Schloss Grafeneck

Schloss Grafeneck
Grafeneck

In der NS-Tötungsanstalt bei Gomadingen (Baden-Württemberg) wurden im Rahmen der Aktion T4 vom nationalsozialistischen Regime 1940 systematisch etwa 10.000 behinderte Menschen, vor allem aus Bayern, Baden und Württemberg getötet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

An der Stelle einer hochmittelalterlichen Burganlage errichteten die Herzöge von Württemberg um 1560 ein Jagdschloss. Herzog Karl Eugen von Württemberg nutzte das Anwesen als Sommerresidenz und erweiterte es in den Jahren 1762 bis 1772 zu einem barocken Schloss mit Opernhaus und zahlreichen Lustbauten. Das Opernhaus wurde später nach Ludwigsburg versetzt, das Schloss gab man auf. Im 19. Jahrhundert wurden einzelne Bauten abgerissen, das Schloss nutzte das Forstamt. 1929 kaufte die Samariterstiftung das Schloss, richtete ein Heim für Behinderte ein und legte 1930 einen eigenen Friedhof an.

Grafeneck im Dritten Reich

Zu Kriegsbeginn 1939 wurde das Heim für die Aktion T4 beschlagnahmt und die Bewohner umgesiedelt. Grafeneck war die erste Anstalt dieser Art, in die eine Gaskammer eingebaut wurde. Die Vergiftungen fanden 1940 in der als Duschraum getarnten so genannten „Garage“ unter Verwendung von Kohlenmonoxid statt. Um den Massenmord unauffälliger durchführen zu können, wurde in Grafeneck ein Krematorium und ein eigenes Standesamt zur Beurkundung der Todesfälle eingerichtet. Nach der Schließung im Dezember 1940 wurde das Personal nach Hadamar verlegt, das Gebäude diente in den folgenden Jahren der Kinderlandverschickung.

Nach dem Krieg wurde das Heim von der französischen Besatzungsbehörde genutzt und 1946/47 wieder an die Samariterstiftung zurückgegeben. Die bei Kriegsbeginn aus Grafeneck vertriebenen behinderten Menschen, die den Krieg überlebten, zogen wieder ins Schloss.

Seit den 1950er und 1960er Jahren wird mit zwei Urnengräbern und einem Gedenkort auf dem Friedhof mit einer offenen Kapelle an die Morde in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert. 1965 wurde die „Garage“ abgerissen. 1982 entstand ein „Arbeitskreis Euthanasie“, um die Gedenkstätte auszubauen und eine ständige Ausstellung zu ermöglichen, seit Oktober 2005 beherbergt Grafeneck ein Dokumentationszentrum.

Zahl der Opfer

Nach der so genannten Hartheimer Statistik wurden in der Tötungsanstalt Grafeneck in den zwölf Monaten zwischen Januar und Dezember 1940 insgesamt 9.839 Menschen in einer Gaskammer ermordet:

Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Summe
95 234 500 410 1.119 1.300 1.262 1.411 1.228 761 971 548 9.839

(Quelle: Hartheimer Statistik, gedr. in: Ernst Klee, Dokumente, Dok. 87, S. 232)

Tötungsärzte

Die T4-Organisatoren Viktor Brack und Karl Brandt ordneten an, dass die Tötung der Kranken ausschließlich durch das ärztliche Personal erfolgen durfte, da sich das Ermächtigungsschreiben Hitlers vom 1. September 1939 nur auf Ärzte bezog. Die Bedienung des Gashahns war somit Aufgabe der Vergasungsärzte in den Tötungsanstalten. Allerdings kam es im Laufe der Aktion auch vor, dass bei Abwesenheit der Ärzte oder aus sonstigen Gründen der Gashahn auch vom nichtärztlichen Personal bedient wurde. Alle Ärzte traten im Schriftverkehr nach außen nicht mit ihrem richtigen Namen auf, sondern verwendeten Tarnnamen. In Grafeneck waren als Tötungsärzte tätig:

  • Leiter: Horst Schumann („Dr. Klein“): Januar 1940 bis Juni 1940
  • Stellvertreter: Ernst Baumhard („Dr. Jäger“): Januar 1940 bis April 1940, von da ab leitender Arzt bis Dezember 1940
  • Stellvertreter: Günther Hennecke: 25. April 1940 bis Dezember 1940

Literatur

  • Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-10-039303-1. – Standardwerk bis heute mit vielen Informationen über Grafeneck.
  • Karl Morlok: Wo bringt ihr uns hin? Geheime Reichssache Grafeneck, Stuttgart 1985. – Erste kleine Monographie.
  • Ernst Klee (Hg.): Dokumente zur „Euthanasie“. Fischer Taschenbuch Verlag Nr. 4327, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-596-24327-0. – Gute Dokumentensammlung.
  • Klaus-Peter Drechsel: Beurteilt Vermessen Ermordet. Praxis der Euthanasie bis zum Ende des deutschen Faschismus. Duisburg 1993, ISBN 3-927388-37-8.
  • Roland Müller u. a.: Krankenmord im Nationalsozialismus – Grafeneck und die „Euthanasie“ in Südwestdeutschland. Stuttgart: Archiv der Stadt Stuttgart, Hohenheim Verlag. 2001. 150 Seiten. ISBN 3-89850-971-0.
  • Henry Friedlander: Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung. Berlin Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-8270-0265-6. – Ergänzung zu Klee. Gestützt im wesentlichen auf Akten aus Ermittlungsverfahren und Prozessen, wird der enge Zusammenhang zwischen dem Krankenmord und dem Mord an den Juden in der „Aktion Reinhardt“ herausgearbeitet.
  • Thomas Stöckle: Grafeneck 1940. Die Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland, Tübingen 2002, Silberburg-Verlag, ISBN 3-87407-507-9
  • Werner Blesch, Konrad Kaiser u. a.: Uns wollen sie auf die Seite schaffen. Deportation und Ermordung von 262 behinderten Menschen der Johannesanstalten Mosbach und Schwarzach in den Jahren 1940 und 1944 In: Mosbach im Dritten Reich. Heft 2, Mosbach 1993. Im Selbstverlag zu beziehen bei der Stadtverwaltung, Rathaus, 74821 Mosbach
  • Hans-Werner Scheuing: „…als Menschenleben gegen Sachwerte gewogen wurden.“ Die Anstalt Mosbach im Dritten Reich und die Euthanasie-Diskussion heute. 2. Auflage. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2004 ISBN 3-8253-1607-6. Zu den Johannes-Anstalten Mosbach

Weitere Literaturhinweise siehe im Hauptartikel: Die Euthanasiemorde in der NS-Zeit oder Aktion T4

Weblinks

48.39259.42927222222227Koordinaten: 48° 23′ 33″ N, 9° 25′ 45″ O


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