- Seeing-Skala
-
Das Seeing oder auch astronomische Seeing ist ein Begriff aus der Astronomie, der die Bildunschärfe durch atmosphärische Störungen (Luftunruhe) bei der Beobachtung des Nachthimmels bezeichnet. Es wird normalerweise in Bogensekunden angegeben und dabei oft über die Halbwertsbreite FWHM (Full width at half maximum) der Abbildung einer Punktquelle (z. B. entfernter Stern) gemessen.
Um das Seeing direkt aus einer Bildaufname zu bestimmen, muss das Bild mindestens mehrere Sekunden lang belichtet (integriert) werden. Typische Werte für das europäische Festland liegen bei 2 bis 5 Bogensekunden. An Standorten mit besonders gutem Seeing wie in der Atacamawüste in Chile, auf den kanarischen Inseln, der südspanischen Sierra Nevada, Hawaii, oder anderen bevorzugten Standorten für Großteleskope ist der Mittelwert besser als 1 Bogensekunde, bei sehr guten Bedingungen kann es auf weniger als 0,4 Bogensekunden sinken.
Das Seeing ist schwach von der Wellenlänge des beobachteten Lichtes abhängig, längere Wellenlängen haben kleinere Seeingwerte. Ohne Wellenlängenangabe bezieht es sich meistens auf eine Wellenlänge von 500 nm (türkisfarben). Das Seeing ist eine direkte Folge der optischen Turbulenz der Erdatmosphäre. Durchläuft eine perfekt plane Lichtwellenfront eines weit entfernten Sterns die Erdatmosphäre, erzeugt diese Störungen in der Wellenfront in der Größenordnung von einigen Mikrometern. Für sichtbares Licht sind diese Störungen teilweise größer als die Lichtwellenlänge.
Um eine vom Seeing unabhängige, möglichst beugungsbegrenzte Abbildung zu erreichen, gibt es mehrere technische Ausgleichsmaßnahmen wie die Speckle-Interferometrie, das Lucky Imaging oder die adaptive Optik. Diese Techniken führen bei relativ kleinen Gesichtsfeldern im Infrarotbereich zu sehr guten Ergebnissen.
Inhaltsverzeichnis
Entstehung
Das Seeing entsteht durch Turbulenzen in Luftschichten, die das von außerhalb der Atmosphäre ankommende Licht unregelmäßig ablenken (brechen). Bei der Beobachtung mit dem bloßen Auge ist der Effekt als Blinken und Funkeln der Sterne zu erkennen (Szintillation). Auf Bildern mit längerer Belichtungszeit führt das Seeing dazu, dass der Lichtstrahl einer punktförmigen Quelle über einen größeren Bereich „verschmiert“; das Bild wird unscharf. Der Ablenkungseffekt ist umso größer und schneller veränderlich, je kürzer die beobachtete Wellenlänge ist. Eine extreme Form dieses Turbulenzeffekts ist das Flimmern der Luft über heißem Asphalt.
Das Seeing hat mehrere Ursachen. Der Jet-Stream in der Hochatmosphäre ist weitgehend laminar und trägt kaum zum Seeing bei. Die Übergangsschicht zu tieferliegenden Luftschichten ist jedoch oft turbulent und eine der Hauptursachen für das Seeing. In geringerer Höhe erhöhen weitere eventuelle Übergangsschichten das Seeing. In Bodennähe sind Winde oft turbulent, weil sie zuvor über unebenem Boden waren. Die Wetterlage beeinflusst das Seeing ebenso, im Rücken einer Kaltfront ist die Luft zwar sehr rein, aber eben auch stark turbulent. Zusätzlich trägt die Thermik des Bodens zum Seeing bei, die durch den Temperaturunterschied zwischen tagsüber aufgeheiztem Erdboden und kühler Nachtluft zustande kommt.
Diese Faktoren lassen sich nicht aktiv beeinflussen, aber durch eine geeignete Wahl des Teleskopstandorts minimieren. So sind etwa über Chile der Jet-Stream und der darunterliegende Wind oft nahezu parallel, was die Turbulenz mindert. Außerdem kommt der Wind von See, wodurch die Turbulenz in Bodennähe ebenfalls geringer ist. Daher ist es ein bevorzugter Standort für moderne Teleskope. Das thermische Bodenseeing wird außerdem durch Vegetation, besonders Wälder, verschlechtert.
Weiter gibt es noch künstliche Beiträge zum Seeing durch die Thermik des Teleskops selbst und der Teleskopkuppel („Saalrefraktion, dome seeing“). Diese lassen sich durch eine aktive Kühlung während des Tages auf die erwartete Nachtemperatur und eine geschickte Bauweise verhindern. Generell sind alle Hitzequellen innerhalb der Kuppel eine Quelle von schlechtem Seeing. Dies gilt auch für den Beobachter, weswegen das Teleskop zunehmend von getrennten Kontrollräumen aus gesteuert wird. Um eine möglichst laminare Strömung direkt am Teleskop zu erreichen, werden Forschungsteleskope heute nicht mehr mit Tubus gebaut, sondern mit einer versteifenden Gitterkonstruktion, welche die Luft passieren lässt. Ferner lassen sich heutige Teleskopkuppeln deutlich weiter öffnen als frühere Konstruktionen.
Aus physikalischer Sicht lässt sich zusammenfassend sagen, dass das Seeing durch Änderungen der Brechzahl der Luft entsteht. Deshalb spricht man oft auch von optischer Turbulenz der Atmosphäre. Die Brechzahl selbst ist sehr stark abhängig von der Temperatur, der Dichte und der Zusammensetzung der Atmosphäre. Weiterhin hängt die Brechzahl von der Wellenlänge ab.
Beschreibung der optischen Störungen
r0 und t0
Das Seeing eines Teleskopstandortes kann durch die Parameter r0 und t0 beschrieben werden. Bei Teleskopen mit einem Durchmesser D kleiner als r0, ist die Halbwertsbreite FWHM einer Punktquelle bei einer Langzeitaufnahme proportional zur Wellenlänge λ und reziprok zum Teleskopdurchmesser, FWHM = λ / D. Teleskope mit einem größeren Durchmesser als r0 haben hingegen eine durch r0 beschränkte Halbwertsbreite, FWHM = λ / r0. r0 beträgt für sichtbares Licht bei guten Sichtbedingungen 10–20 cm und typischerweise 5 cm auf Meereshöhe.
r0 wird oft als Fried-Parameter, nach David L. Fried bezeichnet und ist proportional zu λ6 / 5.
Die typische Zeitskala t0 für die atmosphärischen Fluktuationen ergibt sich aus r0 durch Division durch die mittlere Windgeschwindigkeit, t0 ≈ 0.3 r0 / vwind. Sie liegt für sichtbares Licht im Bereich weniger Millisekunden. Ist die Beobachtungszeit kleiner als t0 sind die atmosphärischen Störungen sozusagen eingefroren, liegt sie deutlich darüber, ergibt sich ein über die Störungen gemitteltes Bild.
Das Kolmogorow-Turbulenzmodell
Nach Kolmogorov Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow entsteht die Turbulenz in der Erdatmosphäre durch Energiezufuhr von der Sonne in großen Luftballen (Engl. eddies). mit der charakteristischen Größe L0. Diese zerfallen schließlich in immer kleinere Luftballen der charakteristischen Größe l0, die ihre Energie über Viskosität in Wärme umwandeln (Dissipation). Typische Werte für L0 liegen im Bereich von einhundert Metern und für l0 im Bereich einiger Millimeter.
Die mathematisch physikalische Grundlage des Kolmogorov Modells basiert unter anderem auf dem Konzept von Strukturfunktionen.
Dabei wird angenommen, dass für die betrachteten statistischen (turbulenten) Störungen (Phasenstörungen, Temperaturstörungen, Druckstörungen) der jeweilige räumliche Mittelwert (durch eckige Klammern gekennzeichnet) Null ist, also z. B. für die Phase elektromagnetischer Wellen φ folgendes gilt: < φ > = 0.
Dieses Modell wird durch eine Vielzahl von Messungen gestützt und wird häufig auch zur Simulation astronomischer Bilder genutzt.
Die Strukturfunktion D beschreibt die räumlichen Eigenschaften des turbulenten Mediums. Dies geschieht indem die mittlere Differenz des statistischen Prozesses an zwei Orten (r und r+ρ) bestimmt wird:
- .
Das Kolmogorov Modell der Turbulenz führt zu einer einfachen Relation (von Valerian Illich Tatarskii) zwischen der Phasenstrukturfunktion Dφ und einem einzigen Parameter, der so genannten Kohärenzlänge r0 auch Fried-Parameter genannt. Es gilt:
r0 ist ein Maß für die Stärke der Turbulenzen bzw. der Phasenänderung. Fried (1965) und Noll (1976) fanden heraus, dass r0 ebenfalls dem Durchmesser entspricht, für den die Varianz σ2 der Phase über die Öffnung (Teleskopdurchmesser) d gemittelt 1 erreicht:
Diese Gleichung stellt die übliche Definition für r0 dar.
Darstellung optischer Störungen durch Zernike-Polynome
In der Optik werden Abbildungsfehler (Aberrationen) oft als Summe spezieller Polynome, so genannter Zernike-Polynome, dargestellt. Gleiches lässt sich für die statistischen, atmosphärischen Aberrationen machen; jedoch sind jetzt die Koeffizienten der Zernike-Polynome die z. B. Defokus, Koma, Astigmatismus usw. beschreiben nun ebenfalls statistische Funktionen, die sich mit der Zeit ändern. Die folgende Tabelle (nach Noll 1976) gibt die mittleren quadratischen Amplituden der Aberrationen Δj und der verbleibenden Phasenstörung nach Eliminierung der ersten j Terme:
Zj n m Gleichung Beschreibung Δj Δj − Δj − 1 Z1 0 0 1 1,030 S Z2 1 1 2rcosφ Schieflage 0,582 S 0,448 S Z3 1 1 2rsinφ Schieflage 0,134 S 0,448 S Z4 2 0 Defokus 0,111 S 0,023 S Z5 2 2 Astigmatismus 0,0880 S 0,023 S Z6 2 2 Astigmatismus 0,0648 S 0,023 S Z7 3 1 Koma 0,0587 S 0,0062 5 Z8 3 1 Koma 0,0525 S 0,0062 S Z9 3 3 0,0463 S 0,0062 S Z10 3 3 0,0401 S 0,0062 S Z11 4 0 Sphärische Aberration 0,0377 S 0,0024 S Mit Abkürzung S = (D / r0)5 / 3, r bezeichnet den Abstand vom Mittelpunkt und φ den Azimuthwinkel.
Skalen
Es gibt verschiedene Skalen zur Bewertung des Seeing. Sie unterschieden sich im Aufwand, den Seeing-Wert zu bestimmen und ob sie instrumentenabhängig sind oder nicht.
Da an unterschiedlichen Orten verschiedene atmosphärische Störfaktoren erzeugt werden, ist eine lokalspezifische Angabe einer Seeing-Skala hilfreich, wenn es um die Wahl des Beobachtungsortes geht. Außerdem gehört solch eine Aussage über die Luftunruhe der Atmosphäre zu jedem Beobachtungsbericht eines astronomischen Objektes. Diese ist dann auch nützlich bei der Auswahl eines Objektes bei einem bestimmten Seeing.
Die Beurteilung des Seeing in einer Seeing-Skala erfolgt in erster Linie mit optischen Hilfsmitteln. Da die Beurteilung des Seeing jedoch stark von deren Optik abhängig ist, gehören auch Angaben über das verwendete Instrument (Instrumenttyp und Vergrößerung) zu jedem Beobachtungsbericht.
In der professionellen Astronomie wird das Seeing heutzutage standardmäßig mit einem sogenannten Seeing Monitor (DIMM, Differential Image Motion Monitor) bestimmt. Andere Methoden/Skalen werden wenn überhaupt noch, dann in der Amateurastronomie verwendet.
Pickering-Skala
Die Pickering-Skala nach William Henry Pickering gibt Auskunft über den Grad der Luftunruhe im Vergleich zu einem „perfekten“ Bild ohne hohe atmosphärische Störungen. Deshalb erfolgt die Angabe des Seeing auch in der Form 1/10 (für das schlechteste), 2/10 usw. Pickering benutzte bei der Erstellung seiner Skala einen 5-Zoll-Refraktor.
Die Klassifizierung erfolgt in zehn Kategorien:
- 1) Sehr schlecht: Der Stern ist zweimal so groß wie der Durchmesser des dritten Beugungsringes. Der Stern erscheint 13″ im Durchmesser.
- 2) Sehr schlecht: Der Stern ist gelegentlich größer als der Durchmesser des dritten Beugungsringes.
- 3) Schlecht bis sehr schlecht: Der Stern ist etwa so groß wie der Durchmesser des dritten Beugungsringes (6,7″) und in der Mitte heller.
- 4) Schlecht: Das zentrale Sternscheibchen ist oft zu sehen. Teile der Beugungsringe (Bögen) sind manchmal zu sehen.
- 5) Günstig: Das zentrale Sternscheibchen ist immer zu sehen. Bögen der Beugungsringe sind oft sichtbar.
- 6) Günstig bis gut: Das zentrale Sternscheibchen ist immer zu sehen. Kurze Bögen der Beugungsringe sind immer sichtbar.
- 7) Gut: Das zentrale Sternscheibchen ist manchmal scharf begrenzt. Die Beugungsringe sind als lange Bögen oder vollständige Kreise zu sehen.
- 8) Gut bis hervorragend: Das zentrale Sternscheibchen ist immer scharf begrenzt. Die Beugungsringe sind als vollständige Kreise oder lange Bögen zu sehen, aber in Bewegung.
- 9) Hervorragend: Der innere Beugungsring ist ruhig. Die äußeren Ringe sind gelegentlich in Ruhe.
- 10) Hervorragend/perfekt: Das ganze Beugungsbild ist vollständig ruhig.
9 und 10 kommen in Mitteleuropa nicht vor.
Antoniadi-Skala
Die Antoniadi-Skala nach Eugène Michel Antoniadi ermöglicht eine grobe Einordnung des Seeing. Sie wird hauptsächlich in der Amateurastronomie verwendet.
Die Bewertung erfolgt in fünf Gruppen:
- I Perfektes Bild ohne die geringste Bildunruhe
- II Leichte Wallungen, aber Phasen der Ruhe, die wenigstens einige Sekunden lang ist
- III Mittelmäßige Luftruhe. Auffälliges Bildzittern
- IV Schlechtes Seeing, ständig störendes Wabern
- V Sehr schlechtes Seeing, welches kaum das Anfertigen einer Groben Skizze zulässt
Überschreiten der Seeing-Barriere
Das Seeing begrenzt bei konventionellen optischen Teleskopen die Winkelauflösung auf ca. 1 Bogensekunde. Das entspricht der theoretischen Auflösungsgrenze eines 12,5-cm-Teleskops bei einer Wellenlänge von 0,5 µm (grünes Licht). Der erste Schritt, diese Barriere zu durchbrechen, war die Speckle-Interferometrie, welche die Beobachtung heller Objekte mit hoher Auflösung erlaubt. Hierfür werden eine Vielzahl von Aufnahmen desselben Objekts jeweils mit einer Belichtungszeit kleiner t0 angefertigt. Durch eine mathematische Bildanalyse wird die Phasenabweichung (Bispektrum) gemittelt, so dass sich die temporären Abweichungen aufheben. Vereinfachte Methoden, wie das das „Image Stacking“, welche die beiden Zernike-Moden der Schieflage durch eine einfache Bildverschiebung beseitigen, erlauben bereits eine Verbesserung um den Faktor 8; besser ist noch das „Lucky Imaging“, welches zudem nur die Bilder verwendet, bei denen die restlichen Phasenstörungen gerade gering sind. Die prinzipielle Begrenzung des Verfahrens liegt in den notwendigen kurzen Belichtungszeiten. Das beobachtete Objekt muss während dessen ausreichend viel Licht für ein rauscharmes Bild liefern, welches für die Nachbearbeitung geeignet ist. Diese Grenze ist insbesondere durch die Entwicklung von hochempfindlichen, fast rauschfreien „Electron Multiplying CCD“-Bildsensoren deutlich nach unten verschoben worden.
Anfang 1990 wurden die ersten Großteleskope mit einer adaptiven Optik ausgestattet, die die Phasenstörung ausgleicht. Je größer der Teleskopspiegel und je kürzer die Wellenlänge der Beobachtung ist, umso mehr Freiheitsgerade muss das System haben, um eine vollständige Korrektur zu erreichen. Auch hier muss ein lichtstarkes Objekt zumindest in der Nähe des untersuchten Objekts sein, um genügend Information zur Einstellung der Optik zu liefern. Durch die Verwendung eines Laserleitsterns kann diese Grenze überwunden werden.
Von der NASA wurde 1990 das Hubble-Weltraumteleskop in eine Erdumlaufbahn gebracht. Es ist vom Seeing nicht betroffen, da es außerhalb der Atmosphäre arbeitet. Bedingt durch seinen Spiegeldurchmesser von 2,4 m liegt aber sein Auflösungsvermögen unter dem von größeren terrestrischen Teleskopen. Der geplante Nachfolger, das James Webb Space Telescope soll einen Primärspiegel mit einem Durchmesser von 6,5 m erhalten.
Siehe auch
Literatur
- Fried, David L. (1965): Statistics of a Geometric Representation of Wavefront Distortion. J Opt Soc Am 55, 1427-1435
- Noll, R.J. (1976): Zernike polynomials and atmospheric turbulence. J Opt Soc Am 66, 207-211
Weblinks
- Dem Seeing ein Schnippchen schlagen, Artikel aus der Zeitschrift Sterne und Weltraum (pdf)
- Chr. Pinter: Bildstörung am Himmel
- Über das Seeing
zu Seeing-Skalen:
Wikimedia Foundation.