Schwingopfer

Schwingopfer
Opfergaben in La Paz (Bolivien): Lamaembryonen, Süßigkeiten und Tonfiguren

Ein Opfer (auch Opfergabe) bezeichnet in der Religion und der Mythologie die Darbringung von verschiedenen Gegenständen jeglicher Art an eine dem Menschen übergeordnete metaphysische Macht. Diese Macht können Ahnen, Geister und Götter sein. Beim Opfern von Lebewesen war es oft der Fall, dass das Fleisch der Opfergemeinde bzw. dem für die Gemeinde handelnden Priester zum Mahl diente (und nicht oder nur teilweise verbrannt wird).

Ein Opfer ist mit einem Ritual verbunden, bei dem Speisen und Getränke (Öl, Wasser, Wein), Weihrauch, Früchte, aber auch Standeszeichen und Waffen, Vieh oder Geld der Zehnte, in besonderen Fällen auch Menschen endgültig entäußert wurden. In schriftlicher Zeit wird zwischen Sühneopfer, Bittopfer, Dankopfer und Lobopfer unterschieden. Zu den ältesten Opfern gehört auch das alle Bereiche umfassende Erstlingsopfer.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Im Opfer versucht der Mensch Beziehungen zu übermenschlichen Wesen aufzunehmen, diese positiv zu beeinflussen, sei es um auf ein vermutetes Einwirken dieser Wesen in den menschlichen Bereich zu reagieren oder um ein gewünschtes Einwirken hervorzurufen. Opferhandlungen finden sich bei fast allen Kulturen der Menschheit.

Weitreichende Forschungen zur Theorie des Opfers wurden vom englischen Anthropologen Tylor in seinem Werk Primitive Culture von 1871 und von den französischen Soziologen Henri Hubert und Marcel Mauss durchgeführt. In ihren Essais sur la nature et la fonction du sacrifice (1898–1899) erarbeiteten sie unter anderem die vier Grundelemente des Opfers:

  • der Opferer
  • das Opfer*
  • der Adressat des Opfers und
  • der Opferherr, für den und auf dessen Rechnung das Opfer vollzogen wird.

Bestimmte Religionen kannten die Opferung von Früchten, die wie das geschlachtete Tieropfer verbrannt oder ganz oder teilweise gegessen wurden, zuweilen auch in den Besitz der Priesterschaft übergingen. Beim Trankopfer werden Getränke, insbesondere Wasser, Wein und Öl, in oder vor Gräbern oder Tempeln abgestellt oder am Kultplatz vergossen. Das Opfer wird manchmal geschwungen (Schwingopfer) oder auch emporgehoben (Hebopfer), um es vor Gott sichtbar zu machen. Darüber hinaus gibt es auch duftende Rauchopfer, bei denen wohlriechendes Räucherwerk wie Weihrauch und Myrrhe dargebracht wird.

Blutige Opfer fanden sich zunächst in vielen frühen Kulturen, später vor allem in Agrarkulturen. Zur Opferpraxis antiker Kulturen zählte auch das Menschenopfer, in geschichtlicher Zeit von meist von Kriegsgefangenen an den Kriegs-, Stammes oder Nationalgott, teilweise auch das Opfern erstgeborener Kinder.

Geopfert wurde auch Edelmetalle, Hausrat, Waffen, Schmuck, Statuen, z. B. durch Versenken in Flüssen, Seen, Sümpfen oder dem Meer oder durch Aufstellen bzw. Verbringen an Kultplätze (z. B. auf heilige Haine oder Berge, in heilige Höhlen), in Tempel von Göttern oder an bzw. in Gräber von Ahnen. Nicht gemeint ist die Mitgabe von Teilen des Eigentums des Toten als Ausrüstung für das angenommene Leben nach dem Tod als sogenannte Grabbeigaben. Denn so behielt der Tote nach dem Verständnis der Angehörigen was ihm persönlich im Tod gehört, er erhält kein Opfer von den Überlebenden, auch wenn es zusätzlich häufig zu Opferungen kam.

Opfer an Ahnen werden nicht nur dargebracht, um sich diese gewogen zu machen, sondern auch um sie im Jenseits zu ernähren und zu versorgen.

Teilweise wurden auch Handlungen wie mühsame und weite Wallfahrten, die Errichtung eines Kultplatzes, z. B. die Errichtung eines Opferaltars selbst, eines Tempels, einer Kapelle oder Kirche, die Errichtung eines Klosters, die Stiftung eines Kunstwerkes für einen solchen Platz, wie Bilder oder Statuen, als Opfer verstanden. Ein Mönch, ein Fürst oder König oder auch eine Gemeinde, ein Dorf oder eine Stadt z. B. opfert einem Gott, indem er oder sie ihm eine Kirche errichtet bzw. errichten, sei es durch körperliche Arbeit oder sei es durch Hingabe von Geld für diesen Zweck. Durch dieses Verhalten wurden Tempel oder Kirchen oft aufwändig errichtet, oft sehr reich ausgestattet mit prächtigen Kunstwerken und teuersten Materialien, wie Edelsteinen und Edelmetallen, und es wurden oft große Tempel- oder Kirchenschätze angehäuft.

Selten werden auch das bloße Selbstzufügen von Qualen und Schmerzen, wie das Zurücklegen von langen Strecken auf den Knien oder Geißelungen als Opfer verstanden.

Vor- und frühgeschichtliche Opfer

Die spärliche archäologische Fundlage der vor- und frühgeschichtlichen Zeit erlaubt keine näheren Aussagen über Glaubensinhalte. In dieser Zeit sind immer wieder Deponierungen zu beobachten, die als Gaben für Gottheiten oder auch als deponierte Jenseitsausstattungen für Verstorbene zu verstehen sind. Als Opfer sieht man insbesondere solche Deponierungen an, die offenbar unwiderrufbar niedergelegt wurden.

Opfer im alten Mesopotamien

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Der Zweck, den Menschen mit Opfern verfolgten, lässt sich im Gilgamesch-Epos nachvollziehen, das auf Keilschrifttäfelchen zu finden ist. Die Götter beauftragten den Pestgott Namtar die Menschen zu vernichten. Dieser begann, sie mit der Pest zu töten. Ein Gott aber, der Mitleid mit den Menschen hatte, nämlich Enki, verriet den Menschen Atrachasis ein Ritual mit der sie die Seuche besiegen können. Die Menschen sollen von allen Göttern ausschließlich den Pestgott Namtar verehren und nur ihm opfern und zwar bis er überschüttet mit Opfern von seinen tödlichen Tun ablässt. So geschieht es. Dank der Opfer lässt der Pestgott von seinem Wüten ab und die Menschheit lebt weiter. Nun beschließen die Götter, dass der Regengott Adad es nicht mehr regnen lassen soll und die ihm zugeordnete Korngöttin Nisaba kein Korn mehr wachsen lassen soll. So geschieht es. Und wieder verrät der Gott Enki dem Atrachasis das rituelle Gegenrezept: Nun verehren und opfern die Menschen allein Adad und Nisabe, und zwar bis Regen fällt und die Vegetation wieder auflebt.

Opfer bei den germanischen Stämmen

Das Opfermoor bei Niederdorla mit stilisierter Göttergestalt

Der besondere Begriff für die Opferhandlung lautet altnordisch blót (in Variation in der altenglischen- und althochdeutschen Sprache belegt) mit der Bedeutung von stärken, anschwellen – eine sprachliche Verbindung zum Begriff Blut und im übertragenen Sinn eines blutigen Opfers besteht nicht. Im wesentlichen Sinn war das Opfer von der Bestimmung her als Bitt- und Dankopfer gestaltet. Geopfert wurde individuell im privaten Kult, aber auch gemeinschaftlich organisiert, dann auch zu Festen unterjährigen Anlässen wie im Frühjahr, im Mittsommer oder zum Herbst und Mittwinter.

Beim Opfer, das konkret einer Gottheit bestimmt war, wurde zum einem das Idol symbolisch „gespeist“, zum anderen hatte durch den Verzehr des Opfermahls – bestehend aus den zuvor geopferten und anschließend gegarten Tieren – die Opfergemeinschaft Anteil. Auch Waffen und andere militärische Ausrüstung (vermutlich von besiegten Feinden) wurden an diesen Orten dargebracht. Auffällig ist, dass geopferte Waffen zuvor unbrauchbar gemacht wurden. Teilweise sind diese Gegenstände von hohem materiellen wie ideellen Wert (Schwerter, aber auch Schmuck, Fibeln), wodurch der kultisch-rituelle Bezug ersichtlich ist (Brunnenopfer von Bad Pyrmont). Menschenopfer sind seit historischer Zeit schriftlich belegt, wie beispielsweise die Opferung eines Sklaven beim Nerthuskult, so beschrieben von Tacitus. Die archäologischen Fundauswertungen zeigen, dass Menschenopfer sehr selten praktiziert wurden.

Auch für die in Norddeutschland und Dänemark gefundenen Moorleichen, die oft mit Menschenopfern in Verbindung gebracht werden gilt: lediglich ein kleiner Teil der etwa 500 Funde weisen sicher auf einen kultischen Hintergrund hin. Im Zusammenhang mit Menschenopfern ist eine bedingte kultische Anthropophagie nachgewiesen, die auch die animistischen Züge der germanischen Religion anzeigen.[1]

Opfer im Judentum

In der Antike durfte ein Tier nur in Ehrfurcht vor Gott, dem Schöpfer des Lebens, geschlachtet werden. Jeder Fleischmahlzeit ging daher eine religiöse Handlung in einem Heiligtum voraus: das Tieropfer. Außerdem dienten Opfer zur Vergewisserung des Kontaktes der Menschen zum Göttlichen. Im letztgenannten Fall konnte das Opfer auch aus pflanzlichen Lebensmitteln bestehen (Speiseopfer).

Die Tora (5 Bücher Moses) kennt fünf Opferarten, die sich durch ihre Rituale und ihre Anlässe unterschieden.

  • Olah (עלה) [übersetzt mit: Aufstiegsopfer, Ganzopfer, Brandopfer, Holocaust]
  • Mincha (מנחה) [übersetzt mit: Speiseopfer, Getreideopfer]
  • Sebach Schlamim (זבח שלמים) [übersetzt mit: Heilsopfer, Mahlopfer, Friedensopfer]
  • Chattat (חטאת) [übersetzt mit: Sündopfer, Verfehlungsopfer, Reinigungsopfer]
  • Ascham (אשם) [übersetzt mit: Schuldopfer]

Außerdem gab es die Möglichkeit zu freiwilligen Gaben an den Tempel aus Dank oder zur Erfüllung eines Gelübdes.

Die Olah bestand aus der vollständigen Verbrennung eines Rindes, Schafes oder eines Widders, gelegentlich auch einer Taube (wenn jemand arm war). In Bemidbar (Num 28,3-8 elb) wird das Ganzopfer von zwei Schafen – eines am Morgen und eines am späten Nachmittag – als tägliches Opfer geboten. An Festtagen soll ein zusätzliches Schaf geopfert werden, der Zeitpunkt des Opfers ist nicht festgelegt. Hierbei wurde nie eine Ziege geopfert, weil diese für das Chattat-Opfer reserviert ist.

Die Mincha ist die Darbringung eines Brotfladens aus Mehl, vermischt mit Öl und Weihrauch und Salz. Es dient vor allem zum Lebensunterhalt der Priester am Tempel.

Das Sebach Schlamim ist eine festliche Mahlzeit einer Personengruppe. Fett und Nieren des Tieres werden auf dem Altarherd verbrannt, der Rest zubereitet und von den Opfernden verzehrt. Eine antike Fleischmahlzeit war nur in Verbindung mit einem Sebach Schlamim möglich.

Die Chattat dient zur Entsündigung nach einer versehentlichen Gebotsübertretung. Der Hohepriester nimmt eine Ziege, stemmt die Hände auf den Kopf der Ziege und überträgt die Sünde des Menschen auf die Ziege. Die Ziege wird geschlachtet und ihr Blut an den Altar und an den Vorhang im Tempel gesprengt. (Dieser Vorhang trennte das Allerheiligste mit der Bundeslade vom Heiligen, dem normalen Innenraum des Tempels.)

Das Ascham dient zur Entsündigung einer groben und vorsätzlichen Gebotsübertretung. Das Ritual ist ähnlich wie bei der Chattat. Hinzu kommt jedoch noch die Verpflichtung, dass der Opfernde den angerichteten Schaden ersetzen muss.

Eine Beschreibung der verschiedenen Opfer und ihrer Rituale und Gründe findet sich an verschiedenen Stellen in der Tora, vor allem aber in Wajikra (3. Buch Mose) Kapitel 1-8.

Einmal im Jahr fand ein Entsündigungsopfer für das Heiligtum selbst und die Priesterschaft statt: der Versöhnungstag (siehe dazu Wajikra (3. Buch Mose) Kapitel 16.

Die Rabbinen diskutieren nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem im Jahre 70 darüber, welche Handlungen nun an die Stelle der Tieropfer treten könnten. Sie kamen zu drei Ergebnissen:

  • das Gebet (damit ist die Amida gemeint)
  • Erfüllung der Mitzwot
  • das Studium der Tora

Untermauert von prophetischen Texten wie Hosea 14,3 oder Psalm 51,17-19 setzte sich schließlich rechtsgültig das Gebet als liturgische Opfer-Ersatzhandlung für die tägliche Olah durch. Im Judentum wurde das Gebet daher eine religiöse Pflicht, die wie das antike Opfer zu festgelegten Zeiten (Morgens und Nachmittags) mit einem festgelegten Bittenkanon erfüllt wird.

Von Abraham berichtet das Alte Testament der Bibel, Gott habe zwar prinzipiell von ihm auch die Opferung des Sohnes Isaak verlangt (Menschenopfer waren aus Nachbarreligionen bekannt), jedoch den Ersatz durch ein Opfertier angeordnet. Im Judentum wurden zur Zeit Jesu die Tieropfer zentral im Tempel von Jerusalem vollzogen. Diese wurden durch Schlachtung dargebracht.

Schon das Alte Testament kennt auch geistige Opfer, so etwa in Psalm 51,19: Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen.

Die Propheten kritisierten zuweilen die scheinheilige Opferpraxis: "Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer" (Hosea 6,6). Sie forderten im Namen Gottes statt der Tieropfer, die Gott nicht brauche, Barmherzigkeit gegenüber sozial Benachteiligten wie Witwenund Waisen.

Christentum

Das Christentum stellt das bisherige religiöse Opfer in Frage. Im Neuen Testament hat Gott selbst sich durch seine Menschwerdung bis hin zur letzten Konsequenz des Kreuzestodes als letztes und endgültiges Opfer dargebracht. Hier zeigt sich religionsgeschichtlich insofern eine Wende, als hier nicht mehr der Mensch opfert, sondern sich Gott aus Liebe dem Menschen unumkehrbar hingibt. Diese Hingabe wird für die Christen deutlich in den Worten des Abendmahls Das ist mein Leib, mein Blut für euch und setzt sich in der Feier der sonntäglichen Eucharistie fort. Nach katholischer Lehre ist die Heilige Messe, die auch als Messopfer bezeichnet wird, die unblutige Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Christi und Vorwegnahme des himmlischen Hochzeitsmahles. Da der Gesang zur Gabenbereitung vor dem Hochgebet lateinisch Offertorium (von offerre = darbieten) heißt, wurde daraus die deutsche Übertragung Opferung.

Verschiedene Ausdeutungen des Opferbegriffs

Tätige Nächstenliebe
Da das Christentum tätige Nächstenliebe (etwa im Gleichnis vom barmherzigen Samariter) zu seinen Geboten und Pflichten zählt, gilt neben der zeitlichen auch die materielle Aufwendung zugunsten eines anderen Menschen als Gott wohlgefälliges Opfer.

Votivgaben und -kerzen

Votivbilder im Rundgang der Gnadenkapelle von Altötting.

Votivgaben sind Gegenstände eines Gelöbnisses ("ex voto"), die in einigen Konfessionen als Dank- oder Bittzeichen auf Altären und vor Heiligenbildnissen aufgestellt und vor allem in Wallfahrts-Kirchen gestiftet (volkstümlich:„geopfert“) werden. Man erfleht Rettung, Schutz, Segen und Gesundheit für Mensch und Vieh bzw. dankt dafür. Votivgaben können aus den verschiedensten Materialien (Metalle, Holz, Ton oder Wachs, Textilien) gefertigt sein. Als symbolische Motive finden sich menschliche Gestalten, Organe oder Gliedmaßen, Tiere, in jüngerer Zeit auch Autos. Zu den verbreitetsten Votivgaben zählen Votivtafeln oder -bilder, die die zum Schutz angerufenen Heiligen, die Votanten und die Anlässe zeigen und meist eine schriftliche Information, zumindest eine Jahreszahl, tragen.

Auch Beiträge zur Schaffung von Kirchenbauten, deren Erhaltung, Ausstattung und Ausschmückung gelten als Opfer, da Kirchen nicht nur als Versammlungsplätze, sondern als Gotteshäuser betrachtet werden. Solche Beiträge werden sowohl als Lobopfer dargebracht, um Liebe und Verehrung zu zeigen, aber auch als Sühneopfer dargebracht, um Reue auszudrücken.

Martyrium
Wer im Falle religiöser Verfolgung lieber den Tod erduldet, als vom Glauben abzufallen, ihn zu widerrufen und/oder das verlangte Böse zu tun, erleidet das Martyrium. Das Martyrium gilt als besonders verdienstvoll und als besonderer Ausdruck der Liebe zu Gott und zum Nächsten („Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde.“ (Joh 15,13).

Opfer im Hinduismus

Unter dem Begriff des Opfers (Sanskrit, m., यज्ञ yajña, Opfer, Hingabe) werden neben dem Ritual und dem materiellen Opfer auch eine besondere geistige Haltung und Hingabe verstanden.

Älterer Hinduismus In der vedischen Zeit (ab 1200 v. Chr.) war das Opfer die wichtigste religiöse Zeremonie. Im Rigveda heißt es: „das Opfer ist der Nabel der Welt“. Ein vedisches Opfer bestand aus dem Feueropfer von Getreide, Milch, Butter etc. und Somasaft auf einem Altar. Man glaubte, dass durch Opfer materieller und geistiger Wohlstand erreicht werden könne. Nach dem Purusha-Sukta ist die Schöpfung aus dem Selbstopfer des Urriesen Purusha entstanden, das die Menschen nun immer wieder wiederholen müssen, damit die Welt bestehen bleibt.

Zur Zeit der Brahmanas (800 v. Chr. – 500 v. Chr.) wurde größter Wert auf die korrekte Durchführung des Opfers gelegt. Zu diesem Zwecke wurde eine umfangreiche Ritualliteratur, eben die Brahmanas erstellt. Die exponierte Stellung der Brahmanen entstand in dieser Zeit. Die komplizierten Riten erforderten drei Priester, den Rezitierenden (Hotri), den Sänger (Udgatri) und den Opfernden (Adhvaryu). Die innere Haltung spielte keine Rolle, die Wirksamkeit des Opfers sah man durch die minutiöse Einhaltung der Regeln gewährleistet. Man glaubte, der betreffende Gott müsse bei Beachtung der rituellen Vorschriften das Erbetene gewähren.

In der Upanishaden-Zeit (700 v. Chr. – 200 v. Chr.) kamen Zweifel am Opfer auf, vor allem an dessen mechanischer Ausführung. In der Katha-Upanishad sagt der Knabe Nachiketas: „Freudlos sind sicher die Welten, in die derjenige gelangt, der Kühe als Geschenk, die nicht mehr trinken, essen, Milch geben und Kälber zur Welt bringen können“. Sein Vater hatte in Hoffnung auf Belohnung das Vishvajit-Opfer vollzogen, bei dem er seinen ganzen Besitz an Brahmanen weggeben hatte. Der Vater war sehr erbost über die freche Bemerkung seines Sohnes und schickt ihn zum Todesgott Yama. Dieser lehrte Nachiketas, dass die Seele (Atman) unsterblich sei. Diese metaphysischen und philosophischen Spekulationen drängten die pure Opferritualistik immer mehr in den Hintergrund.

In der Bhagavadgita werden die vielfältigen Formen des Opfers von Krishna vor allem im 4. Kapitel genannt und seine Bewertung des Opfers gipfelt in der Aussage, dass ein dingliches Opfer zwar gut sei, ein geistiges Opfer aber schwerer wiege (Vers 4.33).

Durch das Aufkommen des Bhakti Yoga, das die liebende Hingabe an einen persönlichen Gott in den Vordergrund stellte, verlor das Opfer weiter an Bedeutung. In der religiösen Praxis hat es sich in Form von Tempelspenden jedoch erhalten. Beeindruckend sind große Pilgerzentren wie Tirumala Tirupati, wo sich die vielen kleinen Geld- und sonstigen Spenden der zahlreichen Pilger zu beachtlichen Spendenaufkommen summieren. Auch Blütenopfer vor einen Götterbild oder Haarspenden (im Zusammenhang mit Gelübden) zeugen davon, dass diese Tradition durchaus weiterlebt.

Opfer im buddhistischen Verständnis

Ein häufiges Ritual, was in Tempeln abgehalten wird, ist die Puja, eine Andacht zu Ehren Buddhas. Es werden zwar Rauch, Blumen, Speisen und dergleichen geopfert, aber Buddha lehnt (große) Opfer als sinnlos ab. Insofern ist es als Verdienstübertragung zu verstehen, als dass man durch gute Werke (z. B. Beschenken von Mönchen) Verdienste erwirbt, die sich auf das eigene Glück auswirken sollen. Hier steht der Gedanke des Karma in Vordergrund. Dem kundigen Buddhisten ist allerdings klar, dass er durch diese Praxis kein Nirwana erreichen kann. Ein weiterer Aspekt des Opfers im Buddhismus ist das Üben von Freigiebigkeit. Diese ist eine der sechs Handlungen eines Bodhisattvas (Paramitas), die letztendlich zur Erleuchtung führen. Das Darbringen von äußeren und inneren Objekten ist hier Teil eines Geistestrainings.

Säkularisierter Opferbegriff

Die Verwendung des Opferbegriffs in der Umgangssprache reflektiert ins alltägliche Bewusstsein eingegangene Vorstellungen, die aus einem religiösen Kontext stammen und durch die Tradition des Christentums und der Aufklärung vermittelt worden sind. Diese Verwendung des Begriffs hebt die Schuldlosigkeit eines Einzelnen in Bezug auf das ihm widerfahrende Leid hervor (Katastrophenopfer, Drogenopfer usw.) oder die Schuld eines Täters (Opfer im Sinne der Kriminologie) oder gar eine Kollektivschuld (Holocaust, Pogrome, Verfolgungen im Allgemeinen). Aus derselben Tradition hergeleitet – allerdings mit einer starken romantischen Prägung – ist die Verwendung des Begriffs "Opfer", um Handlungen zu bezeichnen, die ausschließlich für das Gute anderer oder der Allgemeinheit vollzogen werden.

Anmerkungen

  1. Günther Behm-Blancke: Kult und Ideologie. In: B. Krüger: Die Germanen Bd. 1. Akademie Verlag, Berlin 1983. S. 363ff. Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen. WGB, Darmstadt 2003. ISBN 3534169107. S. 42ff.

Siehe auch

Literatur

  • Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod. Berlin 1982
  • Georges Bataille: Theorie der Religion. München 1997, ISBN 3-88221-277-2; Opfer als ein Schlüsselbegriff
  • Kurt Friedrichs: Die Katha-Upanishad. Von der Unsterblichkeit des Selbst. Otto Wilhelm Barth Verlag, München, 1989
  • Ulrich Enderwitz: Reichtum und Religion. Zweites Buch (Der religiöse Kult), Ça ira Verlag, Freiburg 1991, ISBN 3-924627-27-4 [1]
  • Gunnar Heinsohn: Die Erschaffung der Götter. Das Opfer als Ursprung der Religion. Rowohlt Verlag, Reinbek 1996, ISBN 3-498-02937-1
  • Henri Hubert und Marcel Mauss: Essais sur la nature et la fonction du sacrifice Paris (1898–1899) = Sacrifice: Its Nature and Function. London 1964.
  • Ralf Miggelbrink: Opfer. Systematische Theologie und die Rezeption eines religionsgeschichtlichen Schlüsselbegriffes, in: Trierer theologische Zeitschrift 112 (2003), S. 97-112
  • Burkhardt Wolf: Die Sorge des Souveräns. Eine Diskursgeschichte des Opfers. Diaphanes Verlag, Zürich/Berlin 2004, ISBN 3-935300-68-9
  • Guido Telscher: Opfer aus Barmherzigkeit. Hebr 9,11-28 im Kontext biblischer Sühnetheologie. Echter Verlag, Würzburg, 2007, ISBN 978-3-429-02891-6
  • Edward Burnett Tylor: Primitive Culture (1871) / Die Anfänge der Cultur : Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte (Reprint, Hildesheim, Georg Olms 2005) ISBN 3-487-12096-8. (1871) New York 1970.

Film

Eine bedeutende filmkünstlerische Umsetzung des Themas schuf Andrei Tarkowski mit seinem Film Offret.

Weblinks


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