Seelenwanderung

Seelenwanderung

Der Begriff Reinkarnation /ˌreːɪnkarnaˈtsi̯oːn/(lateinisch Wiederfleischwerdung oder Wiederverkörperung), auch Palingenese (altgriechisch, aus πάλιν, pálin „wiederum“, „abermals“ und γένεσις, génesis „Erzeugung“, „Geburt“) bezeichnet Vorstellungen der Art, dass eine (zumeist nur menschliche) Seele oder fortbestehende mentale Prozesse (so oft im Buddhismus verstanden) sich nach dem Tod – der „Exkarnation“ – erneut in anderen empfindenden Wesen manifestieren. Vergleichbare Konzepte werden etwa auch als Metempsychose, Transmigration, Seelenwanderung oder Wiedergeburt bezeichnet. „Außerkörperliche Erfahrungen“ werden oft in Zusammenhang mit dem Begriff Reinkarnation gebracht. In einigen, aber keineswegs in allen Reinkarnationslehren ist auch die Karmalehre integriert.

Die Vorstellung eines neuen Lebens nach dem Tod ist (in Verbindung mit animistischen und/oder gnostischen Vorstellungen) in vielen Kulturen und religiösen Lehren verbreitet: im Griechenland der Antike, im römischen Kaiserkult, im Manichäismus und weiteren gnostischen Strömungen, in der jüdischen Kabbala, in der Mystik des Islam und in der modernen Esoterik. Eine systematische Reflexion erfuhr die Reinkarnationslehre vor allem aber in den östlichen Religionen Hinduismus, Jainismus und Buddhismus.

Inhaltsverzeichnis

Reinkarnation im Kontext der Weltreligionen

Hinduismus

Im Hinduismus entwickelte sich die Reinkarnationslehre (Sanskrit: punarbhava = Wieder-Werden) nach dem Ende der vedischen Zeit und mit dem Aufkommen der Literatur der Upanishaden (ab etwa 700 v. Chr.). Die klassische Ausformulierung der hinduistischen Reinkarnationslehre vom Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara) ist in der Bhagavadgita enthalten.

Illustration der hinduistischen Reinkarnationslehre

Nach hinduistischer Vorstellung ist der Mensch eine unsterbliche Seele (Atman), die sich nach dem Tode des Körpers in einem neu in Erscheinung tretenden Wesen – dies können auch Tiere sein – wieder verkörpert. Die Qualität der Wiedergeburt oder Seelenwanderung ist abhängig von den in der/den Vorexistenz/en gewirkten Taten (Karma). „Wie einer handelt, wie einer wandelt, ein solcher wird er. Aus guter Handlung entsteht Gutes, aus schlechter Handlung entsteht Schlechtes“, lehren die Upanishaden. Karma (die Tat) ist verknüpft mit der Vorstellung an eine sittliche Weltordnung (Dharma), wodurch alle Handlungen gemäß dem Prinzip von Ursache und Wirkung die Voraussetzung für die künftige Wiedergeburt darstellen. Ein jedes Wesen besteht aufgrund seines in früheren Daseinsformen angesammelten Tatenpotenzials, welches also das Gesamtergebnis einer jeden Existenz bewirkt. Folglich ist der Tod nicht der Abschluss des Lebens, sondern lediglich der Übergang zu einer neuen Daseinsform. Erhalten bleibt der durch den Atman (ewige Seele) begründete, ewige und unveränderliche Wesenskern des Menschen. Der Jiva (die individuelle Seele) ist der Atman (ewige Seele) zusammen mit Vernunft, Gefühlen und Wünschen, der sich stets aufs neue manifestiert. Wohin der Jiva nach dem Tod des Körpers geht, darüber bieten hinduistische Schriften keine eindeutigen Berichte an. Aber wie in allen Kulturen gibt es auch bei den Hindus den Begriff von Himmel und Hölle. Die Schriften schildern verschiedene Himmel, wo der Jiva mit gutem Karma sich eine Weile in überirdischen Freuden aufhalten kann; die Mythologie malt ebenso Bilder aus von schrecklichen Höllen, in der er solange großes Leid erfährt, bis sein schlechtes Karma verbraucht ist. Doch der Aufenthalt ist in beiden Fällen nicht ewig: Nach einiger Zeit kehrt das Individuum auf die Erde zurück, um wieder und wieder geboren zu werden – bis zur endgültigen Erlösung, Moksha. Dieser Kreislauf der Wiedergeburten gilt als Naturgesetz, Kategorien wie Strafe oder Belohnung gelten hier nicht.

Während einige hinduistische Richtungen das Gesetz des Karma, wonach das Individuum ausschließlich selbst für seine Erlösung verantwortlich ist, als unerbittlich ansehen, vertrauen andere Hindus auf Gottes Gnade, die Karma vernichten und das Individuum erretten kann (vgl. Bhakti). Diese göttliche Hilfe ist ein Hauptthema in hinduistischen Gebeten.

Das Ziel des Hindu besteht darin, den ewigen und mit ständigen Leiderfahrungen verbundenen Kreislauf von Werden und Vergehen zu überwinden. Die Tradition kennt drei klassische Wege, durch die Erlösung (genannt Mukti oder Moksha) erlangt werden kann und damit verbunden den Austritt aus dem Geburtenkreislauf: Der Weg des Wissens (Jnana Yoga), der Weg der Tat (Karma-Yoga), der Weg der Gottesliebe (Bhakti-Yoga). Viele Denker (etwa Vivekananda) zählen noch einen vierten Weg dazu, Raja Yoga, den „Königsyoga“, der mit speziellen Yogaübungen und Meditation verbunden ist.

Buddhismus

In der Frage der Reinkarnation geht der Buddhismus (entstanden etwa 500 v. Chr.) grundlegend andere Wege als der Hinduismus. In Ablehnung einer geschaffenen, individuellen Seele (Anatta-Lehre) kennt er keinen Übergang einer seelischen Substanz von der einen auf die andere Existenz, keine Transmigration, keine Wanderung der Seele. Wiedergeburt wird verstanden als eine Kontinuität der Geistesprozesse, als Fortsetzung der beim Ableben eines Individuums noch nicht erloschenen mentalen Kräfte, die sich in einer (oder mehreren) neu in Erscheinung tretenden Existenz(en) aufs Neue reaktualisieren.[1] Verdeutlicht wird dies durch ein Bild, welches im Mahayana Buddhismus geläufig ist: Alles Leben auf der Erde wird durch einen endlosen Fluss symbolisiert. In diesem Fluss bilden sich Wirbel, die entstehen und nach einiger Zeit wieder vergehen. Diese Wirbel symbolisieren die Existenz von Lebewesen. Durch die Auflösung der Wirbel, also durch den Tod der Menschen, fließt das Wasser, welches symbolisch für das Leben steht, und formt immer wieder neue Wirbel.

Im Buddhismus ist Karma die den Wesen innewohnende Fähigkeit zu gezieltem, absichtsvollem Handeln („Die Absicht nenne ich Karma, ihr Mönche“, Buddha), aber auch das Prinzip von Ursache und Wirkung. Auf individueller Ebene bedeutet Karma Tat, Handeln, Wirken, und dessen Folgen in diesem und folgenden Leben. Jede positive oder negative Erfahrung ist durch eine frühere positive oder negative Tat – als körperlicher, sprachlicher und gedanklicher Ausdruck – bedingt und führt ihrerseits wieder zu positiven oder negativen Auswirkungen, verändert somit das Karma. Diese Auswirkungen sind nicht zufällig, unterliegen aber auch keinem höheren (göttlichen) Diktat wie etwa Fügung, Vergeltung usw.

Die Ursache einer Wiedergeburt liegt nach buddhistischer Auffassung im Begehren nach Sinnesbefriedigung, im Trieb nach Sein und Verwirklichung. Wiederwerden ist deshalb so lange gegeben, wie verursachende, nach Realisierung drängende Triebkräfte vorhanden sind. Da dieses Begehren im Buddhismus untrennbar verbunden ist mit Dukkha (Leiden), versucht man, diesen leidvollen Daseinskreislauf (samsâra) zu durchbrechen, indem man das Begehren überwindet. Dazu führt der „Achtfache Pfad“. Ziel ist der Zustand des Nirvana, das Ende allen Leidens und der Abschluss der Wiedergeburten.

Im tibetischen Buddhismus hat sich die Tradition der bewussten Wiedergeburt entwickelt. Ein Erleuchteter, der ja eigentlich das Rad der Wiedergeburten überwunden hat, kann nach dieser Auffassung absichtlich als sogenannter Tulku wiederkehren, um den Menschen auf dem achtfachen Pfad zu helfen. Deshalb wird einige Jahre nach dem Tod eines Lama mit einer Reihe von tantrischen Praktiken nach einem Kind gesucht, in dem er wieder erscheinen soll. Beispielsweise gilt der momentane Dalai Lama als die vierzehnte Reinkarnation des Bodhisattva Avalokiteshvara.

Judentum

Der Begriff der Reinkarnation (hebräisch: גִלְגּוּל נְשָמוֹת = Gilgul Neschamot, kurz: Gilgul) taucht in der hebräischen Bibel (Tanach) nicht auf, wird aber an mehreren Stellen im Talmud durchaus kontrovers diskutiert und kann sogar als ein grundlegendes Element der Kabbala betrachtet werden.

Der Idee der Reinkarnation begegnet man vor allem in der jüdischen Mystik, so zum Beispiel in dem einflussreichen Sefer ha-Bahir („Buch der Erleuchtung“), das gemeinhin als das älteste Werk der jüdischen Mystik gilt und auf Rabbi Nehunja ben ha-Kana (einen Zeitgenossen von Rabbi Jochanan ben Sakkai im 1. Jahrhundert) zurückgehen soll, wahrscheinlich aber erst von Rabbi Jizchak Saggi Nehor („Isaak dem Blinden“) Anfang des 12. Jahrhundert verfasst wurde. Nach der Veröffentlichung des weitaus bekannteren Sefer ha-Sohar („Buch des Glanzes“) im späten 13. Jahrhundert wurde die Reinkarnationslehre für einige Zeit sogar Allgemeingut im (osteuropäischen) Judentum.

Ein bezüglich der Wiedergeburt geradezu klassisches Werk der Kabbala ist Schaar ha-Gilgulim („Tor der Reinkarnationen“) von Rabbi Isaak Luria (1534–1572), genannt Adoneinu Rabbeinu Jizchak (Akrostichon: ha-ARI = „der Löwe“), das die komplexen Gesetzmäßigkeiten der Wiedergeburt von 5 verschiedenen Seelenteilen beschreibt und außerdem die lebenslange Inkarnation (Gilgul) von der vorübergehenden Inkorporation einer fremden guten Seele (Ibbur) oder einer fremden bösen Seele (Dibbuk) abgrenzt. In diesem Werk bezieht sich Luria auch ausdrücklich auf bestimmte Textpassagen im Tanach.

Während viele (vor allem konservative und liberale) Juden heute die Idee der Reinkarnation nicht als Element ihres Glaubens ansehen, ist die Vorstellung der Wiedergeburt bei orthodoxen Juden (besonders bei den Chassidim) weit verbreitet. In manchen chassidischen Gebetbüchern (Siddur) findet sich beispielsweise ein Gebet, das um Vergebung für Sünden in früheren Inkarnationen bittet.

Diese geistige Nähe der Chassidim zum Konzept des Gilgul kann bereits auf den Begründer der chassidischen Bewegung Rabbi Israel ben Elieser (1698–1760), genannt Baal Schem Tow (Akronym: BeSchT), zurückgeführt werden. Martin Buber hat in seinen Werken Die Legenden des Baalschem sowie Die Erzählungen der Chassidim mehrere Geschichten von Baal Schem Tow gesammelt, in denen dieser ganz konkrete Fälle von Reinkarnation darlegt und erläutert.

Christentum

In der christlichen Bibel finden sich, wie Helmut Zander in seiner Monographie Geschichte der Seelenwanderung in Europa schreibt, „keine Reinkarnationsvorstellungen, nicht einmal Anspielungen. Auch die Vermutung, reinkarnationsrelevante Stellen seien im Verlauf der Textgeschichte eliminiert worden, hängt im luftleeren Raum. Kein Text der Weltgeschichte ist so gut untersucht, von keinem Buch hat man in einem derartigen Ausmaß auch mikroskopische Überlieferungstrümmer zusammengekratzt, kein Werk ist hinsichtlich seiner Entstehungsgeschichte so gut dokumentiert. Bei alledem ist nicht ein einziger Hinweis auf Seelenwanderung zutage getreten.“[2]

Dennoch waren im frühen Christentum Reinkarnationsvorstellungen offenbar verbreitet, da sie in der platonischen Philosophie geläufig waren und durch konvertierte Heiden in christliche Milieus eingebracht wurden. Namentlich in den sogenannten gnostischen Strömungen waren sie präsent. Die Kirchenväter wendeten sich jedoch gegen derartige Tendenzen, da sie eine Reinkarnation in mehrfacher Hinsicht als mit dem christlichen Glauben unvereinbar betrachteten, und dies ist bis heute die Haltung der großen christlichen Kirchen. Die Vorstellung der Wiederauferstehung des ganzen Menschen (Leib und Seele) schließt die wiederholte Inkarnation der Seele in verschiedenen Leibern wie auch die Erlösung der vom Körperlichen befreiten Seele (im Platonismus) aus, und die Erlösung des Menschen durch die Gnade Gottes wird im allgemeinen als unvereinbar mit Karma-artigen Gesetzmäßigkeiten in diversen Reinkarnationslehren angesehen. Nach dem Verschwinden der christlichen Gnosis spielte Reinkarnation daher lange Zeit keine Rolle mehr im Christentum. Abgesehen von den Katharern im Mittelalter trat sie erst in der Neuzeit wieder auf, und erst seit dem 19. Jahrhundert häufen sich die Versuche, derartige Lehren auch mit der Bibel kompatibel zu machen.[3]

Islam

Die Situation des Reinkarnationsgedankens innerhalb des Islam hat viele Gemeinsamkeiten mit derjenigen innerhalb der anderen beiden abrahamitischen Religionen, das heißt Christentum und Judentum. Auch hier lehnen die meisten Vertreter der konfessionellen Hauptströmungen (im Islam Sunniten und Schiiten) das Konzept der Reinkarnation ab. Tatsächlich ist die Vorstellung einer wiederholten Inkarnation (griech. ενσάρκωσις) der individuellen Seele schwerlich mit dem traditionellen Verständnis des Glaubens an die persönliche Auferstehung (griech. ανάστασις) am Tag des jüngsten Gerichts (Harmagedon am „Har-Megiddo“) vereinbar und kann insofern als Apostasie oder Häresie angesehen werden.

Ganz ähnlich den Verhältnissen bei Christen und Juden sollten aber auch hier die Besonderheiten der mystischen Bewegungen nicht übersehen werden. In der islamischen Mystik (Sufismus oder Tasawwuf) vertreten viele esoterische Orden (Tariqas) eindeutig Positionen, die das Konzept der Wiedergeburt problemlos in ihr spirituelles Weltbild integrieren. Hierbei beziehen sich die Sufi-Meister (oder Derwische) oftmals auf den 26. Vers der 2. Sure (al-Baqara = „die Kuh“) des Quran:

„Wie könnt ihr Gott verleugnen, wo ihr tot wart und Er euch lebendig gemacht hat? Dann lässt Er euch sterben und macht euch wieder lebendig, und dann werdet ihr zu Ihm zurückgebracht.“ (Quran 2:26, Übersetzung von Adel Theodor Khoury).

Die islamischen Theologen der konfessionellen Hauptströmungen widersprechen hingegen dieser Interpretation des Verses und argumentieren, dass es sich im ersten Falle („wo ihr tot wart“) um eine Beschreibung geistiger Leblosigkeit im gegenwärtigen Leben und im zweiten Falle („macht euch wieder lebendig“) um die Wiederauferstehung am Tage des jüngsten Gerichts handelt. Dieser innerislamische Disput hat verblüffende Ähnlichkeiten mit den unterschiedlichen innerchristlichen Lesarten der Auferweckung der Toten (zum Beispiel die Lazarus-Episode im Johannesevangelium 11:1-45). Als weiterer Beleg für eine angenommene islamimmanente Reinkarnationslehre wird von der Seite islamischer Mystiker bisweilen der 27. Vers der 3. Sure (Āl Imrān = „die Sippe Imrans“) des Quran herangezogen:

„Du lässt die Nacht in den Tag übergehen, und Du lässt den Tag in die Nacht übergehen. Du bringst das Lebendige aus dem Toten, und Du bringst das Tote aus dem Lebendigen hervor, und Du bescherst Unterhalt, wem Du willst, ohne (viel) zu rechnen.“ (Quran 3:27, Übersetzung von Adel Theodor Khoury).

Die mystische Interpretation der Sufis zeigt sich darüber hinaus einigermaßen unverschleiert in der (insbesondere persischen) klassischen Literatur der islamischen Welt. So findet sich beispielsweise im Buch Mathnawi (das auch als der „persische Quran“ bezeichnet wird) des persischen Dichters und Sufi-Meisters Dschalal ad-Din ar-Rumi (1207–1273), genannt Moulana („unser Meister“), auf dessen Lehren der Mevlevi-Derwischorden zurückreicht, folgendes Gedicht:

„Ich starb als Mineral und wurde Pflanze,
Ich starb als Pflanze und wurde Tier,
Ich starb als Tier und wurde Mensch.
Warum soll ich mich fürchten?
Wann wurd ich weniger durch einen Tod?
Noch einmal werd ich sterben als ein Mensch,
Nur um dann aufzusteigen mit der Engel Segen.
Doch auch vom Engelsdasein muss ich weitergehen …“
(Auszug aus dem Mathnawi von Rumi).

(Spätere Sufimeister interpretieren dieses Gedicht jedoch auch anders, nämlich dass Rumi damit das spirituelle Reifen der menschlichen Seele von der mineralischen bis hin zur göttlichen Seele innerhalb eines Menschenlebens beschreibt.)

Der Reinkarnationsgedanke wurde von islamischen Denkern aber auch dazu genutzt, um die ansonsten unverständliche quranische Identifikation von Maryam (Maria), der Mutter des Propheten Isa (Jesus), mit der alttestamentlichen Prophetin Miriam (Mirjam) zu erklären, die die Schwester von Aaron und Musa (Moses) war und mehr als 1.000 Jahre früher gelebt hat.

Darüber hinaus spielt die Reinkarnationslehre noch bei der kleinen Minderheit der Drusen eine zentrale Rolle. Wegen ihrer sehr speziellen Lehren ist es jedoch umstritten, ob diese überhaupt noch als Muslime angesehen werden können. Nach der Lehre der Drusen gibt es eine Reinkarnation von Menschen nur wiederum als Menschen, nicht als Tiere.

Geschichte der Reinkarnationsvorstellungen in Europa

Antike

Die am Anfang der klassischen Antike stehenden, um 800 v. Chr. verfassten Epen von Homer – die Ilias und die Odyssee – kennen keine Reinkarnation. Der älteste schriftliche Nachweis eines Reinkarnationsglaubens in Europa findet sich in der Zweiten Olympischen Ode (476 v. Chr.) des griechischen Dichters Pindar. In später entstandenen Schriften wird auch Pythagoras, der im 6. Jahrhundert lebte, und seinen Schülern eine Reinkarnationslehre zugeschrieben, und Pythagoras galt daher lange als der „Ahnherr“ des Seelenwanderungsglaubens in Europa. Heute gilt es jedoch als wahrscheinlich, dass die Ursprünge derartiger Vorstellungen noch weiter zurückreichen, zumal sie auch in neuerer Zeit in mündlichen Kulturen (die keine Schriftsprache kannten) weit verbreitet waren.[4]

Weitere bedeutende Vertreter der Reinkarnationslehre innerhalb der griechischen Philosophie waren Empedokles (ca. 490–435 v. Chr.) und Platon (ca. 428–348 v. Chr.). Empedokles lehrte, dass die unsterbliche Seele schon vor der Geburt existiert (Präexistenz) und göttlichen Ursprungs ist. Infolge moralisch schlechter Taten müsse sie sich in zahlreichen Verkörperungen reinigen, um ihren göttlichen Status wieder zu erlangen. Dem liegt der Gegensatz der metaphysischen Prinzipien der Liebe und des Hasses zugrunde. Der Hass verleitet Menschen zu Gewalttaten, derentwegen sie sich erneut in menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Körpern inkarnieren müssen. Die Reinigung erfolgt durch Gewaltlosigkeit einschließlich einer vegetarischen Ernährung. Mit den etwa zeitgleichen hinduistischen und buddhistischen Lehren stimmt Empedokles insofern überein, als die körperliche Existenz als leidvoll betrachtet wird. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass er in der Verkörperung den Weg zur Erlösung sieht (durch eine entsprechende Lebensführung), während nach den indischen Lehren die Erlösung durch besondere, darauf angelegte Verrichtungen angestrebt wird.[5]

Platon, römische Kopie einer zeitgenössischen Büste

Platon griff die Vorstellungen des Empedokles auf und baute sie weiter aus. Er war der einflussreichste Vertreter der Seelenwanderungslehre in der europäischen Antike. Nach seiner Darstellung lebten die menschlichen Seelen ursprünglich im Bereich der unvergänglichen göttlichen Urbilder oder Ideen. Aufgrund verschiedener niederer Beweggründe entfremdeten sie sich jedoch diesem Zustand unvergänglicher Seligkeit, was schließlich zum körperlichen Dasein führte. Auch im verkörperten Zustand habe die Seele aber noch schwache Erinnerungen an ihr früheres gottgleiches Dasein, und daher strebe ihr höherer Teil, die Vernunft, nach der Erlösung aus dem Gefängnis, als welches Platon den materiellen Körper bezeichnete, während die niederen Begierden die Seele an das Materielle binden wollen. Der Weg zur Erlösung von der körperlichen Existenz besteht nach Platon in der Verwandlung niederer Begierden in Tugenden.[6]

Im weiteren Verlauf der Antike lebte der Reinkarnationsgedanke vor allem in den Strömungen des Pythagoreismus und des Platonismus (Plutarch, Plotin, Porphyrios u. v. a.) weiter, wobei er auch in die römische Kultur, in der er ursprünglich nicht geläufig war, Eingang fand. Weitere wichtige Strömungen, in denen die Seelenwanderung gelehrt wurde, waren der Manichäismus und die Hermetik. Bedeutende Dichter wie Vergil und Ovid griffen das Thema auf, ohne sich selbst allerdings erkennbar dafür oder dagegen auszusprechen, während Lukrez und Lukian nur Spott übrig hatten. Entschiedene Gegner der Reinkarnationslehren waren auch Aristoteles und die Sophisten. In den Details waren diese Lehren sehr vielgestaltig, selbst innerhalb des Werkes eines einzelnen Philosophen wie etwa Plutarch finden sich diverse Varianten. Welche Bedeutung ihnen in den antiken Gesellschaften Europas zukam, lässt sich nach dem Stand der Forschung nur grob ermessen. Für eine Breitenwirkung außerhalb gelehrter Kreise gibt es (abgesehen von der religiösen Bewegung des Manichäismus) keine Indizien; daher ist anzunehmen, dass es sich hauptsächlich um ein Thema elitärer Diskurse handelte. Gegen Ende der Antike trat es auch in diesen allmählich zurück, um schließlich praktisch zu verschwinden.[7]

Im antiken Judentum war Reinkarnation kein Thema, und auch in dem daraus hervorgehenden Christentum spielte sie zunächst keine Rolle. Mit dem massenhaften Übertritt von Heiden zum Christentum wurden jedoch auch in diese Kreise derartige Gedanken hineingetragen. Dies schlug sich darin nieder, dass in den Schriften der Kirchenväter des Öfteren Fragen der Wiedergeburt diskutiert wurden, wobei jedoch durchweg die Reinkarnation der Seele in einem anderen Körper abgewiesen und nur die Auferstehung des ganzen Menschen vertreten wurde. Namentlich zugeschrieben wurde ein Glaube an Reinkarnation verschiedenen Angehörigen der christlichen Gnosis, wobei solche Vorstellungen anscheinend aber auch in dieser keine größere Bedeutung erlangten.[8]

Mittelalter

Im Mittelalter wurden Reinkarnationslehren im christlichen Kulturraum nur ausnahmsweise vertreten. Sicher belegt sind sie nur bei der „Ketzerbewegung“ der Katharer und bei dem spät-byzantinischen Philosophen Georgios Gemistos Plethon.[9] Im Judentum hingegen gibt es reichere Belege und Hinweise für derartige Vorstellungen. So beschreibt Saadia Gaon in seinen um 930 entstandenen Glaubenslehren und Meinungen vier verschiedene Reinkarnationslehren, die er jedoch alle zu widerlegen versucht. Positive Aussagen über Seelenwanderung finden sich dann – jedenfalls nach der Interpretation durch Gershom Scholem – in dem um 1200 in Südfrankreich entstandenen Buch Bahir. Daran schloss unter anderem die Reinkarnationslehre Isaaks des Blinden (ca. 1165–1235) an, der in der Provence wirkte und als Chassid verehrt wurde. Durch Schüler Isaaks gelangte diese Lehre ins benachbarte Katalonien, wo sie in der Geroneser Kabbalisten-Schule gepflegt, aber nur in Andeutungen schriftlich dokumentiert wurde. Von dort aus verbreitete sich dieser Gedanke innerhalb des Judentums, erfuhr mannigfaltige Variationen und etablierte sich in den folgenden Jahrhunderten als zumindest bei jüdischen Intellektuellen geläufige Vorstellung.[10]

Bei den christlichen Katharern waren Seelenwanderungsvorstellungen im 13. und 14. Jahrhundert verbreitet, wobei deren Herkunft unklar ist. Die Quellen lassen eine Vielfalt im Detail erkennen, etwa bei der Frage, wie viele Inkarnationen zu durchlaufen seien und welche Tiere als Körper für reinkarnierende Menschenseelen als Folge eines verwerflichen früheren Lebens in Frage kämen. Durchgehend vorhanden ist aber die Zielsetzung, die körperliche Existenz zu überwinden und nicht wiedergeboren zu werden. Dieses Ziel sei nur für die Katharer erreichbar, indem sie entweder den Status des „Perfectus“ (im Unterschied zu den nur gläubigen Credentes) erlangen oder auf dem Sterbebett durch einen freiwilligen Hungertod die Verunreinigung durch das Materielle überwinden. Die Katharer wurden als Häretiker bekämpft (daher die Bezeichnung „Ketzer“, abgeleitet von „katharoi“) und schließlich ausgerottet.[11]

Plethon (ca. 1355–1450), der letzte bedeutende Philosoph des untergehenden Byzantinischen Reiches, vertrat im Rahmen der von ihm betriebenen Wiederbelebung griechisch-antiken Geistesgutes eine neuplatonisch geprägte Seelenwanderungslehre. Zu seinen Lebzeiten scheint diese aber nicht außerhalb eines engen Kreises bekannt geworden zu sein, und nach seinem Tod wurden die Aufzeichnungen, die er zu ihr gemacht hatte, verbrannt.[12]

Neuzeit

In der Renaissance wurden die Schriften Platons und der Neuplatoniker auch im Westen verfügbar und die von diesen Philosophen vertretenen Reinkarnationslehren diskutiert. Da sie als mit dem christlichen Glauben unvereinbar angesehen wurden, lehnte man sie entweder ab (zum Beispiel Johannes Reuchlin) oder versuchte, sie allegorisch umzudeuten (so Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola).[13]

Zu einer an Pythagoras anknüpfenden Reinkarnationslehre bekannte sich Giordano Bruno (1548–1600) im Rahmen seiner für damalige Verhältnisse revolutionären Kosmologie. Allerdings kommt sie in seinen Werken nur am Rande zur Sprache und scheint erst im 20. Jahrhundert ein bedeutendes Interesse auf sich gezogen zu haben. Auch bei Brunos Verurteilung als Ketzer war sie nicht maßgeblich.[14]

In die öffentliche Diskussion (außerhalb jüdischer Kreise) brachte das Thema Seelenwanderung erst Franciscus Mercurius van Helmont (1614–1699), der Sohn des berühmten Arztes, Philosophen und Naturforschers Johan Baptista van Helmont. Er war an der Vorbereitung der ersten bedeutenden Übersetzung kabbalistischer Texte ins Lateinische maßgebend beteiligt und hat dabei nach eigenen Angaben veranlasst, dass die Reinkarnationslehre des Kabbalisten Isaak Luria einbezogen wurde, obwohl der Herausgeber Christian Knorr von Rosenroth sie ablehnte. Kurz darauf (1684) publizierte er, der „jüngere van Helmont“, eine eigene, aus dem Christentum entwickelte Reinkarnationslehre, mit der er zwischen dem Christentum und dem Judentum zu vermitteln versuchte und die sich erheblich von Luria unterschied. Damit stieß er allerdings ganz überwiegend auf Ablehnung, und das Thema blieb noch für weitere fast hundert Jahre eine Randerscheinung in intellektuellen Kreisen.[15]

Anton Graff: Gotthold Ephraim Lessing (1771)

Das änderte sich jedoch – jedenfalls für den deutschen Sprachraum – schlagartig mit Gotthold Ephraim Lessings 1780 erschienener Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts. Darin bezog Lessing selbst zwar keine klare Position, sondern stellte Fragen wie: „Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin?“ oder: „Ist diese Idee denn so lächerlich, weil sie die älteste ist?“ Diese Äußerungen Lessings wurden dann vielfach prompt als ein Bekenntnis zur Reinkarnation interpretiert und zogen jedenfalls ein lebhaftes Interesse auf sich. Im Jahr darauf publizierte Johann Georg Schlosser, der Freund und Schwager Goethes, mit Über die Seelenwanderung die erste Schrift jener Zeit, die sich explizit und zustimmend mit dem Thema befasste. Eine facettenreiche Debatte kam in Gang, in deren Verlauf auch „indische“ (hinduistische) Quellen rezipiert wurden; sie begann sich gegen 1800 in der Belletristik niederzuschlagen.[16]

Auch im 19. Jahrhundert wurde das Thema weiter diskutiert. Ein relativ prominenter Befürworter der Seelenwanderung im deutschen Sprachraum war der Arzt Georg von Wedekind, der 1826 in einer protestantischen Kirchenzeitung und 1828 in dem Buch Über die Bestimmung des Menschen Christentum und Reinkarnation zu verbinden suchte. Unter den Gegnern ragt der Philosoph Wilhelm Traugott Krug mit seinem 1836 publizierten Glaubensbekenntnis über Seelenwanderung und Unsterblichkeit heraus. Auch bedeutende Dichter wie Friedrich Hebbel und Heinrich Heine griffen das Thema auf. In Frankreich verbanden die Frühsozialisten Charles Fourier und Pierre Leroux ihre politischen Utopien mit Reinkarnationsvorstellungen, was unter anderem. von George Sand literarisch aufgegriffen wurde.[17]

Arthur Schopenhauer 1859

Einen bedeutenden Neueinschlag stellt die Reinkarnationslehre Arthur Schopenhauers dar, die dieser 1844 im Ergänzungsband zu seinem philosophischen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung formulierte. Darin kombinierte Schopenhauer Elemente hinduistischer und buddhistischer Lehren mit an Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel orientierten philosophischen Ansätzen. Wiedergeboren wird nach dieser Ansicht nur der unbewusste Wille des Individuums, der jeweils „einen neuen Intellekt erhält“. Schopenhauers Philosophie und insbesondere die damit verknüpfte Reinkarnationslehre hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf den Komponisten Richard Wagner, in dessen Werken das Motiv der Seelenwanderung allerdings nur zeitweilig zur Sprache kam und später durch traditionell-christliche Formulierungen ersetzt wurde. Zu den prominenten Rezipienten Schopenhauers gehörte auch der Dichter Wilhelm Busch, der das Thema der Wiedergeburt des Öfteren aufgriff, ohne dabei selbst klar Stellung zu beziehen.[18]

Allan Kardec

Sehr folgenreich war das 1857 in erster und 1860 in erheblich erweiterter zweiter Auflage erschienene Livre des esprits (Buch der Geister, deutsch 1868) des französischen Arztes und Spiritisten Hippolyte Léon Denizard Rivail alias Allan Kardec, in dem dieser den damals äußerst populären Spiritismus mit einer Reinkarnationslehre zu einem Glaubenssystem verband, dem aus heutiger Sicht der Status einer alternativen Religion zuerkannt wird. Damit verlagerte sich (zunächst in Frankreich) der Diskurs über das Thema Reinkarnation in den okkultistisch-esoterischen Bereich, womit eine erhebliche Popularisierung verbunden war, während in der Wissenschaft mittlerweile ein radikaler Materialismus tonangebend war, der derartige Themen im akademischen Bereich an den Rand drängte. Auch die moderne Bezeichnung „Reinkarnation“ tritt bei Kardec erstmals nachweislich auf (davor waren Bezeichnungen wie „Metempsychose“ oder „Palingenese“ üblich).[19]

Helena Petrovna Blavatsky 1889

Zur zeitweilig wichtigsten Institution bei der Verbreitung des Reinkarnationsgedankens entwickelte sich die 1875 gegründete Theosophische Gesellschaft, nachdem in dem 1888 in London erschienen Hauptwerk ihrer Mitbegründerin Helena Petrovna Blavatsky, The Secret Doctrine (deutsch Die Geheimlehre, 1899), die Reinkarnation zu einem integralen Bestandteil der theosophischen Lehre erhoben worden war. Obwohl offenbar durch hinduistische und buddhistische Einflüsse mit angeregt, ist Blavatskys Reinkarnationslehre in wesentlichen Punkten europäisch geprägt und insbesondere mit neuplatonischen Ansätzen zu vergleichen. So gilt ihr zufolge nicht das Aufgehen der Persönlichkeit im Nirvana als Ziel, sondern im Gegenteil deren fortschreitende, selbstbestimmte Entwicklung im Verlauf der Inkarnationen. An Blavatskys Darstellungen knüpften andere Theosophen an, wobei im deutschen Sprachraum Rudolf Steiner im Rahmen seiner Anthroposophie das laut Zander „vermutlich wirkungsmächtigste Reinkarnationsmodell“ entwarf.[20]

Im späten 19. Jahrhundert entwickelte sich in Europa ein vermehrtes Interesse am Buddhismus mit seinen Reinkarnationsvorstellungen, nachdem buddhistische Quellen in Übersetzungen vorlagen und religionswissenschaftlich aufgearbeitet wurden. Dazu trugen auch führende Vertreter der Theosophischen Gesellschaft wie Blavatsky, Henry Steel Olcott und Charles Webster Leadbeater bei, die zum Buddhismus konvertierten und diesen propagierten. Vielfach wurde versucht, Elemente des Buddhismus mit westlichen Anschauungen zu verbinden, während die Widersprüche zwischen der buddhistischen Karma-Lehre und der christlichen Tradition wie auch dem westlichen Fortschrittsglauben erst allmählich deutlich wurden. Im Falle des Hinduismus verlief die Entwicklung zunächst überwiegend in umgekehrter Richtung: Bedeutende hinduistische Denker wie Vivekananda, Aurobindo Ghose und Sarvepalli Radhakrishnan nahmen westliche Elemente in ihre Lehren auf und entwickelten einen Reformhinduismus, während die Rezeption hinduistischer Lehren im Westen weit hinter der des Buddhismus zurückblieb.[21]

Ein Medienereignis, das in den 1950er Jahren speziell in den USA die öffentliche Aufmerksamkeit zeitweilig auf das Thema Reinkarnation lenkte, war der „Fall Bridey Murphy“: Die US-Amerikanerin Virginia Tighe berichtete unter Hypnose von einer früheren Inkarnation als „Bridey Murphy“ im 19. Jahrhundert in Irland, sprach dabei selbst irisch und machte erstaunlich detaillierte Angaben. Ein Zeitungsbericht darüber löste in den USA ein regelrechtes „Reinkarnationsfieber“ (Zander) aus, und etliche Angaben Tighes konnten bei Nachforschungen in Irland bestätigt werden. Es ergaben sich jedoch auch Unstimmigkeiten, und schließlich konnte der Fall weitgehend dadurch plausibel gemacht werden, dass Virginia Tighe in ihrer Jugend intensiven Kontakt mit irischen Einwanderern gehabt hatte, darunter eine Frau mit dem Geburtsnamen Bridey Murphy.[22]

Mit der „empirischen Reinkarnationsforschung“ trat im 20. Jahrhundert ein neues Thema in der Reinkarnationsdebatte in Erscheinung. Grundlage dieser Forschung, deren renommiertester Vertreter der Parapsychologe Ian Stevenson war, die aber daneben einen laut Zander „unüberschaubaren Strom“ publizierter „Forschungsergebnisse“ und „Beweise“ hervorgebracht hat, sind wie im Fall Murphy vermeintliche Erinnerungen an frühere Inkarnationen. Derartige Untersuchungen stoßen jedoch selbst unter Parapsychologen auf massive Kritik, und ernsthaftere Vertreter wie Stevenson sprechen nicht von Beweisen, sondern lediglich von einer Hypothese. Einen Schritt weiter geht die Reinkarnationstherapie, die versucht, „Rückführungen“ in vermeintliche frühere Inkarnationen psychotherapeutisch zu nutzen.[23]

Im späten 20. Jahrhundert entstanden neue Glaubensgemeinschaften und -richtungen, in denen Reinkarnationsvorstellungen eine bedeutende Rolle spielen, darunter Universelles Leben, das sich auf Gabriele Wittek beruft, und das Neuheidentum (Neopaganismus).[24]

Verbreitung

Statistische Erhebungen über die Verbreitung des Glaubens an Reinkarnation in der Bevölkerung werden in diversen europäischen Staaten und den USA seit den 1960er Jahren durchgeführt. Sie ergaben Zustimmungsraten zwischen 10 und 30 %, wobei anscheinend die genaue Fragestellung das Ergebnis stark beeinflusste, während sich sonst kaum irgendwelche Trends ableiten lassen. Wesentlich höher ist mit 45 % das Ergebnis einer Umfrage in Brasilien, was damit zusammenhängen könnte, dass dort der kardecistische Spiritismus weit verbreitet ist.[25]

Literatur

  • Paul Edwards: Reincarnation. A Critical Examination. Amherst/New York 1996
  • Ronald W. Neufeldt: Karma and Rebirth. Post Classical Developments. Albany 1986
  • Wendy D. O'Flaherty (Hrsg.): Karma and Rebirth in Classical Indian Traditions. Berkeley 1983
  • Jürgen Pfestorf: Reinkarnation, Wiedergeburt und Auferstehung in den Evangelien. Bautz, Nordhausen 2006, ISBN 3-88309-360-2
  • Nothart Rohlfs (Hg.): Wie wir wurden, wer wir sind. Kontroverse Sichtweisen zum Thema Reinkarnation und Karma. Urachhaus, Stuttgart 1999, ISBN 3-8251-7214-7
  • Rüdiger Sachau: Westliche Reinkarnationsvorstellungen (= Diss. Marburg 1995). Kaiser, Gütersloh 1996
  • Karl Otto Schmidt: Alles Lebendige kehrt wieder. Das Rad von Tod und Wiedergeburt – Worte großer Denker. Drei Eichen, Hammelburg 2007, ISBN 3-7699-0586-5
  • Perry Schmidt-Leukel (Hrsg.): Die Idee der Reinkarnation in Ost und West. Diederichs, München 1996, ISBN 3-424-01335-8
  • Jan Erik Sigdell: Reinkarnation. Christentum und kirchliches Dogma. Ibera, Wien 2001, ISBN 3-85052-109-5
  • Ian Stevenson: Reinkarnation. Der Mensch im Wandel von Tod und Wiedergeburt. Aurum, Freiburg 1976; 8. Auflage Kamphausen, Bielefeld 2003, ISBN 3-89901-019-1
  • Helmut Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa. Alternative religiöse Traditionen von der Antike bis heute. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999, ISBN 3-89678-140-5

Einzelnachweise

  1. Hans Wolfgang Schumann: Buddhismus. Stifter, Schulen, Systeme. München: Diederichs 1993, S. 82–91.
  2. Helmut Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa, Darmstadt 1999, S. 119
  3. Zander, S. 126–152
  4. Carl A. Keller: Reincarnation I: Antiquity, in: Wouter J. Hanegraaff (Hrsg.): Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, Brill, Leiden/Boston 2005, S. 980f; Zander, S. 57–63. Siehe hierzu und zum Folgenden auch Walter Stettner: Die Seelenwanderung bei Griechen und Römern, Diss. Tübingen 1933, Stuttgart/Berlin 1934; Carl Hopf: Antike Seelenwanderungsvorstellungen, Diss. Leipzig 1934; Herbert Strainge Long: A Study of the Doctrine of Metempsychosis in Greece – From Pythagoras to Plato, Princeton 1948; Angelika Böhme: Die Lehre von der Seelenwanderung in der antiken griechischen und indischen Philosophie – Ein Vergleich der philosophischen Grundlegung bei den Orphikern, bei Pythagoras, Empedokles und Platon mit den Upanishaden, dem Urbuddhismus und dem Jainismus, Diss. Düsseldorf 1989; Ioannis G. Kalogerakos: Seele und Unsterblichkeit – Untersuchungen zur Vorsokratik bis Empedokles, Stuttgart/Leipzig 1996
  5. Keller, S. 981; Zander, S. 63–66
  6. Keller, S. 981f
  7. Zander, S. 81–119; Keller, S. 981
  8. Zander, S. 119–152
  9. Zander, S. 216
  10. Zander, S. 170–185. Siehe auch Gershom Scholem: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt/Main 1957, und Seelenwanderung und Sympathie der Seelen in der jüdischen Mystik, in: Eranos-Jahrbuch 24/1955, Zürich 1956, S. 55–118, auch enthalten in: Von der mystischen Gestalt der Gottheit – Studien zu Grundbegriffen der Kabbala, Zürich 1962, S. 193–247
  11. Zander, S. 199–216
  12. Zander, S. 230–233
  13. Zander, S. 233–244
  14. Zander, S. 247–254
  15. Zander, S. 257–273 und 337–341. Siehe auch Allison P. Coudert: The Impact of the Kabbalah in the Seventeenth Century: The Life and Thought of Francis Mercury Van Helmont (1614–1698), Brill 1998
  16. Zander, S. 11f und 344–388. Siehe auch Gotthold Ephraim Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts, Berlin 1780; aktuelle Taschenbuchausgabe: dtv, München 1997, ISBN 3-423-02630-8
  17. Zander, S. 402–433
  18. Zander, S. 440–466
  19. Zander, S. 415f und 472–474
  20. Zander, S. 477–494; siehe auch Ronald W. Neufeldt: In search of utopia: Karma and rebirth in the theosophical movement, in: Karma and Rebirth – Post Classical Developments, Albany 1986, S. 233–255
  21. Zander, S. 509–515 und 550–554
  22. Zander, S. 566f
  23. Zander, S. 567–575
  24. Zander, S. 576–579
  25. Zander, S. 598-602

Weblinks


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