Sandschak (Serbien und Montenegro)

Sandschak (Serbien und Montenegro)
Verbreitung von Bosniaken und slawischen Muslimen im Sandschak

Der Sandschak Novi Pazar (serbische Kurzform Sandžak, Санџак) ist eine historische Region in Südosteuropa, die heute im Nordosten Montenegros und im Südwesten Serbiens (u.a. teilweise im Kosovo) liegt.

Inhaltsverzeichnis

Namensherkunft und Ausdehnung

Es handelt sich um ein islamisch geprägtes Gebiet zwischen Zentralserbien und Montenegro und bildet somit eine „Brücke“ zwischen den Moslems von Bosnien und Herzegowina und denen im Kosovo.

Der seit Mitte des 19. Jahrhundert im allgemeinen politischen Sprachgebrauch übliche Name Sandschak Novi Pazar basiert auf der damaligen Verwaltungsgliederung des Osmanischen Reiches, zu dem das Gebiet bis zum Londoner Vertrag (1913) gehörte. Er setzt sich aus dem aus der türkischen Verwaltungssprache stammenden Begriff Sandschak (Bezeichnung einer Verwaltungseinheit) und dem Ortsnamen Novi Pazar zusammen, dem Hauptort des damaligen Sandschaks der osmanischer Zeit.

Von einem Bezirk und einer Hauptstadt im politischen Sinn konnte danach nicht mehr die Rede sein, da die Region 1913 zwischen den damaligen Königreichen Serbien und Montenegro aufgeteilt wurde und seitdem keine Verwaltungseinheit mehr darstellt. Trotzdem bezeichnet man das Gebiet als Ganzes noch bis heute als den Sandschak. Auf dem historischen Gebiet des Sandschaks von Novi Pazar liegen heute auf serbischer Seite sechs Großgemeinden (Nova Varoš, Novi Pazar, Priboj, Prijepolje, Sjenica und Tutin). Dieser Teil des Gebietes gehört zu den zentralserbischen Bezirken Raška (Raszien) im südlichen und Zlatibor im nördlichen Teil. Auf der montenegrinischen Seite des Sandschaks liegen ebenfalls sechs Großgemeinden (Berane, Bijelo Polje, Rožaje, Plav, Andrijevica und Pljevlja).

Geschichte

Die früher unter dem Namen Raszien bekannte Landschaft, zu deren Kerngebiet das Gebiet des späteren Sandschaks gehörte, wurde zunächst durch slawische Völker besiedelt, die im 6. Jahrhundert ins heutige Serbien und weiter bis in die Alpen bei Slowenien kamen. Daher nannte man die Serben lange Zeit auch „Raszier“. Der Name selbst geht auf eine römische Siedlung zurück namens Arsa, vielleicht identisch mit Taurisium, dem Geburtsort Kaiser Justinians. Anderen Quellen zufolge nannte sich dieser serbische Stamm „Raszier“ und aus diesem Grunde nannten sie ihr besiedeltes Gebiet „Raszien“. Auch könnte der Stamm der Raszier Namensgeber für das heutige Russland (Rasi) gewesen sein. Unweit von Arsa gründete Kaiser Justinian I. den befestigten Bischofssitz Justiniana Prima, das bald das byzantinische Zentrum im nördlichen Balkan wurde. Das begünstigte möglicherweise, dass Arsa, serbisch Ras genannt, sich zu einem der Zentren frühester serbischer Staatlichkeit und Hauptsitz serbischer Fürsten, der Gespane (serb. und kroat. Župan), entwickelte, obwohl das alte Serbien bis in das 14. Jahrhundert keine ständige Hauptstadt kannte, ähnlich wie das damalige Deutschland oder Ungarn. Der Name übertrug sich dann auf ein größeres Gebiet, und ab dem 12. Jahrhundert wurde es allgemein als Bezeichnung für das zentrale Serbien verstanden. So trugen auch die Nemanjiden, die bedeutendste serbische Dynastie des Mittelalters, offiziell den Titel der Könige Rasziens, der Küstenländer und aller Serben.

Nach der Römerzeit stand die Region unter byzantinischer Hoheit, erlebte jedoch wechselnde Reichsbildungen. Zunächst siedelten die dem altaischen Sprachkreis zugehörenden Awaren im Karpatenbogen und beiderseits der Donau seit dem Jahr 567. Das Awarenreich tangierte Byzanz nach der misslungenen Belagerung Konstantinopels (626) und dem Verlust seiner Oberhoheit über die Südslawen (um 640) nur noch wenig und bestand über 200 Jahre – bis zur Niederlage 803 gegen das Frankenreich. Es blieb großteils außerhalb einer intensiven Berührung mit antiker Kultur, erlebte aber erste Christianisierungen seitens Rom und Byzanz.

Ab dem 5. Jahrhundert begannen Slawen auf die Balkanhalbinsel einzusickern. Anfangs begnügten sie sich mit Plünderungen und kehrten in ihre Gebiete nördlich der byzantinischen Donau-Grenze zurück, wo einige slawische Stämme mit den Awaren im Bunde waren. Andere wiederum zogen es vor, sich südlich der Donau niederzulassen. Um dessen Herr zu werden und einer etwaigen awarischen Südexpansion vorzubeugen, begünstigte Byzanz slawische Stämme und deren Ansiedlung in die Provinzen des Balkan. Diese Slawen sollten die byzantinische Oberhoheit anerkennen und als Föderaten (siehe Franken) die Grenzen schützen. Jahrhunderte später schrieb der byzantinische Kaiser und Historiker Konstantin VII., dass auch die Serben und Kroaten als solche Föderaten ins Reich kamen. Dies wird jedoch von der modernen Geschichtsforschung stark angezweifelt. Jedenfalls, die damit seit 580 n. Chr. entstehende südslawische Wanderungsbewegung reichte vom heutigen Slowenien bis Bulgarien und den Peloponnes. Teile der Zuwanderer nahmen die griechische Kultur an, andere blieben slawisch nach Sprache und Volkstraditionen. Aus ihnen bildeten sich kleinere Reiche unter Oberhoheit von Ostrom, vor allem das seit Mitte des 9. Jahrhunderts selbständige serbische Fürstentum. Es wurde am Ende des 12. Jhts. formell ein Königreich.

Im 14. Jahrhundert umfasste das serbische Reich unter Stefan Uroš IV. Dušan 1331 – 1355 die ganze westliche Balkanhalbinsel: Serbien, Herzegowina, Montenegro, Albanien, Mazedonien und Nordgriechenland sowie Teile der heutigen Staaten Kroatien und Bulgarien.

Die Reiche Raszien und Bosnien wurden durch die osmanischen Eroberungen ab dem 14. Jahrhundert Teil des osmanischen Reiches. Das Kerngebiet Rasziens mitsamt der Stadt Ras (heute Raška) wurde zum Sandschak von Novi Pazar, der 1580–1872 zum Eyalet Bosnien gehörte. Ab 1872 bildete der Sandschak zusammen mit Niš ein eigenes Vilayet, 1877 kam er zum neugeschaffenen Vilayet Kosovo. In der Osmanischen Zeit konvertierte ein Teil der Bevölkerung zum Islam.

Am Berliner Kongress 1878 bekam Österreich-Ungarn das Recht, im Sandschak Truppen zu stationieren. Damit sollte verhindert werden, dass sich Serbien und Montenegro zu einem gemeinsamen südslawischen Staat vereinen. Die Verwaltung des Sandschaks blieb beim Osmanischen Reich. Nach der Annexion Bosniens durch Österreich-Ungarn 1908 verließen die habsburgischen Truppen den Sandschak und Österreich-Ungarn verzichtete gegenüber dem Osmanischen Reich auf jegliche Rechte in diesem Gebiet. Im ersten Balkankrieg 1912 besetzten serbische und montenegrinische Truppen den Sandschak. Er wurde 1913 (Frieden von London) zwischen den beiden Staaten aufgeteilt.

Bosniaken und Muslime

Die Muslime im Sandschak betrachten sich teilweise als Bosniaken, Serben, Montenegriner oder teilweise als Muslime (im nationalen Sinne). Die Eigenbezeichnung als Bosniaken anstelle des jugoslawisch geprägten Begriffs der „Muslime im nationalen Sinne“ aber wurde erst nach den Jugoslawienkriegen populär, während die bosnischen Bosniaken schon zu Beginn des Bosnienkrieges diese Eigenbezeichnung bevorzugten.

Trotz teilweise großer Abwanderung, Vertreibung und Flucht sowohl im frühen 20. Jahrhundert als auch während des Balkankonflikts in den 1990er Jahren stellen die Muslime oder Bosniaken noch heute einen großen Bevölkerungsteil.

Bevölkerung

Laut einer Volkszählung in Serbien und Montenegro im Jahre 2002 und 2003 lebten im Gebiet des Sandschaks von Novi Pazar insgesamt 426.044 Menschen. Insgesamt entfielen etwa 60 % des Sandschak und seiner Einwohner auf Serbien, 40 % auf Montenegro. Im serbischen Teil belief sich die Bevölkerungszahl auf 235.567, während im montenegrinischen Teil 190.477 Menschen lebten. Im folgenden werden die größten ethnischen Gruppen und ihre Zahl genannt:

Ethnische Gruppen im Sandschak:

Ethnische Gruppen im serbischen Teil des Sandschak:

Ethnische Gruppen im montenegrinischen Teil des Sandschak:

Die Großgemeinden mit dem höchsten bosniakischen/muslimischen Bevölkerungsanteil sind Novi Pazar (78,13 %), Tutin (94,97 %), Sjenica (75,69 %) und Rožaje (88,74 %).

Die Großgemeinden mit dem höchsten serbischen Bevölkerungsanteil sind Priboj (74,15 %), Nova Varoš (90,09 %) und Andrijevica (69,61 %).

Die Identität der Muslime im Sandschak ist nicht einheitlich, so lassen sich die Muslime als Bosniaken, Muslime (im nationalen Sinne) oder teilweise als Serben oder Montenegriner registrieren.

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