfunden.

„Nathan der Weise“ ist Lessings letztes Werk. Hintergrund ist der Fragmentenstreit, eine Auseinandersetzung mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze, die soweit reichte, dass ein Teilpublikationsverbot gegen Lessing verhängt wurde. Infolgedessen implizierte Lessing seine Idee des Deismus in dieses Drama. Unmittelbar vor der Fertigstellung seines Dramas hatte sich Lessing mit seinem philosophischen Hauptwerk Die Erziehung des Menschengeschlechts befasst. Seine Beschäftigung mit dem Stoff reicht jedoch nachweislich bis ca. 1750 zurück.

In der Figur Nathans des Weisen setzte Lessing seinem Freund Moses Mendelssohn, dem Begründer der jüdischen Aufklärung, ein literarisches Denkmal.

Inhaltsverzeichnis

Äußere Form

Das Werk entspricht im Aufbau einem klassischen Drama. Dazu gehören folgende Elemente:

Lessing hat das Drama im Blankvers verfasst, der in England seinen Ursprung hat und sich erst durch ihn in Deutschland durchsetzen konnte. Die Handlung ist geteilt auf 5 Aufzüge, die wiederum in Auftritte gegliedert sind.

„Nathan der Weise“ enthält sowohl tragische als auch komische Elemente, ist aber trotz des versöhnlichen Ausgangs weder eine Komödie noch eine Tragödie. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Ringparabel, somit im Kern die Frage nach der „wahren“ Religion.

Inhalt

Die Handlung spielt zur Zeit des Dritten Kreuzzugs während eines Waffenstillstandes in Jerusalem. Als der Jude Nathan von einer Geschäftsreise zurückkommt, erfährt er, dass seine Pflegetochter Recha von einem christlichen Tempelherrn aus dem Feuer gerettet worden ist. Der Ordensritter verdankt sein Leben der Begnadigung durch den muslimischen Herrscher, Sultan Saladin. Dieser hat ihn als einzigen von zwanzig Gefangenen begnadigt, weil er Saladins verschollenem Bruder Assad ähnlich sah. Trotz der Unwahrscheinlichkeit der Ereigniskette ist Nathan nicht bereit, hierin ein Wunder zu sehen, und er überzeugt auch Recha davon, dass es schädlich sei, an das Wirken von Engeln und an Wunder zu glauben.

Durch geschickte Rede überzeugt Nathan den Tempelherrn, dass es sinnvoll sei, ihn, Nathan, zu besuchen, um den Dank seiner Tochter entgegenzunehmen.

Derweilen hat Saladin Geldsorgen, weswegen er Nathan zu sich bringen lässt. Er gibt dazu vor, Nathans bekannte Weisheit zu testen und fragt nach der „wahren Religion“. Nathan antwortet mit der Ringparabel. Saladin versteht schnell die Botschaft von der Gleichberechtigung der drei monotheistischen Religionen. Davon tief beeindruckt, bittet er, Nathans Freund sein zu dürfen. Noch erfreuter zeigt er sich, als er von Nathan ein Darlehensangebot erhält, ohne danach gefragt zu haben.

Der Tempelherr hat sich unterdessen in Recha verliebt und möchte sie heiraten. Als er durch Information von Nathans Gesellschafterin Daja, einer Christin, herausfindet, dass Recha adoptiert ist und ihre leiblichen Eltern Christen waren, wendet er sich an den Patriarchen von Jerusalem, auch weil Nathans Reaktion auf die Idee einer Heirat sehr zurückhaltend ausgefallen ist. Der Tempelherr erzählt so, als handele es sich um einen hypothetischen Fall, doch das Kirchenoberhaupt Jerusalems möchte sofort „diesen Juden“ suchen und ihn wegen Apostasie auf den Scheiterhaufen bringen lassen.

Durch ein Verzeichnis eines Klosterbruders stellt sich schließlich heraus, dass die von einem Juden erzogene Recha und der christliche Tempelherr Geschwister und zugleich die Kinder von Assad sind, der wiederum Saladins Bruder und Moslem war. Somit sind sie auch noch Nichte und Neffe des Muslims Saladin, womit die enge Verwandtschaft der Religionen nochmals verdeutlicht wird. Nathan wird als Vater im Sinne der Seelenverwandtschaft und Adoption anerkannt.

Ringparabel

Die Toleranzidee wurde schon im 14. Jahrhundert von Boccaccio ähnlich wie von Lessing veranschaulicht. Boccaccio erzählt die Geschichte vom Vater, der einen Ring, der seinen Träger vor den Menschen und vor Gott „angenehm“ macht, traditionell an den unter seinen Söhnen weitergibt, den er am meisten liebt. Dieses finden wir auch in leicht veränderter Form in der Schlüsselszene Lessings, der Ringparabel:

In ihr lässt Saladin Nathan zu sich rufen und legt ihm die Frage vor, welche der drei monotheistischen Religionen er für die wahre halte. Nathan erkennt sofort die ihm gestellte Falle: Erklärt er seine Religion zur „einzig wahren“, muss Saladin das als Majestätsbeleidigung auffassen, schmeichelt er hingegen dem Sultan, muss er sich fragen lassen, warum er noch Jude sei. In beiden Fällen muss Nathan zahlen.

Um einer klaren Antwort auszuweichen („Nicht die Kinder bloß, speist man Mit Märchen ab“[2]) antwortet er mit einem Gleichnis. Darin besitzt ein Mann ein wertvolles Familienerbstück: einen Ring, der über die Eigenschaft verfügt, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn derselbige Träger ihn „in dieser Zuversicht trug“. Dieser Ring wurde über viele Generationen hinweg vom Vater an jenen Sohn vererbt, den der Vater am meisten liebte.

Doch nun tritt der Fall ein, dass der Vater drei Söhne hat und von ihnen keinen bevorzugen kann und möchte, sodass er von einem Goldschmied Duplikate des Ringes herstellen lässt. Er hinterlässt jedem Sohn einen Ring, wobei er jedem versichert, sein Ring sei der echte. Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter aber ist außerstande, dies zu ermitteln. So erinnert er die drei Männer daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei allen anderen Menschen beliebt zu machen; wenn aber dieser Effekt bei keinem der drei eingetreten sei, dann könne das wohl nur heißen, dass der echte Ring verloren gegangen sein müsse. Jedenfalls solle ein jeder von ihnen trachten, die Liebe aller seiner Mitmenschen zu verdienen; wenn dies einem von ihnen gelinge, so sei er der Träger des echten Ringes.

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Die Ringparabel gilt als ein Schlüsseltext der Aufklärung und als pointierte Formulierung der Toleranzidee.

Interpretation

Die Parabel ist dahingehend zu entschlüsseln, dass der Vater für Gott, die drei Ringe für die drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam), die drei Söhne für deren Anhänger und der Richter für Nathan selbst steht. Eine Aussage der Parabel wäre demnach, dass Gott die Menschen gleichermaßen liebe, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, da alle drei Religionen sein Werk und alle Menschen seine Kinder seien.

Wichtig sei es, dass die Menschen sich nicht darauf versteifen, die „einzig wahre Religion“ zu „besitzen“, da sie das fanatisch und wenig liebenswert mache. Zudem sei es eine Zumutung, von Menschen zu verlangen, dass sie ihren Eltern vorwerfen, diese hätten sie zu einem „Irrglauben“ erzogen[3]. Also soll jeder seinen Glauben für den richtigen halten, dies aber nicht anderen gegenüber geltend machen, da jede authentische Religion letztlich ihren Ursprung in Gott hat.

Die Frage, welcher Ring der echte sei, müsse zurückgestellt werden, da keine der drei Religionen die Menschen so veredele, wie es der Fall sein müsste, wenn der echte Ring (die echte Religion) nicht verloren gegangen wäre, was nach Aussagen des Richters als Möglichkeit in Betracht gezogen werden müsse. Mit seiner Antwort weist also Nathan Saladins Frage nach der „einzig wahren Religion“ zurück.

Wie für eine Parabel typisch, gehen auch im dritten Akt von Nathan der Weise Realität und Fiktion ineinander über. Die Geschichte Nathans, welche er dem Sultan Saladin erzählt, soll die Frage Saladins auf eine indirekte Weise beantworten und die Frage zugleich zurückweisen, da nach Nathan (Lessing) jeder Mensch seinen eigenen Glauben finden und anerkennen müsse, ohne die Richtigkeit anderer Religionen in Frage zu stellen. Völlig gebannt von der ihm vorgetragenen fiktiven Geschichte, schickt Saladin den weisen Nathan weg, um über die Lektion, welche ihm Nathan soeben erteilt hat, nachzudenken. Dass ein Charakter die Lehre der Parabel annimmt, ist ein wichtiges Gattungsmerkmal; dieses Verhalten soll der Zuschauer des Stückes nachahmen.

Natürliche Religion und positive Religion

In seiner 1762/63 entstandenen Schrift „Über die Entstehung der geoffenbarten Religion“[4] erklärt Lessing, wie er sich das Verhältnis der Religionen vorstellt:

„Einen Gott erkennen, sich die würdigsten Begriffe von ihm zu machen suchen, auf diese würdigsten Begriffe bei allen unsern Handlungen Rücksicht nehmen, ist der vollständigste Inbegriff aller natürlichen Religion.“

Diese „natürliche Religion“ sei dem Naturzustand zuzuordnen, in dem sich die Menschen vor dem Gesellschaftsvertrag befunden hätten. Nach dem Gesellschaftsvertrag sei die natürliche Religion durch Konventionen in „positive Religionen“ überführt worden (Analogie: Übergang vom natürlichen Recht in positives Recht). Das Wahre an den positiven Religionen sei deren gemeinsamer Kern, die natürliche Religion, das durch Konventionen Hinzugefügte hingegen sei zwar unvermeidlich, mache die positive Religion aber nicht „wahr“. Autorität erlangten alle positiven Religionen durch die Person des Religionsstifters, dem geglaubt werde, aus seinem Mund spreche Gott selbst (durch Offenbarung).

Lessings Schlussfolgerung: „Alle positiven und geoffenbarten Religionen sind folglich gleich wahr und gleich falsch.“

Lessings Vorlagen

Zur Vorgeschichte der Ringparabel siehe die Erzählung von Saladins Tisch bei Jans dem Enikel (13. Jahrhundert) und die Erzählung Vom dreifachen Lauf der Welt in den Gesta Romanorum. Mit dem Spruch des Richters wächst Lessing über die vorgefundenen älteren Fassungen der Ringparabel weit hinaus.

Charakterisierung der Hauptfiguren

Nathan

Statue Nathan, (1961), Erich Schmidtbochum (1913-1999), Modell: Ernst Deutsch (1890–1963), Wolfenbüttel

Nathan ist die Hauptfigur, bei der die Handlungsstränge zusammenlaufen und die alle Fäden zu einem Ganzen verknüpft.

Zuerst wird Nathan als reicher Kaufmann aus Jerusalem vorgestellt (I, 6.), der von seinen Geschäftsreisen immer viel Geld und Luxusgüter mitbringt. Nathan möchte nicht die leeren Staatskassen Saladins füllen, obwohl er dadurch seinen Reichtum vermehren könnte; nicht zuletzt deshalb lehnt er aber ab, als sein Freund Al-Hafi ihn darum bittet. Durch dieses Verhalten entkräftet Nathan das Vorurteil, dass Juden nur nach Reichtum streben. Auf die indirekte Bitte des Sultans, ihm Geld zu leihen, reagiert er aber trotz der ihm gestellten Falle entgegenkommend. Nathan wird vom Volk und von allen Menschen vor allem wegen seiner Güte und seines Großmuts gelobt.

In Nathans Person bilden „bürgerliche Tüchtigkeit“ und „Tugend“ eine in sich geschlossene Einheit.

Saladin und der Tempelherr sehen in Nathan allerdings zuerst den Juden, dem man aus dem Weg gehen bzw. den man ausnutzen sollte.

Recha ist zwar nur Nathans Adoptivtochter, doch er nennt sie ganz selbstverständlich „meine Recha“ und „mein liebes Kind“. Nathan ist für Recha der perfekte Vater, obgleich er nicht ihr leiblicher Vater ist („Das Blut allein macht noch nicht den Vater aus.“). Außerdem ist er Beschützer und Anwalt Rechas zugleich.

Nathan hat sich vom orthodoxen Judentum gelöst und ist anderen Religionen gegenüber tolerant eingestellt („Jud' und Christ und Muselmann und Parsi, alles ist Ihm eins“[5]). Für ihn ist es wichtig, „Mensch“ zu sein, und zwar im Sinne eines „blossen Menschen“ und nicht eines „solchen Menschen“ (vgl. auch Lessings Werk „Ernst und Falk“[6]). Indem Nathan vom jüdischen und vom christlichen Volk spricht[7], zeigt er, dass es ihm nicht nur um Unterscheidungen auf Grund der Religionszugehörigkeit geht. Bei ihm finden Glaube und Vernunft Einklang. Deshalb lehnt er konsequent den „vernunftwidrigen“ Wunderglauben ab[8]. Seine Weltanschauung lebt er vorbildhaft und macht sie auch zur Grundlage von Rechas Erziehung. Wegen dieser Weltanschauung (und nicht wegen seines Geschäftssinns, wie der Tempelherr zunächst vermutet) wird er als „weise“ bezeichnet.

Nathan gilt als Sprachrohr Lessings im Stück.

Saladin

Sultan Saladins Palast ist der Mittelpunkt der politischen Macht in Jerusalem und Schauplatz der letzten Szene.

Während eines Angriffes auf Tebnin nehmen Saladins Männer 20 Tempelritter als Gefangene. Nur einen dieser Tempelritter lässt Saladin am Leben, weil er seinem verschollenen Bruder Assad ähnlich sieht. Saladin ist von muslimischer Abstammung und von Grund auf recht großzügig, was Geschenke und Gaben an bestimmte Personen angeht. Dies treibt ihn schließlich in den wirtschaftlichen Ruin.

Die Begegnung mit Nathan und der „Ringparabel“ wird zum Schlüsselerlebnis für Saladin, welches seine Einstellung zu verändern scheint. (4. Aufzug, 4. Auftritt: „Ich habe nie verlangt, Daß allen Bäumen Eine Rinde wachse.“)

Der junge Tempelherr

Der Tempelherr (Leu von Filnek) ist Christ und Mitglied des Templerordens. Als Christ weist er auch die damals üblichen Vorurteile gegenüber Juden auf. Durch sein beherztes Eingreifen rettet er Recha aus den Flammen des brennenden Hauses. Für diese Tat möchte er aber keinen Dank und keine Anerkennung, weil es für ihn selbstverständlich ist, zu helfen. Nach einiger Zeit, in der er Daja, Recha und Nathan aus dem Weg geht, merkt er, dass er sich in Recha verliebt hat. Zu Nathan kann der Tempelherr eine Freundschaft aufbauen und sein gesamtes Bewusstsein verändern. Er ist gleicher Ansicht wie Nathan und Saladin, was die Religionen und das optimale menschliche Verhalten betrifft, jedoch fällt er wieder in religiöse Intoleranz zurück, als er erfährt, dass Recha eine Christin ist.

In der Schlussszene stellt sich heraus, dass der Tempelherr und Recha Geschwister sind und Saladin und Sittah Onkel und Tante.

Der Patriarch

Der autoritäre Politiker ist der Gegenspieler Saladins und Nathans. Er ist intolerant und glaubt an seine eigene Unfehlbarkeit, sogar vor Mord würde er nicht zurückschrecken. Der Patriarch steht für den absolut unaufgeklärten Menschen. Pastor Melchior Goeze soll für diese Figur Modell gestanden haben. Wegen seiner intoleranten Einstellung gegenüber anderen Religionen fehlt er in der Schlussszene, die alle Figuren vereint, die die Ideale der Aufklärung verinnerlicht haben, bzw., die im Laufe der Handlung des Dramas immer toleranter wurden.

Ihn kennzeichnet die dreimalige Wiederholung seiner über Nathan getroffenen Entscheidung "Tut nichts, der Jude wird verbrannt" (IV, 2)

Der Klosterbruder

Der Klosterbruder steht in Diensten des Patriarchen und muss für ihn Botengänge erledigen. Zum Tempelherren soll er mit der Nachricht, dieser solle sich, wenn er der Christenheit einen Dienst erweisen wolle, bei Spionage im Sultanspalast und außerdem an einem Anschlag auf Saladin beteiligen. Dieser lehnt entschieden ab, was den Klosterbruder erfreut, denn auch er verabscheut die unehrenhaften Machenschaften des Patriarchen. Früher stand er in den Diensten von Assad, Saladins Bruder, der damals den Namen 'Wolf von Filnek' trug.

Er zeigte Nächstenliebe, als er das Waisenkind Blanda von Filnek (Recha) zu Nathan, unabhängig von Nathans Religionszugehörigkeit, brachte.

Daja

Die überzeugte Christin verschließt sich den Lehren Nathans über die Toleranz, deshalb fehlt sie auch in der letzten Szene des Dramas. Sie ist die Witwe eines während eines Kreuzzuges zusammen mit Kaiser Barbarossa ertrunkenen Kreuzfahrers.

Recha

Ihr Geburtsname ist Blanda von Filnek. Sie wurde erst von Nathan Recha genannt. Die Ziehtochter ist ein lernfähiger Mensch, wirkt aber in Folge des Einflusses Dajas anfangs etwas naiv, da sie (wie Daja) die Asozialität der Schwärmerei und des Wunderglaubens nicht erkennt.

Im Prinzip verwendet Recha aber ihren Verstand (trotz permanenter Verunsicherung durch Daja) so, wie es Nathan sie gelehrt hat. Anfangs glaubt sie noch an eine Rettung durch einen Engel, schämt sich aber anschließend dafür. Sie setzt sich für Nathan ein, obwohl er nicht ihr leiblicher Vater ist. Sie hat sich in den Tempelherrn verliebt, erfährt aber erst später, dass er ihr Bruder ist.

Sittah

Die Schwester Saladins gibt ihrem Bruder Kredite, ohne dass dieser etwas davon weiß. Sie hat einen besseren Bezug zur Realität und erkennt die tatsächliche politische Lage, sie bezeichnet die heiratspolitischen Pläne, eine Beziehung zwischen Muslime und Christen herzustellen, als Traum.

Al-Hafi

Der Bettelmönch (auch als Derwisch bezeichnet) und Schachfreund Nathans wird Schatzmeister des Sultans. Er muss mit schlechten Mitteln Gutes tun, denn er soll Nathan überreden, dem Sultan Geld zu leihen. Sein Gelübde steht im Widerspruch zu seiner amtlichen Pflicht. Er wurde durch die Übernahme des Amtes von Saladin geschmeichelt und hoffte im Dienst und Auftrag Saladins, Armut und Not erfolgreich zu bekämpfen.

Al-Hafi verabschiedet sich als „klassischer Aussteiger“ von Nathan an den Ganges, wo er sein alternatives Leben als Bettelmönch in seiner parsischen Glaubensgemeinschaft, den Ghebern leben will. Al-Hafi fordert Nathan auf, ihn dorthin zu begleiten.

Al-Hafi repräsentiert als Anhänger der Lehre des Zarathustra eine weitere Religion in diesem Drama. Lessing hatte ursprünglich geplant, diese Figur ins Zentrum einer Nachschrift unter dem Titel Derwisch zu stellen.[9]

Figurenkonstellation

Schaubild zur Figurenkonstellation

Wirkung des Werkes

Lessing war schon zu Lebzeiten ein prominenter Autor. Nathan der Weise war seit Erscheinen in literarisch interessierten Kreisen bekannt. Seit dem frühen 19. Jahrhundert war es fester Bestandteil des klassischen bürgerlichen Bildungskanons, des Theaterspielplans und des gymnasialen Lehrplans. Bis zum Nationalsozialismus kannten daher viele Menschen in Deutschland das Stück. In der Nazi-Zeit war es verboten und verpönt, weil ein menschlich vorbildlicher Jude der Nazi-Ideologie widersprach. Heute hat es in viele Lehrpläne für den Deutschunterricht Eingang gefunden.

Unterschied Boccaccio und Lessing

Der erste Abschnitt der Ringparabel ist bei beiden Schriftstellern gleich: Saladin, der durch seine zahlreichen Feldzüge und sein großzügiges Sozialhilfeprogramm für die Bedürftigen bankrott ist, überlegt verzweifelt, wie er Geld zur Überbrückung bekommen kann. Bei Boccaccio wendet sich Saladin aus eigenem Antrieb an einen reichen „Melchisedech“, bei Lessing auf Sittahs Anraten an Nathan, die, so glaubt der Sultan, nicht nur weise, sondern auch besonders geizig seien. Saladin stellt nämlich eine Frage, auf die es scheinbar keine akzeptable Antwort geben kann. Bei Boccaccio, genauso wie bei Lessing, fragt der Sultan: „Was für ein Glaube, was für ein Gesetz hat dir am meisten eingeleuchtet?“. Der Jude soll also dem Muslim erklären, welche der drei Religionen - Christentum, Islam und Judentum - die richtige, also welche für ihn die „wahre“ Religion sei. Wobei Saladin bei Boccaccio Melchisedech nur um eine allgemeine Antwort auf die Frage, welche Religion die beste sei, bittet. Saladin fragt bei Lessing Nathan nach seiner persönlichen Meinung.

Melchisedech, wie auch Nathan, erkennt die Falle des Sultans und verblüfft diesen mit der „Ringparabel“.

Lessing geht über die Vorlage hinaus, indem bei ihm zum einen die Ringe die Kraft besitzen, vor „Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn man die Ringe in dieser „Zuversicht“ trage, wenn man also gottesfürchtig und menschenfreundlich lebe. Zum anderen lässt Lessing die Geschichte anders enden: Die drei Söhne gehen vor Gericht, um klären zu lassen, welcher der Ringe der ursprüngliche sei. Doch auch der Richter kann keine Antwort, sondern nur einen Rat geben: „Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring´ an Tag zu legen.“ Er verweist noch darauf, dass die Kindes-Kinder der drei Söhne in tausend Jahren wieder vor diesen Richterstuhl treten können, wenn dort vielleicht ein weiserer Mann sitzt, um zu richten. Lessing zielt darauf hin, dass die drei Religionen Christentum, Judentum und Islam den gleichen Kern enthalten und jeder danach streben sollte, ein guter Mensch und für andere da zu sein.

Literatur

  • Erstausgabe: G. E. Lessing: Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht, in fünf Aufzügen; 1779 [keine Verlagsangabe], 276 S.(inkl. Anmerkungen)
  • Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Text und Materialien, bearbeitet von Ingrid Haaser; Klassische Schullektüre; Berlin: Cornelsen 1997 ISBN 3-464-12136-4
  • Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Lehrerheft von Ingrid Haaser; Klassische Schullektüre; Berlin: Cornelsen 1999 ISBN 3-464-12137-2
  • Hans-Ulrich Lindken: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise. 5. Auflage. Bange 1987, ISBN 3-8044-0225-9
  • Friedrich Niewöhner: Veritas sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern, Schneider, Heidelberg 1988, ISBN 3-7953-0761-9
  • Hans Ritscher: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. 9. Auflage. Diesterweg 1979, ISBN 3-425-06380-4
  • Timotheus Will: Lessings dramatisches Gedicht Nathan der Weise und die Philosophie der Aufklärungszeit, Schöningh 1999. ISBN 3-506-75069-0
  • Knut Nippe: Die missbrauchte Ringparabel, Ichthys. Theologische Orientierung für Studium und Gemeinde, Nr. 43 (2006) 54-57.
  • Peter Sloterdijk: Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen. Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag 2007, ISBN 978-3-458-71004-2

Weblinks

Freie Webausgaben

Einzelnachweise

  1. Lessing verweist in einem Brief vom 6. September 1778 an Elise Reimarus auf die Figur des Melchisedech (Decamerone I.3); Ephraim Lessing: Gesammelte Werke, Band 9: Briefe; Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag, 1982; S. 798f.
  2. Nathan der Weise, V.1889f.
  3. Nathan der Weise, V.1985-1990
  4. Gotthold Ephraim Lessing: Lessings Werke in fünf Bänden. Berlin/Weimar 1982. Band 2. S.240ff.
  5. Nathan der Weise, V.1070
  6. Ernst und Falk. Gespräche für Freimaurer [1]
  7. Nathan der Weise, V.1307-1311
  8. Nathan der Weise, V.359-364
  9. Stephan Eberle: Lessing und Zarathustra. In: Rückert-Studien, Bd. 17 (2006/2007) [2008], S. 73-130.

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