68er Kommune

68er Kommune

Kommunen sind Lebensgemeinschaften nicht miteinander verwandter Menschen, die insbesondere in und in der Nachfolge der 68er-Bewegung (speziell der so genannten Kommune I) gegründet wurden. Die meisten dieser Kommunen fußen auf den gleichen Grundsätzen:

Kommune Waltershausen
  • Gemeinsame Ökonomie,
  • Konsensprinzip,
  • keine Hierarchie,
  • ökologisches Leben.

Aus diesen teilweise politischen und ideologischen Lebensgemeinschaften entwickelten sich die Wohngemeinschaften, die von den Grundsätzen sich nur auf das gemeinsame Zusammenleben beschränken, also nur das interne Leben der Bewohner regulieren, aber nicht zwingend Persönlichkeitsmerkmale der Bewohner indizieren.

Inhaltsverzeichnis

Grundsätze

Gemeinsame Ökonomie

Gemeinsame Ökonomie bedeutet, dass das Wirtschaften in der Kommune nicht hierarchisch organisiert ist, sondern gemeinschaftlich selbst bestimmt wird. Das bedeutet auf der Seite der Produktion die Verständigung über die Arbeitszeit, die Produktionsweise bzw. das Dienstleistungsangebot und die Qualifizierung der Arbeitenden und auf Seiten der Konsumption eine Verständigung über Konsum und Bedürfnisse, darüber, wie Bedürfnisse zustande kommen und welche Auswirkungen die Befriedigung der Bedürfnisse hat. Dabei geht es um die teilweise bis völlige Aufgabe von Privateigentum zu Gunsten von Gemeinschaftseigentum (teilweise bzw. vollständige gemeinsame Ökonomie bzw. Unterscheidung zwischen Alltags- und Vermögensökonomie), weswegen der in diesem Zusammenhang oft gebrauchte Begriff der "gemeinsamen Kasse" daher zu kurz greift: Die gemeinsame Kasse ist nur ein organisatorisches Hilfsmittel zu Umsetzung dieses Grundsatzes - alle Einnahmen (Verkaufsgewinne, Honorare, Geschenke, Erbschaften, usw.) gehen in die Kasse, alle Ausgaben (Einkäufe, Neuanschaffungen, usw.) werden aus ihr getätigt. Meist bleibt den einzelnen Mitgliedern die Möglichkeit, kleinere Anschaffungen "für sich" zu tätigen. In manchen Kommunen gibt es hierfür die Taschengeldregelung, bei der jedem Kommunarden monatlich der gleiche Betrag (z. B. 50,- EUR) zur Verfügung gestellt wird; oft jedoch herrscht das Bedürfnisprinzip, das heißt, jeder entscheidet selbst über eigene Anschaffungen und nimmt sich den benötigten Betrag aus der Kasse. Jedoch müssen größere Ausgaben und Anschaffungen, welche die Gruppe betreffen, von allen entschieden werden.

Konsensprinzip

Alle Entscheidungen in einer Kommune werden nach dem Konsensprinzip getroffen, d. h. im Plenum werden alle anstehenden Entscheidungen (z. B. Einkäufe, Neuaufnahmen, usw.) zunächst diskutiert und - falls niemand ablehnt (also Veto einlegt) - von allen mitgetragen. Das bedeutet nicht, dass alle einer Meinung sein müssen; so können Entscheidungen auch auf vorläufiger Basis getroffen werden und später erneut diskutiert werden.
Der Vorteil des Konsensprinzips besteht darin, dass die Stimme jedes einzelnen großes Gewicht hat und gehört werden muss, was sich positiv auf die Diskussionskultur auswirkt. Der Nachteil ist in den sehr zeitaufwendigen Diskussionsprozessen zu sehen.

Keine Hierarchie

Das Konsensprinzip wird auf Grund der gleichberechtigten Beteiligung aller als Mittel zum Abbau von Hierarchie verstanden.
In einer Kommune wird viel Wert darauf gelegt, Strukturen zu schaffen, die allseitige Information ermöglichen (Zettelkasten, durchdachte Ablagesysteme, regelmäßige gemeinsame Teepausen, usw.). Es wird hierdurch versucht, einem hierarchischen Kommunikationsfluss von oben nach unten (also vom Chef zum Angestellten) entgegenzuwirken, dessen Informationsgehalt immer mehr abnimmt.

Ökologisches Leben

Allein aufgrund der gemeinsamen Haushaltsführung ist das Leben in Kommunen in der Regel ressourcenschonender als in Kleinfamilien.
Viele Kommunen sind in dem Bestreben um ein umweltgerechteres Leben auf dem Land entstanden, in den Stadtkommunen hingegen spielt das Thema Ökologie meist eine weniger bedeutsame Rolle.

Wirtschaften in den Kommunen

In den Landkommunen wird meist versucht, die benötigten Nahrungsmittel selbst im landwirtschaftlichen Betrieb zu produzieren, also Subsistenzwirtschaft (Selbstversorgung) zu betreiben. Spätestens beim Erwerb anderer Güter wie Produktionsmittel sind sie jedoch wie die Stadtkommunen ebenfalls auf Geld angewiesen. Dieses wird auf sehr unterschiedliche Weise eingenommen: Viele Kommunen haben den Anspruch, ihr Geld mit der Herstellung und dem Angebot sozial und ökologisch verträglicher Produkte und Dienstleistungen zu verdienen.

Man findet daher häufig Handwerksbetriebe (z. B. Schreinerei, Baufirma, Steinmetzwerkstatt, Backstube, Stoffdruckerei, usw.), sehr oft existiert auch ein Raum oder Gebäude, in welchem Mitglieder Seminare abhalten oder die für Tagungen zur Verfügung gestellt werden. In anderen Kommunen (oft spiritueller oder therapeutischer Art) wird auf die Grundsätze wie oben beschrieben nicht so viel Wert gelegt. Hier trifft man auch auf für Kommunen eher ungewöhnliche Formen des Gelderwerbs wie der Betrieb von Diskotheken oder den Handel von Immobilien.

Die Frage wer wann, was und wie viel, bzw. wie lange arbeitet wird in den verschiedenen Kommunen außerordentlich unterschiedlich gehandhabt. Allgemein kann jedoch gesagt werden, dass der Lebensunterhalt nach dem sozialistischen Prinzip bestritten wird, d.h. dass alle das an Arbeit leisten, was sie können, und das zum Leben bekommen, was sie brauchen.

Geschichte der Kommune-Idee

Kommunen können auf eine lange Geschichte zurückblicken. Als Beispiel sei hier die im 16. Jahrhundert entstandene deutsche Sekte der Hutterer genannt, die heute vorwiegend in Nordamerika anzutreffen ist. Ihre Mitglieder wohnen auf Höfen (ca. 60 bis 80 Personen), außer Kleidung und Schreibutensilien besitzt niemand Privateigentum, sie leben von der Außenwelt relativ isoliert.

Mit der zunehmenden Industrialisierung entstand um die Jahrhundertwende eine Reihe von lebensreformerischen, anarchistischen und anthroposophischen Landkommunen mit dem Ziel, "die alte Einheit von Mensch und Natur zu erneuern". Durch den Faschismus wurden sie später entweder zerschlagen oder eingegliedert.

In den 1860er Jahren wurden im zaristischen Russland nach der Veröffentlichung von Tschernyschewskis Roman Was tun? neue Formen des Zusammenlebens populär. Unter anderem bildete sich damals Das Mächtige Häuflein, eine Gruppe fünf russischer Komponisten. - In der jungen Sowjetunion wurden Kommunehäuser gegründet, in denen die Hausarbeit gemeinschaftlich erbracht wurde und die daher einen wesentlichen Beitrag zur Emanzipation der Frau leistete. Mit der Restauration eher traditioneller Werte im Stalinismus verschwanden allmählich die Kommunehäuser wieder oder wurden durch Überbelegung ihres ursprünglichen Sinnes beraubt.

Geschichte der Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland

Auf breiter Basis wurde der Kommunegedanke erst wieder in der 68er-Bewegung aufgegriffen. Nach der Jahresdelegiertenversammlung des SDS 1966 wurde von einer Gruppe von ca. 25 bis 30 Genossinnen und Genossen die Gründung von Kommunen angeregt.

Die erste - und auch bekannteste - Kommune war die Anfang 1967 in West-Berlin gegründete K1 (sie selbst bezeichneten sich als "Lebensgemeinschaft junger Maoisten"). Viele ihrer Mitglieder waren oder wurden zu Idolen der Bewegung (z. B. Rainer Langhans, Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel), und auch die (in der Szene missbilligte) Beziehung zwischen Langhans und dem bekannten Model Uschi Obermaier verschaffte zusätzliche Publizität. Zunächst war das Ziel der Kommunegründung die eigene Psychoanalysierung, doch dann rückten zunehmend nach außen gerichtete provokante Aktionen in den Mittelpunkt. Diese wurden von der Presse dankbar aufgegriffen und verschafften der K1 die gewünschte Öffentlichkeit.

Kurz nach der K1 wurde die Kommune 2 (K2 oder auch SDS-Kommune) gegründet. Hier stand die gemeinsame politische Arbeit im Vordergrund, später beschäftigte sie sich hauptsächlich mit den psychischen und neurotischen Problemen der Gruppenangehörigen, mit Beziehungen und Gruppendynamik.
Das Ziel der K2 war ebenfalls die eigene Psychoanalysierung und die Befreiung von der bürgerlich-verklemmten Sexualität. Die im Vergleich zur K1 weit weniger exzentrische Kommune hatte großen Anteil an der Entwicklung der antiautoritären Erziehung und am Aufbau von Kinderläden.

Die K3 schließlich wurde im März 1970 in Wolfsburg gegründet und durch die Festnahme ihrer Mitglieder wegen der Begehung von Straftaten im Juni 1971 von der Polizei aufgelöst (siehe auch: Ilse Schwipper). Die Kommune hatte sich die Kulturrevolution zum Hauptziel gesetzt.

An diesen Beispielen lassen sich recht deutlich die unterschiedlichen Herangehensweisen der Kommunen zeigen. Die einen machten zunächst die Behandlung der psychischen Probleme der Mitglieder zu ihrer vordringlichen Aufgabe, die anderen glaubten, dass die psychischen Schwierigkeiten nur in gemeinsamer politischer Arbeit überwunden werden können.

In den 1970ern setzten nach den politischen Stadtkommunen mehrere unterschiedliche Bewegungen ein. Die drei bedeutsamsten waren:

  • Die neu gegründeten Kollektive, viele tausend kleine Betriebe, in denen versucht wurde selbstbestimmt und gleichberechtigt zu arbeiten.
  • Die Gründung von Landkommunen, die etwa um 1975 einsetzte. Die Größe lag damals bei 10 bis 30 Personen.
  • Und schließlich setzte in den '70ern auch die Hausbesetzer-Bewegung ein. Bekanntestes Beispiel hierfür ist wohl die Hamburger Hafenstraße.

Seit Mitte der 1990er Jahre existiert in Deutschland ein loser Verband von Land- und Stadtkommunen, die mehrmals jährlich das Magazin "Kommuja" herausbringen, deren Redaktion von Ausgabe zu Ausgabe wechselt. Zudem findet einmal jährlich im Sommer ein gemeinsames Treffen dieser Kommunen statt. Dort wird unter anderem die Kommune-Info-Tour geplant, an der Kommunarden und Kommunardinnen verschiedener Kommunen beteiligt sind.

Das jährliche Treffen Los gehts dient zur Initiierung (Aufnahme neuer Mitglieder) bzw. seit 2007 erstmals der Werbung von Interessierten für bereits bestehende Kommunen.

Verwandte Themen

Literatur

  • Kollektiv KommuneBuch: Das Kommune Buch. Alltag zwischen Widerstand, Anpassung und gelebter Utopie, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1996 ISBN 3-89533-162-7
  • Buch: "eurotopia. Verzeichnis europäischer Gemeinschaften und Ökodörfer" (Silke Hagmaier, Martin Stengel, Michael Würfel), ISBN 3-00-005906-7, http://www.eurotopia.de
  • "Contraste" - Monatszeitung für Selbstorganisation. ISSN 0178-5737
  • Bernd Drücke (Hg.): ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche, Karin Kramer Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-87956-307-1, (insbesondere: Jede Kommune ist anders. Ein Küchentischgespräch mit Uwe Kurzbein (Kommune Olgashof), S. 247 ff.)

Weblinks


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