SS Vestris

SS Vestris
VESTRIS
Technische Daten
Flagge: Vereinigtes Königreich Vereinigtes Königreich
Schiffstyp: Passagierschiff
Bauwerft: Workman Clark & Co. Ltd., Belfast, Nordirland
Reederei: Lamport & Holt Line
Heimathafen: Liverpool
Einsatzzweck: Linienverkehr
Schiffsvermessung: 10.494 BRT
Länge: 151,2 m
Breite: 18,3 m
Antrieb: Vierzylindrige Vierfach-
expansionsdampfmaschinen
Schrauben: 2
Schornsteine: 1
Masten: 2
Geschwindigkeit: 15 kn (27,8 km/h)
Passagiere: 280 Erste Klasse
130 Zweite Klasse
200 Dritte Klasse
Besatzung: 250
Kiellegung: ?
Stapellauf: 16. Mai 1912
Jungfernfahrt: 19. September 1912
Letzte Fahrt: 10. November 1928

Das Dampfschiff Vestris war ein Passagierschiff der Lamport & Holt Line, einer 1845 gegründeten britischen Reederei, deren Linienschiffe Passagiere, Fracht und Post von Liverpool nach New York, Brasilien und Río de la Plata transportierte. Die Vestris wurde 1912 in Dienst gestellt und bediente vor dem Krieg die Route Liverpool–New York. Im November 1928 geriet das Schiff auf dem Nordatlantik in einen schweren Sturm und sank. 112 Menschen kamen ums Leben.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die SS Vestris war das dritte einer neuen Reihe von Schwesterschiffen, die die in London sitzende Dampfschifffahrtsgesellschaft Lamport & Holt Line für ihren transatlantischen Linienverkehr zwischen New York und Südamerika bauen ließ. Ihre Schwesterschiffe waren die SS Vandyck und die SS Vauban. Am 19. September 1912 legte die Vestris zu ihrer Jungfernfahrt von Liverpool nach Río de la Plata ab. Am 26. Oktober 1912 absolvierte sie ihre erste Fahrt von Liverpool nach New York. Auf dieser Strecke wurde das Schiff bis 1914 eingesetzt. Nach dem Krieg lief die Vestris südamerikanische Häfen an.

Während des Ersten Weltkriegs transportierte die Vestris medizinisches Pflegepersonal wie Ärzte und Krankenschwestern von den Vereinigten Staaten nach Frankreich. Am 16. Januar 1918 entging sie dabei im Ärmelkanal nur knapp der Torpedierung durch ein deutsches U-Boot. 1919 wurde sie von der Cunard Line für insgesamt sechs Fahrten zwischen Buenos Aires, Liverpool und New York gechartert. Im August 1919 brach in einem ihrer Kohlenbunker Feuer aus und die Vestris musste nach St. Lucia (Kleine Antillen) geschleppt werden. Personenschaden gab es nicht. 1922 stand sie vorübergehend im Dienst von Royal Mail.

Da die Vestris regelmäßig Gold im Wert von mehreren Millionen US-Dollar von US-amerikanischen und argentinischen Banken transportierte, bekam sie von der Presse den Spitznamen „Goldschiff“ verliehen.

Im November 1928 befand sich der Ozeandampfer in einem Trockendock in Brooklyn, um den Rumpf reinigen und neu anstreichen zu lassen. Als sie das Dock bei starkem Wind verließ, wurde sie gegen ein anderes Schiff gedrückt, was erneut zu einer Beschädigung des Farbanstrichs führte.

Die letzte Fahrt

Abfahrt in New York

Am Sonnabend, dem 10. November 1928 verließ die Vestris New York unter dem Kommando von Kapitän William J. Carey. Sie war auf dem Weg nach Brasilien mit Zwischenstopp auf Barbados. An Bord befanden sich 325 Personen (128 Passagiere und 197 Besatzungsmitglieder).

Zu den bekannteren Passagieren auf dieser Fahrten gehörten unter Anderem:

  • Norman K. Batten, US-amerikanischer Automobilsportler aus Dayton, Ohio (kam ums Leben)
  • dessen Ehefrau, Marion C. Batten (überlebte)
  • Earl F. DeVore, US-amerikanischer Automobilsportler aus Los Angeles (kam ums Leben)
  • W. A. Brownfield, Chefingenieur der Kentucky Rock and Asphalt Company (kam ums Leben)
  • William W. Davies, New Yorker Korrespondent der argentinischen Zeitung La Nación (überlebte)
  • S. S. Koppe aus New York, Präsident der S. S. Koppe Advertising Company (kam ums Leben)
  • H. C. W. Johnstone, Geschäftsführer der Trinidad Leaseholds Ltd. (überlebte)
  • Major Yoshio Inouye, japanischer Konsul in Argentinien (kam ums Leben)
  • James F. Twomey, Qualitätsmanager der Electric Bond and Share Company (überlebte)
  • Carlos A. Quiros, argentinischer Konsul in New York (überlebte)

Zu ihrer Ladung zählte hauptsächlich schweres Gerät wie mehrere dutzend Automobile, Traktoren und Motorräder, aber auch zahlreiche Tonnen Obst. Schon kurz nach dem Auslaufen bemerkten einige Besatzungsmitglieder, dass auf der Steuerbordseite eine Bordluke zum Einladen von Kohlen defekt war und sich nicht richtig schließen ließ. Es entwickelte sich eine leichte Schlagseite nach Steuerbord, da Seewasser in den Rumpf zu laufen begann. Von dieser Schlagseite nahm zunächst niemand Notiz.

Der Sturm

Am darauf folgenden Tag, Sonntag, 11. November 1928, geriet das Schiff in einen Sturm, der noch mehr Wasser in die Kohlenbunker presste und die Schlagseite verstärkte. Nachdem der Chefingenieur den Kapitän vom Zustand der Bunker und der Kesselräume informiert hatte, gab dieser den Befehl, die Ballasttanks zu fluten und das Wasser aus den überfluteten Abteilungen abzupumpen, um das Schiff wieder aufzurichten. Kapitän Carey benachrichtigte seine Vorgesetzten bei der Lamport & Holt Line in London und informierte sie über die Lage, ließ jedoch keinen Notruf senden. Viele Passagiere erkundigten sich nach dem Grund der Schlagseite, erhielten aber keine zufrieden stellende Aussage. Im Verlauf der Nacht wurde der Sturm immer heftiger und die Schlagseite nahm zu.

Untergang und Rettung

Erst am Montag, dem 12. November, um 08.37 Uhr vormittags ließ Kapitän Carey per Funk um Hilfe rufen. Gegen 10 Uhr, als die Schlagseite bereits 30 Grad betrug, wurde mit der Evakuierung des Dampfers begonnen. Aufgrund der Neigung nach Steuerbord war es nicht möglich, die Rettungsboote auf der Backbordseite zu Wasser zu lassen und viele der Boote auf der Steuerbordseite waren wegen der schweren See beschädigt. Nachdem sich ein mit Frauen und Kindern besetztes Rettungsboot überschlagen hatte und die darin befindlichen Passagiere heraus geschleudert worden waren, weigerten sich die meisten Passagiere, ein Rettungsboot zu betreten. Viele hielten sich an der Reling der hoch aus dem Wasser ragenden Backbordseite fest und gingen mit dem Schiff unter. Mindestens drei weitere Boote kenterten und warfen ihre Insassen in die See.

Um 13.00 Uhr brach das wasserdichte Schott, das die Kohlenbunker der Vestris vom Maschinenraum trennte. Bevor alle Rettungsboote gefiert werden konnten, kenterte die Vestris um etwa 14.30 Uhr Ortszeit etwa 250 Meilen östlich der Hampton Roads vor der Küste von Virginia. Das Schiff sank in recht milden Golfstromgewässern, in denen es Haie gibt. Viele im Wasser treibende Passagiere wurden von Haien angegriffen und getötet; später wurden mehrere von Haien schwer zugerichtete Leichen geborgen.

Von den 325 Menschen an Bord kamen 112 ums Leben (67 Passagiere und 45 Besatzungsmitglieder, darunter Kapitän Carey). Keines der 13 Kinder und nur 8 der 33 Frauen an Bord überlebten die Katastrophe. Die Überlebenden wurden von der American Skipper der United States Lines, der Berlin des Norddeutschen Lloyd, dem Schlachtschiff USS Wyoming der United States Navy und dem französischen Passagierdampfer Myriam gerettet. Ein Teil wurde nach New York gebracht, ein anderer nach Norfolk (Virginia).

Konsequenzen

Der Untergang der Vestris in Verbindung mit der daraus resultierenden Kritik an der Sicherheit des Schiffs und seiner Besatzung sowie der schlechten Presse sorgte dafür, dass die Buchungen langfristig zurück gingen und die Lamport & Holt Line, die bereits aufgrund der Weltwirtschaftskrise schwer angeschlagen war, ihren Passagierverkehr stark reduzieren und viele ihrer Schiffe aus dem Verkehr ziehen musste. 1936 stellte die Reederei ihren Dienst endgültig ein.

Besonders kritisiert wurde der Zustand der Schwimmwesten. Viele der Rettungskräfte sagten nach dem Unglück aus, dass sie zahlreiche Tote mit dem Gesicht nach unten treibend gefunden hatten, obwohl sie die damals üblichen Korkschwimmwesten trugen. Dies führte dazu, dass 1929 auf einer Tagung der International Convention for Safety of Life at Sea die Einführung von moderneren Schwimmwesten aus zuverlässigerem Material wie Kapok auf Handelsschiffen beschlossen wurde.

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