Schnabelschuh

Schnabelschuh
Schnabelschuhe

Ein Schnabelschuh ist ein nach wendegenähter Machart gefertigter Schuh, der mit einer auffällig langen Schuhspitze versehen ist.

Inhaltsverzeichnis

Archäologie

Schnabelschuhe sind eine Modeerscheinung, die sich primär in England und Frankreich ausbreitete. Interessanterweise ist deren Vorkommen in Zentraleuropa limitiert, wie die bislang gefundenen Beispiele zeigen (Shoes and Pattens, S. 115 und Stepping through time). Weiterhin ist es eine Mode, die offensichtlich eher den oberen Schichten der Gesellschaft vorbehalten war, wie die Ausgrabungen bei "Baynards Castle" in London gezeigt haben. Hier war die königliche Garderobe im 14. Jahrhundert nicht weit entfernt (Shoes and Pattens, S. 29). Dieser Umstand wird auch von unzähligen Darstellungen im 14. und 15. Jahrhundert bestätigt, in denen nur die reiche Oberschicht solche Schuhe trug.

Allerdings ist bei bildlichen Quellen Vorsicht geboten. Einerseits gab es eine Form der Beinlinge, die eine dünne Ledersohle aufwiesen und fast ausschließlich im Haus oder eventuell außen mit Trippen getragen wurden. Diese Form findet man besonders oft in Gemälden des 15. Jahrhunderts und erweckt den Eindruck einer etwas längeren Spitze. Andererseits wurde die Oberschicht so oft mit solchen Schnabelschuhen dargestellt, wahrscheinlich weil sie ein Statussymbol waren, dass die Häufung der Darstellung, insbesondere im zentraleuropäischen Raum, nicht mit den Funden in Einklang zu bringen ist. Der Schluss liegt nahe, dass hier eine gesellschaftliche Stellung hervorgehoben werden sollte und somit bildliche Quellen einen etwas verzerrten Eindruck erwecken.

Historisches

Schnabelschuh aus Spanien (Toledo?), 15. Jahrhundert (Museum für Angewandte Kunst Frankfurt)

Ob Schnabelschuhe ihre Entstehung (um 1089) dem Grafen Fulko von Anjou oder Angers zu verdanken haben, der wegen seiner deformierten Füße auf diesen Einfall gekommen sein soll und vorn lang zugespitzte Schuhe trug, ist fraglich. Spitz zulaufende Schuhe, aber mit moderater Spitze, sind zwar seit jener Zeit getragen worden, aber die populärste Form war fast immer die runde Form. Es mag sein, dass sie in Europa bei den Polen zuerst in Anwendung kamen, worauf der früheste englische Name, Cracowes (von Krakau), vielleicht hinweist; doch schon zuvor wurden sie im Orient getragen. Der Autor des Eulogium Historiarum datiert deren erste Erscheinung auf die Jahre 1361-1362:

"Eodem anno et in anno praecedenti tota communitas Anglicana versa. ...Habent etiam sotulares rostratas in unius digiti longitudine quae "Crakowes" vocantur; potius judicantur ungula daaemonum uam ornamenta hominum. ..."

"In diesem Jahr (d.h. 1362) und dem vorangegangenem wurde die Englische Gesellschaft auf den Kopf gestellt. ... Die haben auch Schnabelschuhe, einen Finger lang, die man "Crakowes" nennt; sie werden als die Klauen des Teufels angesehen anstelle menschlicher Kleidung. ..."

(Shoes and Pattens, S. 116. Übersetzung von mir)

Ein weiterer, sehr populärer Name dieser Schuhe ist auch heute noch Poulaines, was so viel wie Schiffsschnabel bedeutet.

Die Länge der Spitzen

Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass solche Schnabelschuhe solch extreme Längen annahmen, dass sie an das Knie oder den Gürtel angebunden werden mussten. Es gibt für solche Behauptungen keine Grundlage. Sie beziehen sich auf zwei Fragmente einer Beschreibung aus dem 18. Jahrhundert, zitiert in Strutt, J. 1842, ii236, note 3 (A complete view of the dress and habits of the people of England, from the establishment of the Saxons in England, 2nd Edition, London), eines Gemäldes von James I von Schottland, welche seit dem nie bestätigt wurde und Behauptungen von Antiquaren des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts, Stow und Camden. Stow gibt keine Quelle an und Camden bezieht sich auf das oben aufgeführte Zitat aus Eulogium Historiarum. Dessen Übersetzung kann aber als nicht mehr als eine Umschreibung oder Interpolation angesehen werden. (Wiedergegeben und übersetzt aus Shoes and Pattens, S. 117)

Tatsächlich, wie zum Beispiel die Ausgrabungen in London und Dortrecht zeigen (Shoes and Pattens und Stepping through Time), betrug die populärste Spitzenlänge ca. 20% der Fußlänge (93 von 210 gefundenen Schuhen in der Baynards Castle Ausgrabungsstätte) und die längsten Spitzen waren ca. 50% der Fußlänge (7 von 210 Schuhen) (Shoes and Pattens, S. 30)

Herstellung

Schnabelschuhe waren wende-genäht. Das heißt, sie wurden zunächst mit der Innenseite nach außen genäht und dann gewendet. Dabei war die Spitze eine besondere Herausforderung, da sie nicht gewendet werden konnte. Daher wurde die Spitze zunächst nicht genäht, der Schuh gewendet und dann erst die Spitze mit versteckten Stichen vervollständigt. Dass die europäischen Schnabelschuhe eines Paares nicht gleich, sondern für den rechten und den linken Fuß unterschiedlich geschnitten waren, ist nicht neu. Die Art, ein Paar Schuhe gleich ausgerichtet, also ohne links-rechts Unterscheidung herzustellen, war im 17. Jahrhundert für einige Zeit populär, wurde aber dann wieder aufgegeben (Stepping through Time).

Schnabelschuhe wurden zuerst im späten 14. Jahrhundert populär – spezifisch in den 1380er Jahren und vielleicht schon in den 1370er Jahren – und waren um 1400 wieder aus der Mode. Allerdings wurden sie in der Mitte des 15. Jahrhunderts erneut derart populär, dass Kleiderordnungen erlassen wurden, um deren Verwendung und damit verbundene Exzesse zu regulieren. 1463 (zur Zeit Edwards des IV) wurde erlassen, dass kein Ritter, Knappe, Adliger oder sonst irgendeine Person Schuhe mit Spitzen länger als 2 Zoll tragen durfte. 1465 wurde selbst dieser Erlass verschärft dergestalt, dass kein Schuster oder Schuhmacher Schuhe mit längeren Spitzen als 2 Zoll überhaupt herstellen durfte (Shoes and Pattens, S. 117). Selbst aus dieser Zeit sind aber keine Schuhe mit den oft zitierten Überlängen bekannt.

Wie so oft üblich wurde zu dieser Zeit die zivile Mode auch im Design von Rüstungen verwendet, wo sich Schnabelschuhe eindrucksvoll in Prunkharnischen wiederfinden, z. B. in dem des Erzherzogs Siegmund (gefertigt 1485 von Meister Helmschmied aus Augsburg).

Im Laufe der Zeit trugen nicht nur die Adligen sondern alle Schichten Schnabelschuhe, weswegen die Länge der Schuhspitze in Kleiderordnungen genau geregelt wurde und sich am sozialen Stand des Trägers orientierte. Daher stammt auch die Redensart „auf großem Fuß leben“. Trotz aller Reglementierungen hielten sich die Schnabelschuhe bis gegen das Ende des 15. Jahrhunderts, wo an ihre Stelle die Entenschnäbel und später die ganz stumpfen Bärenklauen oder Ochsenmäuler traten.

Sonstiges

Zu den Schnabelschuhen kamen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert bei beiden Geschlechtern besondere Unterschuhe oder Trippen (eine Art dicker Holzsohle mit Riemenbefestigung) genau nach der Form der Sohle, zur Unterstützung der Schnäbel langspitzig gestaltet.

Die Schnäbel wurden Gogeln, Gzgeln oder auch Kogeln genannt.

Quellenangaben

  • Francis Grew, Margrethe De Neergaard: Shoes and Pattens: Medieval Finds from Excavations in London 2. Stationery Office Books (1988), ISBN 978-0-11-290443-4
  • Olaf Goubitz, Carol Van Driel-Murray, Willy Groenman-Van Waateringe: Stepping Through Time: Archaeological footwear from prehistoric times until 1800. Stichting Promotie Archeologie (2001), ISBN 978-90-801044-6-4

Weblinks

 Commons: Schnabelschuh – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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