Dekameron

Dekameron
flämische Illustration zum Dekameron, 1432 (Paris, Nationalbibliothek)
flämische Illustration zum Dekameron, 1432 (Paris, Nationalbibliothek)
Sandro Botticelli, Gemälde zu einer Novelle aus dem Dekameron, 1487 (Madrid, Prado)
John William Waterhouse: Decameron (1916)

Das Dekameron oder Il Decamerone (ital.; gr. deka (δέκα) zehn; hemera (ἡμέρα) Tag) ist eine Sammlung von 100 Novellen, die der Feder von Giovanni Boccaccio entstammen. Die Abfassung erfolgte aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen 1349 und 1353. Der Titel Decamerone bedeutet in Anlehnung an das Griechische „Zehn-Tage-Werk“. Es handelt sich um ein stilbildendes Werk, das zum Vorbild fast aller weiteren abendländischen Novellensammlungen geworden ist.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Die Rahmenhandlung verlegt Boccaccio in ein Landhaus in den Hügeln von Florenz, zwei Meilen vom damaligen Stadtkern von Florenz entfernt.[1] In dieses Landhaus sind sieben Mädchen und drei junge Männer vor der Pest (Schwarzer Tod) geflüchtet, die im Frühjahr und Sommer des Jahres 1348 Florenz heimsuchte. Im Landhaus versuchen sich die Flüchtlinge nach Möglichkeit zu unterhalten. Daher wird jeden Tag ein König oder eine Königin bestimmt, welcher einen Themenkreis vorgibt. Zu diesem Themenkreis hat sich nun jeder der Anwesenden eine Geschichte auszudenken und zum Besten zu geben. Nach zehn Tagen und zehn mal zehn Novellen kehrt die Gruppe wieder nach Florenz zurück.

Über das Werk

Der zyklische Aufbau des Werkes bezieht sich auf die Bedeutung der alten heiligen Zahl Zehn, die Bonaventura als numerus perfectissimus bezeichnet hatte, wobei vor allem Dantes Göttliche Komödie, die in hundert Gesänge gegliedert ist, als Vorbild diente.

Die Schilderung der Pest in Florenz ist beklemmend realistisch und detailreich dargestellt. Sie dient auch bis heute als historische Quelle über diese Epidemie. Man kann die Einleitung zweifellos als memento mori auffassen, das am Beginn der unbeschwert und daseinsfroh erzählten Novellen steht. Sie werden von den jungen Menschen in einer kultivierten Atmosphäre des Landhauses erzählt, das von üppigen Gärten umgeben ist, bei Spiel und Tanz. Da die Themen der Erzählungen variabel und zudem allgemein gehalten sind, entsteht eine große Vielfalt von fein oder derb, tragisch oder komisch erzählten Geschichten. In ihnen wird ein ganzes Welttheater ausgespannt, dessen handelnde Personen sowohl Sultane und Könige als auch Bauern, Handwerker oder Spitzbuben sind. Auch die Schauplätze umfassen nahezu die gesamte damals bekannte Welt. Das Besondere an Boccaccios Novellen ist ihr neuer Geist, der mit seinen aus Daseinsfreude und eigener Entscheidung handelnden Personen das Mittelalter überwindet. Kirchenleute und besonders Mönche kommen dabei meist besonders schlecht weg. Vor allem die Schilderung der Kleriker und zunächst weniger die Erotik mancher Novellen hat später zur Ablehnung Boccaccios durch die Kirche geführt.

Da Boccaccio selbst angibt, die Geschichten seien nicht von ihm erfunden, wurde intensiv nach den Quellen der einzelnen Erzählungen geforscht. Sie lassen sich auf die unterschiedlichsten Ursprünge und Überlieferungen zurückführen, wie auf antike Quellen, mittelalterliche, besonders französische Legenden- und Schwankliteratur oder ältere italienische Erzähltradition. Boccaccio erzählt aber nicht einfach nach, sondern er gestaltet seine Vorbilder vielfach um.

Das Landhaus, in dem Boccaccios Handlung angesiedelt ist, ist noch erhalten und befindet sich auf halbem Weg zwischen Florenz und Fiesole an der Via Boccaccio. Heute befindet sich dort ein Department des European University Institute.

Wirkungsgeschichte

Bereits die Grammatiker und Rhetoriker der Renaissance waren der Ansicht, dass Boccaccios Dekameron ein Meisterwerk sei. Der Autor wurde zusammen mit Dante und Francesco Petrarca zum Wegbereiter und Vorbild für die eigenen Bestrebungen. Heute gilt das Dekameron unbestritten als Ursprung der italienischen Prosa überhaupt und als ein Werk, das die Weltliteratur nachhaltig beeinflusst hat. So wurde die Novellensammlung unter anderen von Geoffrey Chaucer (Canterbury Tales), Margarete von Navarra (Heptaméron), Miguel de Cervantes (Novelas ejemplares), François Rabelais und zahlreichen, heute nicht mehr so bekannten Autoren nachgeahmt. Johann Wolfgang von Goethe schätzte das Werk sehr und deutschte den Namen Boccaccios in Boccaz ein. Die Romantiker würdigten ebenfalls die Novellensammlung besonders und wurden zu eigenen Werken angeregt. Stoffe einzelner Erzählungen benützten William Shakespeare (Cymbeline und Ende gut, alles gut), Hans Sachs und Jonathan Swift. Die Figur des Melchisedech (I.3) liegt Gotthold Ephraim Lessings Nathan dem Weisen und die Ringparabel zu Grunde.[2]

Ausgaben

  • Venedig 1470
  • Florenz 1470
  • Venedig 1471 (verbesserte Ausgabe)
  • Mantua 1472
  • Venedig 1492 (enthält G. Squarciafico: Vita di Giouan Bocchaccio da Certaldo; mit Illustrationen)
  • Turin 1980, herausgegeben von V. Branca (mit Bibliographie und Kommentaren)

Deutsche Übersetzungen

Verfilmungen

  • Il Decamerone, Italien 1911 (Regie: Gennaro Righelli)
  • Dekameron-Nächte, 1924 (Regie: Herbert Wilcox)
  • Liebesgeschichten von Boccaccio, 1936 (Regie: Herbert Maisch; Darsteller: Willy Fritsch, Heli Finkenzeller)
  • Boccaccios große Liebe, 1953 (Regie: Hugo Fregonese)
  • Archandel Gabriel a paní Husa, Tschechoslowakei 1964 (Regie: Jirí Trnka)
  • Il decameron, Italien/Frankreich/BRD 1970 (Regie: Pier Paolo Pasolini)
  • Trügerische Liebesspiele, 1971 (Regie: Jirí Krejcík)
  • Polen 1971 (Regie: J. Dutkiewicz, A. Wajda)
  • Dekamerone - Abenteuer der Wollust, 1972 (Regie: Mino Guerrini)
  • Decamerone proibito - le altre novelle del Boccaccio, 1972 (Regie: Carlo Infascelli, Antonio Racioppi)
  • Decameron No. 3 - Le più belle donne del Boccaccio, II, 1972 (Regie: Italo Alfaro)
  • Decameron proibittissimo, 1972 (Regie: Marino Girolami)
  • Beffe, licenze et amori del Decamerone segreto, 1972 (Regie: Walter Pisani)
  • Italien 1973 (Regie: P. Maxwell)
  • ABC der Liebe, DDR 1974 (TV-Serie)
  • Virgin Territory, USA 2007 (Regie: David Leland)

Literatur

  • Kindlers neues Literatur-Lexikon Bd. 2. Kindler, München 1988
  • Kurt Flasch: Poesie nach der Pest. Der Anfang des „Decameron“ neu übersetzt und erklärt. Dieterich, Mainz 1992, ISBN 3-87162-027-0 (excerpta classica 10). 
  • Elisabeth Ahrend: Lachen und Komik in Giovanni Boccaccios Decameron. In: Analecta Romanica. Nr. 68, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2004. 
  • Diemut Maria Billen: Boccaccios Decameron und die didaktische Literatur des Hochmittelalters: Transformationen des Diskurses an einer Epochenschwelle. In: Deutsche Hochschulschriften. Nr. 503, Verlag Hänsel-Hohenhausen, Egelsbach/Köln/New York 1993. 
  • Wilhelm Theodor Elwert: Die italienische Literatur des Mittelalters, Dante, Petrarca, Boccaccio. Francke Verlag, München 1980. 
  • Victoria Kirkham: The Sign of Reason in Boccaccio’s Fiction. Bibliotheca di „Lettere Italiana“, Studi e Tesi. Band XLIII, Leo S. Olschki Editore, Florenz 1993. 
  • Gero von Wilpert (Hrsg.): Das Dekameron. In: Lexikon der Weltliteratur. Band 3, dtv, München 1997, S. 238f.. 
  • Otto Löhmann: Die Rahmenerzählung des Decameron. Ihre Quellen und Nachwirkungen. Ein Beitrag zur Geschichte der Rahmenerzählung. Max Niemeyer Verlag, Halle (Saale) 1935. 
  • Lucia Marino: The Decameron „Cornice“: Allusion, Allegory, and Iconology. Longo Editore, Ravenna 1979. 
  • Giuseppe Mazzotta: The World at Play in Boccaccio’s Decameron. Princeton University Press, Princeton/New Jersey 1986. 
  • Francesco De Sanctis: Geschichte der italienischen Literatur. Band 1, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1941. 
  • Jan Söffner: Das Decameron und seine Rahmen des Unlesbaren. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2005. 
  • Joachim Heinzle: Schule des Lebens – Schule der Liebe. Erotik und Didaxe in der europäischen Novellistik zwischen Mittelalter und Neuzeit. In: Horst Albert Glaser (Hrsg.): Annäherungsversuche. Zur Geschichte und Ästhetik des Erotischen in der Literatur. Haupt, Bern/Stuttgart/Wien 1993. 
  • Winfried Wehle: Der Tod, das Leben und die Kunst. Boccaccios Decameron oder der Triumph der Sprache. In: A. Borst et al. (Hrsg.): Der Tod im Mittelalter. Konstanz 1993, S. 221–260. 

Weblinks

Quellen

  1. Lage43.79666666666711.2777777777787 des Hauses
  2. Gotthold Lessing an Elise Reimarus, Brief vom 6. September 1778; in: Ephraim Lessing: Gesammelte Werke, Band 9: Briefe; Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag, 19682; S. 798f.

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