Die deutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre

Die deutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre

Die deutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre war eine vielschichtige politische Bewegung, die die "herrschenden Verhältnisse" in der Bundesrepublik der 1950er und 60er Jahre radikal kritisierte und bekämpfte. Sie war Teil der von den USA ausgehenden Internationalen Studentenbewegung, aber auch von der Frankfurter Schule inspiriert. Ihr Selbstverständnis war zunächst emanzipatorisch, größtenteils antiautoritär gegen die "Herrschaft von Menschen über Menschen" gerichtet. Überwiegend herrschten antikapitalistische Einstellungen vor. Es gab dabei entschiedene Ablehnung kommunistischer Systeme, aber teilweise auch Sympathie. Weitere wesentliche Momente waren die Ablehnung der in der westdeutschen Bundesrepublik übergangslos in Machtpositionen verharrenden „Generation der Täter“ des so genannten Dritten Reiches und die Überwindung der "prüde-bigotten" Sexualmoral der fünfziger Jahre.

Die deutsche Studentenbewegung ist eng mit der deutschen Geschichte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Obwohl es Parallelen zu den Bewegungen anderer Länder gibt, bezog sie sich auf die deutsche Situation. Dies betrifft insbesondere die Kritik an der Verarbeitung der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit, die einen maßgeblichen Anteil an Entstehung, Verbreitung und Zielrichtung der deutschen Studentenbewegung hatte. In den USA spielte hingegen der Antifaschismus und die Kritik am Kapitalismus keine, die antirassistische Bürgerrechtsbewegung hingegen eine sehr wichtige Rolle. Das Spezifikum in Frankreich war die große Beteiligung von Arbeitern an der Revolte des Mai 1968.

Als Beginn der deutschen Studentenbewegung gilt das Jahr 1961, in dem der Sozialistische Deutsche Studentenbund aus der SPD ausgeschlossen wurde. Die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 und das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 führten zu einer verstärkten Militanz und darauf folgend zu einer Radikalisierung von Teilen der Bewegung, die sich ab dem Beginn der 1970er Jahre dem bewaffneten Kampf zuwandten (zum Beispiel die Bewegung 2. Juni und die Rote Armee Fraktion). Aber schon seit 1969 war die Studentenbewegung in sich gegenseitig bekämpfende Splittergruppen und Richtungen zerfallen. Zu diesem Zeitpunkt war außerdem, im Zuge eines tendenziell postmaterialistischen, als emanzipatorisch aufgefassten generellen Wertewandels in der deutschen Gesellschaft aus einer reinen Studentenbewegung bereits eine auch andere Bevölkerungskreise umfassende Bewegung geworden, die nach der Bildung der Großen Koalition von 1966 als Außerparlamentarische Opposition hervortrat, deren Radikalität allerdings weit über den allgemeinen Wertewandel hinausging und daher nicht zur Solidarisierung einer Bevölkerungsmehrheit führen konnte.

Inhaltsverzeichnis

Kurzfassung

Die Studentenbewegung der USA, Frankreichs und anderer westeuropäischer Staaten mit Ausstrahlung bis zur Türkei, erreichte ihren Höhepunkt in der 68er-Bewegung.

Keimzellen der Studentenbewegung in Deutschland waren an zahlreichen Universitäten bemerkbar, auffällig war die 1963 gegründete Gruppe Subversive Aktion oder die Kommune I. Ab 1966/1967 entstand, verursacht durch die Restauration der Nachkriegs-Fünfziger-Jahre und die Große Koalition (ohne eine einflussreiche Opposition innerhalb des Bundestages), unter der Führung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) die außerparlamentarische Opposition (APO).

Ein entscheidender, große Teile der Studentenschaft mobilisierender Faktor für die außerparlamentarische Opposition war die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien (Mohammad Reza Pahlavi), der sich auf Staatsbesuch in Berlin befand. Die Boulevardpresse, vor allem die Bild-Zeitung, verschärfte die Gegensätze durch eine polarisierende Berichterstattung.

Am 11. April 1968 wurde der Studentenführer Rudi Dutschke bei einem Attentat lebensgefährlich verletzt. Daraufhin fanden in zahlreichen deutschen Städten Protestdemonstrationen statt, die sich teilweise zu bürgerkriegsähnlichen Straßenschlachten mit der Polizei entwickelten. Bei diesen Osterunruhen wurden zwei Menschen in München getötet und bundesweit etwa 400 Menschen verletzt. Das Attentat auf Dutschke und die Ereignisse des Pariser Mai verstärkten die beginnende Radikalisierung der Bewegung, die sich gleichzeitig immer mehr aufsplitterte.

Als eine Folge der 68er-Bewegung gründete sich um Andreas Baader und Ulrike Meinhof die terroristische Rote Armee Fraktion (RAF). Große Teile der Bewegung wandten sich dagegen der SPD unter Willy Brandt zu. Auch Die Grünen und weitere Bürgerrechtsbewegungen wie die Schwulenbewegung können als späte Folge der 68er-Bewegung gedeutet werden (vgl. auch Neue soziale Bewegungen). Dabei verfügen jedoch der Umweltschutz, der Tierschutz, die Frauenbewegung und andere gesellschaftliche Tendenzen über Traditionen, die teilweise weit in das Kaiserreich hineinreichen und somit keine originären Beiträge der Sechziger Jahre sind.

Internationale Studentenbewegung

Anfänge

J. D. Salinger schrieb 1951 das Buch Der Fänger im Roggen, John Lennon sang 1968 über die Revolution. Dazwischen gab es gesellschaftliche Veränderungen, deren politische, kulturelle und soziologische Aspekte eng zusammenhängen.

Nach dem Krieg war vor allem in Westeuropa eine Periode des Wiederaufbaus und ab Anfang der 1950er Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs und Wohlstands angebrochen. Dabei wurden die Verbrechen des Nationalsozialismus in Deutschland größtenteils verdrängt.

International strebten Teile der jüngeren Generationen aber zunehmend nach Idealen, die über eine materielle Versorgung hinausgingen.

In den 1950er Jahren wurde die Philosophie des Existentialismus in Europa populär – vor allem vertreten durch Jean-Paul Sartre, dessen Vordenker bereits in den beiden Jahrzehnten davor aufgetreten waren.

Hier kündigte sich ein neues Denken an, das vormaligen Sinnstiftungen wie der Religion eine Absage erteilte. Im Mittelpunkt stand der Einzelne in einer unübersichtlichen, sinnlosen Welt. Sinn war etwas, das erst vom Menschen selbst, z. B. durch Gestaltung seines Lebens und, gemeinsam mit anderen, als Gestaltung der Gesellschaft, geschaffen wurde.

In den USA entwarf die Beat Generation mit Literaten wie Jack Kerouac, William S. Burroughs oder Allen Ginsberg ab Ende der 1940er Jahre ihre Sicht auf die Nachkriegsgesellschaft, die ebenfalls eine neue, individuelle Freiheit abseits gesellschaftlicher Normen propagierte.

Diese Zeit war auch sonst kulturell von Umbrüchen geprägt, so beispielsweise in der Kunst (vgl. z. B. Joseph Beuys, Fluxus, Pop-Art), aber auch in Popkultur und Jugendkultur (etwa Jeans, oder später Schlaghosen und lange Haare bei Jugendlichen). In der Musik nahmen die heutigen Genres Rock und Pop damals als Beatmusik ihren Anfang. In Deutschland stand z. B. der Beat-Club für einen neuen Musikgeschmack der Jugendlichen.

In der Filmkunst entwarfen Regisseure wie Godard oder Rainer Werner Fassbinder die Nouvelle Vague und den Autorenfilm als Reaktion auf das Kino der 1950er Jahre (z.B. Heimatfilm). Auch ihre Werke waren Ausdruck einer veränderten Weltsicht und eines Generationenbruchs (vergl. Oberhausener Manifest).

Höhepunkt und Endphase

Aber erst in der Zeit zwischen 1966 und 1969 kulminierte der bisher vage und vereinzelte Protest in den parallelen weltweiten Studentenbewegungen. Diese Bewegungen waren politisch gekennzeichnet durch Zweifel und Kritik an

Weltweit wurde nun gegen das sogenannte „Establishment“ protestiert, gegen Konformismus, gegen die Generation der Eltern und ihre Fortschrittsgläubigkeit, gegen das, was man als Scheinheiligkeit empfand, unter anderem etwa die Politik des damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson und ab 1969 Richard Nixon in den USA, so wie in Deutschland die der großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU).

Der Protest wurde auch selbst zum kulturellen Phänomen, wenn Stars wie Joan Baez bei Demonstrationen des Free Speech Movement sangen, oder Regisseure wie Michelangelo Antonioni der Studentenrevolte filmisch ein Denkmal setzten (Zabriskie Point).

Parallelen

siehe auch: Studentenbewegungen im 20. Jahrhundert

Westen

In vielen westlichen und westlich geprägten Demokratien entstanden in den 60er Jahren ähnliche Studentenbewegungen.

Ostblock

Auch im Ostblock gab es auf den ersten Blick vergleichbare Ereignisse:

  • In Polen kam es im März 1968 zu den Märzunruhen als Reaktion auf das Verbot der Aufführung des Theaterstücks Totenfeier von Adam Mickiewicz und die antizionistische Unterstützung für die arabischen Staaten durch Regierungen des Ostblocks im Sechstage-Krieg.
  • In der damaligen Tschechoslowakei hatten Reformsozialisten, unter ihnen insbesondere Künstler (Plastic People of the Universe), Studenten und Intellektuelle schon länger einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz gefordert, bis es zum Prager Frühling kam, der jedoch sehr schnell gewaltsam niedergeschlagen wurde – vergleichbar mit dem ähnlich motivierten Aufstand in Ungarn 1956.
  • In der Sowjetunion entstand um 1968 eine ähnliche Protestbewegung, allerdings unter schwierigeren Bedingungen mit weniger Einfluss auf die Gesellschaft als in Westeuropa.

China

In der Volksrepublik China kam es ab 1966 zur von Mao Zedong gestarteten Kulturrevolution. Sie war dort offiziell erwünscht, verfolgte andere Ziele, und ist somit nur bedingt vergleichbar, diente aber manchen westlichen Studenten als Vorbild.

Folgen

Insgesamt war es weltweit nicht unbedingt die Mehrheit der Studenten (dafür waren auch Schüler und Arbeitnehmer beteiligt), die demonstrierte, gesellschaftlich nur eine Minderheit, die auch zunächst auf Ablehnung bei der älteren Generation traf, die aber einen sozialen und kulturellen Paradigmenwechsel anstieß, der in den 1970ern dann Mainstream-kompatibel, und somit zu einem Teil des Mainstream wurde (Wertewandel, Mode, Musik, politische Diskurse).

Ähnlich wie die RAF in Deutschland entstanden aber auch in anderen Ländern als Nachwirkung der 68er-Generation Terror-Gruppen wie die Roten Brigaden in Italien, die Japanische Rote Armee oder die Symbionese Liberation Army in den USA.

Vorläufer der Studentenbewegung in Deutschland

Die Geschichte der außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik Deutschland beginnt nicht erst im Jahr 1968. Schon vorher, nach 1958 gab es dazu erste Ansätze („Kampf dem Atomtod“ – gegen eine Aufrüstung der Bundeswehr mit Nuklearwaffen). Die Vorläufer der Studentenbewegung waren durch eine zunehmende Politisierung der Öffentlichkeit und gesellschaftsinterne Gegensätze, insbesondere des sich verschärfenden Generationenkonflikts, geprägt. Doch sind sie personell von den Akteuren der 68er-Zeit zu trennen. Die Forschung ist sich nicht einig, inwiefern die in der Frühzeit der BRD auftretenden Protestformen als Vorläufer der 68er zu sehen seien. Es bestehen ebenso große Kontinuitäten wie Diskontinuitäten. Der größte Unterschied betrifft die weitgehende Abwesenheit von Ideologien in der Zeit vor 1968 und dem Boom pseudowissenschaftlicher und radikaler Vorstellungen der 68er-Zeit.

Die Elterngeneration, die durch die massive Werteentwurzelung der Nazi-Zeit zurück in ein bürgerlich-ziviles, demokratisch-liberales Leben wollte („Flakhelfer-Generation“), kümmerte sich um den materiellen Wiederaufbau, statt sich gleichzeitig intensiv mit der Nazi-Vergangenheit auseinanderzusetzen. In einigen Bevölkerungsteilen entstand der Eindruck, dass dies teilweise unter Zudeckung und Hintantstellung moralischer Phänomene geschah. Karrieren im so genannten Dritten Reich, die von einigen als unmoralisch angesehen wurden, liefen nach 1945 ohne Unterbrechung weiter. Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Nazizeit erschien vielen Teilen als unbefriedigend, obwohl zahlreiche Prozesse gegen Kriegsverbrecher seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen stattgefunden hatten (Ulmer Prozesse etc.) Auch in Film und Literatur (Die Mörder sind unter uns, Der SS-Staat) hatte die Aufarbeitung der Nazizeit schon die wesentlichen Punkte erreicht, bevor die 68er die politische Bühne betraten. Dass die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland erst mit den 68ern einsetzte, gehört zum "Mythos 1968", ist aber publikationsgeschichtlich nicht haltbar.

In den Brennpunkt der historischen Forschung rückt vielmehr die Frage nach der Natur der 68er-Revolte als Generationenkonflikt einer nachwachsenden Jugend, die sich mit dem "Größenwahn" einer Elterngeneration konfrontiert sah, die nicht nur einen Weltkrieg angezettelt, sondern auch das Wirtschaftswunder erwirkt hatte. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation gewann der an sich normale Konflikt der Generationen an Sprengkraft, wobei die nachwachsende Jugend in vielerlei Hinsicht die Verhaltensmuster der Vorgängergeneration zeigte, indem Begriffe wie Weltrevolution, Umwälzung der Gesellschaft, Weltvietnam, etc. übernommen wurden.

Vorgeschichte und Ursachen

Protest gegen die Wiederbewaffnung und Ostermarschbewegung

In den 1950er Jahren lässt sich eine Politisierung der Öffentlichkeit beobachten. Diskutiert wurden vor allem außenpolitische Themen wie die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und die Westintegration. Speziell an der Frage, ob die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgestattet werden sollte, entzündete sich ein von Intellektuellen wie dem Physiker Otto Hahn geführter und von einer breiten gesellschaftlichen Basis getragener Streit gegen die Politik der als restaurativ bewerteten Regierung von Konrad Adenauer. Neben der starken Mobilisierung bedeutete auch der hohe Grad der Organisation dieser sogenannten Kampf dem Atomtod-Bewegung eine neue Qualität in der politischen Auseinandersetzung.

Zwar löste sich die Volksbewegung rasch nach der Verabschiedung entsprechender Gesetze im Bundestag auf, aus ihrem pazifistisch geprägten Kern ging jedoch die Ostermarschbewegung hervor. Diese gewann in den 1960ern an Bedeutung, auch wenn der politische Einfluss eher gering blieb. Zugeschrieben wird ihr jedoch eine gewisse kanalisierende Wirkung auf die entstehende Studentenbewegung, die anfangs keine gemeinsamen und klaren Ziele verfolgte.

Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit

Die Prozesse gegen die Nazi-Kriegsverbrecher, beispielsweise der Eichmann-Prozess in Israel ab 1961 oder der Auschwitz-Prozess in Frankfurt, brachten die Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945, die von vielen verdrängt worden waren, auf die politische Agenda. Damit gerieten gleichzeitig, insbesondere für die jüngere Generation, die Verdrängungsbemühungen der frühen Bundesrepublik und die von einigen als zu milde empfundenen Urteile gegen Nazi-Kriegsverbrecher aus den 1950er Jahren in die Kritik. An Schärfe gewann die Auseinandersetzung mit der in den Jahren 1964/65 anstehenden Verjährung von Kapitalverbrechen der Nazizeit, die im deutschen Bundestag kontrovers diskutiert wurde.

Auch das Verständnis für vergangenheitsbelastete Personen in hohen gesellschaftlichen Funktionen wurde immer geringer, etwa für den Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der sich im Dritten Reich an nationalsozialistischen Bauprojekten beteiligt hatte. So gerieten auch der baden-württembergischen Ministerpräsident Hans Filbinger, der als Militärrichter Deserteure zum Tode verurteilt hatte und der Industrielle Fritz Ries, der durch Enteignungen zu Reichtum gelangt war, zunehmend in die Kritik.

Spiegel-Affäre

Hauptartikel: Spiegel-Affäre

Am 10. Oktober 1962 erschien im Nachrichtenmagazin Der Spiegel der Artikel „Bedingt abwehrbereit“,[1] in dem das Verteidigungskonzept der Bundeswehr gegen einen möglichen Angriff des Warschauer Pakts in Frage gestellt wurde. Daraufhin folgte eine Anzeige und Ermittlungen wegen Landesverrats, im Zuge derer wurden unter anderem auch die Redaktionsräume durchsucht und Redakteure festgenommen.

Dies wurde sogar in konservativen Medien als unzulässiger Eingriff in die Pressefreiheit gewertet, zumal sich die Vorwürfe zunehmend als haltlos erwiesen. Im weiteren Verlauf legten die FDP-Minister der Bundesregierung aus Protest ihr Amt nieder, Verteidigungsminister Franz Josef Strauß trat daraufhin zurück.

Die Affäre lässt deutlich erkennen, dass sich eine funktionierende kritische Öffentlichkeit gebildet hatte, das Potential der kritischen Medien nahm in dieser Zeit, trotz einer als problematisch bewerteten Konzentration im Pressewesen, zu. Auch das zunehmend Verbreitung findende Fernsehen strahlte kritische Magazine aus.

Literatur und Wissenschaft

Ein Signum der 1960er Jahre ist, dass die Literatur und hier insbesondere die Gruppe 47 sich immer deutlicher auf die Restauration kritisierende Positionen stellte und schließlich in ihrer Mehrzahl konkret aber auch intellektuell für den Regierungswechsel, für eine SPD-Regierung zu werben begann. Der Einfluss solcher Wahlaufrufe auf die Bevölkerung ist womöglich nicht besonders groß gewesen; mit der Gattung des Dokumentartheaters aber fanden einige Dramatiker den Schlüssel, die breite Öffentlichkeit mit der problematischen Vergangenheit zu konfrontieren, mit dem Höhepunkt des unzählige Male rezensierten und kritisierten Der Stellvertreter von Rolf Hochhuth, der u.a. das Reichskonkordat des Vatikans mit der Nazi-Regierung thematisierte.

Besonders die Soziologie und angrenzende, geisteswissenschaftliche Bereiche knüpften an durch den Nationalsozialismus verschüttete, und verfolgte und häufig exilierte geistige Entwicklungen an: so die Forderung nach einer „kritischen Wissenschaft“. Der Einfluss der zum Teil aus der Emigration zurückgekehrten, offiziell hoch angesehenen Wissenschaftler wie Horkheimer, Adorno und Herbert Marcuse mit ihrer kritischen Staats- und Gesellschaftsanalyse (Frankfurter Schule, Kritische Theorie) hatte auf die Studenten – trotz Generationsunterschieden – elektrisierende Wirkung. Viele Exilwissenschaftler und Exilschrifsteller, die in den 50er Jahren den restaurativen Charakter der Bundesrepublik scharf kritisierten, z. B. Klaus und Heinrich Mann wurden neu- oder erstmals wieder gedruckt.

Jugendkultur

Im Zusammenhang mit neuen Musikrichtungen wie Rock- und Beatmusik hatte sich währenddessen eine Jugendkultur entwickelt, die sich in ihren Ausdrucksformen von der etablierten Gesellschaft zu unterscheiden suchte, jedoch in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung teils auch unpolitisch, unorganisiert und sicherlich in mancher Hinsicht systemkonform war.

Trotzdem wurde diese Jugendbewegung von vielen Erwachsenen als ernsthafte Bedrohung ihres überkommenen Lebensstils – insbesondere im Hinblick auf die Infragestellung einer verkrusteten, religiös begründeten Sexualmoral, und den hergebrachten gesellschaftlichen Konventionen der 1950er (kulturell etwa bei Musik und Kleidung, Ablehnung von „Sekundärtugenden“, Konsumismuskritik statt Wirtschaftswunder-Enthusiasmus) – aufgefasst und abgelehnt. Diese grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten haben viel zur rapide wachsenden Unversöhnlichkeit zwischen den Generationen gegen Ende der 1960er Jahre beigetragen. Eine radikale Strömung innerhalb dieser Subkultur war z. B. der Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen. Überraschend ist, wie weit auch modische Neuerungen (Hose statt Rock) von jenen später übernommen wurden, die einst Hosen für Mädchen als den Untergang des Abendlandes brandmarkten. Jene, die einst gegen den Film Die Sünderin vor und in Kinos demonstrierten, sahen sich in der Jugendarbeit der eigenen politischen Gruppen später ganz anderen Forderungen ausgesetzt, die schließlich teilweise sogar Gesetzeskraft erlangten.

Große Koalition

In der Parteipolitik machte sich in den 1960ern eine gewisse Nivellierung von Unterschieden bemerkbar. Symptomatisch sind die ähnlichen Slogans, mit der SPD und CDU 1965 in den Wahlkampf zogen. Schon ein Jahr später kam es zur großen Koalition, was die Rolle der parlamentarischen Opposition allein bei der kleinen FDP beließ. Der Plan der Regierung, ein neues Mehrheitswahlrecht einzuführen und so den politischen Markt weitgehend auf die Volksparteien zu beschränken, schien ein weiterer Faktor zu sein, der die Notwendigkeit einer außerparlamentarischen Opposition unterstrich. Ebenso wirkten die Diskussionen um die Verabschiedung der Notstandsgesetze mobilisierend auf Studenten und Schüler. Das Gefühl auch weiter Teile des Bildungsbürgertums, dass etwas faul war im Staate BRD, bestätigte das Empfinden mancher, vor einem „neuen 1933“ zu stehen. Dies führte dazu, dass 1968 der Begriff APO allgemein diskutiert wurde.

1967/68: Höhepunkt der Mobilisierung

Forderung nach Reformen in der Hochschulpolitik

Die an den Universitäten entstandene politische Bewegung forderte zunächst Hochschulreformen (vgl. einen der bekanntesten Kernslogans der Bewegung vom November 1967: „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“), ehe der Kampf für gesellschaftliche Veränderungen in den Vordergrund trat, der schließlich in ein allgemeines Aufbegehren der Jugend gegen die Gesellschaftsstrukturen der westlichen Staaten mündete. Die Studentenbewegung ging von den USA aus und breitete sich schnell auch in Europa aus. Auslöser des politischen Protests war die Verwicklung der USA in den Vietnamkrieg. In Frankreich erhielten die Studenten Unterstützung von Arbeitern und Intellektuellen und lösten die so genannten Mai-Unruhen aus.

Treibende Kraft der Studentenbewegung in der Bundesrepublik war der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), der den Kern der so genannten Außerparlamentarischen Opposition bildete. Sie formierte sich nach dem Zustandekommen der Großen Koalition aus SPD und CDU/CSU 1966. Nach dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg 1967 und dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke 1968 eskalierten die Unruhen. In der Folgezeit zerfiel die Studentenbewegung in zahlreiche zum Teil sektiererische Gruppierungen, die unterschiedliche Vorstellungen über die Verwirklichung der politischen Ziele hatten. Damit war der Bewegung die Massenwirksamkeit entzogen. Eine Minderheit entschied sich für den bewaffneten Kampf gegen den Staat und glitt in den Terrorismus ab, die Mehrzahl hoffte auf gesellschaftliche Veränderungen.

Springer-Kampagne

Pflasterstein und Anstecker „Enteignet Springer“, 1969 (Sammlung Kindheit und Jugend der Stiftung Stadtmuseum Berlin)

Die Wurzeln der Kampagne Enteignet Springer entwickelten sich schon Anfang 1967, als die Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Hochschulbundes im Hinblick auf die Machtstellung des Springer-Verlags ein Gesetz gegen die Konzentration im Pressewesen forderte.

Die Forderung gewann an Nachdruck infolge des 2. Juni 1967, als in West-Berlin eine Demonstration gegen den Besuch des persischen Schahs von der Polizei mit brutalen Mitteln aufgelöst wurde, u. a. mit Unterstützung der so genannten Jubelperser, und im Laufe dieser Aktion der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde. Der Großteil der Berliner Presse, insbesondere aber die Publikationen des Springer-Verlags, interpretierte die Ereignisse des 2. Juni zunächst als skandalöse Ausschreitungen der Studenten, die die Polizei korrekt beendet habe.

Dieses Ereignis bestätigte die Meinung der Studentenbewegung, die sich nun zunehmend von einer „systematischen Hetze“, der „gezielten Diffamierung einer Minderheit“ durch den Springerkonzern verfolgt fühlte. Unterstützt wurde die im September 1967 vom SDS schließlich beschlossene Kampagne Enteignet Springer unter anderem von der in den 1950er Jahren entstandenen „Kampagne für Abrüstung“, die ihr Engagement damit begründete, dass nur so die Meinungsfreiheit in Deutschland noch gerettet werden könne.

Eine neue publizistische Eskalationsstufe der ohnehin schon scharfen Auseinandersetzung kann auf Seiten des Springer-Konzerns und einiger Politiker im Februar 1968 diagnostiziert werden. Das Einwerfen einiger Scheiben von Berliner Filialen des Springer-Verlags wurde mit der sogenannten Reichspogromnacht 1938 verglichen. Aber auch die APO hantierte mit Vergleichen zur Nazizeit – so stellte ein Flugblatt Axel Springer in eine Reihe mit dem Herausgeber des Stürmers, Julius Streicher.

Attentat auf Rudi Dutschke

Eine weitere Radikalisierung der Studentenbewegung, nicht nur in Bezug auf das Thema Springer, lässt sich eindeutig auf den Anschlag auf ihre Symbolfigur Rudi Dutschke, am Gründonnerstag, den 11. April 1968, festlegen. Dutschke wurde in Berlin auf offener Straße von dem Hilfsarbeiter Josef Bachmann niedergeschossen, überlebte den Anschlag jedoch schwer verletzt. Die folgenden Ostertage sahen „Straßenschlachten, wie es sie Westdeutschland seit der Weimarer Republik nicht mehr gekannt hatte“ (Der Spiegel). Die Verhinderung der Auslieferung der Zeitungen des Springer-Verlags in nahezu allen Großstädten der Bundesrepublik stand dabei im Kern der Auseinandersetzungen. Während der Osterunruhen in München am 15. April wurde der Fotoreporter Klaus Frings durch einen Steinwurf aus den Reihen der Demonstranten so schwer verletzt, dass er zwei Tage später starb. Der Student Rüdiger Schreck starb einen Tag später ebenfalls an den Folgen einer Schlagverletzung, die ihm vermutlich durch einen Polizisten zugefügt worden war.[2]

Die APO diskutierte derweil über die „Gewaltfrage“: einerseits in Hinblick darauf, welche Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele zukünftig sinnvoll und legitim seien, andererseits im Hinblick darauf, welcher Gewalt man selbst und die Bevölkerung insgesamt eigentlich ausgesetzt sei. Bei letzterem Punkt wurde festgestellt, dass es sich bei der Gewalt „von oben“ nicht nur um die Polizeiknüppel auf der Straße handele, sondern zum Beispiel auch eine parteiische Presse als Gewaltinstrument genutzt werde.

Verabschiedung der Notstandsgesetze

Nur einen Monat nach dem Attentat auf Dutschke wurden die lange geplanten Notstandsgesetze endgültig verabschiedet. Die Anti-Notstandskampagne, die seit 1966 sukzessive größeren Einfluss nicht nur unter der Studentenschaft, aber nicht im Parlament, gewonnen hatte, gipfelte am 11. Mai 1968 in einem Sternmarsch auf Bonn, ohne das Gesetz noch verhindern zu können. Die Furcht davor, dass man mit der Einführung der neuen Paragraphen ein neues Ermächtigungsgesetz wie im Jahr 1933 erlebe, war weit verbreitet. Hans-Jürgen Krahl vom SDS sah unmittelbar vor der Verabschiedung der Notstandsgesetze „die Bundestagsabgeordneten entschlossen, die letzten spärlichen demokratischen Rechtsansprüche in diesem Land auszulöschen“. Ein Flugblatt weiter: „Es gibt nur eine praktische Antwort auf die Faschisierung der Gesellschaft: Die Organisation des Widerstandes.“

Jürgen Habermas wies (in einer Aufarbeitung der Osterunruhen) allerdings darauf hin, dass eigentlich doch jedes Anzeichen einer revolutionären Lage in der Bundesrepublik fehle. Er warnte die Studentenbewegung vor einer folgenschweren Fehleinschätzung der Situation – und wurde dafür scharf kritisiert.

1968ff: Radikalisierung und Zersplitterung der Bewegung

Allgemeine Systemkritik

Insgesamt verlagerte sich die Diskussion in der Folge zunehmend von der Kritik einzelner Probleme wie der Notstandsgesetzgebung oder der Pressekonzentration hin zu einer generellen Kritik am System der Bundesrepublik. Aus der Phase der Provokation war man endgültig heraus, die antiautoritären Hedonisten, etwa der Berliner Kommune I, wurden zurück gedrängt. Ihr Frontmann Dieter Kunzelmann: „Stadtguerilla und maoistische Parteigründungen [entstanden erst] im Herbst 1969. Ihre Geburtsstunde kündigte sich aber bereits Ostern 1968 an.“

Ironischerweise noch zur Verschärfung der Radikalisierung trug 1969 die Bildung der sozialliberalen Regierungskoalition bei. Nunmehr stellte sich die Frage „Reform oder Revolution?“ viel konkreter. Die Reformierung der Bundesrepublik wurde nun, unter dem brandtschen Diktum „Mehr Demokratie wagen“, zu einem Markenzeichen der Regierung. Wenn man weiterhin die Regierung bekämpfen wollte, musste man nun das ganze System als solches angreifen, um noch die Deutungshoheit besitzen zu können. Es blieb für die außerparlamentarische Opposition quasi nur der Begriff „Revolution“ übrig, den Begriff „Reform“ hatte ihnen Willy Brandt weggenommen. Folgerichtig wurde bald die Beschimpfung der SPD als „Sozialfaschisten“ wieder aus der Versenkung geholt.

Zersplitterung des SDS

Seit dem Herbst 1968 änderte sich das Gefüge der außerparlamentarischen Opposition grundlegend. Der SDS konnte nun nicht mehr wie bisher die Jugend- und Studentenbewegung als Ganzes oder auch nur in seinen wesentlichen Teilen repräsentieren. Zahllose neue Gruppierungen entstanden, die bald mehr untereinander um Anerkennung und Machtpositionen als nach außen hin für ihre eigentlichen Ziele kämpften. Die (zugegebenermaßen berechtigte) Kritik der Frauen auf der Delegiertenkonferenz im September 1968 über ihre Unterdrückung im SDS zeigte bereits deutlich die Widersprüche und Machtverhältnisse im SDS zu diesem Zeitpunkt. In der Folgezeit kam es zu zahlreichen Zersplitterungen und Abspaltungen auch an anderen Themen.

Der SDS hatte 1967/68 eine Art Bewegungscharakter angenommen, nachdem sich Basisgruppen gebildet hatten, die aufgrund ihrer jeweils speziellen Ausrichtung bald zu Sammelorganisationen wuchsen und sich schließlich von der Mutterorganisation lösten. Es dauerte noch bis Februar 1970, bis sich der Sozialistische Deutsche Studentenbund auflöste. Der nach dem Attentat auf Rudi Dutschke zum theoretischen Vordenker des SDS avancierte Hans-Jürgen Krahl war einige Tage zuvor nach einem Unfall gestorben – quasi auf der Beerdigung Krahls wurde auch der SDS zu Grabe getragen. Damit war allerdings beileibe kein Ende der Bewegung gekommen, sondern vielmehr erst die echte „Gründungszeit“ der zahllosen Zirkelorganisationen. Ende 1968 hatte Horst Mahler mit seiner Formulierung in gewissem Sinne Recht, dass die Krise des SDS nur durch dessen Wachstum entstanden sei. Dazu muss angemerkt werden, dass dieses Wachstum nicht nur quantitative (Zustrom von Sympathisanten), sondern eben vor allem qualitative (starke inhaltliche Differenzierungen) Ausmaße hatte. Jede programmatische Festlegung der einzelnen Gruppen musste fortan gleichbedeutend sein mit Fraktionierung und Abgrenzung.

Neugründungen kommunistischer Parteien

Schon im September und Dezember 1968 wurden die DKP beziehungsweise KPD/ML gegründet – Gründungen, die keineswegs nur aus dem SDS entstanden, jedoch ohne die Situation, die die APO hervorgerufen hatte, nicht denkbar gewesen wären. Das Ziel einer echten Mobilisierung des (zunächst einmal wiederzuentdeckenden) Proletariats konnten dabei weder diese Parteien noch die anderen Organisationen erreichen. Daran änderte auch nichts, dass sich ein Teil der Bewegung nun zunehmend den klassischen „linken“ Theoretikern zuwandte, die erstmals in der Geschichte vollständig verfügbar waren. Im scharfen Kontrast zu der ja eigentlich antiautoritären Ausrichtung der Bewegung verehrte dieser Teil nun ernsthaft und nicht nur in popkultureller Spiegelung, wie es ein Jahr zuvor mehrheitlich noch der Fall gewesen war, die Großen des Kommunismus als Heroen.

Theoretisierung und Militarisierung

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Die stattfindende Zersplitterung und Radikalisierung löste sich im Laufe der Zeit immer mehr von den realen politischen und gesellschaftlichen Vorgängen. Hatten etwa die Proteste gegen die Notstandsgesetze noch einen direkten Anlass, handelte es sich bei den meisten Streitpunkten der Bewegung ab dem Herbst 1968 eigentlich um abstrakte Politkonzepte und häufig persönliche Interna. In und mit der Öffentlichkeit wurde kaum mehr diskutiert, da es theorieschwanger kaum Verständigungsmöglichkeiten über die politischen Ziele gab.

Im weitgehend internen Diskurs der APO wurde währenddessen die Frage nach der Legitimität der Gewalt zunehmend offensiv beantwortet: Der Grad der geforderten und auch der praktizierten Gewaltsamkeit nahm nach dem Dutschke-Attentat deutlich zu. Ein Höhepunkt der Auseinandersetzung stellte die „Schlacht am Tegeler Weg“ in Berlin im November 1968 dar. Die sich eher spontan entwickelnde Militanz dieser Demonstration wurde von einigen als Beweis interpretiert, dass es möglich sei, Gewalt dosier- und planbar machen zu können; sie standen damit nicht mehr in der teilweise gewaltfreien und häufig akademischen Traditionen der Frankfurter Schule oder den Theorien über Macht und Gewalt von Hannah Arendt.

Die heiter-antiautoritären Strömungen im SDS bis 1968 verschwanden, die Spaßguerilla wurden von den Stadtguerillas abgelöst, die nicht mehr zu Scherzen aufgelegt waren. Schon im Winter 1968/69 wurden in der Kommune I Brandbomben gefunden. In anderen, neuen Kommunen wurde der radikale Spruch „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ erstmals zum ernsthaften Motto erhoben. Der Weg Einiger in den Terrorismus und hin zur RAF wurde geebnet durch Ereignisse wie 1969 einem Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum am symbolischen 9. November. Der Anschlag diente als eine Art Wasserscheide: Eine radikale Minderheit machte sich bereit, alle Brücken – eben auch diejenigen zur zersplitterten außerparlamentarischen Opposition, die den Anschlag ziemlich einmütig ablehnte – abzubrechen und in die Illegalität und hin zum Terrorismus zu gehen. Andere versuchten durch Pudding-Attentate (Kommune I) und Hausbesetzungen weiter, Spaß und Politik zusammenzubringen.

Aufnahme des Protests durch die SPD

Der quantitativ wohl größte Teil der Studentenbewegung wandte sich unter Willy Brandts Kanzlerschaft jedoch der SPD zu. Manche mögen ursprünglich mit dem Ziel eingetreten sein, die Partei zu unterwandern. Die meisten dürften zumindest manche Veränderungen in der behäbigen Volkspartei angestrebt haben. Dies führte insbesondere in der Zeit der Regierung Schmidt zu einer tiefen Kluft innerhalb der SPD, verhinderte auf lange Sicht jedoch nicht die Integration des größten Teils der Jugendlichen, von denen einige später als „Enkel“ die Führung der Partei übernehmen würden.

Neue soziale Bewegungen

Aufgefangen wurden die Ideen der 68er-Bewegung auch von anderen Gruppierungen, die in Richtung einer Zivilgesellschaft (teilweise bis heute) arbeiteten: Künstler, Frauenbewegung, Ökologie- und Umweltschutz-Bewegung, Schwulenbewegung, Amnesty International, pazifistische Gruppen, Ostermärsche, Lehrlingsbewegung, Hausbesetzer, Graue Panther, Bürgerinitiativen (z.B. Stadtteilgruppen), JungdemokratInnen/Junge Linke, Jungsozialisten. Eine praktische Umsetzung einiger Kernideen, die weit über das studentische Milieu hinausging, realisierte sich u.a. auch in den Aktionen-Roter-Punkt zu Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre.

Antizionismus und Antisemitismus

Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Buches Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus (Wolfgang Kraushaar) wird derzeit der Antizionismus der 68er-Bewegung diskutiert. Kraushaar rekonstruierte die Geschichte eines von Dieter Kunzelmann geplanten Anschlags auf das Gemeindehaus der Berliner Juden am 9. November 1969. Diese Erkenntnisse rückten laut Kritikern antiisraelische Tendenzen der „Neuen Linken“ in ein neues Licht. Der Politikwissenschaftler Martin Kloke etwa nennt das antizionistische Selbstverständnis des SDS inkl. der Veröffentlichung von Fatah-„Militärkommuniqués“ zu „erfolgreichen“ Terroraktionen in Israel, die Kampagne gegen den israelischen Botschafter Asher Ben-Nathan, die Teilnahme von Repräsentanten der 68er-Bewegung (etwa der damalige SDS-Vorsitzende Udo Knapp, der heutige Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit oder der ehemalige Außenminister Joschka Fischer) an einer PLO-Konferenz im Dezember 1969 in Algier, bei der laut Kloke der „‚Endsieg‘ über Israel beschworen“ worden sein soll. Der damalige israelische Botschafter Asher Ben-Natan wurde als Vortragender an die Ludwig-Maximilians-Universität München durch antiisraelische linke Studenten massiv u. a. mit Sprechchören "Aher Ben Napalm" gestört. Asher Ben-Natan erklärt daraufhin, dass er sich an die Nazi-Zeit erinnert fühlt. Zahlreiche antiisraelische „Widerstandsgruppen“ und „Palästinakomitees“ begannen sich zu formieren, dutzende Initiativen agitierten gegen „US-Imperialismus und Weltzionismus“ und riefen zur Zerschlagung des „zionistischen Gebilde Israel“ auf. Vor diesem Hintergrund kritisiert Kloke Kraushaar, indem er ihm vorwirft, sich zu weigern, „die offensichtlichen Korrelationen zwischen neulinkem Antizionismus und traditionellem Antisemitismus als das zu bezeichnen, was sie waren und sind: ungeschminkte Manifestationen antisemitischer Obsessionen.“[3]. Gerd Koenen weist dagegen die Vermutung, es habe sich um einen „primären Judenhass“ gehandelt, der „die ungebrochene Wirksamkeit eines antisemitischen Latenzzusammenhanges“ bis tief in die Neue Linke hinein beweise, zurück[4].

Rechtsradikalismus

Einige einstmalige prominente Protagonisten der deutschen Studentenbewegung wechselten später auch in das rechte und rechtsextreme Spektrum, so etwa Horst Mahler, Bernd Rabehl, Günter Maschke und Reinhold Oberlercher. Die Frage, inwiefern auch innerhalb der APO bereits rechte Gedankenbilder vorhanden gewesen waren und inwieweit es sich bei den Revolten der Sechziger Jahre allein um ein "linkes" Phänomen gehandelt habe, ist von der Forschung noch nicht zu beantworten gewesen.

Zentrale Literatur zu diesem Desiderat

  • Koenen, Gerd (2002). Das rote Jahrzehnt. Frankfurt am Main.
  • Kraushaar. Wolfgang (2000). 1968 als Mythos. Chiffre und Zäsur. Hamburg.
  • Kraushaar. Wolfgang (Hg.) (1998). Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost bis zum Molotowcocktail. 3 Bände. Hamburg.
  • Gilcher-Holtey. Ingrid (Hg.) (1998). 1968 - vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft. Göttingen.

Heutige Diskussion

Während lange als Konsens anerkannt war, dass die internationale Bewegung von 1968 sowohl politisch (etwa Hochschulreformen, Die Grünen, Bürgerinitiativen, Ökologie) als auch kulturell (Rock, Pop, lockere Bekleidungs-Konventionen und sexuelle Befreiung) Neuerungen gebracht habe (Reform), war immer schon eine kritische Sicht zu vernehmen, die vor allem von Konservativen vertreten wird.

Demnach hätten „Die 68er“ mit ihren Utopien und Experimenten eine heile Gesellschaft (z. B. Familie) der 1950er zerstört, Sekundärtugenden seien dadurch in Vergessenheit geraten, weshalb Helmut Kohl bei seinem Amtsantritt auch eine „geistig-moralische Wende“ hin zu konservativen Werten und Moralvorstellungen ausrief.

Gegenkritik von Seiten der 68er ist, dass die scheinbar heile Gesellschaft in Wirklichkeit die Unwahrheiten der Tätergeneration durch ein von den großen Kirchen unterstützes Prinzip des Need-To-Know verheimlichte. Die „moralische Wende“ habe keine Wirkung gezeigt, weil sie letztendlich durch das Verhalten der Verantwortlichen selbst ad absurdum geführt worden sei. Eine weitere These ist, dass die sogenannten Volksparteien die damaligen Vorgänge bis heute nicht begriffen, geschweige denn aufgearbeitet hätten. Daher erfolgten aus den Reihen der Politik lediglich Schuldzuweisungen.

Innerhalb der katholischen Moraltheologie bzw. Soziallehre wird der 68er-Bewegung eine deutliche Mitschuld an der heutigen gesellschaftlichen Situation („Zerrüttung von Familien, Ehescheidungen, Verwahrlosung“) gegeben. Dies liege vor allem daran, dass es in der 68er-Bewegung zu einer Umdefinierung der bisher daher gültigen Werte gekommen sei, dass also z.B. die „heile“ Familie von den 68ern zur „kaputten“ erklärt worden sei.

Die 68er beantworteten diese häufig kirchlichen Positionen mit dem Argument, dass es gerade der bigotte Umgang mit Wahrheit in Fragen der Sexualität und der Aufarbeitung der Nazivergangenheit war, die es korrumpierten Mitläufern und Tätern ermöglichte, in den höchsten Positionen der westdeutschen Bundesrepublik zu verharren (Muff unter den Talaren).

Von links wird den regierungsbeteiligten Grünen ihr Pragmatismus vorgeworfen, der alte Ideale verraten habe, von eher konservativer Seite werden soziale Verwerfungen etwa bei Jugendlichen gerne als Spätfolgen von 1968 dargestellt und ein Gesellschaftsmodell und Menschenbild propagiert, das wieder an der Zeit davor orientiert ist. Auch wenden sich Teile der Frauenbewegung gegen die von den 68ern propagierte sexuelle Befreiung.

Das egalitäre Streben nach Gleichheit der 68er und ihrer Vorgänger (Französische Revolution) und Nachfolger trifft auf aktuelle neokonservative Tendenzen, die verstärkt wieder auf selbstdefinierte Elite-Konzepte und "Neue Bürgerlichkeit" setzen.

Siehe auch

Literatur

Gesamtdarstellungen

  • Gerhard Bauß: Die Studentenbewegung der sechziger Jahre in der Bundesrepublik und Westberlin. Pahl-Rugenstein, Köln 1977, ISBN 3-7609-0320-7
  • Thomas P. Becker, Ute Schröder (Hrsg.): Die Studentenproteste der 60er Jahre. Archivführer, Chronik. Bibliographie. Böhlau Verlag, Köln/ Weimar/ Wien 2000, ISBN 3-412-07700-3
  • Ingrid Gilcher-Holtey: Die 68er Bewegung - Deutschland, Westeuropa, USA, C.H.Beck, München 2001, ISBN 3-406-47983-9
  • Richard Faber / Erhard Stölting: Die Phantasie an die Macht? 1968 - Versuch einer Bilanz. Philo, Berlin / Wien 2002, ISBN 3-8257-0250-2
  • Christina von Hodenberg, Detlef Siegfried (Hrsg.): Wo "1968" liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik. Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2006, ISBN 3-525-36294-3
  • Simon Kießling: Die antiautoritäre Revolte der 68er. Postindustrielle Konsumgesellschaft und säkulare Religionsgeschichte der Moderne, Böhlau Verlag, Köln 2006, ISBN 3-412-33705-6
  • Martin Klimke / Joachim Scharloth (Hrsg.): 1968. Ein Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung, Metzler, Stuttgart 2007, ISBN 3-476-02066-5
  • Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946-1995, Bd.1: Chronik; Bd.2: Dokumente, Bd.3: Aufsätze und Kommentare, Register. Roger&Bernhard bei Zweitausendeins, Frankfurt 1998
  • Michael Ruetz: 1968 – Ein Zeitalter wird besichtigt. Zweitausendeins Verlag, Frankfurt 1997/ Steidl Verlag, Göttingen 1998
  • Rudolf Sievers (Hrsg.): 1968. Eine Enzyklopädie, Suhrkamp, Frankfurt 2004, ISBN 3-518-12241-X

Dokumente und Eigendarstellungen

  • Rudi Dutschke: Die Revolte. Wurzeln und Spuren eines Aufbruchs. (Hrsg. Gretchen Dutschke-Klotz, Jochen Miermeister, Jürgen Treulieb) Reinbek bei Hamburg 1983
  • Gerd Koenen: Das Rote Jahrzehnt. Unsere Kleine Deutsche Kulturrevolution 1967-1977, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, ISBN 3-462-02985-1
  • Peter Mosler: Was wir wollten, was wir wurden. Zeugnisse der Studentenrevolte, Reinbek/Hamburg 1988, ISBN 3-499-12488-2
  • Lutz Schulenburg (Hrsg.): „Das Leben ändern, die Welt verändern!“ 1968 – Dokumente und Berichte, Edition Nautilus, Hamburg 1998, ISBN 3-89401-289-7
  • Kai Hermann: Die Revolte der Studenten; Hamburg: Wegner, 1967
  • Daniel Cohn-Bendit, Reinhard Mohr: 1968. Die letzte Revolution, die noch nichts vom Ozonloch wusste, Wagenbach, Berlin 1988, ISBN 3-8031-2161-2
  • Götz Aly: Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück, S.Fischer, Berlin 2008, ISBN 978-3-10-000421-5

Ausschnitte

  • Frank Böckelmann und Herbert Nagel: Subversive Aktion. Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern, Neue Kritik, 1. Auflage Frankfurt am Main 1976, Neuauflage 2002, ISBN 3-8015-0352-6
  • Michael Ruetz: „Ihr müsst diesen Typen nur ins Gesicht sehen“ – APO Berlin 1966—1969, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt 1980
  • Gerd Langguth: Mythos '68. Die Gewaltphilosophie von Rudi Dutschke - Ursachen und Folgen der Studentenbewegung, Olzog, München 2001, ISBN 3-7892-8065-8
  • Detlef Siegfried: Time is on my Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, (Hamburger Beitrag zur Sozial- und Zeitgeschichte Bd. 41) Wallstein Verlag Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0073-3

Literarische Verarbeitung

  • Uwe Timm: Heißer Sommer, dtv, München 1974, ISBN 3-423-12547-0
  • Uwe Timm: Der Freund und der Fremde, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, ISBN 978-3-462-03609-1

Quellen

  1. Conrad Ahlers: Bedingt abwehrbereit, erschienen in Der Spiegel, Ausgabe 41/1962 vom 10. Oktober 1962. Abgerufen am 17. Januar 2009.
  2. Zwei vergessene 68er-Opfer BR-online, 18. März 2008
  3. taz.de - Archiv
  4. http://www.fr-online.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?sid=0710511d13378e62ed5bee5850aa7bc0&cnt=701068

Weblinks

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