Rüstkosten

Rüstkosten

Rüsten bezeichnet in der Technik die Tätigkeiten, das Betriebsmittel eines Arbeitssystems (Maschine, Fertigungsstelle, Einzelanlage oder Anlagenstraße usw.) für einen bestimmten Arbeitsvorgang einzurichten, sie beispielsweise mit den notwendigen Werkzeugen zu bestücken, sowie die Aktivitäten, das Betriebsmittel wieder in den ungerüsteten Zustand zurückzuversetzen.[1][2]

Inhaltsverzeichnis

Abgrenzung zum Umrüsten

Das Rüsten einer von vornherein umrüstbar konzipierten Werkzeugmaschine oder Produktionsanlage ist ein regulär wiederkehrender Vorgang im Gegensatz zu einer nur einmalig vorgenommenen Umrüstung z. B. eines Verbrennungsmotorgetriebenen Fahrzeugs auf Elektroantrieb.

Betriebswirtschaftliche Bedeutung des Rüstens

Während des Rüstens werden Maschinen nicht produktiv genutzt, da kein Produkt entsteht. Das bedeutet, dass die Investitionen (Maschinen) keinen Ertrag bringen. Daher betrachtet man diesen Faktor in der Kostenrechnung und -kalkulation.

Ursprünglich betrachtete man Rüsten als einen relativ unveränderlichen Teil der Auftragszeit.[3] Um die Kosten des Rüstens zu optimieren entwickelten Ingenieure schon früh Berechnungen zum Minimieren der Gesamtkosten. Im deutschsprachigen Raum wurde dieser Ansatz unter dem Namen Andler-Formel[4] bekannt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sahen vor allem japanische Unternehmen sich gezwungen zu Gunsten höherer Flexibilität mit ungünstig kleinen Losgrößen zu arbeiten. Insbesondere Toyota entwickelte unter der Federführung von Taiichi Ohno und Shigeo Shingo ein Produktionssystem, in dem unter anderem Rüstenzeiten systematisch reduziert wurden. Nach Aussagen von Ohno reduzierte Toyota die mittlere Rüstzeit zwischen 1945 und 1971 von drei Stunden auf drei Minuten.[5] Zusammen mit anderen Maßnahmen wurde der japanische Denkansatz inzwischen zum vorherrschenden Produktionsparadigma.

Rüstkosten

Aus den genannten Umständen ist der Begriff der Rüstkosten ebenfalls schwierig einzugrenzen. Die Definition der Rüstkosten als durch Rüsten entstehenden Kosten führt in der Praxis oft zu auf die Kostenart Rüsten gebuchte Kosten. Direkt dem Rüsten zuordbar sind die Kosten für Arbeitstätigkeit sowie die anteiligen Kosten der eingesetzten Betriebsmittel. Vielfach werden auch die Opportunitätskosten der nicht-produzierenden Maschine herangezogen.

Rüsten in der Praxis

Als Entscheidungskriterium für Rüsten wird häufig die beobachtbare Zuordbarkeit verwendet. Als Rüsten werden nur die Aktivitäten betrachtet, die direkt einem bestimmten Auftrag zuzuordnen sind. Die Grauzone der Tätigkeiten ist allerdings recht breit. So enden verschiedene sachlich dem Rüsten zuzuordnende Tätigkeiten in der Praxis in den Gemeinkosten und andere, eher nicht dem Rüsten zuzuordnende Tätigkeiten im Rüsten. Meist orientiert sich der betrachtete Rüstbegriff auf das primäre Betriebsmittel (beispielsweise ein Bearbeitungszentrum, eine Nibbelmaschine oder eine Tiefziehpresse). Man betrachtet vereinfacht nur rüstbedingte Stillstandszeiten dieser Betriebsmittel als Rüstzeit und die in dieser Zeit anfallenden Arbeitsschritte als Rüsten.

Rüstzeit

Wie alle Zeitarten gliedert REFA die Rüstzeit in Grund-, Erholungs- und Verteilzeit.


t_r = t_{rg} + t_{er} + t_v\,
 \textstyle t_r Rüstzeit
 \textstyle t_{rg} Die Rüstgrundzeit entspricht der Arbeitszeit von Menschen, die mit Rüsten verbracht wird.[2]
 \textstyle t_{er} Erholungszeit des Menschen bezogen auf die Rüsttätigkeiten.
 \textstyle t_v Verteilzeit für die Rüsttätigkeiten.

Ermittlung von Rüstzeiten

Die Ermittlung von Rüstzeiten ist eine der schwierigsten Aufgaben des Arbeitsstudiums. Zum einen handelt es sich um selten ausgeführte Tätigkeiten bezogen auf die Anzahl der Wiederholungen im Produktionsprozess. Dadurch ist der Übungseffekt recht niedrig. Andererseits erschweren die Zweiteilung des Vorgangs zwischen Auf- und Abrüsten sowie die Probleme bei der Trennung zwischen Abrüsten des vorhergehenden und dem Aufrüsten des nachfolgenden Arbeitsgangs die Datenermittlung.

Meist werden Rüstzeitaufnahmen durch vorbereitende Beobachtungen der Aktivitäten und Gespräche mit dem rüstenden Personal vorbereitet. Eine Festlegung der Abläufe vor der Zeitaufnahme ist meist nicht möglich, da die Häufigkeit von Störungen und die Abfolge der Tätigkeiten zu erratisch ist. Das Fehlen von Wiederholungen in den Abläufen reduziert zudem noch die Aussagewahrscheinlichkeit und die Vergleichbarkeit von Ablaufabschnitten. Bei entsprechender Wichtigkeit wird meist eine Rüstmatrix aufgestellt. In einer Rüstmatrix werden die bekannten Konfigurationen der Maschine in Titelspalte und -zeile aufgeführt. Im Schnittpunkt sammelt man Rüstvorgänge von einer bekannten Konfiguration zu einer anderen bekannten Konfiguration auf. So können mehrere gleichartige Rüstvorgänge mehrfach erfasst werden. Da die Datenermittlung dadurch auf verhältnismäßig lange Zeiträume verteilt wird, kann das Gleichbleiben der Systemelemente nicht als sicher angenommen werden. Das Verfahren ist personalintensiv, so dass häufig Selbstaufschreibungen des Rüstpersonals die Beobachtung durch Arbeitsstudienleute ersetzen.

Konfiguration A Konfiguration B Konfiguration C Konfiguration D
Konfiguration A -
Konfiguration B -
Konfiguration C -
Konfiguration D -

In Anbetracht der Tatsache, dass die Lehren der japanischen Ingenieure inzwischen breit in der westlichen Welt Einzug gehalten haben, sinkt gleichzeitig die relative Wichtigkeit von Rüstzeitbetrachtungen, da der Anteil der Rüstzeit an der Produktionszeit sinkt. Somit ist die Ermittlung von Rüstzeiten am Anfang des 21sten Jahrhunderts möglicherweise unzeitgemäß geworden.

Optimierung von Rüstzeiten

Die systematische Reduktion und Optimierung von Rüstzeiten ist ein strategiches und teilweise langwieriges Betätigungsfeld. Zwar sind Potenziale von 30 % bis 40 % weniger Maschinenstillstandszeit relativ schnell möglich, da die Ursachen meist im organisatorischen Umfeld zu finden sind, jedoch das Erreichen von Spitzenwerten, wie z. B. das Umüsten im Kunden-Takt, ist meist erst nach einigen Jahren erreichbar.

Elemente der Rüstzeitreduktion:

  • Ziele und Strategie:
Die Unternehmensleitung muss sich mit dem Aufgabenstellung „Rüsten“ identifizieren, Zeit und Mittel zur Verfügung stellen und die Ziele messbar formulieren (z. B. drei Rüstzeit-Optimierungsworkshops an Maschine 4711mit dem Ziel 30 % Reduktion der Maschinenstillstandszeit)
  • Rüstprozess:
Definition und Abgrenzung des Rüstprozesses i. d. R. als Zeitspanne zwischen dem letzten Teil des Altauftrages bis zum ersten Gutteil des Neuauftrages. Diese „Maschinenstillstandszeit“ umspannt somit den Abbau, Aufbau, Einfahrprozess und ggfs. den Quialitätsfreigabeprozess
  • Werkstücke:
Einflussnahme der Konstruktion und Marketing auf den Rüstprozess (z. B. Hinterfragen von „Design-Elementen“ ohne Funktion)
  • Rüst- bzw. Arbeitsorganisation
Beobachung und Optimierung des Rüstprozesses und der Arbeitsorganisation mit dem Ziel von der Verlagerung von Zeitanteilen nach extenes Rüsten, paralleles Arbeiten und Optimierung nach dem Leitbild „der Chirurg bei der Operation“.
  • Werkzeuge und Vorrichtungen
Einflussnahme auf Werkzeug- und Vorrichungsbau (z. B. Verwendung von gleichartigen Steckverbindungen, Aufbau von Werkzeugen als „Set“ mit Quick-Change-Vorrichtung)
  • Umsetzungsmanagement
Aufbau eines Projektmanagements mit Maßnahmenformulierung und Kontrolle des Umsetzungsfortschritts
  • Sollablauf / Standardablauf
Erarbeitung eines standardisierten und trainierbaren Sollablaufes des Rüstprozesses
  • Schulung und Visualisierung
Ausbildung von Traineren, Schulung der Mitarbeiter und Visualisierung der Ergebnisse


Definitionen[6]

  • Interne Rüstzeit:
Zeitanteile des Rüstens, die nur bei stillstehender Maschine erledigt werden können
  • Externe Rüstzeit
Zeitanteile des Rüstens, die auch bei laufender Maschine erledigt werden können.


Methoden

Die unterschiedlichen Schwerpunkte der Rüstzeitreduktion können gruppiert werden nach:

  • Methoden, die vom Werkstück ausgehen
  • Methoden, die von der Arbeitsorganisation ausgehen
  • Methoden, die vom Prozess ausgehen


Vier-Stufen-Modell zur Rüstzeitreduktion

Rüstzeiten können am Besten direkt vor Ort an der Maschine / Anlage optimiert werden. Es bietet sich an, den Rüstprozess mit Video zu filmen (ggf. mit Genehmigung des Betriebsrates) und im Nachgang den beobachteten Prozess mit dem „Vier-Stufen-Modell“ zu diskutieren. Das Vier-Stufen-Modell ist unterteilt in:

  • Trennen von interner und externer Rüstzeit:
Identifikation und Einteilung der einzelnen Rüstblöcke in internes und externes Rüsten, bzw. Hinterfragen, für welche Tätigkeiten die Maschine im Betrieb sein muss und für welche Tätigkeiten nicht.
  • Verlagern von internes in externes Rüsten:
Klärung der Verlagerbarkeit der noch internen Rüstzeit nach externes Rüsten (z. B. Ver- und Entsorgung von Werkzeugen, Holen von Werkzeugwagen, Warten auf Qualitätskontrolle, …)
  • Reduktion der internen Rüstzeit
Systematisches reduzieren der verbleibenden internen Rüstzeit z. B. mit LCIA-Konzepten (Low Cost Intelligent Automation)[7]
  • Reduktion der externen Rüstzeit
Systematisches reduzieren der restlichen externen Rüstzeit

Siehe auch

Quellen und Einzelnachweise

  1. REFA: Methodenlehre des Arbeitsstudiums: Teil 1: Grundlagen – 7. Auflage, 211–230 Tsd. 1984, ISBN 3-446-14234-7
  2. a b REFA (1984) Methodenlehre des Arbeitsstudiums, Teil 2 Datenermittlung, Carl Hanser Verlag; ISBN 3-446-12704-6
  3. Wallace J. Hopp, Mark L. Spearman (2000) Factory Physics: foundations of manufacturing management; 2nd ed., McGraw-Hill Higher Education; ISBN 0-256-24795-1
  4. K. Andler (1929) Rationalisierung der Fabrikation und optimale Losgrösse, München, R. Oldenbourg
  5. Taiichi Ohno (1988) Toyota Production System: Beyond Large-Scale Production. Cambridge, MA:, Productivity Press (translation of Toyota seisan hoshiki, Tokyo: Diamond, 1978)
  6. Torsten Becker: Prozesse in Produktion und Supply Chain optimieren, Springer Verlag 2008,S. 90.,ISBN 3-540-77555-2
  7. Hitoshi Takeda: LCIA-Low Cost Intelligent Automation, Redline Wirtschaft 2004,ISBN 3-636-03025-6

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