Sigetik

Sigetik

Sigetik (zu altgriech. σιγᾶν (sigân) = Erschweigen) ist ein philosophischer Fachbegriff, der ungefähr mitSchweigelehreübersetzbar ist. Der Ausdruck wird hin und wieder im Kontext von Traditionen der Mystik oder negativen Theologie verwendet,[1] bezieht sich meist aber auf die Verwendung durch Martin Heidegger. Dieser hatte betont, dass mandas Sein selbst nie unmittelbar sagenkönne.[2] Insofern tritt "Sigetik" ungefähr an die Stelle einer an Aussagesätzen über Seiendes orientiertenLogik“.[3] [4]

Heideggers Kritik an der traditionellen Metaphysik

Wenn Heidegger an die Stelle vonLogik“ (Rede-/Wort-lehre) „Sigetik“ (Schweige-lehre) setzt, nimmt dies Bezug auf seine Kritik an traditionellen Auffassungen darüber, wie Sprache Bezug nimmt auf Gegenstände: in traditionellen metaphysischen Positionen werden diese als wohldefinierte, über die Zeit hinweg stabile Objekte verstanden, die objektiv gegeben - „vorhandensind. Hier beispielsweise setzt Heideggers Platon-Kritik an: dessen Ideenbegriff unterstelle, dass man auf Objekte alszum Stand gebrachteBezug nimmt - während es Heidegger um eine Analyse derjenigen Strukturen geht, welche diese verobjektivierende Bezugnahme überhaupt ermöglichen. Die Stabilität metaphysischer Ordnungsschemata wird als abkünftig verstanden beispielsweise gegenüber den praktischen und sinnhaft verstehenden Bezügen und Bewandtnissen (deren Gesamtheit nennt HeideggerWelt“), die wir mit Dingen verbinden. Ein stabileserkennendes Subjekteines je gleichen Typs vonVernunftwesen überhauptmit wohldefinierbaren Erkenntnisvermögen undschemata beispielsweise wird als wiederum abkünftig verstanden gegenüber dynamischen strukturellen Bedingungen, darunter insbesondere die von Heidegger alsZeitlichkeitausgewiesenen Ermöglichungsbedingungen dafür, sich und anderen Objekten Zeitstellen und Permanenz zuzuschreiben. Des Weiteren unterscheidet Heidegger unterschiedliche Modi („Existenziale“), sich auf das Ganze vonWeltzu beziehen, kritisiert dabei berechnende, technisch-nutzenkalkulierende, verobjektivierende Zugangsweisen und erklärt deren Vorherrschaft zeitdiagnostisch. Theorieversuche traditioneller Metaphysik sieht er vor diesem Hintergrund als unzulässige Engführung, weil sie sich lediglich an bereitszum Stand gebrachten“, ideierten, vorhandenen Objekten orientiertanSeiendem“, und jede Frage nach Sinn und Ursprung von Seiendem dahingehend beantwortet, dass sie dessenSeinals eine prinzipiierende Ursache nach dem Muster sonstiger Seiender beschreibt. Um diese und andere Unterschiede seiner Methode, die er zeitweiseFundamentalontologieim Unterschied zuontischenBeschreibungsweisen nennt, kenntlich zu machen, spricht Heidegger vonSeyn“ – womit diejenige dynamisch-prozesshafte Struktur gemeint ist, welche als Ursprung von Seiendem überhaupt begriffen wird. Diese dynamische Zeitbezüglichkeit wird in Wendungen wieWesen des Seynsausgedrückt, wobeiWesennicht im Sinne einer statischen Essenz gemeint ist, sondern verbal-prozessual zu lesen ist: das Seynwest“ (und ist von dieser Wesung nicht als ein stabiles Objekt abhebbar). Heidegger spricht auch vonEr-eignisund bezieht dies u.a. auch auf die zeitliche Konstitution je eigener subjektiver Bezüglichkeit. Dieser Ursprung, dasSeyn“, bleibe durch traditionelle metaphysische Zugriffsweisen un- und missverstandenstattdessen müsse die Philosophie einenanderen Anfangdenken und sagen.

Heideggers Sprachkritik und Sigetik

Sowohl die theoretische, auf die Benennung von je schon Seiendem verwiesene, Sprache der Philosophie, wie auch die Alltagssprache (welcher Kultur auch immer), werdeimmer weitgreifender vernutzt und zerredet“.[5]. DasSeynlasse sich durch herkömmliche Sprechweisen nicht benennen. Das Wesen der Sprache werde insbesondere nicht eigentlich durch die am Aussagesatz orientierte Logik im traditionellen Sinn beschrieben, sondern deren sie gründendes und ermöglichendes Wesen wird wiederum alsSigetikausgewiesen.[6] Die Wiedergabe alsSchweigelehreist aber insofern irreführend, als Heideggers Frage nach dem Sinn vonSeynsich nicht in ein regelgebundenesSchulfachsperren lasseallein schon, „weil wir die Wahrheit des Seyns nicht wissen“ (sondern sie sich je nurer-eignet“).[7] Stattdessen geht es um eine gegenüber Sachverhaltsaussagen ursprünglichere Redeweise, die Heidegger auch schlichtdas Sagennennt:Das Sagen beschreibt nichts Vorhandenes, erzählt nicht Vergangenes und rechnet nicht Zukünftiges voraus“.[8] Überhaupt gilt:Wir können das Seyn selbst ... nie unmittelbar sagen. Denn jede Sage kommt aus dem Seyn her[9]. Jedes Sagen ist gleichsam je schon zu spätund rückbezogen auf seinen Ursprung, der ihm gegenüber lediglich ex-negativo als das Schweigen kenntlich zu machen ist, welches diesem Sagen ermöglichend vorauslag und ihm mithin allein angemessen wäre. Es geht Heidegger allerdings nicht um bloßes Schweigen („Verschweigen“), sondern eine Hinweisung („Nennen“) auf das eigentlich zu Sagende imErschweigen:Das höchste denkerische Sagen besteht darin, im Sagen das eigentlich zu Sagende nicht einfach zu verschweigen, sondern es so zu sagen, daß es im Nichtsagen genannt wird: das Sagen des Denkens ist ein Erschweigen. Dieses Sagen entspricht auch dem tiefsten Wesen der Sprache, die ihren Ursprung im Schweigen hat.“[10] Beispiele sieht Heidegger in der Dichtung: TraklsIm Dunkel" beginnt mit dem VersEs schweigt die Seele den blauen Frühling“ - Heidegger dazu:Ihn singt die Seele, indem sie ihn schweigt[11]; die von Trakl gesperrt gesetzte WendungEin Geschlechtkommentiert Heidegger: diesbirgt den Grundton, aus dem das Gedicht ... das Geheimnis schweigt... In dem betontenEin Geschlechtverbirgt sich jenes Einende, das aus der versammelnden Bläue der geistlichen Nacht einigt."[12] Die Dynamik von Erschweigen und Sagen folgt hier der von Heidegger sonst (etwa in Ursprung des Kunstwerks) alsVerbergungundEntbergungbeschriebenen Struktur. „Erschweigenist kein bloßer Abbruch von Sprachlichkeit, sondern meint das Ereignis des Bezogenseins auf dasSeynselbst:Die Grunderfahrung ist nicht die Aussage ... sondern das Ansichhalten der Verhaltenheit gegen das zögernde Sichversagen in der Wahrheit ... der Not, der die Notwendigkeit der Entscheidung entspringt[13]. In für das Spätwerk Heideggers typischen Formulierungen wie dieser ist nicht nur fast jedes Wort ein spezifischer Fachterminus Heideggers, dessen Gebrauchssinn zu verstehen die Kenntnis seiner früheren Schriften voraussetzthinzukommt, dass Heideggers Spätwerk einen dichten, fast poetischen Stil sucht. Man hat von einemStil des ereignisgeschichtlichen Denkensgesprochen und diesen mit der Sigetik identifiziert.[14]

Einzelnachweise

  1. So z.B. bei G. Wohlfart / J. Kreuzer: Art. Schweigen, Stille, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, S. 1483-1495, hier 1486 mit Bezug auf Proklos
  2. GA 65, S. 78f
  3. GA, S. 78
  4. GA, S. 79
  5. GA 65, 79
  6. GA 65, 79:Das Wesen der Logik ist daher die Sigetik.“
  7. GA 65, 78f
  8. Geschichte des Seyns, 29
  9. GA 65, 79
  10. Heidegger: Nietzsche, Bd. 1, 471f; zum spezifischen Sinn vonDenkenin dieser Formulierung s. z.B. GA 8: Was heißt Denken?
  11. GA 12, 79
  12. GA 26, 78
  13. GA 65, 80, Hervorhebungen getilgt
  14. So z.B. Richard Sembera: Unterwegs zum Abend-Lande - Heideggers Sprachweg zu Georg Trakl, Diss. Freiburg i. Br., SS 2002 (bei F.-W. von Herrmann), S. 51 ff.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Sigetisch — Sigetik (zu altgriech. σιγᾶν (sigân) = Erschweigen) ist ein philosophischer Fachbegriff, der ungefähr mit „Schweigelehre“ übersetzbar ist. Der Ausdruck wird hin und wieder im Kontext von Traditionen der Mystik oder negativen Theologie… …   Deutsch Wikipedia

  • Terminologie Heideggers — Die Terminologie Martin Heideggers entstand vor allem aus der Bemühung heraus, sich von bestimmten grundlegenden Merkmalen und Tendenzen philosophischer Traditionen loszusagen. Heidegger wollte ein Vokabular entwickeln, das seinem eigenen… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/1287787 Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”