Rorschach-Test

Rorschach-Test

Der Rorschach-Test (vulgo Tintenkleckstest, eigentlich: Rorschach-Formdeuteversuch) ist ein psychodiagnostisches Testverfahren, für das Hermann Rorschach eine eigene Persönlichkeitstheorie entwickelte und das später mit den Theorien der Freudschen Schule verbunden wurde. Es gehört zu den sogenannten projektiven Tests und wird von Psychoanalytikern und Psychiatern angewendet, mit dem Ziel die gesamte Persönlichkeit des Probanden zu erfassen. Ursprünglich bezog sich der Begriff „Psychodiagnostik“ nur auf diese Methode.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Rorschach-Test wurde 1921 veröffentlicht, nachdem zuvor andere Versuche, aus Faltbildern Schlüsse auf die Persönlichkeit zu ziehen, gescheitert waren. Rorschach kam nach Entwicklung seines Formdeuteverfahrens in Kontakt mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds, die die Rolle des Unbewussten erforscht. In den 1930er und 1940er Jahren fand der Test in Europa und in den Vereinigten Staaten weite Verbreitung. Von den 1970er Jahren an hat John E. Exner das Verfahren, von dem es vor allem in den USA mehrere große „Schulen“ gab, zu vereinheitlichen versucht (CS - „Comprehensive System“). In Europa gilt das Standardwerk von Ewald Bohm zum Rorschach-Test als Referenz.

Methodik

Eines der von Rorschach hergestellten Faltbilder in der Originalfarbe

Der Test besteht aus zehn Tafeln mit speziell aufbereiteten Tintenklecksmustern. Es gibt weltweit fast ein Dutzend Parallelserien, von denen die meisten nicht frei im Handel erhältlich sind. Die sie anwendenden Psychologen legen Wert darauf, dass die Bilder nicht öffentlich gezeigt werden, damit eine Beeinflussung des Tests durch Vorwegnahmen (zudem oft Falschinformationen, die etwa im Internet oder in „Testknackerbüchern“ kursieren) vermieden wird. Die Tafeln werden in einer festgelegten Reihenfolge gezeigt, mit dem Hinweis, dass die Tafeln beliebig gedreht werden können, und die Testperson wird gefragt: „Was könnte das sein?“ Dabei weist der Psychologe darauf hin, dass es keine „richtigen“ oder „falschen“ Antworten gäbe. Während die Testperson die Tafeln betrachtet, notiert er Äußerungen, die Handhabung (Drehungen) der Karte sowie Reaktionszeiten.

Auswertung

Die Auswertung bezieht sich auf fünf Hauptaspekte:

  • die Lokalisierung, also welche Teile der Tafeln die Person deutet,
  • die Determinanten, auf welche Aspekte (Form, Farbe, Schattierung, Bewegung, Zwischenfiguren) der Tafel sich die Antwort bezieht.
  • die Inhalte, also was auf den Tafeln wahrgenommen wird.
  • die Häufigkeit, mit der Antworten bei vielen Testpersonen vorkommen (Originalität, Banalität)
  • die besonderen Phänomene, also die über die reinen Deutungen hinaus beobachtbaren Phänomene wie Verzögerungen, Stupor, Antwort- und Reaktionszeiten etc.

Mit Hilfe der sich anschließenden Sicherungsphase werden die Antworten signiert, d.h. bei jeder einzelne Antwort wird überprüft, ob der Anwender sie auch richtig erfasst hat, so wie der Proband sie auch gemeint hat. Jede Antwort wird dabei in Hinblick auf die ersten vier Hauptaspekte bezeichnet.

Beispiele:

Bei der Lokalisierung: G (= Ganzantwort), D (=Detailantwort), Dd (=besonders kleines oder ungewöhnlich abgegrenztes Detail), DZw (=Zwischenfigur), etc.

Bei dern Determinanten: F+ (="gute", erkennbare, nachvollziehbare Form ("eine Vase mit zwei Henkeln"), F- (="schlechte", d.h. unbestimmte, diffuse, nicht nachvollziehbare Deutung ("irgendein Tier"), B+ (Bewegungsdeutung ("zwei kämpfende Samurai"), FFb+ (Deutung, bei der die Form dominiert, die Farbe aber auch eine Bedeutung hat ("Ein roter Schmetterling"), FbF (Deutung, bei der die Farbe wichtiger ist, als die Form ("Blumenstrauß")), Fb (reine Farbdeutung ("Blut", "Wasser")), etc.

Bei den Inhalten: Tiere, Tierdetails (z.B. Köpfe, Pfoten), Menschen, Menschdetails, Szenen, Gegenstände, Landkarten, Gebäude, Pflanzen, etc.

Bei den Häufigkeiten: Vulgärantworten (=naheliegende Deutungen, die oft gegeben werden), Originalantworten (=seltene Antworten, die ca. jeder hundertste nur deutet).

Bereits die Signierung setzt viel Fachwissen und eine präzise, objektive Arbeitsweise voraus.

Durch die anschließende Verrechnung treten noch weitere Aspekte zutage, etwa Sukzession, Erfassungstypus, Erlebnistypus, Farbtypus, und das relative Vorkommen bestimmter Inhalte (zum Beispiel Tierdeutungen) oder Erfassungsmodi (zum Beispiel Ganzantworten).

Die Auswertung ist nur ganzheitlich möglich, das heißt: alle ermittelten Faktoren müssen in Zusammenhang miteinander gebracht werden; erst dadurch erschließen sich die einzelnen Bedeutungen. Eine standardisierte "Katalog"-Auswertung ist wegen der unzähligen Kombinationsmöglichkeiten (und dementsprechend verschiedenen Bedeutungen) nicht möglich.

Kontroverse

Der Rorschach-Test ist aus verschiedenen Gründen umstritten; die Tintenklecksbilder sind a priori bedeutungslos, daher gehen Kritiker davon aus, dass die Interpretation der Formdeuteversuche auch durch den Psychologen und seine subjektiven Eindrücke und Vorurteile beeinflusst werden kann. Die Reliabilität und Validität sind weitestgehend ungeklärt. Nach Meinung der Kritiker kann der Formdeuteversuch im besten Fall Hinweise auf Aspekte der Persönlichkeit geben, im schlechtesten Fall schlicht zu falschen Ergebnissen führen.

Anwender behaupten, die Auswertung durch Fachleute sei sicher und zuverlässig. Der Rorschach-Test könne viele Bereiche der Persönlichkeit darstellen, die andere psychologische Tests nicht erfassen könnten. Er sei außerdem weitgehend fälschungssicher. Dies liege vor allem daran, dass die ermittelten Daten sich gegenseitig ergänzen und stützen müssen, um ein stimmiges Gesamtbild zu erzeugen.

Diese Einschätzung wird durch wissenschaftliche Untersuchungen nur unzureichend gestützt. Das Problem der mangelnden Reliabilität und Validität ist, wie auch bei anderen projektiven Verfahren, noch nicht gelöst, da die Vielzahl der Kombinationen und die dadurch individuell stets variierenden Deutungen der Testfaktoren nicht quantifizierbar sind. Versuche, den Test zu standardisieren, etwa von Bruno Klopfer bereits angeregt (1946), oder wie es etwas der Amerikaner John E. Exner versucht hat, machen aus dem Test ein neues, vor allem durch ungeübte Anwender extrem störanfälliges Verfahren, das mit dem ursprünglichen Rorschach-Test nur noch den Namen und das Testmaterial gemein hat.

Verbreitung

Der Rorschach-Test gilt als einer der bekanntesten und am meisten verbreiteten psychologischen Tests, und er taucht immer wieder in Filmen auf.

Anwender warnen vor der verbreiteten Ansicht, dass man mit der Deutung einer einzigen Antwort schon eine ganze komplexe Persönlichkeit oder schwere Krankheit erfassen könne. Wenn nicht ein wörtliches Protokoll aller 10 Tafeln mit Nachbefragung und Reaktionszeiten vorliege, sei der Test nicht auswertbar. Zudem müssen die ermittelten Persönlichkeitsmerkmale an verschiedenen Stellen des Testes nachweisbar sein.

Insgesamt ist es ohnehin nicht zulässig, nur aufgrund der Rorschach-Diagnostik Aussagen zu treffen oder gar ein ganzes Gutachten anzufertigen. Seriöse Anwender benutzen ihn im Rahmen einer ganzen Testbatterie. Dadurch erfährt der Test in aller Regel externe Überprüfung.

Literatur

  • Hermann Rorschach: Psychodiagnostik. Methodik und Ergebnisse eines wahrnehmungsdiagnostischen Experiments (Deutenlassen von Zufallsformen), E. Bircher, Bern 1921
  • Ewald Bohm: Lehrbuch der Rorschach-Psychodiagnostik. Für Psychologen, Ärzte und Pädagogen. Hans Huber, Bern 1951
  • Ewald Bohm: Psychodiagnostisches Vademecum Hans Huber, Bern 1960
  • Bruno Klopfer: Das Rorschach-Verfahren. Hans Huber, Bern 1967
  • Dr. Manfreg Reitz: Die Psychologie der Kleckse, Aus Wissenschaft und Forschung, Pharm. Ind. 70, Nr. 11, 1298-1300 (2008), ECV: Editio Cantor Verlag, ISSN 0031-711 X

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